Xxii. §. 4. Begründung der habsburgischen Macht in Deutschland. 43!)
schönere Reiche im Osten und Westen dazu. Jedoch geschah das
Wachsthum der habsburgischen Macht nicht so schnell und nicht in
ununterbrochener Dauer. Schon Rudolf mußte den Schmerz erle-
den, daß die Fürsten sich weigerten, seinen Sohn Albrecht zu sei-
nem Nachfolger zu erwählen. Als dann nach der kurzen und kläg-
lichen Zwischenregierung Adolf's von Nassau (1291—98) Albrecht
dennoch den Thron gewann, waren zwar alle seine Bestrebungen
darauf gerichtet, seine Hausmacht zu erweitern und sie auch in anderen
Gegenden Deutschlands zu begründen, aber ohne Erfolg. Auch die
schönen Länder Böhmen und Mähren, welche er schon in seiner Hand
zu haben meinte, mußte er in den Besitz eines andern Fürstenhauses
(Luxemburg) übergehen sehen, und erst über ein Jahrhundert später
durfte das habsburgische, durch manche schwere Führungen inzwischen
vielfach geläuterte Fürstenhaus diese Gebiete als sein Eigenthum er-
werben. Albrecht selbst erlebte noch eine empfindliche Minderung
seiner schweizerischen Hausmacht, welche in ihrer weitern Entwicklung
schon die spätere Trennung der schweizerischen Eidgenossenschaft von
Deutschland anzukündigen schien.
Was jetzt Schweiz genannt wird, wurde vor Alters theils zu
Burgund, theils zu Alemannien oder Schwaben gerechnet. Von
Schwaben, dem hohenstaufischen Herzogthum, war seit 1097 das soge-
nannte Oberalemannien abgelöst und kam an die Herzoge von Zäh-
rin gen, welche die ganze südwestliche Ecke des jetzigen Deutschland
sammt der Schweiz beherrschten. Das Haus der Zähringer starb aber
1218 aus, ohne daß wieder neue Herzoge eingesetzt wurden. Die bis-
herigen Lehensleute der Herzoge, eine Anzahl Grafen, einige Bischöfe,
Aebte und freie Städte wurden nun selbständig und erkannten nur
noch den Kaiser als ihren Oberherrn an. Die Habsburger, als erb-
liche Landgrafen des Aargau, waren zugleich Inhaber der Landvogteien
in Uri, Schwyz, Unterwalden und einigen anderen Herrschaften ant Vier-
waldstättersee. Die Bewohner dieser Gegend, welche bis auf wenige
edle Geschlechter aus unfreien Männern bestanden, versuchten es nach
König Rudolf's Tode sich von der habsburgischen Landgrafschast los-
zureißen und als freie Landgemeinden sich freie Landgerichte unter ihren
Landammännern anfzurichten, und traten deshalb zu einer Eidgenossen-
schaft zusammen. Das gelang ihnen freilich während Albrecht's Re-
gierung keineswegs nach Wunsch, aber unter der Regierung des nach-
folgenden Königs Heinrich Vii. wurden ihre Forderungen ihnen doch
größtentheils gewährt, und sie haben sie hernach gegen die erneuten
Ansprüche der Habsburger mit Glück vertheidigt. Die allbekannte Ge-
schichte von Tell's Apfelschuß und dem Landvogt Geßler hat sich
freilich bei genauerer Forschung als eine Dichtung erwiesen. Aber die
von jenem ersten Versuch einer Losreißung herbeigeführte Bewegung
in der Schweiz hat gleichwohl eine bedeutende Nachwirkung gehabt.
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Extrahierte Personennamen: Rudolf Rudolf Albrecht Albrecht Albrecht Albrecht Albrecht Heinrich_Vii Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Nassau Deutschlands Luxemburg Deutschland Burgund Schwaben Deutschland Schwyz Unterwalden
Xxiii. §. 1. Die Vorarbeiter und Bahnbereiter der Reformation. 479
bis jetzt die Thatsachen reichen, die weissagende Geschichte auch unserer
Kirche seit der Reformation.
Xxiii. Die Zeiten der Reformation.
Motto: Das Licht gehet wieder auf in der Finsternix.
§. I. Die Vorarbeiter und Bahnbereiter der
Reformation.
