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liehen, von denen, die einen guten Rat, wenn er von einem Knechte
kommt, nicht annehmen mögen, fuhr ihn an und schrie, er werde
wohl des Reitens überdrüssig sein; sie müssten noch nach Ostrowo,
es möge gehen, wie es wolle. Und so ging’s vorwärts, was die Pferde
laufen konnten. Kaum aber sind sie eine Strecke im Walde, so
hört der Herr hinter sich ein lautes Heulen, und wie er sich umkehrt,
sieht er die Wölfe in Rudeln hinter dem Schlitten herjagen und die
vordersten schon ganz nahe. „Jakob, Jakob!“ ruft er, „die Wölfe, die
Wölfe!“ Der treue Jakob erwidert kein Wort, sondern lässt ruhig
den Herrn vorausfahren, reitet zwischen den Schlitten und die Wölfe,
zieht seine Pistolen und schiesst von Zeit zu Zeit unter sie.
Damit schreckt er eine Weile die Bestien. Endlich aber hat er
kein Pulver mehr; und als sie nun an den Schütten heranstürzen,
sagt er: „Herr, ich muss meinen armen Braunen opfern und sehen,
dass ich zu euch auf den Schlitten komme, sonst ist alles verloren.
— „Thue, wie du willst,“ sagte der Herr, und im Augenblick war
der Jakob vom Pferde und auf den Schlitten gesprungen, hielt sein
Pferd am Zaume fest, bis die Wölfe herankamen; dann überliess er
es ihnen zur Beute. Es schien, als sollten sie dadurch einen Vor-
sprung gewinnen; aber nicht lange, so war ein Theil der Wölfe wie-
der heulend hinter ihnen her, und einige schickten sich an, in den
Schlitten zu springen. Der Edelmann gab sich jetzt verloren. Da
sagte Jakob: „Herr, nun will ich in Glottes Kamen auch das letzte
für euch thun. Dort sind schon die Lichter von Ostrowo, und ihr
könnt das Städtlein erreichen, wenn ich nur auf ein paar Minuten
euch die Bestien vom Halse halte. Sorgt für mein Weib und meine
Kinder!“ Damit zog er den Säbel, sprang aus dem Schlitten und
stürzte sich mitten unter die Wölfe. Diese stutzten, fielen ihn aber
dann wütend an und übermannten ihn endlich. Sein Herr aber
war mittlerweile unversehrt entkommen. Schnell nahm er Leute zu
sich und eilte in den Wald zurück; aber er fand nichts mehr als die
Oebeine seines treuen Knechtes. Die sammelte er und liess sie be-
graben. Das Weib aber und die Kinder desselben versorgte er väter-
lich, und wurde allen seinen Dienern ein freundlicher, gütiger Herr,
beklagte es auch oft mit Thränen, dass er nicht ohne bittere Reue
an seinen treuen Knecht gedenken könnte. Caspari.
7v. Aus: Minna von Barnhelm.
Herr v. Tellheim. Bist du endlich fertig?
Just. (Indem er die Augen trocknet.) Ja!
v. Tellheim. Du hast geweint?
Just. Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll
Rauch. Hier ist sie, mein Herr!
v. Tellheim. Gib her!
Just. Haben sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr! Ich weiß wohl, daß die
Menschen keine mit ihnen haben; aber —
v. Tellheim. Was willst du?
Just. Ich hätte eher den Tod als meinen Abschied vermutet,
v. Tellheim. Ich kann dich nicht länger behalten; ich muß mich ohne Diener-
behelfen lernen. (Er schlägt die Rechnung auf und liest laut:) Was der Herr Major
mir schuldig ist: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat sechs Thaler, macht
ein und zwanzig Thaler. Seit dem ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt: Einen
Helmrich, Vaterland. Lesebuch. 4
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Extrahierte Personennamen: Jakob Jakob Jakob Ostrowo Caspari Minna_von_Barnhelm
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Tage ins Werk gesetzt, waren die Füße schwach, die Angen trüb, die Hände
laß und der ganze Leib kraftlos geworden, weil der Magen keine Speise
mehr^ bereiten und sie den Gliedern mittheilen konnte. Da mußten sie
nun ihre Unbesonnenheit erkennen und gestehen, daß ein jedes Glied
schuldig sei, dem Magen und ihm selbst zum besten das Seine zu verrichten,
wollten sie nicht bald sich selbst ruiniren und im Grunde verderben. Denn
es sei nicht an dem, daß nur die Glieder dem Magen dienten, sondern es
diene auch der Magen hinwiederum den Gliedern.
