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Zweiter Abschnitt.
Die Reformation in Deutschland und der Schweiz;
Karl Y.
Kapitel Iii.
Anfänge der deutschen Reformation.
§10. Der deutsche Humanismus im Kampf gegen die Scholastik
und die kirchlichen Zustände.
Johann Reuchlin (bei andern „Capnion“, geb. in Pforzheim
1454, f 1522), von Beruf Jurist, gehörte seinem Wesen und
Streben nach der älteren, der Scholastik noch nicht feindseligen
Richtung des deutschen Humanismus an. Durch theosophische
Neigung mit der Kabbala, der Geheimlehre der jüdischen Rab-
biner befreundet, erwarb er sich seit 1492 gründliche
Kenntnis des Hebräischen, wurde so „trium linguarum
peritus“ und ermöglichte durch zwei Werke: „Ruclimenta hebraica“
1506 und ,,De accentibus et orthographia linguae hebraicae“ 1518,
ein Verständnis des Urtextes des Alten Testaments. Sein Auf-
treten gegen den getauften Juden Johannes Pfeffer-
korn, der, von den Kölner Theologen, insbesondere dem Ketzer-
meister Jacob von Hochstraten unterstützt, die Konfis-
kation aller jüdischen Religionsbücher im Reiche anstrebte, und
gegen jede gewaltsame Judenbekehrung (sowie für
den Talmud) gab Veranlassung dazu, dass die Humanisten
der jüngeren, der Scholastik (den „Sophisten“) und dem bestehen-
den Kirchenwesen durchaus feindlichen, Richtung (die „Poeten“)
sich zum Angriff auf Scholastik und Kirche, ins-
besondere das Mönchtum, zusammenschlossen. In
den epistolae obscnrorum virorum, einer Sammlung an-
geblicher Briefe von Anhängern der Scholastik zumeist an den
Kölner Magister Ortuin Gratius, wurde das abscheuliche Latein
und die hohle und alberne Spitzfindigkeit der damaligen Scho-
lastik, wie die Unbildung und Immoralität des Klerus, ins-
besondere des an den Universitäten wirkenden, mit karrikierender
Uebertreibung geschildert. Der Gedanke dieser Einkleidung der
satirischen Polemik rührt von Crotus Rubianus her, der in Ver-
bindung mit anderen Persönlichkeiten des Erfurter Humanisten-
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' 187
war, verdrängte lange die vorher wirksame Richtung auf Ausbildung des
Nationalen, machte aber der eingetretenen Verwilderung nach und nach ein Ende.
Für diese Kavaliersbildung gründete man vielfach Ritterakademien: z. B. 1655
in Lüneburg, 1709 in Cassel (als eine Art Erneuerung des im Krieg zu Grunde
gegangenen Collegium Mauritianum vom Jahr 1618), in Brandenburg 1704,
in Berlin 1705. Verkörpert war dieses neue höfische Bildungsideal in dem
ausserordentlich vielseitig begabten, thätigen und strebenden Gottfried Wil-
helm Leibniz (1646—1716, in der Geschichte der Philosophie bedeutend
durch seine Monadenlehre, die Annahme der „prästabilierten Harmonie“
und durch seine Theodicee), der unerschöpflich war in Entwürfen, durch
staatliche Nutzbarmachung und Organisierung der Wissenschaft die Kultur
der Menschheit, insbesondere Deutschlands, zu reformieren. Diese modernen
Anschauungen und zugleich eine entschieden nationale Richtung vertrat im
Kreise der Universitäten Christian Thomas(ius) 1655—1728,
der 1687 es wagte, in deutscher Sprache zu lesen, eifriger Bekämpfer des
Hexenprozesses und der Folter. 1694 wurde die erste moderne Universität
Halle, 1700 die Gesellschaft der Wissenschaften zu Berlin
gegründet. In Halle wirkte auch Hermann Francke (1668—1727), An-
hänger des von Philipp Jacob Spener (1685 — 1705) geschaffenen Pietismus,
der zu Anfang ein praktisches Christentum des Handelns und Fühlens (collegia
pietatis) der in Formeln erstarrten scholastischen Dogmatik der protestan-
tischen Theologie entgegenstellte.