Wir kennen sie schon, jene stillen Kreise „der Uebrigen von dem
Samen des Weibes" (Apok. 12, 17), in welche wie in eine Brüder-
gemeinde die wahre Herzensfrömmigkeit sich geflüchtet hatte, die im
setzten Jahrhundert vor der Reformation aus dem öffentlichen und
kirchlichen Leben verscheucht schien. In ganz besonderm Glanze tritt
uns noch einmal an der Schwelle der Reformation jener mystisch
praktische Verein der Brüder des gemeinsamen Lebens ent-
gegen, denn dessen edelste Blüthe, der theure Gottesmann Thomas
von Kempen mit seinem nie genug zu empfehlenden Büchlein von
der Nachahmung Christi, ist nur zwölf Jahre vor Luth er's Ge-
burt gestorben. Da ist gesunde und nahrhafte Speise für die Seelen,
Katholiken wie Protestanten gleich schmackhaft und heilsam, denn fern
von allem Formelkram, von allen Aeußerlichkeiten und Zwischenpersv-
nen steht hier der Christ unmittelbar und unverhüllt dem heiligen und»
väterlichen Auge seines Gottes gegenüber. Thomas und seine zahl-
reichen Freunde und Geistesgenossen hatten ihr Wesen am nordwest-
lichen Ende Deutschlands, am Niederrhein. Um dieselbe Zeit aber
hatte auch am südöstlichen Ende schon halb in den slavischen Landen
der gottselige Verein der mährischen Brüder den ewigen Grund
gefunden, da sie mitten unter allen Leiden dieser Zeit den starken An-
ker ihres Glaubens und ihrer Hoffnung einschlagen konnten. Und
wiederum tief im Süden, schon über die Grenzen Deutschlands hin-
aus, begegnet uns in den Alpenthälern Savoyens die stille und
gottselige Schaar der Waldenser, die ebenfalls unter blutigen Mar-
tern und Todesschrecken sich erbauet hatte auf ihren allerheiligsten,
wahrhaft evangelischen Glauben. In der Mitte Deutschlands aber
und weit nach allen Seiten sich verbreitend finden wir den noch nicht
lange wieder erneuerten Orden der Augustiner, der sich wiederauf
die uralten Lehren seines Patrons, des Kirchenvaters Augustinus,
besonnen hatte und den Satz von der freien Gnade Gottes in
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Extrahierte Personennamen: Thomas
von_Kempen Thomas Kirchenvaters_Augustinus
Extrahierte Ortsnamen: Christi Deutschlands Niederrhein Deutschlands Savoyens Deutschlands Gottes
504 Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England.
Gehorsam zwang, übrigens bis auf geringe Aenderungen den ganzen
äußern Bestand der katholischen Kirche sammt ihrer Lehre unange-
tastet ließ. Später wurde zwar auch die Lehre geändert und der
evangelischen gleichförmig gemacht, aber die äußere Erscheinung, der
Gottesdienst und die Verfassung der Kirche blieb nach wie vor. Die
andere Reformation aber, die vom Volke ausging, hat keineswegs
ihre eigenthümliche Q-uelle in England, auch nicht in Schottland, son-
dern nach beiden Ländern wie auch nach Frankreich wurde sie hinüber-
geleitet aus dem neuen Ursprungs- und Mittelpunkt der Reformation,
den Gott der Herr soeben für die westlichen Völker in Gens auf-
gerichtet hatte. Nämlich die züricher oder die zwing lische Refor-
mation beschränkte sich doch eigentlich nur auf die deutsch redenden
Cantone der Schweiz und übte zugleich einen sehr anregenden, er-
frischenden und belebenden Einfluß auf die südwestlichen Kreise Deutsch-
lands, so weit diese auf die evangelische Seite bereits hinübergetre-
ten waren. Dagegen für die französische Schweiz, für alles fran-
zösisch redende Volk mußte die zwinglische Reformation gleichsam erst
in's Französische übersetzt werden, nicht bloß in die französische Sprache,
sondern auch in französische Auffassung, Begriff und Wesen. Dazu
hatte sich der Herr ein besonderes und ausgezeichnetes Werkzeug aus-
ersehen, den gewaltigen Calvin. Es war im Jahre 1536, als er
nach Genf kam und dort von dem zwinglischenprediger Farel, sei-
nem gleichfalls aus Frankreich entflohenen Landsmann, feftgehalten
