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1. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 27

1910 - Berlin : Singer
— 27 — Massenelend und einer Massenverwilderung, die vergebens durch eine furchtbar grausame Blutgesetzgebung auszurotten versucht wurde. .. In dem Maße, wie der Adel diese mörderische und räuberische Politik betrieb, schwand seine ökonomische Notwendigkeit dahin. Je stärker die staatliche Zentralgewalt heranwuchs, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn' zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte-. Der Schirm- und Schutzherr war jetzt derjenige, gegen den die Bauern am ehesten und meisten des Schirmes und Schutzes bedurften. Der feudale Adel legte sich als schwerer Hemmschuh an die historische Entwickelung, die seine schwächeren Elemente, das sogenannte Rittertum, den niederen Adel, der zwischen den großen Grundherren und den Bauern stand, wie heute der Kleinbürger zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, alsbald auch wegsäuberte. Gleich den heutigen Kleinbürgern suchte das Rittertum vergebens durch eine Politik, die zwischen den herrschenden und beherrschten Klassen hin- und herschwankte, seinen Untergang als selbständige Klasse auszuhalten. Seine Todeswehen nahmen oft eine tragische Gestalt an, wie in den deutschen Rittern Hutten und Sickingen, die Ferdinand Lassalle zu Helden eines Trauerspiels gemacht hat, aber die Literatur der aufkommenden Bourgeoisie sah in ihrem kraftstrotzenden Uebermut in dem untergehenden Ritter nur eine komische Gestalt, wovon heute noch der Don Quichote des spanischen Dichters Cervantes und der Falstaff des englischen Dichters Shakespeare zeugen. 2. Die Zerrüttung der päpstlichen Kirche. Die allmähliche Umwälzung der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise übte nun auch ihre tiefgreifende Wirkung auf die überragende Macht des Mittelalters aus, auf die Kirche, und in erster Reihe auf die päpstliche Weltherrschaft, die als Führerin der christlichen Völker gegen die auswärtigen Feinde entstanden war und in den Kreuzzügen ihren Gipfel erreicht hatte. Gerade aber die Kreuzzüge waren ein mächtiger Hebel geworden, den Handel mit dem Orient zu fördern und jenes Element zu entwickeln, das die feudale Welt und ihren Monarchen, den Papst, stürzen sollte, nämlich das Kapital.

2. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 37

1910 - Berlin : Singer
— 37 — handelte, aber ihm sollte sehr bald klar werden, daß es sich bei diesem Handel nicht um theologische Ketzereien, sondern um sehr reale Jnterefsenkämpse handelte. 4. Luther, Münzer, hulten. Sobald die Thesen Luthers das Signal zum offenen Kampfe gegen Rom gegeben hatten, vereinfachte sich der bunte Wirrwarr der deutschen Interessenkämpfe, indem sich die verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen in drei große Lager schieden, das konservativ-katholische, das bürgerlich-reforma-torische und das plebejisch-revolutionäre. In dem konservativ-katholischen Lager sammelten sich alle Elemente, die an der Erhaltung des Bestehenden interessiert waren, an ihrer Spitze der Kaiser. So tief war die mittelalterliche Reichsgewalt in Deutschland gesunken, daß sich bei der Kaiserwahl von 1519 der französische und der spanische König um die Krone gerauft hatten; von den sieben Kurfürsten, denen die Wahl oblag, hatten sich fast alle, bald durch französisches, bald durch spanisches Gold bestechen lassen; endlich siegte der spanische König Karl, der aus dem Hause Habsburg stammte und zugleich Herr der österreichischen Erblande war. Sowohl als spanischer König wie als Herr der österreichischen Erblande hatte er das dringendste Interesse, nicht mit Rom zu brechen; er hat Rom durch seine Söldner stürmen lassen, um den Papst seinem Willen zu unterwerfen, aber der päpstlichen Kirche konnte er nicht absagen, da sie sein stärkstes Herrschaftsmittel sowohl in Spanien wie in den österreichischen Erblanden war. Deshalb blieb Kaiser Karl V. ein entschlossener Gegner der deutschen Reformation, wobei er sich aus die geistlichen und einen Teil der weltlichen Fürsten, den reichen Adel, die aristokratische Fraktion der Geistlichkeit und das städtische Patriziat stützen konnte. Diesem katholisch-konservativen Lager gegenüber stand nun die große Masse der Nation, die sich in leidenschaftlicher Empörung gegen die päpstliche Ausbeutung erhob. Sie spaltete sich aber sehr bald in zwei Lager, in deren einem sich die besitzenden Elemente der Opposition zusammenfanden, die Masse des niederen Adels, die Zunftbürger und ein Teil der weltlichen Fürsten, die sich durch Konfiskation der geistlichen Güter zu bereichern hofften und auch die Gelegenheit auszunutzen gedachten, sich von Kaiser und Reich noch immer unabhängiger zu machen. Diese bürgerlich-gemäßigte Partei wollte sich wohl vom Joche der päpstlichen Ausbeutung befreien, aber

3. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 42

1910 - Berlin : Singer
— 42 — von bäuerlichen Aufständen namentlich in Süddeutschland hervorgerufen, darunter die Bauernverschwörungen, die unter dem Namen des Bundschuhs und des armen Konrads historischen Ruf gewonnen haben. Aber sie alle blieben örtlich beschränkt und wurden bald niedergeschlagen. Erst als die Reformationsbewegung die Nation in ihren Tiefen aufgewühlt hatte, gelang eine Bauernoerfchwörung über das ganze Reich hin, die am 2. April 1525 losschlagen sollte und in der Tat auch losschlug. Wie der ritterliche Aufstand innerlich reaktionär war, so ist die bäuerliche Revolution in ihrem historischen Kern innerlich reaktionär gescholten worden, und zwar gerade auch von Lassalle, der die Ritter Hutten und Sickingen dichterisch verherrlicht hat. Allein Lassalle hat die Bewegung der Ritter ebenso überschätzt, wie er die Bewegung der Bauern unterschätzte. Die zwölf Artikel, in denen die Bauern ihre Forderungen zusammenfaßten, lagen durchaus im Zuge des historischen Fortschrittes; sie verlangten Wahl und Absetzbarkeit der Geistlichen durch die Gemeinden; Abschaffung der Leibeigenschaft, des adligen Fischerei- und Jagdrechts, Beschränkung der übermäßigen Fronen und Steuern, Wiederherstellung der den einzelnen oder den Gemeinden entrissenen Waldungen und Weiden, Beseitigung der willkürlichen Justiz und Verwaltung. Alle diese Forderungen waren durchaus billig und gerecht, und vor allem entsprachen sie den Bedingungen und Voraussetzungen der bürgerlichen Geschichtsperiode; was die deutschen Bauern im Jahre 1525 forderten, lief wesentlich auf dasselbe hinaus, was die französischen Bauern im Jahre 1789 erobert haben. Lassalle ist in seinem abfälligen Urteil über den deutschen Bauernkrieg durch eine allzu formalistische Auffassung mißleitet worden; er wollte eine wirkliche Revolution nur anerkennen, wo ein altes Prinzip durch ein neues ersetzt werde, und indem er den Grundbesitz als das Prinzip des Mittelalters, die Industrie als das Prinzip der neuen Zeit auffaßte, sprach er dem Bauernkrieg mit Unrecht den revolutionären Charakter ab, weil er am Prinzip des Grundbesitzes festgehalten und vom Prinzip der Industrie nichts gewußt habe. Es war den Bauern gelungen, ihre große Verschwörung geheimzuhalten; als sie sich unerwartet erhoben, wurden die herrschenden Klassen so überrascht, daß die Sache der Bauern zunächst günstige Aussichten hatte oder doch zu haben schien. Auch Luther riet noch am 16. April zu einer gütlichen Eini-

4. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 44

1910 - Berlin : Singer
— 44 — Bauernbewegung nicht daran, daß sie Forderungen aufstellte, die historisch schon überholt waren, sondern umgekehrt, weil sie verfrüht war, weil ihr der nationale Boden fehlte, weil es eine deutsche Nation im modernen Sinne des Wortes noch nicht gab. Einzelne Städte schlossen sich wohl den Bauern an, aber auch sie nur lau und zaghaft; die städtischen Patrizier zeigten sich durchweg feindlich: die Zunftbürger trieben eine ähnliche Politik wie Luther; die städtischen Plebejer waren als Klasse noch viel zu unentwickelt, um den Bauern eine wirksame Stütze zu sein. Noch viel unzuverlässiger als die Städte waren die Ritter; sie schlugen sich meist auf die Seite der Fürsten, oder wenn sie sich anfangs zu den Bauern hielten, verrieten sie bald den Aufstand, wie Götz von Berlichingen. Nur einzelne Ritter, wie Florian Geyer, neben Münzer die glänzendste Gestalt des Bauernkrieges, hielten treu zu den Aufrührern. Im allgemeinen ruinierte die lokale und provinzielle Zersplitterung und in ihrer Folge die lokale und provinzielle Beschränktheit die ganze Bewegung; in jeder Landschaft handelten die Bauern auf eigene Faust, verweigerten sie ihren Klassengenossen in den Nachbarprovinzen ihre Hilfe und wurden in einzelnen Gefechten und Schlachten nacheinander von Heeren aufgerieben, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen. Eine Hauptmasse der Fürsten war der niederträchtigste Verrat, der eben auch nur gelingen konnte, weil die Bauern in jahrhundertelanger Knechtschaft zu verelendet worden waren, um den handgreiflichen Lug und Trug zu durchschauen. Die Fürsten köderten die Bauernhaufen durch gleißende Versprechungen, und metzelten dann, wenn die Bauern in gläubigem Vertrauen auf diese Versprechungen die Waffen niederlegten, um sich nach Hause zu begeben, die Wehrlosen massenhaft nieder. In Strömen floß das Blut der Bauern über die deutsche Erde; nach geringster Schätzung sind hunderttausend Bauern entweder im Kriege gefallen oder nachher hingerichtet worden. Dennoch verschlechterte diese furchtbare Niederlage die Lage der Bauernklasse auf die Dauer nicht. Sie waren schon vor dem Kriege so ausgeschröpft worden, daß ihnen nichts mehr zu nehmen war. Manche wohlhabenden Mittelbauern wurden 5freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hinabgedrückt, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder zu Vagabunden

5. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 48

1910 - Berlin : Singer
— 48 — tore hatte, soweit die Erde entdeckt mar; er lieferte den Fürsten in der Form von Beichtvätern die erfahrensten und gescheitesten Minister. Jedoch der moderne Absolutismus entsprach nur zeitweise, nur soweit es auf die Bildung großer einheitlicher Handelsund Wirtschaftsgebiete ankam, nicht aber dauernd den Interessen der aufblühenden Städte. Für diese war er nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und sobald er sich selbst als Zweck zu fühlen gedachte, erinnerten sie ihn nachdrücklich daran, daß er von ihren Gnaden sei. Das Banner aber, unter dem sich zuerst die niederländischen Städte gegen den spanischen, und die französischen Städte gegen den französischen Absolutismus erhoben, war der Kalvinismus. Kalvin hatte ihn in der reichen Handelsstadt Genf verkündet, und durch seine demokratische Kirchenverfassung entsprach er den Interessen der vorgeschrittensten Städtebürger. Wohl bekannten sich auch Teile des Adels in Holland und Frankreich zum Kalvinismus, aber nur, weil sie mit den rebellischen Städten mehr oder minder gemeinsame Interessen hatten; wo der Kalvinismus eine begeisternde und fanatische Macht wurde, standen die bürgerlichen Interessen im Vordergründe. Neben der absolutistisch-kapitalistischen Gesellschaft Jesu kann man ihn die bürgerlichkapitalistische Religion nennen. Endlich das Luthertum war die Religion der ökonomisch zurückgebliebenen Länder, die am stärksten von Rom ausgebeutet worden waren, aber am wenigsten daran denken konnten, Rom zu beherrschen oder Rom zu vernichten, die also vollständig mit Rom brechen mußten, jedoch in die großen Wettkämpfe um sein Erbe nicht entscheidend eingreifen konnten. Das Luthertum herrschte im nördlichen und östlichen Deutschland, in Dänemark, in Schweden. Es waren Länder mit verhältnismäßig geringer Entwickelung der Städte und starkem Uebergewicht des Adels; im westlichen Deutschland, wo die Städte stärker und zahlreicher waren, wog der Kalvinismus vor. Wo das Luthertum herrschte, arbeitete sich die kapitalistische Entwickelung erst langsam aus dem feudalen Chaos heraus. Sie schuf noch kein revolutionäres Bürgertum, dagegen machte sie aus dem Grundherrn einen Gutsherrn, aus dem Ritter einen Warenproduzenten. Dies geschah namentlich in den ackerbautreibenden Landstrichen östlich der Elbe; die Kirche bezahlte hier mit ihren Gütern und die Bauern mit immer wachsender Ausbeutung die Zeche der „reinen Gotteslehre".

6. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 49

1910 - Berlin : Singer
— 49 - Entsprechend diesen rückständigen Verhältnissen war das Luthertum eine rückständige Religion. Seit seinem Verrat an den Bauern war Luther ein kriechender Fürstenknecht geworden; aus seiner Bibelübersetzung, die mit ihrer Darstellung des einfachen Urchristentums nicht wenig dazu beigetragen hatte, die Massen auszuregen, machte er nunmehr einen Fürstenkatechismus, wie ihn kein Tellerlecker der Monarchie widerwärtiger hätte erfinden können. Die Fürsten, die Bischöfe, die Junker waren die Patrone der lutherischen Kirche, wodurch diese sich von der demokratischen Kirchenoerfassung des Kalvinismus viel tiefer unterschied, als durch alle dogmatischen Haarspaltereien über das Abendmahl; dem geistigen Leben der lutherischen Kirche sagten die holländischen Kalvinisten eine „mehr als viehische Dummheit" nach. Dergestalt wurde die deutsche Reformation, nachdem das revolutionäre Feuer im Blut der Bauern erstickt worden war, ein Raub- und Plünderungszug der deutschen Fürsten und ihre immer mehr wachsende Emanzipation von der kaiserlichen Gewalt. Die Fürsten „reformierten", indem sie sich zu obersten Bischöfen ihrer Landeskirchen erklärten, das Luthertum durch ihre Hofpfaffen zu einer Religion des beschränkten Untertanenverstandes ausbilden ließen und namentlich die reichen Kirchengüter in ihre Tasche steckten. Bei aller buntscheckigen Verschiedenheit der äußeren Verhältnisse liefen diese fürstlichen „Reformationen" stets auf dasselbe hinaus, wofür namentlich die Geschichte der Hohenzollern ein klassisches Beispiel liefert. Einen Anteil an der Beute erhielten nur noch die Junker und etwa die städtischen Patrizier, die freilich, dank dem Verfalle der Städte, sehr varlieb nehmen mußten. Nicht irrt entferntesten kam der Raub der Kirchengüter den Massen zugute, den Bauern und den städtischen Plebejern. So wuchs die Macht der Fürsten immer mehr an. Der Versuch der kaiserlichen Gewalt, sich noch einmal durchzusetzen, das heißt ideologisch ausgedrückt, die katholische Glaubenseinheit Deutschlands wieder herzustellen, scheiterte vollständig und bewies nur, daß sich das Teilfürstentum nicht mehr beseitigen ließ, weil es viel zu tief in den ökonomischen Zuständen Deutschlands wurzelte. Allerdings siegte Kaiser Karl V. 1545 in der Schlacht bei Mühlberg über einige protestantische Fürsten, aber nur, weil andere protestantische Fürsten um eigennütziger Vorteile willen, die er ihnen versprach, ihn unterstützten. Gerade diese Fürsten erhoben sich sosort gegen ihn, als er nach seinem Siege sich anschickte, die kaiserliche Mehring: Deutsche Geschichte 4

7. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 53

1910 - Berlin : Singer
— 53 — In erster Reihe verdankte der Kaiser diese Erfolge seinem General. Albrecht Wallenstein (1583—1634) verfolgte in Deutschland dasselbe Ziel, das Richelieu in Frankreich gleichzeitig verfolgte: die Herstellung einer rein weltlichen Monarchie, die sich frei von allen konfessionellen Gegensätzen über die hadernden Fürsten erheben, die Klassengegensätze im Innern mildern und die gesamte Krast der Ration nach außen kehren sollte. Wallenstein unterwarf die katholischen Reichsstände nicht minder als die protestantischen der kaiserlichen Autorität; er war kein phantastischer Politiker, sondern hatte ein sehr klares Ziel, das, wie das französische Beispiel zeigte, nicht nur erreichbar war, sondern auch im Sinne des historischen Fortschrittes lag. Allem religiösen Hader war Wallenstein in tiefster Seele abhold; obgleich er selbst ein Katholik und von Jesuiten erzogen war, so meinte er wohl, daß nicht eher Ruhe im Reiche werden würde, bis einem Bischof der Kopf vor die Füße gelegt sei. Gescheitert ist Wallenstein daran, daß die Souveränität der Reichsstände viel zu tief in den ökonomischen Zuständen des damaligen Deutschland verankert war, als daß er sie hätte losreißen können. Richt nur die Fürsten, katholische wie protestantische, widersetzten sich ihm, sondern auch die Städte; die Hansastädte Hamburg, Bremen, Lübeck und andere weigerten sich, ihre Schiffe für die Beherrschung der Ostsee zu stellen, und während Wallenstein sich schon mit weitaussehenden Plänen trug, Konstantinopel zu erobern und die Türken aus Europa zu vertreiben, widerstand ihm die Stadt Stralsund siegreich, als er die Aufnahme einer kaiserlichen Besatzung von ihr verlangte. Zur selben Zeit, wo Wallenstein an den Wällen Stralsunds scheiterte, eroberte Richelieu nach vierzehnrnonatiger Belagerung die Festung Rochelle, den Hauptsitz der französischen Protestanten (Hugenotten). Er hatte nunmehr die Hände frei für feine auswärtige Politik und unternahm in weitem Umfange den Kampf gegen das Haus Habsburg, um der französischen Monarchie die europäische Vorherrschaft zu sichern. Obgleich Richelieu ebenso wie Wallenstein Katholik, ja sogar Kardinal der römischen Kirche war, hielt er seine Politik frei von allen konfessionellen Vorurteilen; er hetzte ebenso die katholischen Fürsten in Deutschland gegen den Kaiser aus, wie er den protestantischen König von Schweden zu einem Einfall in Deutschland zu bewegen versuchte. Den wirksamsten Bundesgenossen aber fand Richelieu in dem deutschen Kaiser selbst. Er hatte an seinem Teile die besiegten Hugenotten nicht

8. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 60

1910 - Berlin : Singer
- 60 — Handelskapitals auf ihre volle Höhe. Als England seine Weltpolitik begann, hatte die nationale Arbeit, Ackerbau, Handwerk, Manufaktur, fchon viel zu tiefe Wurzeln geschlagen, um jenes wucherische Aufschießen des Großhandels zuzulassen, das in Holland einen glänzenden Aufschwung und einen schnellen Verfall herbeigeführt hatte. Hatte die holländische Weltpolitik damit begonnen, daß waghalsige Kaufleute das Joch des spanischen Despoten zerbrachen, um dann die eigene Nation auszuwuchern, so begann die englische Weltpolitik damit, daß kräftige Bauern und Handwerker das Joch ihres heimischen Despoten zerbrachen und die trotz alledem unzerstörbaren Grundlagen der bürgerlichen Freiheit errichteten. Es geschah in der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts, die gegen die tyrannische Diktatur des Königs Karl I. ausbrach, und nachdem alle gesetzmäßigen Formen des Widerstandes an der unbelehrbaren Hartnäckigkeit dieses Despoten gescheitert waren, in seiner Hinrichtung im Jahre 1649 gipfelten. Hinfort hatte das englische Parlament das Heft in der Hand; ahne seinen Willen konnte kein König mehr eine Flotte oder ein Heer rüsten, und ihrer bürgerlich freien Verfassung verdankten die Engländer, daß sie den Schlußstein in die Weltpolitik des bürgerlichen Handelskapitals fügen, nicht bloß Handels-, sondern auch Ackerbaukolonien gründen, daß ihre Kolonien nicht nur von zehrender Ausbeutung, sondern auch von schaffender Arbeit leben konnten. Mit der Besiedelung Nordamerikas vollbrachten sie die für die menschliche Gesittung folgen- und segensreichste Tat, die van der Weltpolitik des bürgerlichen Handelskapitals vollbracht worden ist. Anders als in Holland und England gestaltete sich diese Politik in Frankreich. Es hatte dem spanischen Nebenbuhler nicht zuletzt deshalb den Vorsprung auf dem europäischen Festlande abgewonnen, weil die französische Monarchie die französischen Städte nicht brandschatzte, sondern als wertvolle Hilfs-truvpen gegen die feudalen Stände des Adels und der Geistlichkeit zu benutzen verstand. Aber das Blatt wandte sich, als die europäische Hegemonie durch den Westfälischen Frieden nun wirklich an Frankreich fiel. Der junge König Ludwig Xiv. wurde in seiner neuen Machtstellung von Weltmachtskitzel ergriffen; er bildete den modernen Absolutismus in so raffinierter Weise aus, daß er seine allerhöchste Person für den Staat selbst erklärte; unfähig, die historisch treibenden Kräfte des nationalen Lebens zu erkennen, versöhnte er sich mit den feudalen Ständen, die nun gern zu Hofe gingen, um

9. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 61

1910 - Berlin : Singer
— 61 — den Preis, daß ihnen die arbeitenden Klassen des Volkes zur beliebigen Plünderung überlassen würden. Die Schmarotzer des Hofadels zerstörten für die unsinnigsten Verschwendungs-zwecke den erarbeiteten Wohlstand der Nation, unterstützt von den Schmarotzern des Hofpfaffentums, auf dessen Betrieb Ludwig Xiv. die gewerbfleihigsten Bewohner des Landes, die Hugenotten, ebenso vertrieb, wie Philipp Ii. die Mauren vertrieben hatte. Immer aber war Frankreich noch die vorherrschende Macht auf dem europäischen Kontinente; nur in Oesterreich, das sich von der Niederlage des Dreißigjährigen Krieges durch glänzende Siege über die Türken erholt hatte, besaß es einen ebenbürtigen Nebenbuhler; im Anfange des 18. Jahrhunderts zerfleischten sich beide Mächte in einer ganzen Reihe mörderischer Schlachten um das Recht, den spanischen Thron zu besetzen. Im Norden Europas sank Schweden schnell von der vorübergehenden Großmachtstellung herab, die es sich durch die Ausräubung Deutschlands geschaffen hatte, während Polen in feudaler Anarchie verkam. Polen war durch die Verlegung der Welthandelswege von den Ufern des Mittelländischen Meeres an die Gestade des Atlantischen Ozeans noch schwerer geschädigt worden als Italien und Deutschland; es war dann zwar die Kornkammer der westeuropäischen Völker geworden, allein die polnischen Junker hatten sich des Getreidehandels zu bemächtigen und die Ansammlung des Kaufmannskapitals zu hindern gewußt, das die historische Voraussetzung der modernen Entwickelung war. Sie würgten die polnischen Städte ab und hielten durch die tolle Verschwendung der in ihre eigenen Taschen fließenden Handelsprofite das Land gewaltsam im feudalen Sumpfe fest. Ueber Schweden und Polen aber erhob sich eine neue Macht in Rußland, einem barbarischen Erobererstaate, den der Zar Peter so weit europäisierte, daß er für ein eroberndes Vordringen nach Westen befähigt wurde. Zwischen Frankreich und Rußland, von beiden gleich schwer bedroht, lag nun das Deutsche Reich in seiner jämmerlichen Verfassung, ausgeraubt und verfault, zerrissen in dreihundert Souveränitäten. Alle Einrichtungen des Reichs waren in hoffnungslosem Verfall. Der Kaiser besaß fast nur noch das Recht, Adelstitel zu verleihen; der Reichstag in Regensburg war ein Gesandtenkongreß, der seine Zeit mit dem nichtigsten Klatsch und Kram vertrödelte, das Reichskammergericht in Wetzlar die berüchtigste Verschleppungsanstalt in Europa und das Reichsheer ein verlotterter Haufe von Vogelscheuchen.

10. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 67

1910 - Berlin : Singer
— 67 — Linckelmann sich noch weit härter über den preußischen Despotismus und den Schinder der Völker ausgelassen. Klopstock floh nach Dänemark und Herder nach Rußland, um der preußischen Militärfuchtel zu entgehen; Winckelmann aber rettete sich nach Sachsen und von da nach Rom; er trat sogar zum Katholizismus über, um unter dem Schutze des Papstes die Gaben zu entfallen, die er unter dem Schutze des Königs von Preußen niemals hätte entfalten können. Eher noch als der preußische, kann der sächsische Staat den Ruhm beanspruchen, die Geburtsstätte unserer klassischen Literatur gewesen zu sein. Er war schon in den Tagen der Reformation das ökonomisch und deshalb auch geistig entwickeltste Land in Deutschland, und ist selbst unter der Fürstenherrschaft nie so völlig verkommen, wie andere deutsche Staaten. Auch seine Fürsten waren sittenlos und verschwenderisch, aber sie konnten sich den Kulturaufgaben nicht so völlig entziehen, wie die preußischen Fürsten. Namentlich das sächsische Schulwesen blieb auf einer gewissen Höhe. Wenn es auch an seinem Teil unter dem orthodoxen Luthertum verkam, so blieb es doch noch fähig, die Reflexe der bürgerlichen Bildung aufzufangen, die aus dem Auslande in das verwüstete Deutschland strahlten. Die weitaus meisten Träger der deutschen Geistesgeschichte vom Ende des 17. bis tief ins 18. Jahrhundert hinein waren geborene Sachsen ober doch aus den sächsischen Schulen hervorgegangen. Geborene Sachsen waren der Philosoph ßeibniz (1646 bis 1715) sowie die Rechtsgelehrten Pufendorf (1632—1694) und Thomasius (1655—1728). Sie standen bereits auf bürgerlichem Boden. Im Interesse der bürgerlichen Klassen suchten sie die weltliche Wissenschaft aus den Fesseln der Theologie zu lösen, lehrten sie das Recht des einzelnen zum Widerstand gegen offenbares Unrecht, leugneten sie den göttlichen Ursprung der Fürstengewalt, führten sie die deutsche Sprache in die Hörfäle der Universitäten ein und bekämpften die ruchlosen Hexenprozesse. Aber die Bestrebungen dieser Männer fanden in den bürgerlichen Klassen weder eine Stütze, noch einen Widerhall, ßeibniz war gerade in seinen bleibenden Leistungen mehr ein europäischer als ein deutscher Gelehrter; Pufendorf und Thomasius aber bekannten selbst, ihre Ideen aus dem Holländer Hugo Grotius und dem Engländer Hobbes geschöpft zu haben. Sie alle waren noch aus die fürstlichen Höfe angewiesen, denen sie die verwerflichsten Zugeständnisse gemacht haben. 5*
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