Die Feindseligkeit der Konfessionen war mit dem Ende des 30jährigen
Kriegs noch nicht geschwunden. Aber die Thatsache, dass der lange dog-
matische Streit mit einem Rückgang der Sittlichkeit verbunden gewesen war,
und die Erinnerung an die Leiden und Greuel des Kriegs schwächten die
Gefühlswirkungen dieser Feindseligkeit beim Volk, besonders aber bei den
Gebildeten, immer mehr. Bestrebungen des Helmstädters Georg Calixt
(f 1656) und seiner Schüler, auf Grund umfassender Forschung über dem
Unterschied der Konfessionen eine höhere Einheit weniger grosser Funda-
mentalsätze des Glaubens herauszubilden, minderte freilich die Widerstands-
kraft des Protestantismus und führte zum Uebertritt mancher Gelehrten, wie
sie dem von Angehörigen protestantischer Fürstenhäuser zur Deckung diente.
Kapitel Xvi.
Das festländische Europa 1648—60.
§ 57. Frankreich unter Mazarin.
Mazarin und die Fronde. Nach Richelieus Tode trat an
seine Stelle der Italiener Kardinal Mazarin. Als Lud-
wig Xiii. Mai 1643 starb, sicherte er sich die leitende Stellung,
indem er der ihm geneigten Anna von Oesterreich (Spanien), dem
Testament ihres Gemahls zuwider, vermittelst des Parlaments
unbeschränkte Regentschaft für ihren 1638 geborenen Sohn Lud-
wig Xiv. verschaffte. Nachdem eine gegen sein Leben gerichtete
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Extrahierte Ortsnamen: Lüneburg Cassel Collegium_Mauritianum Brandenburg Berlin Deutschlands Berlin Europa Frankreich Spanien
164
und Bestrebungen zu pflegen, und sprang nicht selten von der einen Richtung
in eine entgegengesetzte über. Er hatte Sinn für höhere und allgemeinere
Interessen und Ziele, aber seine Selbstsucht blieb in ihm stets stärker. Mit
dieser Selbstsucht war eng verbunden ein fester Glaube an seinen Stern, eine
durchaus fatalistische Anschauung, die glaubte, die einzelnen Richtlinien des
Geschicks durch die Astrologie zu erkennen. Leidenschaftlichen Temperaments
und in Worten aufbrausend und vielfach unvorsichtig, wusste er sich doch
zu beherrschen und vermied es, schriftlich sich zu binden. Religiös war er
indifferent, und wenn er später in gewissem Masse für Religionsfreiheit und
Duldung sich aussprach, so ging das nicht aus innerer Gesinnung, sondern
nur aus politischer Klugheit hervor. Als Emporkömmling entfaltete er un-
gewöhnlichen Prunk und liebte es, sich in unnahbarer Einsamkeit über die
Menschen zu erheben.
Wallensteins erstes Generalat bis 1627. Infolge eines
Sturzes Christians war es 1625 nicht zu grösseren Operationen
gekommen. Mansfeld, der mit seinem Heere nach Schlesien
und den habsburgischen Erblanden Vordringen wollte, suchte,
auch um sich die Verproviantierung zu sichern, Wallenstein,
der schon über 50000 Mann verfügte, von der Elbe zu ver-
drängen, wurde aber 15. April 1626 an der Dessauer Elb-
brücke schwer geschlagen. Mit Rücksicht auf den Aufstand
der oberösterreichischen Bauern und in Hoifnung auf eine Ko-
operation Bethlen Gabors veranlasste Christian Iv. Mansfeld, der
in Kurbrandenburg sein Heer wieder ergänzt und geordnet hatte,
doch nach Schlesien zu ziehen, das sich aber nicht erhob. Von
Wallenstein am Einmarsch in Mähren gehindert, zog Mansfeld
nach Ungarn und legte hier, da Bethlen bald nach seiner
Vereinigung mit ihm seinen Frieden mit Ferdinand vorbereitete,
den Oberbefehl nieder; er starb, auf dem Weg nach Venedig,
in Bosnien Ende November, kurz nach Christian von Halber-
stadt. Dem Vordringen Christians Iv. südwärts hatte seine
Niederlage durch Tilly 27. August 1626 bei Lutter am
Barenberg ein Ende gemacht. Nachdem Wallenstein durch
den Sieg bei Ko sei Juli 1627 die Mansfelder aus den kaiser-
lichen Landen verdrängt hatte, beendete er, jetzt im ganzen
über 70000 Mann verfügend, die von Tilly schon begonnene
Eroberung der festländischen Gebiete des Dänenkönigs.