wurde. Er hatte schon unter den Erstlingen der Reformation in
Frankreich durch Predigt und Schrift vielfach gearbeitet, und hatte
auch bereits sein berühmtes Werk, seine Institutionen oder Glaubens-
lehre, herausgegeben. Dieser Calvin bietet uns das vollständigste
Bild eines von der Hand Gottes erfaßten Franzosen. Nicht der er-
quickliche Strom einer seligen Herzensfreude in der freien Hingebung
an den Herrn, sondern der eiserne Zwang einer strengen Furcht, eines
völligen sich selbst zum Opfer bringenden Gehorsams ist es, was diese
Seele erfüllt. Während der Deutsche, insonderheit der Norddeutsche,
bei Luther, zum Theil auch noch bei Zwingli die heitere, gemüthliche,
tiefsinnige und doch so herzerquickliche Sprache und Weise eines deut-
schen Gemüthes mit inniger Befriedigung währnimmt, fühlt er sich
durch die unerschütterliche Strenge, durch den starren Eifer des Calvin
bisweilen wie mit steinernen Händen angefaßt —da bleibt nichts übrig als
stumme, sich selbst preisgebende Unterwerfung. Es mag ja sein, daß
das leichtsinnige flüchtige französische Gemüth nicht anders in die
Wege Gottes geleitet und darin festgehalten werden kann, als durch
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Extrahierte Personennamen: Luther Zwingli
Extrahierte Ortsnamen: England England Schottland Frankreich Genf Frankreich Frankreich Gottes
Xxhi. §. 5. Hemmungen und Spaltungen in Deutschland und der Schweiz. 493
bayerischen Herzöge mit dem Papst erweiterte sich. Auch der Kurfürst
von Mainz und die Herzoge von Braunschweig und Sachsen schlossen
Bündnisse zur Aufrechthaltung der katholischen Lehren und Gebräuche.
Dem gegenüber traten auch die evangelischen Fürsten zusam-
men, der Kurfürst von Sachsen und Philipp von Hessen, eine
große Anzahl niederdeutscher Fürsten und Städte, auch mehrere ange-
sehene Städte des Oberlandes. Und als nun endlich 1526 ein neuer
Reichstag zu Speier gehalten wurde, und kaiserliche und päpstliche
Commiffare die Wiederherstellung einer vollständigen Einigung aller
Deutschen wiederum verhinderten, da kam es zu einer völligen und
nicht wieder auszulöschenden Spaltung Deutschlands. Jedem Fürsten,
jeder Stadt wurde es überlassen, in kirchlichen Dingen sich nach
eignem besten Wissen und Gewissen zu verhalten; eine Einheit und
Gleichförmigkeit in Sachen der Religion wurde von den Deutschen
aufgegeben.
Der böse Feind und Widersacher des Reiches Gottes hatte dafür
gesorgt, daß nicht bloß in Deutschland das gesegnete Werk der Refor-
mation Anlaß wurde zu Trennungen und Spaltungen der traurigsten
Art, sondern daß an vielen anderen Orten das engst Verbundene durch
die kirchliche Umgestaltung aus einander gezerrt wurde, das Zusam-
mengehörige und Verbrüderte in Haß und Feindschaft aus einander
trat. So war es in der Schweiz. Zwingli's neue Gottesdienstord-
nung, Verfassung und Lehre war auch in Basel angenommen, auch in
Bern, und eine ganze Menge kleinerer und größerer Cantone erklär-
ten sich nach und nach ebenfalls dafür. Aber andere, insonderheit die
ältesten und deshalb angesehensten Cantone wollten durchaus von keiner
Neuerung wissen. Da sie sich selbst nicht stark genug hielten, verbün-
deten sie sich mit ihrem alten Erbfeinde, mit Oestreich, um dem Um-
sichgreifen der evangelischen Neuerung zu wehren. Mehrere Jahre ha-
den die Kräfte beider Parteien sich gemessen und die Entscheidung hat
geschwankt. Endlich ist es auch in der Schweiz zu demselben Ausgang
gekommen, wie in Deutschland. Der größere Theil der Cantone blieb
katholisch, der andere Theil hielt treu zum evangelischen Bekenntniß.
Nun hätte man denken sollen, daß durch diese religiösen Spaltungen
wenigstens das politische Band zwischen den beiden gleichartigen Hälften
in Deutschland und der Schweiz wieder festgeknüpft werden würde.
