Xxiii. Napoleon Kaiser.
331
in seiner Familie erblich zu machen. Nicht als ob ihn dies vor
persönlicher Gefahr geschützt hätte, obschon, wie der Dichter sagt,
eine Gottheit einen König umschirmt: aber es verringerte die Ver-
suchung zu dem Unternehmen und minderte die Unruhen des Publi-
kums, insofern für einen Nachfolger gesorgt war. Die große Mehr-
heit der Franzosen waren mit dem zufrieden, was durch die Revolu-
tion gewonnen worden war, und wünschte nicht, daß es abermals
aus dem sicheren Hafen, worin es sich geborgen, auslaufe, um neuen
Stürmen und Untiefen zu begegnen. Die alte, republikanische Par-
tei leistete etwas Widerstand: die zurückgekehrten Emigranten zeigten
hinwieder großen Eifer dafür, er mochte nun wahr oder geheuchelt
sein. Fouché bearbeitete den Senat und die Männer der Revolution,
und wurde daher wieder an die Spitze der Polizei gestellt, deren
abermalige Einführung aus Besorgniß, es möchten bei dieser Gele-
genheit wieder frische Unruhen ausbrechcn, für nöthig erachtet hatte.
Die Armee gab, wie es natürlich war, den ersten Impuls, denn ihr
konnte die Uebersetzung des Titel imperator in empereur nicht schwer
fallen. Alle Volksklassen folgten dem einmal gegebenen Beispiele,
selbst die unbekanntesten Dorfschaften sandten Adressen ein, und der
erste Konsul erhielt deren ganze Wagenladungen. Ein Register für
die Einzeichnung der Stimmen für oder gegen wurde in jedem Kirch-
spiel Frankreichs, von Antwerpen bis Perpignan, und von Brest bis
zum Mont Cenis eröffnet. Der proces-verbal aller dieser Voten
wurde in den Archiven des Senates niedergelegt, die in corpore von
Paris nach St. Cloud ging, um selben den ersten Konsul mitzuthei-
len. Der zweite Konsul Cambaceres las eine Rede ab, welche mit
einem Summarium der Stimmen schloß, worauf er Napoleon Buo-
naparte mit lauter Stimme als Kaiser der Franzosen proelamirte.
Die Senatoren, welche in Fronte vor ihm aufgestellt waren, wett-
eiferten miteinander in dem Rufe Vive l’Empereur! und kehrten nach
Paris, wo man bereits Epitaphe auf die Republik machte, mit al-
len äußern Zeichen der Freude zurück. Glücklich wer sich durch Grab-
schriften auf die Todten über ihren Verlust trösten kann. Das war
die rechte Zeit, ihm Widerstand zu leisten, und seiner Macht und
seinem Ehrgeiz Grenzen zu setzen, nicht aber als er vom Unglück ver-
folgt aus Rußland zurückkam. Aber in dem Charakter dieser Men-
schen lag es nun einmal, zu kriechen, wenn Muth nöthig war, und
ihn zu zeigen, so wie er ihm und ihnen selbst Gefahr brachte.
TM Hauptwörter (50): [T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T63: [Jahr Senat Plebejer Gesetz Volk Recht Staat Bürger Gewalt Rom], T66: [Geschichte Iii Vgl Nr. Aufl Gesch Lesebuch Bild fig deutsch]]
TM Hauptwörter (200): [T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
Extrahierte Personennamen: Napoleon Fouché Cambaceres Napoleon Muth
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Antwerpen Perpignan Brest Paris Paris
326
Xxii. Französische Revolution.
zu entscheiden, was er ohne sie hätte entscheiden sollen. Necker ver-
stand es nicht, den Streit dadurch zu vermeiden, daß er im Voraus
alle Schwierigkeiten beseitigte. Er benutzte sein Antragörecht zur
Verdoppelung des dritten Standes nicht, wie er es nachmals nicht
zur Abstimmung nach Ständen oder nach Köpfen benutzte. Als die
Reichsstände versammelt waren, wurde die Lösung dieser zweiten
Frage, von welcher das Schicksal der Regierung, wie des Volkes
abhing, der Gewalt überlassen.