Eine umfassende Besitzänderung in Norddeutschland
wurde begonnen; kaiserliche und ligistische höhere Offiziere be-
mächtigten sich weltlicher Fürstentümer. Wallenstein selbst
(seit Anfang 1627 Herzog von Friedland), dem der Kaiser 1627
das schlesische Herzogtum Sagan kaufweise übertragen hatte,
erhielt Mecklenburg, dessen Herzoge geächtet waren, An-
fang 1628 als Pfand (Juni 1629 als erbliches Reichslehen). Seine
Vollmachten als Feldherr wurden 1628 noch erhöht; er erhielt
auch das Recht, die Obersten zu ernennen.
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Extrahierte Personennamen: Christians Christian_Iv Ferdinand Christian_von_Halber- Christians Tilly August Tilly
210
Territorialbesitzes und der Kriegführung gegen Nichtchristen, sowie der Münz-
prägung. Ueber die nordamerikanischen Kolonien s. § 92.
Die Industrie wurde gefördert auch durch eifrigepflege der Natur-
wissenschaften und Mathematik. (Isaac S. Newton, 1642—1727,
Begründer einer Naturwissenschaft, die den gesamten Verlauf des natürlichen
Geschehens aus mechanischen Kräften erklärt.) Die bedeutendsten Dichter
waren der Idealist Milton (1608—1674), eifriger Anhänger des Puritanis-
mus und publizistischer Vorkämpfer der Republik, Dichter des „Verlorenen
Paradieses“, und der lebenslustige Spötter Butler (1612 — 1680), der in sei-
nem „Hudibras“ die Puritaner satirisch und karikierend verhöhnte. Thomas
Hobbes (1588—1679), der lange in Paris lebte, vertrat als Bekämpfer des
Aberglaubens und der Theologie eine naturalistische, das Kausalitäts-
gesetz streng durchführende Auffassung der Welt und des Men-
schen; er Hess den Staat, dem er zur Abwendung des Krieges aller
gegen alle absolute Autorität, auch den Kirchen gegenüber, zusprach,
aus einem Vertrage hervorgehen, in dem die Unterthanen auf ihre Rechte
verzichten; das positive Recht war so auf dem Naturrecht begründet. John
Locke (1682—1704), für seine Person, wie Newton, gläubiger Christ, leitete
alle Erkenntnis aus Erfahrung undlnduktion ab (Sensualismus),
lehrte Toleranz (die von Rom abhängigen Papisten und Gottesleugner aus-
genommen), begründete die Lehre von der Volkssouveränität
und leitete den Staat als Rechts- und Verfassungsstaat mit geteilten
Gewalten ans einem Vertrag zwischen Volk und Regierung ab.
Kapitel Xix.
Frankreichs Vorherrschaft unter Ludwig Xiv.
Verdrängung der osmanischen Macht aus
Ungarn und Siebenbürgen.
§ 64. Ludwig Xiv. und sein Regiment in Frankreich.