Aber auch das geschah nicht. Die katholischen Schweizer hielten sich
nach wie vor entfernt von den katholischen Deutschen ; und die evangelischen
Schweizer geriethen sogar in offenbaren Gegensatz gegen die deutschen
Anhänger Luther's. Gleich zwischen Zwingli und Luther entspann
sich ein persönlicher Streit. Es sah sich so an, als drehe sich dieser
Kampf, der bis auf den heutigen Tag die Reformirten und Lutheraner
getrennt hält, lediglich um die Lehre vom heiligen Abendmahl. Darüber
sind auch in der That die heftigsten Schriften gewechselt, die härtesten
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Extrahierte Personennamen: Xxhi Philipp_von_Hessen Philipp Oestreich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Schweiz Mainz Sachsen Sachsen Deutschlands Deutschland Schweiz Basel Bern Deutschland Deutschland
326 Xix. §. 3. Neue Epoche durch Gregor den Großen.
Christen elend und verfolgt in den westlichen Gebirgswall von Wales
oder nach Irland stch flüchteten, da füllten stch die irischen Klöster mit
großen Schaaren frommer Mönche, und wir sahen schon, wie aus die-
sen Klöstern die Glaubensboten hervorgingen, die nach Schottland
und den nördlichen Inseln, nach dem Frankenreich, Alemannien und
Bayern, ja nach Italien hin die tröstliche Predigt von Christo, dem Welt-
heiland, trugen. Die Misstonsstationen, die ste gründeten, waren im-
mer wieder neue Klöster, und diese Klöster wurden dann die Mit-
telpunkte des gesammten religiösen Lebens, die Burgen, hinter welche
sich das geistliche und leibliche Elend flüchtete, die Leuchter, die, auf
den Scheffel gestellt, weithin in die Finsterniß der Umgebung hinein-
leuchteten, die Vorbilder in Arbeit, Zucht und Sitte, die Pflanzschulen
für eine zukünftige gottselige Priesterschaar. Wo ein Kloster gegrün-
det war, da wurde der wilde Wald gelichtet, die Sümpfe ausgetrocknet,
das Unthier verscheucht, die Aecker gebaut und Gärten gepflanzt. Da
stunmelten sich die Bewohner umher: es entstanden Dörfer und Städte,
Kirchen und Kapellen wurden aufgerichtet, eine reine, frische, lebens-
frohe Thätigkeit begann, wo vormals die Schrecken der Einöde herrsch-
ten. Nur war der Uebelstand, daß die irischen Mönche, die ja kel-
tischen Ursprungs waren, stch mit dem germanischen Wesen nicht
recht befreunden konnten. Wie sie selber Anstoß nahmen, so gaben sie
auch wieder Anstoß durch ihre fremden Gewohnheiten und sonderbaren
klösterlichen Regeln und Einrichtungen. Ueberhaupt kam es bei dieser
Gelegenheit erst recht zu Tage, wie so verschieden das Klosterleben
in den entfernteren Punkten sich ausgebildet hatte. Manche sonst leicht
zu meidende Zwistigkeiten wurden durch dergleichen Abweichungen her-
beigeführt. Aber der Herr hatte schon den Mann berufen, der durch
eine einfache, zweckmäßige, durchgreifende Regel allen diesen Uebelstän-
den ein Ende macken und zur Förderung der Mission eine großartige
Einheit und Zusammenstimmung des Klosterlebens in den verschieden-
sten Ländern herbeiführen sollte. Das war der heil. Benedict von
Nursia. Nach dem Muster seines Klosters und nach der von ihm
(529) gegebenen Regel für das Mönchsleben wurden nach und nach
die Klöster aller Orten reformirt und neubegründet, und die nach ihm
genannten Benedictinerklöster bildeten lange Zeit den Kern und die
Kraft der weiter nach außen hin vvrdringenden Kirche.
§. 3. Neue Epoche durch Gregor den Großen.
Die Missionsarbeit der irischen Mönche und ihrer fränkischen
Nachfolger war doch viel zu vereinzelt, gelegentlich und planlos, als
daß die Bekehrung der alten, noch nie vom Christenthum berührten
Heidenvölker durch sie hätte bewirkt werden können. Eine viel kräf-
tigere, geordnete Mission unter einer umsichtigen und energischen Ober-
leitung war nöthig, um den germanischen Hauptstamm der Sachsen
in England und im nördlichen Deutschland für die christliche Kirche
zu gewinnen. Aber war denn nicht eine kirchliche Oberleitung da?