Mit diesem Gleichnis brachte Agrippa die römischen Bürger zu anderen
Gedanken, daß sie wieder heimkehrten und das Ihre thaten.
Caspari.
79. Das Riesenspielzeug.
1. Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
2. Einst kam das Riesenfränlein aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor
und stieg hinab den Abhang bis in das Thal hinein,
neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.
3. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.
4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschant,
bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.
5. „Ei! artig Spielding!" ruft sie, „das nehm' ich mit nach Haus."
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt;
6. Und eilt mit freudgen Sprüngen — man weiß, wie Kinder sind —
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
„Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So allerliebstes sah ich noch nie aus unsern Höhn."
7. Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
„Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei."
8. Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
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wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.
9. Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
„Was hast du angerichtet? das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?
10. Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!"
11. Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand,
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
Chamisso.
80. Unterthanentreiie.
Die Stadt Dreiberg in Sachsen führt aus alter Zeit den Namen:
Dreiberg die Getreue. Woher hat sie den Namen? Kurfürst Dried-
rich der Sanftmütige lag mit seinem Bruder Wilhelm von Weimar
im Streite wegen Theilung des Landes. Driedrich bemächtigte sich
der Stadt Dreiberg, welche zu Wilhelms Theil gehörte, und verlangte
auf der Stelle, dass die Stadt nun eine Anzahl Truppen zum Kampfe
gegen ihren Herzog stellen sollte. Da versammelte sich der Rat der
Stadt und war bald einig, dass sie ihrem Herrn treu bleiben wollten.
In feierlicher Ordnung zogen die wackern Männer, ihre Sterbekleider
mit sich tragend, vom Rathause auf den Markt, wo der Kurfürst
mit seinen Tuppen stand. Dort schlossen sie einen Kreis um ihren
Bürgermeister Nicolaus Weller von Molsdorf, einem ehrwürdigen
Greis mit grauem Haupte. Dann trat der Alte hervor und gab im
Namen der ganzen Stadt folgende Erklärung: Die Bürgerschaft Drei-
bergs ist alle Stunden bereit, ihr Leben im Dienste Eurer Kurfürst-
lichen Durchlaucht aufzuopfern; aber unmöglich kann sie sich ent-
schliessen, dem Eide der Treue zuwider, den sie Herzog Wilhelm ge-
schworen, die Waffen gegen ihn zu ergreifen. Doch sie vertraut der
bekannten Grossmut des sanftmütigen Driedrich, er werde von seinen
harten Dorderungen abstehen. Sollten aber Eure Kurfürstliche Durch-
laucht auf diesem Begehren beharren, so würden sie als rechtschaffene
Unterthanen eher ihr Leben lassen, als nur einen Augenblick wider
die Pflicht handeln, welche sie ihrem Landesherrn zu leisten schuldig
sind. „Ich für meine Person“, setzte der Bürgermeister hinzu, „will
gern der erste sein, der hier auf der Stelle niederkniet, um mir
meinen alten grauen Kopf abschlagen zu lassen.“ Da ritt der Kurfürst
an ihn heran, klopfte ihn auf die Achsel und sprach: „Nicht Kopf
ab, Alter, nicht Kopf ab! Solcher ehrlicher Leute, die ihren Eid und
ihre Pflicht so treu erfüllen, bedürfen wir noch länger.“ Und damit
stand er von seiner Dorderang ab. Ahlfeld.
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Extrahierte Personennamen: Chamisso Wilhelm Wilhelms Wilhelms Nicolaus_Weller Wilhelm Wilhelm Ahlfeld
74
5.
7.
Noch erhellt dein Blitzen
auf dem Thurm den Kranz
und der Berge Spitzen
mit dem Purpurglanz.