Ludwig Xiv. hatte nur mangelhafte Bildung genossen,
jedoch war er von Mazarin frühe mit Regierungsgeschäften be-
kannt gemacht worden und besass, ohne genial zu sein, viel
Verständnis für die Politik, reifliche Ueberlegung und gute Be-
obachtung der Verhältnisse und der Menschen. Grosse und
geregelte Arbeitsamkeit zeichnete ihn bis in sein hohes Alter
aus. Aber er ermangelte tieferen menschlichen Gefühls, und
rücksichtslos bethätigte er seine Grundanschauung, dass
er als Statthalter Gottes („omni liomine major, solo Deo
minor“) blinden Gehorsam und eine Art übermensch-
licher Verehrung („le roi soleil“) beanspruchen, sowie
nach Willkür als einziger Eigentümer mit dem Ver-
mögen der Unterthanen schalten und über deren
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Extrahierte Personennamen: Newton Butler Thomas
Hobbes Hess John
Locke Newton Ludwig_Xiv Ludwig Ludwig_Xiv Ludwig Ludwig_Xiv Ludwig Mazarin
Extrahierte Ortsnamen: Paris Rom Frankreichs Ungarn Frankreich Gottes
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auch die Schulen beherrschenden, Philosophie auf die reli-
giösen Wahrheiten machte den „Rationalismus“ zur mass-
gebenden Richtung in der protestantischen Theologie. Dessen
Unfälligkeit, dem Wesen lebendiger Religiosität und der Be-
deutung der Bibel für das protestantische Christentum gerecht
zu werden, fand in der Einseitigkeit gewisser, das Empfindungs-
leben ausschliesslich betonender und künstlich steigernder Rich-
tungen (der „Brüdergemeinde“ in Deutschland, der „Methodisten“
in England, zum Teil auch in dem halb rationalistischen Mysti-
cismus des Schweden Swedenborg) ihr Gegenstück; auf dem
Boden der theologischen Wissenschaft traten dem Rationalismus
in fruchtbarer und anregender Weise entgegen die Arbeiten
Bengels (1687—1751), der die Quellen zur vollen religiösen
Würdigung der neutestamentlichen Schriften erschloss, und
Semlers (1725—91), der ein richtiges geschichtliches Verständ-
nis derselben anbalmte. Die in der ersten Hälfte des Xviii. Jahr-
hunderts sich geltend machenden Bestrebungen der katholischen
Kirche, dem katholischen Standpunkt einen scharf zugespitzten
Ausdruck zu geben (1708 Einführung des Feiertags der „unbefleck-
ten Empfängnis“, 1728 Heiligsprechung Gregors Vii. unter Pro-
test der österreichischen Regierung, 1732 Gründung des Redem-
ptoristen-Ordens durch Alfons Liguöri), fanden in dem geistigen
Leben der Zeit keinen Wiederhall und indirekt eine wissen-
schaftliche Bekämpfung durch Justus Hennings Geschichte des
Kirchenstaats der ersten drei Jahrhunderte. Die Jurisdiktion
des Papstes über die Bischöfe und die selbständige Geltung der
päpstlichen Bestimmungen über Glauben und Moral bekämpfte
der Geschichtsforscher Hontheim 1763 unter dem Pseudonym
Febronius.
Durch die Aufklärungsphilosophie wurde innerlich vorbereitet
die Entwickelung des deutschen Geisteslebens zu
schöpferischer Selbständigkeit, die die zweite Hälfte
des Xviii. Jahrhunderts dem „Volk der Dichter und Denker“
brachte; äusserlich vorbereitet und eingeleitet wurde sie dadurch,
dass das zunächst noch vorhandene Bedürfnis der Anlehnung an
gegebene Muster seine Befriedigung bei verschiedenen Autoritäten
suchte und es so eben diesen Autoritäten gegenüber zu einer
immer freieren Stellung kam. Die nach innerem Wert und
Wirkung einzig dastehende Bedeutung der Blüte, deren sich
das deutsche Geistesleben von 1748 an jahrzehndelang erfreute,
beruht nicht bloss darauf, dass gleichzeitig der Dichtung und
der Wissenschaft Deutschlands grosse Geister erstanden, sondern
vor allem auch darauf, dass die schöne Litteratur sich mit dem
ganzen Ertrag der wissenschaftlichen Arbeit, mit dem ganzen
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294
Kapitel Xxvi.
Westeuropa vor der französischen Revolution;
die Begründung der nordamerikanischen Union.
§ 90. Frankreich unter Ludwig Xv. Aufhebung des
Jesuitenordens.