Wie dem auch sein mag, Necker ließ die Verdoppelung des drit-
ten Standes durch den Staatsrath annehmen, da er die Notablen
nicht dazu bewegen konnte. Die königliche Erklärung vom 27. No-
vember bestimmte, daß die Zahl der Abgeordneten zu den Neichs-
ständen mindestens tausend, die Deputirten de6 dritten Standes aber
an Zahl denen des Adels und der Geistlichkeit zusammengenommen
gleich sein sollten. Necker erlangte noch außerdem die Zulassung der
Pfarrer in die ständische Repräsentation der Geistlichkeit und der
Protestanten in die des dritten Standes. Die Amtsversammlungen
wurden zu den Wahlen berufen; Jeder bemühte sich, Leute von sei-
ner Partei zur Wahl zu bringen und die Jnstruetionen für die De-
putirten in seinem Sinne abfassen zu lassen. Das Parlament hatte
wenig Einfluß auf die Wahlen, der Hof gar keinen. Der Adel
wählte einige populäre Deputirte, aber die Mehrzahl war den In-
teressen ihres Standes ergeben und dem dritten Stande eben so feind,
wie die Oligarchie der großen Familien bei Hofe. Die Geistlichkeit
ernannte Bischöfe und Aebte, welche den Privilegien, und Pfarrer,
welche der Sache des Volkes, als der ihrigen, anhingen; der dritte
Stand endlich wählte aufgeklärte, feste und in ihren Wünschen ein-
stimmige Männer. Die Vertretung des Adels bestand aus zwei-
hundert und zweiuudvierzig Edelleuten und aus achtundvierzig Mit-
gliedern des Parlaments; die der Geistlichkeit ans achtundvierzig
Erzbischöfen und Bischöfen, aus fünfunddreißig Aebten und Dechan-
ten und zweihundert und acht Pfarrern; die des dritten Standes end-
lich aus zwei Geistlichen, zwölf Edelleuten, achtzehn Stadträlhen,
zweihundert Mitgliedern der Oberämter, zweihundert und zwölf Ad-
vokaten, sechzehn Aerzten, und zweihundert und sechzehn Kaufleuten
und Landwirthen. Die Eröffnung der Reichsstände ward auf den
5. Mai 1769 festgesetzt.
So wurde die Revolution herbeigeführt; der Hof versuchte ver-
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T21: [Erde Sonne Tag Jahr Mond Zeit Stunde Punkt Abschnitt Periode]]
TM Hauptwörter (100): [T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T30: [Periode Abschnitt erster zweiter Zeitraum dritter Jahr Kapitel Sonne Planet], T63: [Jahr Senat Plebejer Gesetz Volk Recht Staat Bürger Gewalt Rom]]
TM Hauptwörter (200): [T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T8: [Abschnitt erster Periode zweiter Zeitraum dritter Kap Buch Kapitel vierter]]
Xxii!. Napoleon Kaiser.
339
Städte gekommen war, um von Genua Besitz zu nehmen, kehrte er
über Fontainebleau nach Paris zurück, und eilte nach der Küste, um
von dem Mißlingen einer Reihe von Berechnungen Zeuge zu sein,
welche wegen der Zahl der Glieder, ans denen sie bestanden, fast
unausbleiblich zu Wasser werden mußten. Alles war zu jener Zeit
so weit bereit, daß man nur das Zeichen zur Einschiffung erwartete,
dieses kam aber nie. Ereignisse anderer Art öffneten seinem Unter-
nehmungsgeiste und Ehrgeize eine neue Laufbahn, wenn anders das
Zurückweisen eines herausgeforderten und unerwarteten Angriffs Ehr-
geiz heißen kann.