Du, o Gott der Wunder,
der im Himmel wohnt,
gehest nicht so unter,
wie die Sonn', der Mond.
6.
8.
Seht, sie ist geschieden,
lässt uns in der Nacht,
doch wir sind im Frieden,
der im Himmel wacht!
Wollest doch uns senden,
Herr, dein ewig Licht,
dass zu dir wir wenden
unser Angesicht!
Chr. G. Barth.
111. Predigt der Garben
Der heiße Erntetag war vorüber; eine laue Sommernacht breitete sich
über die schönen Gefilde. Da richtete sich eine Garbe ans und rief über
den Acker hin: „Lasset uns dem Herrn ein Erntedankfest halten unter dem
stillen Nachthimmel!" — lind alle Garben richteten sich ans, und von ihrem
Rauschen erwachten die Lerchen und die Wachteln, die in den Stoppeln
umher schlummerten.
Die erste Garbe begann ihre Predigt: „Bringet her dem Herrn
Ehre und Preis! Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine
Güte währet ewiglich. Er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute,
er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Aller Augen warten auf ihn,
und er gibt ihnen Speise zu seiner Zeit. Jahrtausende sind über die Erde
gegangen, und jedes Jahr hat Ernten gesammelt und Speise bereitet.
Immer noch deckt der Herr seinen Tisch, und Millionen werden gesättigt.
Seine Güte ist alle Morgen neu. Bringet her dem Herrn Ehre und Preis!"
Da stimmte der Chor der Lerchen ein Danklied an. Und eine andere
Garberedete: „An Gottes Segen ist alles gelegen! Der Landmann
rührt seine thätige Hand, pflüget den Acker und streuet Körner in seine
Furchen. Aber vom Herrn kommt das Gedeihen. Viele kalte Nächte und
heiße Sommertage liegen zwischen dem Säen und dem Ernten. Menschen-
hand kann die Regenwolken nicht herbeiführen, noch den Hagel abwehren.
Der Herr behütet das Körnlein im Schoße der Erde, behütet die grünende
Saat und die reifende Ähre. Fürchtet euch nicht! Er war mit uns. An
Gottes Segen ist alles gelegen."
Nun nahm die dritte Garbe das Wort: „Die mit Thränen säen,
werden mit Freuden ernten! Mit schwerem Herzen ging ein ^ohn
aus, zu säen. Ach, der Vater war ihm gestorben, und daheim weinte die
verlassene Mutter; denn die harten Gläubiger hatten die Scheuer geräumt.
Ein mitleidiger Nachbar lieh ihm den Samen; aber Thränen sielen mit
den Körnern in die Furchen. Nun erntet er zehnfültig, denn der Herr hat
seine Ernte gesegnet. Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten;
sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen, kommen wieder mit
Freuden und bringen ihre Garben."
Darnach fuhr eine vierte fort zu reden: „Wohlzuthun und mitzu-
theilen vergesset nicht, denn solche Opfer gefallen Gott tvohl. Konnten
wir das Hineinrusen in die Häuser der Reichen, die ihre Scheunen jetzt
füllen! Könnten wir es dem hartherzigen Manne zurufen, der gestern die
armen Ährenleser von seinem Acker trieb! Wen der Herr gesegnet hat,
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45
tief im Kote, und die Pferde hatten statt des Hafers nur Heu und waren
nicht gestriegelt. So hatte sie alle Tage einen Fehler abzustellen.
Nachdem das Jahr um war, ging sie mit dem Kästchen zum Einsied-
ler und sagte sehr vergnügt: „Alles geht nun besser. Lasset mir das Käst-
chen nur noch ein Jahr; es enthält ein gar treffliches Mittel."
Da lachte der Einsiedler und sprach: „Das Kästchen kann ich euch
nicht lassen; das Mittel aber, was darinnen verborgen ist, sollt ihr haben."
— Er öffnete das Kästchen und sieh, es war nichts darin, als ein weißes
Papier, auf dem geschrieben stand:
Du mußt, soll's recht im Hause stehen,
auf Sparsamkeit und Ordnung sehen.