Ludwig Xv. regierte seit dem Tod des Kardinals Fleury
(1743) ohne leitenden Minister, ein Spielball der eigenen Launen
und noch mehr der Künste, durch die ehrgeizige Personen, ins-
besondere die Marquise von Pompadour, die allmächtige Maitresse
1745—64, auf den trägen und sinnlichen König Einfluss ge-
wannen. Die tiefste Erniedrigung erfuhr vollends das französische
Königtum durch die Erhebung der „Gräfin“ du Barry zur könig-
lichen Maitresse. Die Sitten der „guten Gesellschaft“ in Frank-
reich entsprachen grossenteils dem Beispiel des Königs. Die
Einrichtung des „schwarzen Kabinetts“, das Privatbriefe massen-
weise eröffnen liess, und der gesteigerte Missbrauch der „lettres
de cachet“, durch die der König Günstlingen und einflussreichen
Persönlichkeiten Verhaftsbefehle zur Verfügung stellte, sowie
das Spiel mit einer geheimen Diplomatie des Königs, die neben
der amtlichen Frankreichs und dieser oft entgegen arbeitete,
waren die bezeichnenden Mittel dieser „Selbstregierung“, die
ihre Minister wieder grundsätzlich aus dem Adel nahm. Die
auswärtige Politik, die 1758—70 Choiseul leitete, brachte Frank-
reich Verluste, Schulden und Schande (s. § 83); ihr einziger
Erfolg war, neben dem Anfall Lothringens 1766, der Erwerb der
Insel Corsica, die 1768 von Genua abgetreten und 1769 nach
Besiegung Paölis unterworfen wurde. Die finanzielle Miss-
wirtschaft mit der am Hof herrschenden Verschwendung und
mit dem Unfug der „Pensionen“, die aus der Staatskasse an
Günstlinge des Königs und andere einflussreiche Privatpersonen
bezahlt wurden, steigerte den ausschliesslich auf dem Bürger-
stand, besonders den Bauern, lastenden Steuerdruck ins Masslose
und zugleich den jährlichen Fehlbetrag auf 100 Millionen fr.
Die Justiz war nicht nur in ihrer Untersuchung und ihren Strafen
barbarisch, sondern stand vielfach im Dienst brutalster Willkür
und religiöser Verfolgung, wogegen-Voltaire in rühmenswerter
Weise ankämpfte (s. S. 258). Als religiöse Verfolgung betrachtete
und bekämpfte Voltaire auch das Vorgehen der französischen
Regierung gegen den Jesuitenorden, das im Zusammenhang mit
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xv. Ludwig_Xv. Fleury Barry
Extrahierte Ortsnamen: Westeuropa Frankreich Frank- Frankreichs Lothringens Genua
381
Zweiter Abschnitt.
Die Zeit der Kämpfe um Verfassung und National-
staat in Mittel-, Süd- und Westeuropa (1815—1871).
Kapitel Xxxi.
Europa 1816—1847.
§117. Das geistige Leben Deutschlands im Zeitalter der Romantik.
Die Aufklärung war durch die Entwickelung der Philosophie und schönen
Litteratur in der zweiten Hälfte des Xviii. Jahrhunderts überwunden, ihr
rationalistisches Ideal durch das der „Humanität“ ersetzt worden: die
Aufgabe des geistigen Lehens wurde jetzt in einer der Eigenart jeder Er-
scheinung gerecht werdenden Würdigung und innerlichen Aneignung aller in
der Menschheitsgeschichte wirksamen Kräfte gefunden. Ihren Ausdruck fand
diese Richtung in der Begründung einer Weltlitteratur durch
Herder und Goethe, in dem ästhetischen Idealismus Schillers
und Goethes, in der „spekulativen“ Philosophie J. G. Eichtes
(1762—1814), Schellings (1775—1854) und Hegels (1770—1831), die
das gemeinsam haben, dass sie die begriffliche Grundlage, die Kant für die
Bewältigung des Ideenstoffs geschaffen hatte, benützten, um die Welt als ein
mit immanenter Notwendigkeit sich entwickelndes System der Vernunft zu
begreifen, und in der Religionsphilosophie Schleiermachers (1768
bis 1834), der in seinen „Reden über die Religion“ (1799) diese als „unbe-
dingtes Abhängigkeitsgefühl“ fasste und in ihr selbständiges Recht neben den
andern Grundrichtungen menschlichen Geisteslebens einsetzte. Der schöpfe-
rischen Richtung ging eine kritische, teilweise auflösende, der spekulativen
eine empfindsame zur Seite. In der Philosophie wiesen Schleiermacher und
Herbart (1776—1841), der Begründer einer auf philosophischen, bzw. psycho-
logischen Grundannahmen ruhenden ivissenschaftlichen Pädagogik, auf die
Grenzen des menschlichen Erkennens hin, und dem optimistischen Panlogismus
Hegels („alles Wirkliche ist vernünftig“) trat Schopenhauers (1788 bis
1838) Pessimismus entgegen, der den nie zu wahrer Befriedigung ge-
langenden Willen als schöpferisches Prinzip betrachtet. In der schönen
Litteratur übertrieb die „ältere Romantik“ der Brüder Schlegel
(August 1767—1845 und Friedrich 1772—1829) und Tiecks (1773—1853)
den Grundsatz, dass jede Erscheinung aus ihren eigenen Bedingungen be-
urteilt werden müsse, in ungesunder Weise bis zum Verzicht auf jede objektiv
gültige Norm, was sich auf ethischem Gebiet in der'unterscheidung zwischen
bürgerlicher und „genialer“ Sittlichkeit, auf ästhetischem Gebiet in einem bei
Jean Paul (Friedrich Richter 1763—1825) humoristisch-sentimentalen, bei den
eigentlichen Romantikern gegen alles und alle ironischen, vermeintlich über-
legenen Spielen mit geistreichen Einfällen aussprach.