Bevor wir jedoch hierauf übergehen, dürfte es nicht unange-
messen sein, einige Partikularitäten über Napoleons Lebensweise zu
dieser Epoche zu geben.
Jeden Morgen um neun Uhr kam der Kaiser regelmäßig aus
dem Innern seiner Gemächer, für den Tag gekleidet. Die obersten
Chargen seines Haushaltes wurden zuerst vorgelassen, und Napoleon
gab ihnen seine Befehle für den Tag. Dann wurden die graiitfs
entrées eingeführt, welche aus Personen vom höchsten Range be-
standen, welche zu diesen Vorrechten entweder durch die Aemter oder
durch besondere Gunst berufen waren. Dieses Vorrecht wurde zu
jener Zeit als die größte Auszeichnung, die ein Mensch erlangen
konnte, betrachtet. Napoleon redete jeden der Anwesenden an und
hörte gütig mis Alles, was man ihm sagte. Nachdem er die Runde
gemacht hatte, verneigte er sich, und Jedermann zog sich zurück.
Wenn jedoch Jemand eine besondere Bitte an ihn zu richten hatte,
blieb er einige Minuten, nachdem die anderen fortgegangen waren,
mit ihm allein. Eine halbe Stunde nach neun Uhr wurde das Früh-
stück aufgetragen. Der Prüftet des Palastes meldete es ihm, und
ging ihm nach dem Salon voran, wo gefrühstückt wurde, wo er und
der erste Haushofmeister, welche alle einzelnen Dienste verrichtete,
allein zugegen waren. Napoleon frühstückte an einem kleinen Tische
von Mahagoniholz. Der Präfeet deö Palastes stand, mit dem Hute
unter dem Arm, neben dem kleinen Tische. Da der Kaiser so mäßig
war, als nur je ein Mensch, dauerte das Frühstück häufig nicht län-
ger als acht bis zehn Minuten. Wenn er jedoch Neigung fühlte,
sich gehen zu lassen, wie er zuweilen lachend zu sagen pflegte, dann
dauerte das Frühstück lange genug, und nichts konnte die Heiterkeit
und Anmuth übertreffen. Seine Ausdrücke trafen stets das Ziel, und
22*
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleons Napoleon Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Genua Fontainebleau Paris Napoleons Mahagoniholz
70
Griechenland.
verschiedenen, sich selbst regierenden Ortschaften gelebt. Er aber hob
die Rathversammlungen und Regierungen in allen attischen Städten,
Athen ausgenommen, auf, und errichtete in der letztem Stadt einen
gemeinschaftlichen Rath und einen gemeinschaftlichen Gerichtshof für
ganz Attika. So zwang er die Einwohner von Attika, Athen als
die einzige Stadt anzusehen, und da sie nun alle ihre Abgaben dahin
lieferten, übergab er den Nachkommen Athen als eine bedeutende
Stadt. Ueberdies befreiete er die Athener von dem Tribute, welchen
sie dem Könige Minos von Kreta geben mußten. Einer seiner Nach-
folger, Menestheus, führte die Athener in dem trojanischen Kriege
an. Auch der Name des letzten attischen Königs ward sehr gefeiert.
„Als einst," erzählt die Sage, „die Athener von den Spartanern
hart bedrängt wurden, ward ein Orakel Apoll's bekannt, welches der-
jenigen Partei den Sieg versprach, deren Feldherr von Feindeshänden
fallen würde. Der König von Athen beschloß den Göttersprnch in
Erfüllung zu bringen, vertauschte sein königliches Gewand gegen ein
Hirtenkleid, schlich sich unerkannt in das feindliche Lager, fing hier
vorsätzlich Streit an und ward erschlagen (1068 v. Ehr.). Durch
diese That gewann Kodrnö die Unsterblichkeit, und Athen den Sieg."