Chr. v. Schmid.
65. Der Widersacher als Rechtsanwalt.
Auf einem Dorfe des Kantons Schwyz kam einst an einem Abend
der Bauer Velten zum Bauer Kaspar, welcher auf seinem Felde arbeitete,
und sagte: „Nachbar, jetzt ist die Heuernte, und du weißt, daß wir einen
Streit wegen einer Wiese haben. Ich habe die Richter zusammenrufen
lassen, weil wir beide nicht gelehrt genug sind, um zu wissen, wer von
uns beiden recht hat. Komm also morgen mit mir vor Gericht!" —„Du
siehst, Nachbar, daß ich die Wiese gemüht habe, und morgen muß ich, weil
jetzt gutes Wetter ist, das Heu in Haufen bringen, ich kann also unmög-
lich mitgehen." — „Und ich kann die Richter nicht wieder gehen lassen,
da sie diesen Tag gewählt haben; auch kann das Heu nicht eher abgeholt
werden, bis wir wissen, wem die Wiese gehört." — Nach einigem Besinnen
sagte Kaspar: „Weißt du, wie wir es machen wollen? Geh morgen nach
Schwyz und sage den Richtern deine und meine Gründe, so brauche ich
ja nicht dabei zu sein!" — „Wenn du das Zutrauen zu mir hast, so kannst
du dich darauf verlassen, daß ich für dein Recht reden will, wie für mein
eigenes." — Nach dieser Abrede ging Velten den folgenden Tag nach
Schwyz und trug seine und Kaspars Gründe vor, so gut er konnte. Am
Abend kam er wieder zu Kasper und sagte: „Die Wiese ist dein, die Richter
haben sie dir zugesprochen; ich wünsche dir Glück und bin froh, daß wir
aufs reine gekommen sind." Württemberg. Lesebuch.
66. Die wandernde Traube.
1. Makarius, ein frommer Abt, erkrankte,
dass er nur schattengleich durchs Kloster wankte;
da sandt' ein ferner Freund, dass er sich Iahe,
ihm eine Traube einst als Liebesgabe.
2. Makarius dankte Gott und trug zur Stelle
mit schwankem Schritte nach der nächsten Zelle
die Traube, die zur Labung ihm beschieden,
um einem krankem Bruder sie zu bieten.
3. Auch der behielt sie nicht und liess sie wandern
mit frommem Liebesgruss zu einem andern,
von dem er glaubte, dass er nöt'ger habe
als er der würz’gen Traube seltne Labe.
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88
widerte: „Viel besser ist ganz zu schweigen, als thörichte Antwort
zu geben." Damit war der Löwe ebenfalls zufrieden.
Nun kamen sie an ein Dorf; da sahen sie, wie ein Bauer zwei
Ochsen unter das Joch that, einem jeden ein Bündlein Heu auf den Kops
band und ackern ging mit ihnen. Der eine Ochse trug "das Heu mit Ge-
duld, der andere aber murrte und sprach: „Was soll uns so wenig Heu?
es kann uns ja doch nicht satt machen," und warf es von sich. Als sie
nun tüchtig gearbeitet hatten und der Abend kam, aß der Bauer und gab
dem einen Ochsen sein Heu, auf daß er sich stärkte; der andere Ochse aber,
der das Heu weggeworfen hatte, bekam nichts und mußte in dem Pfluge
ziehen bis zur Nacht, wo er vor Hunger umfiel. „Was meinst du dazu?"
fragte zum dritten der Löwe den Hasen. Der Hase sagte: „Es ist besser,
sich mit wenigem zu begnügen, als gar nichts zu haben." „Ei,"
sprach der Löwe, „ich sehe, daß du deine Zeit wohl zugebracht hast; du sollst
haben, was du begehrst." Brüder Grimm.
134. Was und wie soll man lernen?
Kind, lerne zweierlei, so wirst du nicht verderben.
Zum ersten lerne was, um etwas zu erwerben;
zum andern lerne das, was niemand kann dich lehren:
Gern das, was du nicht kannst erwerben, zu entbehren.