Die schweren Zeiten der Napoleonischen Herrschaft brachten eine V e r-
tiefung und Erstarkung der sittlich -religiösen Motive; diese
fand einen unmittelbaren Ausdruck in der patriotischen Erhebung der Frei-
heitskriege und übte eine dauernde Nachwirkung durch den viel grösseren
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Extrahierte Personennamen: Goethe Schillers Goethes Schleiermacher Hegels Schopenhauers Schlegel August Friedrich_1772—1829 Friedrich Tiecks Jean_Paul Friedrich_Richter Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Westeuropa Europa Deutschlands Schellings Schleiermachers
28
Staupitz’s, eine Union zwischen den Konventualen und den Observanten zu
erzielen, hervorgerufene) Zwist führte Luther Herbst 1511 als socius itine-
rarius des Dr. Joh. v. Mecheln nach Rom. Die Eindrücke und Beobachtungen
dieser Romreise wirkten aber erst später auf seine Stellung zur herrschenden
Kirche ein. Wieder nach Wittenberg zurückgekehrt, wurde Luther,
von Staupitz, welcher der Universität einen Ersatz für seine eigene Lehrkraft be-
schaffen wollte, genötigt, Oktober 1512 Licentiat und dann Dr. theologiae.
Dem Brauche zuwider las er exegetische Kollegien (Psalmen, Römer-, Galater-,
Hebräer-Brief), wobei er sich aber noch überwiegend an die Vulgata hielt.
1515—18 erfüllte er die Pflichten eines Distriktsvikars für 11 Klöster in
Sachsen und Thüringen mit grosser Hingebung; er wirkte als Prediger an
■der Pfarrkirche, wobei seine praktisch-volkstümliche und in die zentralen
Anschauungen der christlichen Heils Wahrheit vordringende Weise bald die
scholastischen Formen überwand. Wie in seinen religiösen Grundanschauungen,
so wurde er auch in seiner Sprache und seiner Predigt beeinflusst, aber nicht
massgebend geleitet von seinen Studien der deutschen Mystik (Taulers und
eines Traktats des Xiv. Jahrhunderts, den er als „Deutsche Theologie“ 1518
vollständig herausgab). Immer mehr wandte er sich von der Scholastik ab
und den Kirchenvätern und der Bibel (vor allem Augustin und
Paulus) zu; den Aristoteles begann er als „heidnische Bestie“, „Feind
Ghristi“, „giftigen Verwüster der reinen Lehre“ mit der ihm eigenen Leiden-
schaft zu bekämpfen. Immer mehr befestigte sich in ihm die Ueberzeugung,
dass der immer sündhafte Mensch von sich aus durchaus unfähig sei zur Er-
langung des Heils und nur durch vertrauensvollen Glauben an Gottes frohe
Verheissung und Christi Werk seines Heils gewiss werden könne („Recht-
fertigung allein durch den Glauben“). Dass er damit in scharfen
Gegensatz zur Lehre und Verfassung der Kirche trete, indem seine Grund-
anschauung die kirchliche Heilsvermittelung ausschloss, war er sich noch nicht
bewusst; dagegen bekämpfte er schon (wie damals manche andere) in Predigten
und Vorlesungen das Uebermass und die Ueberschätzung von Heiligenkult,
Wallfahrten, guten Bruderschaften und guten Werken.
§ 12. Der Ablassstreit. Luthers Bruch mit der herrschenden
Kirche.
Papst Leo X., ein Mann feinen Lebensgenusses, Förderer
der Renaissance und ebenso erfinderischer als bedenkenfreier
Finanzpolitiker, hatte dem Bruder des brandenburgischen Kur-
fürsten Joachim I., Erzbischof Albrecht von Magdeburg
und Mainz, Administrator von Halberstadt, gegen eine bare
Summe die Verkündigung des von Julius Ii. 1500 für den
Neubau der Peterskirche ausgeschriebenen Ablasses
(in forma Jubilaei) in seinen Sprengeln und den kurbranden-
burgischen Landen auf die Dauer von acht Jahren übertragen.
