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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
62 Standes- und Besitzesverhältnisse. Die ersten Ansänge des tehnswesens.
gaben frei, die Römer von der Ehre des Waffendienstes ausgeschlossen, dagegen mit allerlei Steuern belastet; nun wurden die Römer auch zum Heeresdienst, dagegen die Franken auch zu der und jener Geld- und Naturalleistung herangezogen. Wohl mochten sie klagen, daß sie, „die zuvor freie Männer gewesen", Lasten übernehmen sollten, „die eines freien Mannes unwert",*) allein es half ihnen nichts. Das alles geschah weniger nach bestimmten allgemeinen Festsetzungen, als von Fall zu Fall, nach Willkür, eigenmächtig. Der ganze Umfang der Königsgewalt Chlodowechs und seiner Nachfolger beruhte weniger aus Recht, als aus Macht, und so geschah es freilich nicht selten, daß die, gegen welche biefe Gewalt sich richtete, sich derselben auch wieder in gewalttätiger Weise zu erwehren suchten. Die Geschichte keines andern Königshauses ist wohl so reich, wie die der Mero-vinger, ein Erzählungen von der Ermordung von Königen.
Kapitel
Standes- und Kesihesverhältnijfe. Die ersten Anfänge des Lehnswesens.
der Verwandlung der republikanischen Verfassung der germanischen Urzeit in eine streng monarchische, wie sie im Frankenreich stattfand, ward auch die ganze Gesellschaftsordnung eine andere. Früher waren alle freie Volksgenossen einander gleich gewesen: auch soweit es einen Adel und Fürsten oder Häuptlinge gegeben, hatte deren höherer Rang doch nur aus der höheren Schätzung durch die Volksgenossen beruht; an die Stelle dieser letzteren trat jetzt der König. Wen dieser auszeichnete, der, und der allein, erhob sich über die andern. Der Dienst des Königs adelte, gleichviel ob es ein Dienst um die Person des Königs oder in dessen kriegerischem Gefolge war. Ja schon derjenige hatte einen höheren Rang, den nur der König seines näheren Umgangs würdigte. Aus die Verletzung oder gar Tötung eines „Getreuen" oder „Tischgenossen" des Königs, oder eines königlichen Beamten (Herzogs, Grasen, Vieegrasen), war eine höhere Buße („Wergelb") gesetzt, als aus die eines gewöhnlichen Freien. Das Wergelb eines solchen Königsmannes, wenn er zugleich
*) Gregor a. a. O., 2. Bd. S. 119.
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Recht und Gericht.
Das älteste dieser Volksrechte ist das der Salsranken, die Lex Salica. Es scheint entstanden, bald nachdem die Salsranken sich auf römischem Boden festgesetzt, also im 5. Jahrhundert, noch vor der Begründung des fränkischen Reiches durch Chlodowech. Wie die Einleitung zur Lex Salica besagt, betrauten die Franken mit der Ab-sassnng dieses Rechtsbnches einige ihrer Vornehmen. Die eine Handschrift spricht von zwei, andere von sechs, eine dritte von vier solchen; nach letzterer hießen dieselben Wisogastis, Bodogastis, Saligastis und Widogastis. Diese berieten „an drei Malbergen" alles sorgfältig und brachten so das Gesetz zu stände. Später erhielt dasselbe (durch Chlodowech und andere Könige) mancherlei Zusätze, worin den neuer? dings wieder veränderten Verhältnissen Rechnung getragen, insbesondere auf Vergehen gegen die Diener oder Getreuen des Königs Strafen gesetzt wurden. Die erste Abfassung der Lex Salica enthält 65 §§, eine spätere 99. Im 6. Jahrhundert entstanden die Gesetzbücher der rechtsrheinischen Franken, der Alemannen, der Burgunder, im 8. das bojoarische, noch später die der Thüringer, der Sachsen und der Friesen. Da im fränkischen Reiche der Grundsatz galt, daß jeder Genosse eines Stammes nach seinen Stammesrechten gerichtet werden mußte, so haben die Volksrechte der im fränkischen Reiche vereinigten Stämme eine hervorragende Bedeutung. Sie find zugleich wichtige Quellen für die Kenntnis des wirtschaftlichen und sittlichen Lebens dieser Stämme. Auch Langobarden und Gothen hatten ihre Volks-rechte, die mit ihnen abstarben.