Auswendiglernen sei, mein Kind, dir eine Pflicht;
Versäume nur dabei Inwendiglernen nicht.
Auswendig ist gelernt, was dir vom Munde Hiesst,
inwendig, was im Sinn lebendig sich erschliesst.
Das Unkraut, ausgerauft, wächst eben immer wieder,
und immer musst du neu das Böse kämpfen nieder.
Wie du musst jeden Tag neu waschen deine Glieder,
so die Gedanken auch an jedem Tage wieder.
Dein höchstes Leben sei, zu leben gottbewusst;
darin ist zweierlei: gottwissend, gottgewusst;
dass du dich wissend stets von Gott gewusst, gekannt,
gemahnt, gestraft, geprüft, geliebt und Kind genannt.
Rückert.
135* Bube und Bock.
Es war einmal ein Bube, der wollte lieber essen als lesen, hielt mehr
von Nüssen als vom Wissen; darum nannten ihn die Leute den „Faulen."
Das wollte ihn aber sehr verdrießen, und er dachte: „Wart, ich will's
euch allen zeigen, wie ich fleißig bin!" nahm ein Lesebuch und ging hin-
unter ans die Straße. Auf der Straße lag ein dicker Baumstamm, aus
den setzte sich der Knabe. Dort mußten die Leute alle vorbei. Er nimmt
das Buch auf den Schoß, hält's aber verkehrt, so daß die Buchstaben alle
auf dein Kopfe stehen. Da sitzt er, guckt hinein und baumelt mit den
Beinen. Bald nickt er aber mit dem Kopfe; denn er ist eingeschlafen.
Wer kommt mn die Ecke am Gartenzaun? — Der Ziegenbock ist's,
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reim und bezahlte dm Eigentümern so viel dafür, als sie verlangten. Nur
eine arme Witwe fand sich, die das Erbtheil ihrer Väter aus frommer
Gewissenhaftigkeit nicht veräußern wollte und alle Anerbietungen, die man
ihr deswegen machte, ausschlug. Den Aufseher der königlichen Gebäude
verdroß der Eigensinn dieser Frau; er nahm ihr das kleine Land mit Ge-
walt weg, und die arme Witwe kam weinend zum Richter. Ibn Beschir
war eben Kadi der Stadt. Er ließ sich den Fall vortragen und fand ihn
bedenklich; denn obschon die Gesetze der Witwe ausdrücklich recht gaben, so
war es doch nicht leicht, einen Fürsten, der gewohnt war, seinen Willen
für die vollkommene Gerechtigkeit zu halten, zur freiwilligen Erfüllung eines
veralteten Gesetzes zu bewegen. Was that also der gerechte Kadi? Er sattelte
seinen Esel, hing ihm einen großen Sack um den Hals und ritt unverzüg-
lich nach den Gärten des Palastes, wo der Chalif sich eben in dem schönen
Gebäude befand, das er auf dem Erbtheil der Witwe erbaut hatte. Die
Ankunft des Kadi mit seinem Esel und Sack setzten ihn in Verwunderung,
und noch mehr erstaunte er, als Ibn Beschir sich ihm zu Füßen warf und
also sagte: „Erlaubt mir, Herr, daß ich diesen Sack mit Erde von diesem
Boden fülle." Hakkam gab es zu. Als der Sack voll war, bat Ibn Be-
schir den Chalifen, ihm den Sack auf den Esel heben zu Helsen. Hakkam
fand dieses Verlangen noch sonderbarer, als alles vorige; um aber zu sehen,
was der Manu vorhabe, griff er mit an. Allein der Sack war nicht zu
bewegen, und der Chalif sprach: „Die Bürde ist zu schwer, Kadi, sie ist
zu gewichtig." „Herr," antwortete Ibn Beschir mit edler Dreistigkeit, „du
findest diese Bürde zu schwer, und sic enthält doch nur einen kleinen Theil
der Erde, die du ungerechter Weise einer armen Witwe genommen hast.
Wie willst du denn das ganze geraubte Land tragen können, wenn es der
Richter der Welt am großen Gerichtstage auf deine Schultern legen wird?"