Die Hälfte des Ertrags wurde dem Erzbischof bestimmt, damit
er dem Bankhaus der Fugger die Schuld heimbezahlen könne,
welche er für die von ihm persönlich übernommenen Mainzer Pallien-
gelder aufgenommen hatte. Der Dominikaner Joh. Tetzel
aus Leipzig, ein erfahrener Ablassagent, wurde 1517 von Al-
brecht mit der Sache betraut. Die (keineswegs unge-
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89
r
und Vornehmen), durch Leitung „marianischer Kongregationen“
und durch die Mission.
Don Iñigo Reealde de Loyola 1491 (oder 93) als jüngerer Sohn eines
vornehmen haskischen Geschlechts gehören, wurde 1521 bei von ihm durch-
gesetzter, zäher, aber aussichtsloser Verteidigung Pampelönas gegen ein fran-
zösisches Heer schwer verwundet. Auf dem Krankenlager zeigte
er ungewöhnliche Willensstärke. Die Lektüre der auf dem väter-
lichen Schloss allein vorhandenen Schriften, einer Evangelienharmonie und
einer „Blütenlese der Heiligen“, erfüllte seine glühende Phantasie mit den
Idealgestalten eines h. Dominikus und Franziskus; diese neuen Ideen und
Phantasieen erregten in seinem Herzen dauernde Freude, und so weihte
er sich dem Dienste Gottes, vor allem aber der Jungfrau
Maria. Kaum genesen, hängte er am Altar der Jungfrau Maria auf dem
Monserrat seine Waffen auf und hielt Fahnenwacht. Im Dominikaner-
kloster inmanresa übte er im Eremitengewand schärfste Askese mit
Fasten, Geissein und stundenlangem Gebet, sowie Beichte und peinlichste
innereselbstbeobachtung; seine Seele gelangte von schwerster
Verzweiflung zuhohene r leucht ungenundsch wärm erischenent-
zückungen; mit zunehmender Selbstbeherrschung, „Diskretion“ ward er aber
des Schwankens Meister und erlangte für das Schwärmen und die Erleuch-
tungen Mass und Ziel. Diese Erlebnisse in Manresa wurden ihm
Grundlage und Muster für die exercitia spiritualia, in deren
allmählicher Ausbildung und stufenweiser Anwendung er tiefe Kenntnis des
menschlichen Seelenlebens bethätigte. Ihr „ganzes Geheimnis ist eine mili-
tärische Schulung des Herzens und Willens“, der Endzweck der durch sie
bewirkten Zerknirschung und Entzückung die Befreiung des Willens
von der Herrschaft der Affekte und eine Gottgelassenheit des Ge-
müts, die den Menschen befähigt, in der Welt den Ideen bezw. der sie ver-
körpernden Autorität durchaus dienstbar zu sein. Als Ignatius 1528 nach
Jerusalem gelangt war, verbot der dortige Franziskanerprovinzial dauerndes
Weilen und Wirken an der heiligen Stätte. Er sah nun ein, dass es ihm für
die geplante Thätigkeit im Dienste der Menschheit an der nötigen Vorbildung
fehlte und setzte sich — mindestens 30 Jahre alt — in Barcelona
auf die Schulbank, um Latein zu lernen. Zwei Jahre später be-
gann er philosophische Studien auf der (von Ximenes gegründeten)
Universität Alcalá, später in Salamanca, und gewann schon hier unter
Studierenden und Nichtstudierenden Anhänger. Infolge der Aehnlichkeit seiner
Anschauungen und Exercitien mit den „Alumbrados“ (= Illuminaten) wurde
er mehrmals der bischöflichen Inquisition verdächtig und
von ihr eingekerkert. 1528 begab sich Ignatius nach Paris, der Hochburg
der Scholastik, lernte die ersten zwei Jahre Latein und studierte dann
Theologie. Er gewann Studierende für seine Sache: u. a. den
savoyardischen Bauernsohn Peter Faber, den vornehmen Basken Franz
Xavier, die Castilianer Diego Lainez (zweiter General des Ordens) und
Alonsosalmerön,die zukünftigen Theologen, und den Genfer Claudejay,
den zukünftigen Diplomaten des Ordens. Mariä Himmelfahrt 1534 legte die
fromme Studentengesellschaft, die zunächst das allgemeine Ziel der caritas im
Auge hatte, auf dem Montmartre das Gelübde ab, in Palästina zum Wohl ihrer
Mitmenschen zu tvirken bezw. nach ihrer Rückkehr sich dem Papste zu beliebiger
Verwendung und Verschickung zur Verfügung zu stellen. (Aehnliche Studenten-
vereine entstanden dann in Löwen und Köln.) Die Mittel zum Unterhalt eines
Teils der Genossen erlangte Ignatius von Anhängerinnen in Barcelona und von
spanischen Kaufleuten. Nach einem Besuch in seiner Heimat traf er 1536 in
Venedig mit seinen Genossen zusammen, die jetzt alle die Priesterweihe hatten.