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Extrahierte Personennamen: Gregor Christo Benedict_von
Nursia Gregor
Extrahierte Ortsnamen: Wales Irland Schottland Bayern Italien Sachsen England Deutschland
330 Xix. §. 4. Mission unter den Angelsachsen und Friesen.
voll tiefer Gelehrsamkeit und frischen Glaubenseifers. Die wollten
aber nichts von der Oberhoheit des römischen Bischofs, noch von
seinen Stellvertretern, seinen Satzungen, Kirchenformen und römischen
Gebräuchen wissen. Sie traten den päpstlichen Missionaren und Bi-
schöfen entgegen, vertheidigten ihr eigenthümliches freieres Kirchen-
wesen, versuchten zuletzt (da es freilich schon zu spät war), auch ihrer-
seits unter den Angeln zu missioniren. Aber die Uebermacht der rö-
mischen Kirche war bald entschieden. Die Briten mußten sich ent-
weder beugen oder sich in ihre unzugänglichen Wälder, Inseln und
Gebirge zurückziehen. Noch lange Jahrhunderte hindurch haben sie
dort ihre kirchliche Freiheit und Besonderheit behauptet. Endlich sind
auch sie vor der Zähigkeit und unerbittlichen Folgerichtigkeit des rö-
mischen Kirchenregiments dahingesunken, und wir wissen ja, wie bis
heu/e noch Irland eines der allerunterthänigsten päpstlichen Länder
geblieben ist.
Kaum war unter den Angelsachsen die christliche Kirche aufgerich-
tet, so zeigte sich bei diesein Jnselvolk dieselbe Erscheinung, wie bei
ihren keltischen Brüdern auf Erin, nämlich ein großer Trieb und
Eifer, als Missionare nach dem Festlande hinüberzugehen und den Hei-
den der gegenüberliegenden Küsten das Evangelium zu predigen. An
den Küsten des nördlichen Deutschlands aber wohnte von der Schelde
bis zur Weser und drüber hinaus der kräftige und unbezwungene Ger-
manenstamm der Friesen. Schon längst hatten die Franken, vom
Süden vordringend, die Friesen zu unterwerfen versucht. Es waren
im Gefolge der fränkischen Heere auch fränkische Prediger und Bischöfe
im südlichen Friesland erschienen, aber ohne sonderlichen Erfolg. Nun
aber begannen die geistlichen Heereszüge aus den zahlreichen neugegrün-
deten Klöstern Englands. Mönche, Aebte, Bischöfe, ja an ihrer
Spitze selber der Erzbischof Wilfried von Nork zogen seit dem Jahre
677 immer häufiger hinüber in das Land der Friesen und verkündig-
ten die neue Lehre, zu der sie oder ihre Väter sich selbst erst seit Kur-
zem bekehrt hatten. Lange widerstand ihnen der wilde Friesenkönig
Radbod. Auch wiederholte Niederlagen durch die Franken konnten
ihn nicht milder gegen die Boten der fremden Kirche stimmen. Er^
wollte „lieber mit seinen Vorfahren in der Hölle, als mit den Fremden
im christlichen Himmel sein." Viele Missionare ließen sich durch die
großen Gefahren und die lange Erfolglosigkeit wieder zurückschrecken.
Aber Einer hielt aus: der Apostel Frieslands: Willibrord. Er
glaubte, den Grund zu erkennen, weshalb es mit der frischen Mission
nicht vorwärts wollte. Es schien ihm der mächtige Schutz und die
Oberleitung des Papstes zu fehlen, durch welche die Kirche in England
so schnell gegründet und kräftig emporgebracht sei. Deshalb reiste er
selbst nach Nom (696), kehrte als Bischof von Utrecht von dort zu-
rück, und begann nun die Mission in der gleichen systeinatischen Weise
durch Anlegung von Klöstern, Heranbildung von Priestern, Abgrenzung
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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332 Xix. §. 5. Bonifacius, Gründer der deutschen Kirche.