Hierauf ward, wie in anderen griechischen Staaten, so auch in
Attika, das Königthnm aufgehoben. Medon, Kodrns Sohn, wurde
nur zum Archonten gewählt. Doch war mehr der Name, als die
Sache geändert. Auch die Archonten übten königliche Macht, ihre
Würde war lebenslänglich und erblich, und nur darin von der könig-
lichen verschieden, daß die Archonten über ihre Verwaltung Rechen-
schaft schuldig waren. Ueber drei Jahrhunderte (1068 — 752 v. Ehr.)
dauerte die Regierung der beständigen Archonten. Indessen strebten
die Großen mehr und mehr nach der Theilnahme an der Herrschaft
und bewirkten endlich, daß statt der lebenslänglichen Archonten im
Jahre 752 v. Ehr. zehnjährige eingeführt wurden. Ihrer regierten
sieben, und nur die vier ersten waren aus Kodrns Familie. Endlich,
seit dem Jahre 682 v. Ehr., wurden alle Jahre neue Archonten
gewählt.
Wie aber in Rom auf die Abschaffung des Königthums eine harte
Herrschaft der Großen folgte, so auch in Attika. Die Archonten, so
wie die Mitglieder des Areopagnö wurden nur ans den Großen ge-
wählt, und die Partei der ärmeren Bürger war ganz der Willkühr
der Großen preisgegeben.
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Athen.
71
Bald nach Vollendung der aristokratischen Verfassung verlangte da-
her das Volk geschriebene Gesetze. Der Archont Drako erhielt um
622 v. Chr. den Auftrag zur Verfassung derselben. Aber seine Ge-
setze waren zu strenge, als daß sie angewendet werden konnten. Alle
Vergehungen, selbst die geringem, sollten mit dem Tode oder ewiger
Verbannung gestraft werden.
Einige Jahrzehende später (598 v. Chr.) wollte Cylon, ein Athener
aus einem alten und mächtigen Geschlechte, sich zum Tyrannen Athen's
aufwerfen. Auch bemächtigte er sich, unterstützt voit seinem Schwieger-
vater, Theagenes, dem Tyrannen von Megara, wirklich der Burg
von Athen. Doch das Volk belagerte ihn, er selbst entfloh, aber
seine Anhänger, ob sie wohl ihre Zuflucht zu den Altären der Götter
genommen hatten, wurden auf Befehl des Archonten Megacles, welcher
das Haupt der Partei der Vornehmen und des Hauses der Alcmäo-
niden war, ermordet. Allein durch diesen Mord zog Megacles im
Glauben der Athener die Rache der Götter über sein Hans und über
Athen. Fortwährend haftete diese Schuld auf den Alcinäoniden; die
Stadt aber reinigte Epimenideö, ein berühmter Seher aus Kreta,
durch mannigfaltige, heilige Gebräuche, so wie er durch treffliche An-
stalten einer neuen Gesetzgebung vorarbeitete.
Bald hierauf erhielt Athen (um 594 v. Chr.) die berühmten, uns
jedoch keineswegs vollständig bekannten Gesetze Solonö.
Solon war von der Familie des verehrten Kodrus$ er war ein
weiser, redlicher Mann, von erprobter Rechtschaffenheit, der seinem
Vaterlande bei kriegerischen Vorfallenheiten treffliche Dienste geleistet
hatte, und in vielen und wichtigen Verbindungen stand.
Zuvörderst half Solon den Armen. Die Nachrichten aber über die
Art, wie er dies bewirkte, siud verschieden. So viel indessen ist ge-
wiß, daß er es endlich dahin brachte, daß beide Parteien, die Reichen,
wie die Armen, sich zu einem gemeinschaftlichen Opfer vereinigten,
welches Seisachtheia genannt wurde. Es ist nicht wahrscheinlich, daß
dies durch eine gänzliche Vernichtung der Schulden geschah, sondern
nur durch Verminderung der Zinsen, durch Vortheile, welche man den
Schuldnern durch veränderten Werth des Geldes gab, und vorzüglich
dadurch, daß man dem Gläubiger alle Macht über die Person des
Schuldners und seiner Familie nahm.