Ju den Volksrechten ward vorwiegend wohl das schon in Kraft bestehende herkömmliche Recht ausgezeichnet, jedoch auch manche Bestimmung getroffen, welche sich auf die neuen Verhältnisse bezog. Die meisten und wichtigsten Bestimmungen der Volksrechte sind strafrechtlicher Natur: sie zählen die Vergehen und Verbrechen auf, welche mit Strafe bedroht sind, und bestimmen die betreffende Strafe. Andere als Geldstrafen kommen im falifchen Gesetzbuch nicht vor, aber es sind daselbst auch nur Vergehen und Verbrechen gegen Privatpersonen verzeichnet; von öffentlichen Verbrechen wie Landes- oder Hochverrat ist nicht die Rede. Die Verleitung eines Richters zu einer ungesetzlichen Handlung und die Weigerung des Richters, Recht zu sprechen, werden, wie es scheint, nicht als öffentliche Vergehen betrachtet, daher auch nur mit Geldstrafen belegt. Erst in späteren Volksrechten, z. B. dem alemannischen, ist auch der Fall vorgesehen,*) wo jemand „ein
*) §. 25 des alemannischen Gesetzbuches. Ähnlich in dem bajoarischen.
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Geistiges, sittliches, kirchliches Leben.
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der „Getreuen" des Königs), ist ungewiß. Übrigens kehrten sich bte Könige oft sehr wenig sowohl an bte Gerichtssormen, als an bte materiellen Bestimmungen der Volksrechte. Sie nahmen aus der römischen Gerichtspraxis bte Folter herüber, aus dem römischen Kaiserrecht bte Tobesstrase für Majestätsbeleibignngen, erbachten auch geschärfte Tobesstrasen, wie das Bauchaufschueibeu. Auf der aubern Seite würden dem Volksgericht je länger je mehr eine Meuge jener kleinen Freien entzogen, welche in irgenb einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem weltlichen ober geistlichen Großen stanben. Über seine Hörigen ober Hintersassen übte ein solcher eine Art von Schutzrecht (mun-dium). Daburch waren sie schon so ziemlich in seine Gewalt gegeben. Es lag nahe, daß über Streitigkeiten, bte zwischen ihm selbst und solchen Halb freien, ober zwischen biesert untereinander entstauben, der Herr eine Art von Schiedsrichter amt übte. Zwar konnte der Frei-geborne sich an das Volksgericht wenden, allein nur selten mochte er dies wagen. Dazu kam in späterer Zeit noch eine andere Einrichtung, welche je mehr und mehr auch eine Anzahl persönlich Freier dem Volksgericht entzog. Manche Könige erteilten erst kirchlichen Anstalten (Klöstern und Bistümern), dann wohl auch einzelnen weltlichen Großen das Recht, bte Insassen threr Güter vor Gericht zu vertreten. Man nannte bieg: Immunität. Bezog sich diese nun auch ursprünglich nur ans die wirklich Unfreien, fo warb sie boch wahrscheinlich ab und zu schon bamals auch auf die Freigeborenen, welche Hörige waren, angewenbet. Genug, es entstand bereits, wenn auch nur erst im Keime, jene Hof- oder Gutsgerichtsbarkeit, welche sich später zu der sog. Patrimonialgerichtsbarkeit herausgebilbet hat. Schon um 600 u. Chr. hatten sich viele solche „Hofgerichte" innerhalb der Volksober Grafengerichte eingenistet.
Neuntes Kapitel.
Geistiges^ sittliches, kirchliches Leben.
Du geistiger Beziehung stanben die fränkischen Sieger hinter den von ihnen besiegten Römern natürlich weit zurück, nnb es währte geraume Zeit, bis sie selbst ttttr- von ihnen zu lernen, geschweige mit ihnen zu wetteifern ansingen. Die geistlichen Anstalten, bamals beinahe die einzigen Stätten, wo einige Bilbung gepflegt würde, waren
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Geistiges, sittliches, kirchliches Leben.
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diesen die Beschützer ihres Glaubens und ihrer Kirche gegen die ketzerischen Arianer; sie mußten sich der Gunst des Königs und der Großen versichern, da sie sonst leicht mit ihrem reichen Kirchengut, bei der herrschenden Rechtsunsicherheit, Gefahr liefen, eine Beute der Stärkeren zu werden. So erklärt es sich, daß ein so frommer Mann wie Bischof Gregor die Siege Chlodowechs über seine Nebenkönige, Siege, die durch Verrat, Heimtücke, Gewaltthat, kurz, durch jede Art von Verbrechen erreicht waren, als „Wirkungen einer besonderen Gnade Gottes" preisen und dessen Handlungen als „Gott wohlgefällig“ rühmen konnte. Auch hielten viele Geistliche sich selbst von allerhand Ans-schweisnngen nicht frei. Gregor ist unbefangen genug, uns mehr als ein dergleichen Beispiel zu berichten. Da trieb ein Bischof öffentlich Wuchergeschäfte; ein anderer beging Raub an dem Gut feiner Pflegebefohlenen; ein dritter griff zum Schwert, um Rache an denen zu nehmen, die er haßte. Besonders berüchtigt waren zwei Bischöse, Polo-mus und Sagittarius. Sie hatten sogar Mordtaten begangen. Eine Synode entsetzte sie ihrer Pfründen, allein durch ihren Einfluß bei Hose gelangten sie wieder in den Besitz derselben. Das Asylrecht der Kirchen ward mißbraucht, um offenkundige Verbrecher der Strafe zu entziehen, und ein ander Mal wieder hinderte es nicht, daß im Gotteshause selbst ein Mord begangen wurde.