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Extrahierte Personennamen: Dominikus Franziskus Maria Maria Maria Maria Peter_Faber Franz
Xavier Franz Diego_Lainez Mariä
Extrahierte Ortsnamen: Dominikaner- Manresa Jerusalem Barcelona Salamanca Paris Palästina Barcelona Venedig
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ständiger und freier Lebensführung wahren wollten (später mit
ungerechter Verallgemeinerung „Libertins“) und gegen
andersdenkende Theologen. Er betrachtete sich als das
berufene Werkzeug des Herrn und jeden Widerspruch oder Tadel
als schweren Frevel. Seine Unduldsamkeit bethätigte er am
schroffsten gegen den Dreieinigkeit und Prädestination be-
kämpfenden Spanier Miguel Servet. Er denunzierte ihn
zuerst dem Inquisitor von Lyon, liess ihn dann, als er auf der
Flucht nach Genf kam, verhaften, anklagen und wegen Ketzerei
— freilich mit Billigung der meisten protestantischen Theologen
jener Zeit — verbrennen (16. Oktober 1553). Die Häupter der
Gegenpartei wurden, nach einem kleinen Putsch, in gericht-
lichem Verfahren teils hingerichtet, teils verbannt (1555). Die
Strafpflege war überhaupt äusserst hart und übereifrig (beson-
ders viele Hinrichtungen wegen Zauberei). Calvins 1547 end-
gültig angenommene Ordonnances ecclésiastiques über-
wiesen die Handhabung der Kirchenzucht, die die Lebensführung
bis ins einzelnste regelte und durch eine Art Spionage und
Denunziation beaufsichtigte, dem aus den 6- Stadtgeistlichen
und 12 alljährlich gewählten Laienältesten („Presbytern“) be-
stehenden Consistorium. Dieses Sittengericht konnte seine
höchste Strafe, die der Exkommunikation, nur mit Anzeige an
den Rat verhängen, dem allein bürgerliche Strafen zustanden.
Grosse Sorgfalt wandte Calvin der Schaffung von
Hospitälern und Schulen zu. Die Genfer Akademie
(1559 gegründet), deren Studenten alle die Lehre von der Prä-
destination unterschreiben mussten, übertraf an Ernst der Lebens-
führung und des Studiums bald die deutsch - protestantischen
Universitäten und wurde die theologische Hochschule für
den westeuropäischen Protestantismus, dem Calvins
Geist überhaupt sein Gepräge gab. Das „protestantische
Rom“ wurde dessen Mittelpunkt; die starke Betonung des
Alten Testaments, noch mehr die Lehre von der Prädestination
verlieh den Anhängern des westeuropäischen Protestantismus
ihren tiefen und wirksamen Hass gegen die alte Kirche, ihre
Zähigkeit und Festigkeit im Dulden und Kämpfen für die neue
Lehre den feindlichen Staatsgewalten gegenüber; die strenge
Zucht Calvins erhöhte die Kräfte der protestantischen Minori-
täten im Angriff und in der Verteidigung. Schon Calvin selbst
erstrebte und pflegte möglichst enge und rege Verbindung mit
den Protestanten anderer Länder. Nach seinem Tode (21. Mai
1564) setzte Theodor Beza, ebenfalls ein Franzose, sein
Werk fort. Die dogmatische Einigung mit der deutsch-
schweizerischen Reformation, schon 1549 durch den
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