Hierauf entwarf Solon eine Verfassung, welche die verhaßte Ueber-
macht der Großen vernichten, und ein Gleichgewicht zwischen deil
TM Hauptwörter (50): [T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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72
Griechenland.
verschiedenen Ständen des Staates begründen sollte. Er machte eine
neue Eintheilnng des Volkes in vier Klassen, welche blos nach dem
Werthe de§ Eigenthums bestimmt wurden. Die erste Klasse bildeten
diejenigen, bereu Grundstücke jährlich an Korn, Oel und andern Er-
zeugnissen fünfhundert attische Maß lservorbrachten; die zweite Klasse
die, deren jährlicher Güterertrag dreihundert Medimnen ausmachte.
Beide Klassen waren vom Dienste der Flotte und des Fußvolks, außer
wenn sie ausdrücklich dazu befehligt waren, frei; aber sie waren ver-
bunden, dem Staat ein Pferd zu halten und bei der Reiterei 'zu
dienen, daher Ritter. Die dritte Klasse bestand aus solchen, deren
Güter zweihundert Medimnen eintrugen, diese waren verpflichtet, bei
dem Fußvolk unter den Schwerbewaffneten zu dienen und dazu mit
vollständiger Rüstung versehen zu sein. Die übrigen Bürger, deren
Ländereien weniger als zweihundert Medimnen eintrugen, begriff man
unter dem Namen Thates (Capite censi), welche, wenn sie mit
gehöriger Rüstung versehen waren, die Macht der Schwerbewaffneten
vermehren konnten, sonst aber unter den Leichtbewaffneten dienen muß-
ten. Die hohen Magistrate sollten mit Personen aus den drei ersten
Klassen besetzt werden, weil kein Sold bezahlt wurde. Die Wahl
dieser Magistrate kam aber auch der vierten Klasse zu. Auch wählte
Solon die Richter aus dieser Klasse, und gestand den Mitgliedern
derselben die gleiche Stimme jedes freien Mannes in den Volksver-
sammlungen zu; ja, indem Solon einem Jeden, der gewisse Einkünfte
hatte, den Zutritt zu den höchsten Würden gestattete, benahm er keinem
Armen die Hoffnung, sich auch einst bis dahin erheben zu können.
Die Staatsverwaltung theilte Solon zwischen dem Senat, den
Volksversammlungen, den Archonten und Areopagiten. Der Senat:
Er bestand aus vierhundert, späterhin aus fünfhundert Personen. Die
Mitglieder desselben wurden jährlich durch das Loos aus den drei
ersten Klassen gewählt. Vor ihrer Aufnahme ging aber immer eine
strenge Prüfung vorher. Dieser Senat bildete den Staatsrath der
Republik und führte beständig Aufsicht über ihre politischen Angelegen-
heiten. Auch war es ein wichtiges Geschäft desselben, die Sachen für
die Volksversammlung vorzubereiten, denn in dieser sollte nach Solon's
Verordnung Nichts unvorbereitet vorgetragen werden. Die Volksver-
sammlung, Wahl der Magistrate, Bestätigung der Gesetze, die öffent-
lichen Gerichte und Berathungen über alle öffentlichen Angelegenheiten,
welche der Senat vor sie brachte, kamen ihr zu. Hier galt die Stimme
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
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Athen.
73
des Armen eben so viel, als die des Reichen. Einzig Stimmenmehr-
zahl entschied. Archonten und Areopagiten. Den Areopagiten kam
die Strafgerichtsbarkeit mit der Aufsicht über die Sitten zu; die Ar-
chonten beschäftigten sich mit der bürgerlichen Rechtspflege. Jener
ehrwürdige Gerichtshof, der Areopag, welcher vielleicht schon unter
Kekrops errichtet worden war, wurde aufs Neue von Solon bestätigt.