So griff unter den Franken im römischen Gallien eine immer wachsende Sittenlosigkeit um sich, die sich dann auch zum Teil ihren Stammesverwandten im alten Germanien mitteilte. Noch im fünften Jahrhundert hatten römische Schriftsteller an den Germanen jene selbe Reinheit des häuslichen und ehelichen Lebens gerühmt, die 4u0 Jahre früher die Bewunderung und den Neid eines Tacitns erregt hatte. Schon bald darauf aber „sinken die in die verpestete Atmosphäre des römischen Weltreichs eingedrungenen germanischen Stämme auf das sittliche Niveau des byzantinischen Lebens herab."*) „Zu der alten Roheit war die römische Liederlichkeit hinzugekommen, und die Geschichte der Merovinger ist voll von den widerlichsten Szenen jeder Art: ein merovingischer König ließ das kleine Kind seines Bruders am Bein ergreifen und ihm das Köpfchen an einem Stein zerschlagen; ein Bischof ließ einen Priester, der ihm lästig war, lebendig in einen Steinsarg schließen, in welchem schon eine Leiche verweste; ein vornehmer Mann sengte seinem Sklaven aus bloßer Laune mit einer Fackel das Fleisch von den Beuten."**) „Die Verwilderung, die
*) Nitzsch a. a. £)., 1. 23b, S. 153.
**) Kaufmann a. a. D., 2. Bd. S. 185. (®ie angeführten Beispiele sind aus Gregor entnommen).
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Extrahierte Personennamen: Gregor Gregor Gregor Gregor
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Übergang aus der Merovingifchen in die Karolingische Zeit.
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• enfes sich abermals der Regierungsgewalt bemächtigen. Da erhoben sich die australischen und bnrgundischen Großen und riefen Chlotar Ii. herbei, damit er, als letzter großjähriger männlicher Sproß der Herrscherfamilie, der Mißregierung Brunhildens ein Ende mache. Brunhilde ward ihm ausgeliefert; Chlotar ließ die siebzigjährige Greisin an den Schweif eines wilden Pferdes binden und so zu Tode schleifen; ihre Urenkel wurden mit ihr getötet.
So war von Anstrasien aus und, wie man wohl sagen darf, durch das dort vorwaltende noch unverdorbenere germanische Element ein Rückschlag gegen die maßlose Verderbnis des Merovingischen Königtums erfolgt. Die Großen blieben dabei nicht stehen, sondern zwangen Chlotar Ii. zu einer Beschränkung seiner Gewalt, zunächst allerdings in ihrem eigenen Interesse, aber doch auch zugleich im Interesse der öffentlichen Ordnung und des Rechtsschutzes Aller. Die Bischöfe sollten hinfort von der Geistlichkeit und vom Volk ihrer Sprengel gewählt, vom König nur bestätigt, Verbrechen der Geistlichen vor das Gericht des Bischofs verwiesen, Prozesse zwischen Angehörigen der Kirche und freien Gaugenossen von einem gemischten Gerichte aus Weltlichen und Geistlichen entschieden werden; der König sollte die Grasen aus Angesessenen des Gaues selbst nehmen; ungerechte Steuern und neue Zölle sollten in Wegfall kommen; endlich sollten die Leute des Königs dessen Schweine nicht in geistliche oder Privatforsten zur Mast treiben. Ferner mußte Chlotar Ii. seinen Sohn Dagobert zum Regenten Austrasiens ernennen, weil die austrasischen und burgun-b t sch eit Großen nicht von Neustrien aus regiert sein wollten, und er mußte die Fortbauer der Hausmeierwürbe bestätigen, als einer Schranke gegen Übergriffe der königlichen Gewalt.