der die bisher selbständig und willkürlich in ihrem Sprengel wirth-
schastenden Bischöfe unter feste Zucht stellte, durch strenge Regeln
zügelte und zum gemeinsamen Gehorsam gegen des Papstes Anord-
nungen verpflichtete. Es waren ja auch nicht eigentlich heidnische
Länder, wo er wirkte, sondern ste waren alle dem fränkischen Scepter
unterworfen, und das Ehriftenthum war überall schon gekannt und
verbreitet. Denn das ganze mittlere Deutschland bis zur Saale, und
die südlicheren Donauländer gehörten damals unter dem Namen
Austrasien zum fränkischen Reich. Hessen und Thüringen, der
Hauptschauplatz seiner Wirksamkeit, mochten noch am meisten Heiden-
thum aufzuweisen haben, und dort tritt seine missionarische Thä-
tigkeit auch noch am meisten hervor. Dagegen Bayern und Ale-
ni annien waren durch die irischen' und fränkischen Missionare schon
längst gänzlich dem Christenthum wiedergcwonnen. Es galt also nur,
die dortigen Bischöfe nach festen Regeln unter eine gemeinsame Ober-
leitung zu ordnen. Das that Bonifacius, indem er das Erzbis-
thum Mainz zur obersten geistlichen Stelle (Primat) machte, dem
alle Bischöfe in Austrasien untergeordnet waren. In Hessen und
Thüringen, wo er selbst erst neue Bisthümer gründete, ergab es sich
von selbst, daß ihm als Erzbischof von Mainz auch die unmittelbare
bischöfliche Verwaltung dieses ausgedehnten Sprengels zufiel. Durch
seine frühere Verbindung mit dem' Bischof von Utrecht endlich und
seine ehemalige missionarische Thätigkeit in Friesland — zu wel-
cher er auch im Alter zurückkehrte und mit der er sein Leben als Mär-
tyrer beschloß 735 — war es leicht zu bewerkstelligen, daß auch der
friesische Sprengel unter die Oberaufsicht des Mainzer Erzbischofs
gestellt wurde (doch so, daß Utrecht, Tongern, Lüttich zunächst der be-
sondern Aufsicht des alten Kölner Erzbisthums untergeordnet war).
Und so war es nun in der That zwischen den germanischen Völker-
stämmen des jetzigen Deutschlands, die sich damals kaum unter ein-
ander verständigen konnten wegen ihrer verschiedenen Sprachformen,
und die in tausend Fehden an einander zu gerathen stets bereit wa-
ren, zu einer festen Einigung, zu einer haltbaren unzerreißlichcn Ver-
bindung gekommen. Das Erzbisthum Mainz mit den sämmtlichen
seiner Oberaufsicht untergebenen deutschen Bisthümcrn ist der feste Kern
geworden, um den sich Alles angesetzt hat, was seitdem zu Deutschland
noch hinzugekommen ist.
Die ganze großartige Thätigkeit des Bonifacius beschränkte sich
also auf den östlichen Theil des großen Frankenreichs, welches da-
mals Austrien oder Austrasien genannt wurde und außer den Rhein.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Hessen Erzbis-
thum_Mainz Hessen Mainz Utrecht Friesland Utrecht Deutschlands Mainz Deutschland Frankenreichs Rhein
Xix, §. 13. Ludwig der Fromme (814 — 840) und Anschar. 349
Söhne (Lothar, Pipin, Ludwig der Deutsche und Karl der
Kahle), den er selbst durch seine unzeitigen und unzuverlässigen Thei-
lungspläne herbeiführte, lähmte seine Macht ganz und gar, brachte
aber den Bischöfen und Aebten unerhörte Vergewaltigungen bald
durch die eine, bald durch die andere Partei. Schon war davon die
Rede, wie einst zu Pipin's Zeiten die Hälfte, so jetzt alles Kir-
chengut einzuziehen. Und wie ihre Besitzthümer rauben, so wollte man
die Bischöfe ihrer Rechte entkleiden, ihre Sprengel zerreißen, ihre
geistliche Gerichtsbarkeit in Abrede stellen, ihre Verbindung mit dem
Papste beeinträchtigen. Wie wenig Ludwig beim besten Willen
solchem Unwesen seiner Söhne und Großen zu steuern und kräftig
einzugreifen vermochte, sieht man am klärlichsten aus der Stiftung
des Erzbisthums Hamburg oder Bremen. Ludwig hatte die vor-
treffliche Absicht, in den nördlichsten Gegenden Deutschlands eine feste
geistliche Gründung aufzurichten, von der aus, gleich wie von dem
Erzbisthum Salzburg zu den heidnischen Slaven und Avaren, so zu
den Dänen und Schweden eine kräftige Missionsthätigkeit auö-
gehen möchte. Aber anstatt Anderen einen Halt und feste Zuflucht zu
bieten, anstatt der Stützpunkt eines erfolgreichen Angriffs gegen das
nördliche Heidenthum zu sein, ward das Erzbisthum selber überfallen,
geplündert, vergewaltigt, und der Erzbischof konnte sich so wenig
vor Hunger und Mangel schützen, daß am Ende ein Kloster in Flan-
dern aufgesucht und ihm geschenkt werden mußte, damit er von dort-
her wenigstens sein tägliches Brod ziehen könne. In späterer Zeit
wurde dadurch etwas besser für das Erzbisthum gesorgt, daß das
Bisthum Bremen, welches bisher zu der Kölner Erzdiöcese gehört
hatte, mit Hamburg vereinigt wurde (849). Seitdem residirte der
Hamburger Erzbischof gewöhnlich in Bremen. Aber die große Be-
deutung für die nordische Mission, welche ihm zugedacht war, konnte
dieser Bischofssitz niemals gewinnen.