Der Chalif war betroffen; er lobte die Herzhaftigkeit und Klugheit des
Kadi und gab der Witwe das Erbe zurück mit allen Gebäuden, die er dar-
auf hatte anlegen lassen. Herder.
142. Stier und Biber.
Der Stier sagte zum Biber: „So ein Leben unter dem Wasser, wie
du eins hast, möchte ich um aller Welt willen nicht haben." Der Biber
schwieg und antwortete ihm nicht. Aber der Stier fuhr fort und machte
jetzt eine Lobrede seines bessern und glücklichern Lebens. „Mein Stall,"
sagte er, „ist beinahe soviel wert, als eine Menschenwohnung, und dann
muß ich ihn nicht einmal bauen; der Bauer, der mich füttert, baut mir
ihn selbst." — Der Biber antwortete ihm: „Ich weiß wohl, daß es viele
Stierställe gibt, die besser aussehen und im Winter gar viel wärmer sind,
als tausend und tausend armer Leute Wohnstuben; und ich kann mir auch
gar wohl denken, es gefalle dir wohl darin, wenn dein Barren recht voll
und dein Gras und dein Heu darin recht gut sind. Ich aber liebe die
Wohnung, die ich mir selbst baue und in der ich frei bin, und möchte um
alles in der Welt nicht eine Wohnung, die mir ein anderer baute, und mich
nicht wie dich darin angebunden finden, wenn er dich anjocht und zum
Pflug oder Wagen anspannen will."
Wem seine Freiheit und sein Recht nicht mehr ist als seine Bequem-
lichkeit, der ist in jedem Falle ein armseliger Tropf. Pestalozzi.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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96
Der Richter besann sich einen Augenblick und sagte dann: „Laßt mir
das Geld hier und kommt morgen um dieselbe Zeit wieder!"
Jetzt war die Reihe an Bu-Akas. „Würdiger Kadi," begann er, „ich
bin aus fernem Lande hierhergekommen, um auf dem hiesigen Markte
Waaren zu kaufen, Nicht weit von der Stadt bat mich dieser Krüppel,
ihn mit aus mein Pferd zu nehmen, damit er nicht im Gedränge von
Maulthieren und Kameelen getreten würde. Als wir aber aus dem Markt
anlangten, wollte er nicht absteigen, sondern behauptete, das Pferd gehöre
ihm. Dies ist der unverfälschte Thatbestand; ich beschwöre ihn beim
Propheten."
„Gerechter Kadi," sagte nun der Krüppel, „ich kam auf diesem mir
zugehörenden Pferde hierher, um auf eurem Markte Einkäufe zu machen,
als ich jenen Mann anscheinend todtmüde am Rande des Weges sitzen sah.
Ich näherte mich ihm und erkundigte mich, ob ihm irgend ein Unfall zu-
gestoßen wäre. Mir ist nichts zugestoßen, antwortete er, die Ermüdung
allein hat mich überwältigt, und wenn du mitleidig wärest, würdest bn mich
bis in die Stadt, in der ich Geschäfte habe, mitnehmen. Aus dem Markt-
platze werde ich alsdann absteigen und Muhamed bitten, daß er dich segnen
möge. Ich that, wie dieser Mann es wünschte; aber groß war mein
Erstaunen, als er, ans dem Platze angekommen, mich aufforderte abzu-
steigen, weil das Pferd ihm gehöre. Rach dieser seltsamen Rede habe ich
ihn zu dir geführt, damit du zwischen uns beiden entscheiden mögest. So
verhält sich die Sache; ich schwöre es beim Propheten."
Der Kadi besann sich einen Augenblick und sagte: „Laßt mir das
Pferd hier und kommt morgen wieder." Das Pferd wurde dem Kadi zu-
gestellt; Bu-Akas und der Krüppel zogen sich ehrerbietig grüßend zurück.