Dieser Gerichtshof entschied über Leben und Tod. Sein Einspruch
machte jedes Nrtheil ungültig; er konnte unordentliche und unthätige
Bürger unangeklagt richten, und eines seiner wichtigsten Geschäfte war
die Aufsicht über Religion und Erziehung.
Zwischen diesen verschiedenen Gewalten errichtete der Gesetzgeber ein
sehr kunstvolles Gleichgewicht. Der Zutritt der reicheren Bürger zu
den höheren Würden war nicht ohne Beschränkungen. Die Ehre war
unmittelbar mit einer Last verbunden. Die höchsten Ehrenstellen wur-
den nur auf ein Jahr vergeben. Nur die Areopagiten behielten ihre
Stelle lebenslang, aber grade sie wurden aus den bewährtesten Män-
nern des Volkes gewählt. Für den Bürger, der des Versuchs, sich
die höchste Gewalt im Staate zu verschaffen, überfiihrt ward, erkannte
das Gesetz beit Tod. Aber auch die große Macht der Volksversamm-
lung war nicht ohne Beschränkung. Diese Versammlungen standen
unter der Leitung der höchsten Staatsbeamten. Ferner wurde jeder
als Verbrecher betrachtet, der bei bürgerlichen Unruhen keine Partei
nahm. Endlich der Areopag konnte die Beschlüsse der Volksversamm-
lung untersuchen und vernichten.
Aber auch für das Verhalten der Einzelnen gab Solon weise Ge-
setze. Ehescheidungen erlaubte er nur in gewissen Fällen, und seine
Gesetze sorgten überhaupt dafür, daß das eheliche Verhältniß, diese
Grundlage der öffentlichen Glückseligkeit, heilig gehalten wurde. Die
Erziehung der Kinder sollte nicht von der Willkühr der Eltern abhan-
gen, aber Solon bestimmte nicht eine Erziehung für Alle; auch sorgte
er eben so weise für die Bildung des Geistes und des Herzens, als
für die Bildung des Leibes. Vornehmlich aber sollte der Müßiggang,
die Quelle der Armuth und des Lasters, aus Attika verbannt werden.
Daher kam es dem Areopag zu, zu untersuchen, wovon Jeder sich
nährte, und die Müßiggänger zu bestrafen. Der Sohn aber wckr zur
Verpstegung des alten Vaters nur dann verpflichtet, wenn dieser ihn
eine Kunst hatte lernen lassen.
So vortrefflich auch die Gesetze Solons waren, so hatte er doch
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Staatsversassung in Spartn.
107
Die Spartaner ließen, als sie in Lakonien die Herrschaft gründeten,
ihre alte Naturverfassung unter dreißig Stammhäuptern, eines als
Erbfürst an der Spitze, bald hinter sich. Da sie das Land mit dem
Speer gewannen und die Herrschaft für sich allein behalten wollten,
so trat der Schwerpunkt ihrer Verfassung ganz in die Aristokratie, wie
sie auch unter sich die Elemente mischen mochten. Denn blieb auch
das Königthum, war auch Jeder im Volk, der das Alter und die
Schule hatte, zur Gleichheit und Mitregierung berufen; dieses Volk
machte kaum den zehnten Theil der Bevölkerung aus. Neuntausend
dorische Gutsbesitzer, in einem Bezirk beisammen, herrschten als ein
Kastenadel aus der Stadt der Sieger über dreißigtausend unberechtigte,
doch freie Hufner des übrigen Gebietes, und über ein paarmal hundert-
tausend Leibeigene, die ebenfalls griechisches Blut hatten.
Und auch im Volk der Herrscher erhielt die Aristokratie das Ueber-
gewicht. Die Regierung lag in den Händen des Raths der Alten,
von dreißig, weil der spartanischen Stämme so viele waren, aus drei
Hauptstämmen abgeleitet. Den Altenrath ergänzte die Volksversamm-
lung ans der Zahl mindestens sechzigjähriger Männer, wie einer ab-
starb. Auch die peinliche Gerichtsbarkeit stand nebst der Sittenaufsicht
bei diesem, ohne alle Verantwortlichkeit der Greise.