Die Missionsunternehmung nach Dänemark und den übrigen
nördlichen Ländern war veranlaßt durch das Hülfsgesuch eines vertrie-
benen dänischen Fürsten, der um 826 zu Ludwig dem Frommen an
den Hof nach Ingelheim kam, sich mit seiner ganzen Begleitung taufen
ließ, und zur weitern Unterweisung für sich und für sein Volk sich
einige geschickte Lehrer erbat, die er mit nach Dänemark nehmen könnte.
An schar, ein Mönch aus dem Kloster Corvey, wurde mit einem an-
dern Mönch zu diesem Amte auscrsehen. Aber er hatte es kaum an-
getreten und in Dänemark seine Wirksamkeit begonnen, als der Fürst,
der ihn beschirmte, schon wieder vertrieben und ihm selbst alle Thätig-
keit in Dänemark untersagt wurde. Da versuchte er es in Schwe-
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Lothar Ludwig_der_Deutsche Ludwig Karl_der
Kahle Karl Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig
35u Xix. §- 14. Einbruch der Normannen in die christliche Kirche.
den (829), wohin schon anderweitig einige Kenntniß des Christenthums
gekommen war, und erhielt dort wirklich die Erlaubniß, zu predigen und
Kirchen anzulegen. Darauf reiste An schar (eben so wie Boni fa-
ci us) nach Roin und wollte die nordischen Länder in gleicher Weise
von Anfang an dein Gehorsam des Papstes unterwerfen, wie hun-
dert Jahr früher die deutsche Kirche ihm unterworfen war. Der
Papst ging auch darauf ein, bestätigte den An schar als Erzbischof
von Hamburg und Bremen und dehnte ihm seinen Kirchensprengel bis
zu dem äußersten Norden aus, weihte auch sogleich den Mönch Gauz-
bert, An schar's Gehülfen, zum Bischof von Schweden. An schar
ist später Apostel des Nordens genannt worden. Aber man darf ihm
diesen Titel wenigstens nicht in dem Sinn und Rechte zugestehen, wie
man den Bonifacius Apostel Deutschlands nennt. Denn An-
schar's Wirksamkeit blieb im Ganzen ohne sichtbaren Erfolg. Hier
und da hat er Kirchen unv Klöster gebaut, gefangene Heidensklaven
hat er ausgelöst, zu christlichen Lehrern herangebildet und zu den
Ihrigen zurückgesandt. Aber unter der Masse des Volks und am Kö-
nigshof hat er in Dänemark so gut wie Nichts erreicht, und auch
Gauzbert ist aus Schweden wieder vertrieben worden. Beide Män-
ner mochten freilich dem Bonifacius an Geschick und Energie nicht
gleichkommen. Aber der Hauptunterschied war, daß hier im Norden
völlig heidnische Völker erst zu bekehren waren, während Bonifa-
cius die leichtere Aufgabe hatte, schon vorhandene Stiftungen und
gedeihliche Anfänge weiter zu leiten und in einen wohlgegliederten
Zusammenhang, in feste Ordnung, unter gemeinsame Gesetze zu brin-
gen. Was An schar und Gauzbert mit Erfolg begonnen hatten,
wurde auch nur schwächlich fortgeführt, und länger als ein Jahrhun-
dert brauchte die von ihnen ausgestreute Saat, um zu reifen. Es sollte
aber inzwischen auch noch von ganz anderer Seite her gesäet und die
schon vorhandene Saat begossen werden.