Am folgenden Tage fanden sich außer den Betheiligten auch viele
andere Menschen vor dem Richterstuhl eiu, denn die Schwierigkeit der zu
entscheidenden Fragen zog eine Menge Neugieriger herbei. Der Kadi ries
zuerst den Gelehrten und den Bauer aus. „Hier ist deine Sklavin," sagte
er zu dem ersteren; „führe sie nach Hause, sie ist dein." Dann wandte
er sich an den Gerichtsdiener und sagte, auf den Bauer zeigend: Zählet
diesem Manne fünfzig Stockschläge auf!" Der Gelehrte führte die Sklavin
fort, der Bauer erhielt fünfzig Stockschläge, und die Sache war erledigt.
Jetzt kam die Reihe an den zweiten Fall. „Hier ist dein Geld," sagte
der Kadi zu dem Gärtner. „Du hast es aus deiner Börse genommen;
es hat niemals jenem Manne gehört." Dann sich zu den Gerichtsdienern
wendend, zeigte er auf den Ölhändler und sagte: „Zählet diesem Manne
fünfzig Stockschläge auf!" Der Gärtner entfernte sich mit seinem Gelde,
und die Diener zählten dem Ölhündler fünfzig Hiebe auf.
Die dritte Streitsache kam nun zur Verhandlung. Bu-Akas und der
Kriippel näherten sich. „Würdest du dein Pferd inmitten zwanzig anderer
wieder erkennen?" fragte der Richter den Scheich.
„Gewiß!" sagte dieser.
„Und du?" fuhr der Richter fort, indem er sich an den Krüppel
wandte.
„Ohne Zweifel!" lautete die Antwort.
„Komm mit mir," sprach der Richter zu Bu-Akas, und ging mit ihm
in einen Stall, in welchem dieser sein Pferd unter vielen anderen sogleich
heraus fand.
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mit Fleiss bewachen, damit ihnen nicht etwas gefalle, was meiner
Seligkeit schaden könnte, die zwei Hasen sind meine Füsse, die
muss ich zurückhalten, dass sie nicht nach schädlichem Gewinn lau-
fen und auf den Wegen der Sünde wandeln, die zwei Sperber sind
meine Hände,'die muss ich zur Arbeit abrichten und anhalten, der
Lindwurm ist meine Zunge, die muss ich beständig im Zaume halten,
der Löwe ist meine Herz, mit dem muss ich beständig im Kampfe
liegen, der Kranke ist mein eigener Leib, der sich bald heiss, bald
kalt, bald hungrig, bald durstig, bald gesund, bald krank, kurz immer
in einem Zustande befindet, der meine Aufmerksamkeit und Pflege
fordert. Das alles macht mich müde tagtäglich.“ — Der Vorgesetzte
lobte ihn und sprach: „Wollte Gott, dass wir alle auf diese Weise
wachen, arbeiten, kämpfen und dämpfen wollten, — wir würden
unsere Seligkeit besser schaffen.“ Caspari.
155» Hamet und Raschid.
Eine brennende Dürre verheerte schon lange die Gefilde Indiens als
zwei Hirten, Hamet und Raschid, sich auf der Grenze ihrer Felder begeg-
neten. Sie starben beinahe vor Durst und sahen ihre Herden gleichfalls
verschmachten. Sie hoben die Angen gen Himmel und flehten ihn um
Hilfe; siehe da entstand auf einmal eine tiefe Stille: die Vogel hörten auf
zu singen; das Blöken und Brüllen der Herden verstummte, und die bei-
den Hirten sahen im Thäte eine erhabene, überirdische Menschengestalt sich
ihnen nähern. Es war der hohe Geist der Erde, der Glück und Unglück
den Sterblichen austheilet; in der einen Hand hielt er die Garbe des
Überflusses, und in der andern die Sichel der Verwüstung. Sie zitterten
vor Schrecken und suchten sich zu verbergen; aber der Geist rief ihnen mit
so sanfter Stimme zu, wie der Zephyr lispelt, wenn er siä) abends ans
den wohlriechenden Gesträuchen Arabiens wiegt. „Nahet euch," sprach er,
„Söhne des Staubes; fliehet euren Wohlthäter nicht! Ich bin gekommen,
euch ein Geschenk anzubieten, das nur durch eure Thorheit unnütz und ver-
derblich werden kann. Ich will euer Gebet erfüllen und euch Wasser geben,
wenn ihr mir sagt, wie viel ihr zu eurer Befriedigung bedürft. Übereilt
euch aber nicht in eurer Antwort! Bedenkt, daß in allen menschlichen Be-
dürfnissen das Übermaß eben so schädlich ist, als der Mangel. Erkläret
euch; und du, Hamet, rede zuerst!"