Volksversammlung, das heißt Spartaner-Versammlung, gab es
selten. Nur einmal jeden Vollmond traf sie zusammen und entschied
über Veränderungen in den Gesetzen, welche die Regierung vorlegte,
mit Ja und Nein. Sie wählte den Rath, und als Ephoren wurden
auch diese, und beschloß über Krieg und Frieden.
Der monarchische Theil der Verfassung erfuhr ein widriges Schick-
sal. Das uralte Königthum ward gleich nach der Eroberung durch
Theilung geschwächt. Zwei meist uneinige Königshäuser. Der Ver-
such lag nahe genug für einen ächten Herrscher nach dem Beispiel
anderer dorischer Staaten durch Niederreißung der Schranke, welche
zwischen der freien Bevölkerung trennend stand, den Thron wiederher-
zustellen. Dennoch ist gerade das Gegenthcil geschehen. Die Sprossen
des Herakles, die das Ohr der delphischen Gottheit waren, hatten
als erbliche Senatoren, Vorsteher im Senat und in der Volksversamm-
lung, Verwalter von zwei Priesterthümern, Richter in Familiensachen,
in der Heimath nur geringen Antheil an der Regierung, blos als
Kriegsfürsten, wenn es draußen galt, waren sie Herrscher, bis man
ihnen im Fortgang der Zeit die Feldherrnwürde durch Beaufsichtigung
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König]]
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Staatsverfassung in Sparta.
109
vortreffliche Ausführung derselben war es, welche bei Lösung ihrer
Aufgabe, innerhalb des einmal gezogenen Kreises der Herrscher die
Sitten keuscher, den Gehorsam unverbrüchlicher und die Ehre der
Götter allgemeiner erhielt, als sonst wo in Hellas. „Es sind viele
Theile der Tugend in diesem Kriegerleben," spricht Aristoteles. Der
Mensch ist aber mehr als Stärke und geregelte Sitte.
Ein Versuch des Königthnms sich wiederherzustellen, machte vier
Menschenalter nach Lykurg der fast Alleinherrschaft der Greise ein
Ende und rief das Ephorat hervor. Fünf Männer ans den Aus-
erzogenen des Volks, ohne weitere Beschränkung wählbar, sollten ein
Jahr lang Staatsanfseher sein, berechtigt, jeden Beamten vom Amte
zu entfernen, anzuklagen, gefangen zu setzen. Zu diesen Beamten ge-
hörten bald genug auch die Könige, welche vor ihnen, die sich vom
Sessel nicht erhoben, stehen mußten, in deren Hauswesen sie eindran-
gen, mit denen ihrer zwei ins Feld zogen, um auch dort, wie überall,
wenn sie gleich in Kriegssachen nichts einzureden hatten, der Regie-
rung wahrzunehmen, die sie vor Gericht ziehen und auf Strafe und
Tod anklagen durften. Freilich waren sie selber nach Verlauf des
Amtsjahrs für ihr Thun verantwortlich, zwar war in den schwersten
Fällen ihre rüstige Gewalt an den bedächtigen Willen der mitent-
scheidenden Greise. gebunden, die allein ihr Amt nicht zu fürchten
hatten; allein wo blieb ein Halt, wenn die Ephoren sogar politische
Träume haben, wenn sie alle acht Jahre die Götter wegen der Kö-
nige fragen, und wenn dann eine Sternschnuppe über den Nacht-
himmel fuhr, gegen sie verfahren durften? Die Negierung ward
oligarchisch.
Die Verfassung scheiterte am Ende an ihren Grundprincipien, der
Kastenherrschaft und der Armuth. Wer sich selbst beherrscht, darf nur
wollen, und er beherrscht auch Andere, und ein Wunder wäre es,
wenn man zuletzt nicht wollte. Als Sparta, im Besitze alter Vor-
standschaft in Hellas gekränkt, nach langer Zögerung sich dem Erobe-
rungstriebe hiugab, ward die Regierung inne, was das Geld für die
Herrschaft bedeute, und daß grobes Eisen für die Welt kein Geld sei.