§. 1.4. Einbruch der Normannen in die christliche Kirche.
Da von einer kräftigen missionarischen Thätigkeit der fränkischen
Kirche nach außen unter den Nachfolgern Karl's des Großen
nicht viel zu hoffen war, die Mönche des Klosters Corvey und die
Erzbischöfe von Hamburg und Bremen sich der schweren Aufgabe der
nordischen Mission wenig gewachsen zeigten, so sorgte Gott der Herr
auf andere Weise, daß in jene heidnische Nacht des Nordens die
Strahlen des ewigen Lichtes gebracht wurden. So wie nämlich die
frühesten germanischen Völker nicht sowohl von der Kirche auf-
gesucht, sondern in langem, tobendem Zuge hineingebrochen waren in
die Kirche des römischen Abendlandes, sich theils auf christlichem
Grund und Boden niedergelassen uitd sich selbst in die Kirche hinein-
gepflanzt, theils auf ihrem Durchzuge wenigstens eine Kenntniß der
christlichen Lehre und des christlichen Lebens gewonnen hatten, so war eö
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TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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324 Xix. §. 2. Irische Heidenboten und ihre Klöster.
thum bekehrt worden *), und von hier aus zogen auch jetzt wieder
(seit 590) zahlreiche Schaaren junger Missionare nach dem (Sontinent
hinüber. Ihr eigenthümlicher Wandertrieb und ihr christlicher Eifer
wirkte zusammen, daß sie vor den schweren Verleugnungen und den
Todesgefahren, denen ihr Missionslauf sie entgegenführte, nicht zurück-
schreckten.
§. 2. Irische Heidenboten und ihre Klöster.
Aus Irland also, aus dem grünen Erin, aus der Insel der
Heiligen kamen die ersten glaubenseifrigen Boten hinüber in das
Frankenreich und dessen halb oder ganz heidnisch gewordene Nach-
barländer. Nicht einer, nicht zwei, oder drei, sondern gruppenweise
kamen sie, ihrer zwölf oder mehr junge Mönche unter der Führung
eines erfahrenen und eifrigen Priesters oder Abts. Die ließen sich
hie und da an unfruchtbaren, abschreckenden Orten mitten unter einer
verwahrlosten Bevölkerung nieder, predigten und bauten zugleich das
Land, lehrten Gottes Wort und zugleich allerlei Fertigkeiten und
Künste zur Erleichterung des äußern Lebens, und wirkten durch Un-
terricht und Seelsorge, durch das Beispiel strenger Arbeitsamkeit und
gottseligen Wandels weithin segensvoll unter dem wüsten Geschlechte.
So kam schon früher, vielleicht zu Chlodwig's Zeit Fridolin
nach Poitiers und dann nach dem Elsaß; kurz vor 600 kam der be-
rühmte Columbanus nach den Vogesen und erweckte durch die
Heiligkeit seines Wandels sehr viele Franken zur Nacheiferung. Un-
ter seiner Leitung entstanden weit und breit neue Stiftungen, Mosel
und Rhone auf und ab, am Jura entlang, in Luxemburg und in
Burgund. Durch den Haß des fränkischen Königsgeschlechts, na-
mentlich der gottlosen Brun eh ild, ward er zwar genöthigt, das Kran-
kenreich zu meiden, aber seine Stiftungen blieben. Er selbst begann
seine Wirksamkeit mit neuem Eifer in Alemannien, besonders in der
nördlichen Schweiz und zuletzt noch unter den arianischen Longobar-
den im nördlichen Italien, wo er auch gestorben ist. In seinem Geiste
wirkten auch seine Schüler: Gallus, von dem St. Gallen in der
Schweiz noch heute seinen Namen trägt, Magnus und Theodor
in Kempten und Füssen und im ganzen Algäu, andere in Bayern, in
Schwaben. Ueberall verbreitete sich am Lech, am Neckar, am Boden-
•) Es war das ein Act dankbarer Vergeltung. Denn von dem südlichen
Schottland war ein Jahrhundert früher der heilige Patricius gekommen,
der Apostel Irlands, der noch jetzt von der dortigen Bevölkerung hoch
verehrt wird.
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Extrahierte Personennamen: Fridolin Gallus Magnus Magnus Theodor Apostel