„O gütiger Geist!" antwortete Hamet, „wenn du meiner Kühnheit
verzeihen willst, so bitte ich um einen kleinen Bach, der im Sommer nicht
vertrocknet und im Winter nicht überschwemmt." „Du sollst ihn ha-
den," antwortete der Geist und schlug mit seiner Sichel, die jetzt ein Werk-
zeug der Wohlthätigkeit wurde, den Boden. Die beiden Hirten sahen zu
ihren Füßen eine Quelle hervorsprudeln und sich über die Felder des
Hamet verbreiten. Die Blumen hauchten einen frischeren Wohlgernch; die
Bäume schmückten sich mit grünerem Laube, und die Herden löschten in
dem kühlen Strome ihren Durst.
Jetzt wendete sich der Geist zu dem zweiten Hirten und gebot ihm zu
reden. „Ich bitte dich," sprach Raschid, „du wollest den großen Ganges
mit allen seinen Wassern und Fischen durch meine Felder leiten." Der
gutherzige Hamet bewunderte den mutigen Stolz des Raschid und zankte
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gesucht. Aber der Bauer sprach: „Euer Aufzählen hilft euch nichts; der
Lcheffel kostet 8 Thaler; das ist mein Satz. Eher thu' ich meinen Boden
nicht auf. Und dann muß es ordentlich Kourant sein." Des Bauern
Söhnchen, ein Bürschchen von zehn Jahren, zupfte den Alten am Rock:
„Vater, gebt's ihm doch!" Aber der Vater prägte ihm mit einem Rippen-
stoß andere Grundsätze ins Herz. Der Weber mußte sein Geld zusammen-
streichen und heim wandern.
Den 8. Mai in der Abenddämmerung kam die Zeitung an. Einen
Blick hinein, und der Bauer fand, was er finden wollte: Roggen 8 Thaler."
Da zitterten ihm die Glieder vor Freude. Er nahm ein Licht, ging auf
den Boden und wollte übersehen, wie viel er wohl verfahren könnte, und
iiberschlagen, wie groß seine Einnahme wäre. Indem er so durch die Haufen
und gefüllten Säcke hinschreitet, strauchelt er an einem umgefallnen, fällt
selber, das Licht fliegt ihm aus der Hand und in einen Haufen Stroh, der
daneben liegt. Ehe er sich aber aufraffen konnte, steht das Stroh in Flammen.
Ehe an Hilfe zu denken ist, hat das Feuer Dachstuhl und Dielen ergriffen.
Um Mitternacht an demselben Tage, da der Scheffel 8 Thaler galt,
da er auf seinen Satz gekommen war, da er seinen Boden geöffnet hatte,
stand er am Schutthaufen seines ganzen Gutes als ein armer Mann.
Ahlseld.
201. Erlkönig.
1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
2. „Mein Sohn, was birgst du so bang
dein Gesicht?" —
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön' und
Schweif?" —
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." —
3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
manch' bnnteblumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Ge-
wand." —
4. „Mein Vater, mein Vater, und hörest du
nicht,
was Erlenkönig mir leise verspricht?" —
„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
in dürren Blättern säuselt der Wind." —
5. „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
und wiegen und tanzen und singen dich
ein." —
6. „Mein Vater, mein Vater, und siehst du
nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?" —
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es
genau,
es scheinen die alten Weiden so grau." —
7. „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne
Gestalt,
und bist du nicht willig, so brauch' ich
Gewalt." —
„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er
mich au!
Erlkönig hat mir ein Leid's gethan!"
8. Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
er hält in den Armen das ächzende Kind,
erreicht den Hof mit Müh' und Not.
In seinen Armen das Kind war todt.
Goethe.
202. Doktor Allwissend.
Es war einmal ein armer Bauer, Namens Krebs, der fuhr mit zwei
Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an
einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor
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