Früher schon hatte man zu umgehen gesucht, jenseit der Gränze in
Arkadien, damit das Unheil nicht ins Land käme, Gold und Silber
heimlich untergebracht, hatte den Königen, wohl nicht um sie zu
ehren, das Geldsammeln nachgesehen, jetzt mußten die Periöken, allen-
falls auch die Spartaner Abgaben geben, rmd der Staat kaufte Geld
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T63: [Jahr Senat Plebejer Gesetz Volk Recht Staat Bürger Gewalt Rom], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T62: [Gericht Recht Gesetz Richter Jahr Volksversammlung Senat Plebejer Beamter König], T22: [Athen Athener Sparta Solon Spartaner Staat Jahr Stadt Krieg Mann], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat]]
112
Griechenland.
weisbar geworden sein, ehe man einem Edelmanne von Solon's
unparteiischer Weisheit die Ausgleichung der Wirren anvertrauen
mochte. Er gab Erleichterung im Schuldenwesen, verbesserte das
Privatrecht durch Abschaffung der Schuldknechtschaft, gab allen Bur-
gern das Recht in der Volksversammlung und in den gewöhnlichen
Gerichten, die von nun an ans dem Volk hervorgingen, zu stimmen.
Aber indem er neben dem Adelsrechte ein Recht der Gemeinden
aufrichtete, fehlte viel, daß er jenes vernichtet hätte. Er verstärkte
dein Areopag, der sich ans den Unbescholtenen der jährlich abgehenden
Archonten füllte, sein altes Straf- und Aufsichtsrecht, und daß die
Archonten-Stellen, und dadurch der Areopag in den Händen der
Reichen, mithin der Hauptsache nach für jetzt in des Adels Händen
blieben, war eine der beabsichtigten, nothwendigen Folgen seiner Thei-
lung des Volks in vier Vermögensklassen, nicht blos die billigere
Vertheilung der Staatsleistungen und die Steuerfreiheit der Armen.
Denn nur ein Mitglied der ersten Klasse war zum Archon wählbar,
und nur wer den drei ersten Klassen angehörte, war wählbar zum
Mitgliede des Raths, von nun an der Vierhundert. Freilich mußte
der jährliche Wechsel der Archonten und des Raths, der früher dem
Demos der Aristokraten gefallen konnte, weil er jedem von ihnen die
Aussicht, bald einzutreten, gab, jetzt vielmehr ihm Sorge erwecken.
Denn er kündigte von fern die nahende Demokratie an.
Die Volksversammlung wählte Archonten und Rathöpersonen aus
den erlaubten Klassen, und aus allen Klassen ohne Unterschied die
Geschworenen des Jahres, die jetzt als Appellationshof richteten,
wenn man von den Archonten an sie ging; die Entscheidung gab,
wie in Sparta, die einfache Stimmenmehrheit der Versammlung.
Ihrer Gewalt aber waren scharf bestimmte Gränzen angewiesen. Wie
sie überhaupt stets unter Vorsitz einer Abtheilung des Senats verhan-
delte, so durfte zwar jeder Bürger ans ein neues Gesetz antragen,
aber cs kam nicht zur Abstimmung ohne die vorherige Billigung des
Senats, und auch dann entschied nicht die ganze Volksversammlung
darüber, sondern ein Ausschuß derselben, lediglich aus denjenigen älte-
ren Bürgern zu erkiesen, welche jit Geschworenen des Jahres erwählt
waren (Nomotheten, mindestens fünfhundert). Sonach übten Senat
und Nomotheten die gesetzgebende Gewalt, in sofern der Areopag nicht
einsprach; die Volksversammlung war auf vorübergehende Beschlüsse
auf dem Grunde der bestehenden Gesetze beschränkt.
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