Das Amt des Hausmeiers war ursprünglich ein bloßes Hofamt; der Hausmeier war der erste Palastbeamte des Königs. Jetzt würde bei’selbe eine Art Mitregent des Königs im Namen der Großen. Es war ein Glück sür das, durch die heillose Wirtschaft der Mero-binger sichtlich seiner Auslösung im Innern wie nach außen entgegen-geführte Frankenreich, daß dieses Amt der Hausmeier in die Hände eines Geschlechtes kam, welches einerseits die äußeren Mittel besaß, um sich einen nachhaltigen Einfluß zu sichern, andrerseits eine. Reihe tüchtiger Männer aus sich gebar, die diesen Einfluß im Interesse des Ganzen übten. Es war dies das Geschlecht der Pipine, einer alten, reichbegüterten und hochangesehenen Familie von echt germanischer Abstammung, deren ausgedehnte Besitzungen in den Ardennen lagen. Einem Mitgliede dieser Familie, Pipin von Landen (so zube-
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Karl der Große: seine kriegerische Tbätigkeit.
zu dem sogenannten „Kirchenstaat", welcher den Päpsten neben ihrer geistlichen auch eine weltliche Macht, als Landesherren, verlieh Seiner neuen Königswürde zeigte sich Pipin würdig: die Sachsen besiegte er zweimal und zwang sie zur Zahlung eines Tributs; die abermals in Südfrankreich eingefallenen Manren warf er nach Spanien zurück; gegen .den unbotmäßigen Herzog von Aquitanien, Waifar, führte er solange Krieg (teils persönlich, teils durch seinen Sohn Karl), bis derselbe von seinen eigenen Leuten ermordet und damit die Unterwerfung Aquitaniens von neuem besiegelt ward. Auch die Bayern zwang er, wenn schon nur vorübergehend, zum Gehorsam.
Diese vielen Anforderungen an seine kriegerische Thätigkeit ließen ihn zu einer eingreifenden gesetzgeberischen Wirksamkeit im Innern nicht kommen. Nur einige Verordnungen, zumeist sittenpolizeilichen Inhalts (z. B. über das Leben der Geistlichen), haben wir von ihm. Man hat Pipin für den Wiederhersteller des sog. „Mürzfeldes",
d- l)- der regelmäßigen Versammlungen der Großen, ausgegeben; allein
solche Versammlungen kommen, wenn nicht früher, doch sicherlich unter Karl Martell schon wieder vor. Nur soviel scheint richtig, daß Pipin sie vom März auf den Mai verlegte.
>zu seinen Kapitularien bezieht er sich stets aus Oie Zustimmung der Großen. Er mußte diese schonen, weil sein junger Thron wesentlich auf ihnen beruhte. Daher mag es auch kommen, daß Pipin nicht, wie vor ihm fein Vater und nach ihm fein großer Sohn Karl, beit Machtgelitften derselben zum schütz der Geringeren entgegentrat, eher sie auf deren Kosten bevorzugte.*)
Drittes Kapitel Karl der Große: seine kriegerische Thätigkeit.
^ipin der Kurze starb 768. Von seinen zwei Söhnen, Karl (geb. 742) und Karlmann, folgte ihm der letztere im Tode 771. Er Hinterließ zwei Knaben. Mit Übergehung dieser machte sich Karl unter Zustimmung der Großen zum Alleinherrscher. Die
*) So in dem merkwürdigen Kapitulare von 754, nach welchem eine Berufung vom Grafengericht an den König, außer bei Rechtsverweigerung, mit Prügelstrafe bedroht, betreffs der Vornehmeren aber eine Ausnahme gemacht wird.
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Karls des Großen Reformen im 6eer- und Gerichtswesen. v)5
fünftes Kapitel Karls des Großen Reformen im Heer- und Gerichtswesen.
Entsprechend seinem Grundsatz, die Lasten beit kleineren Freien möglichst zu erleichtern, Bedrückungen derselben durch die Großen nach Kräften abzustellen, führte Karl tiesgreisende Veränderungen im Heer-und Gerichtswesen ein. Schon unter den Merovingern war der Heeresdienst für die kleinen Freien eine immer drückendere Last geworden, eine so drückende, daß viele davon, um dieser Last zu entgehen, sich und ihr Gut an eine Kirche oder einen weltlichen Großen übergaben. Die langen und zum Teil in weiter Ferne geführten Kriege Karls des Großen hatten das Übel verschlimmert und damit der Unbilligkeit der Großen, welche diese Not der Ärmeren benutzten, um sie in ihren Dienst zu zwingen, nur uoch mehr Vorschub geleistet. So war es dahin gekommen, daß Karl der Große selbst von dem Zustand dieser Leute — jedenfalls aus Grund von Berichten seiner Sendboten — solgendes traurige Bild entwerfen mußte:*)
„Die Armen klagen, sie seien ihres Eigentums beraubt worden. Und zwar klagen sie auch über Bischöfe, Äbte und deren Sachwalter, über Grafen und Centenare (Unterbeamte der Grasen). Sie übergeben ihr Gut der Kirche nicht aus Frömmigkeit, sondern um dem Heerdienst oder einer andern Leistung für den König zu entgehen. Sie sagen „Wer sein Gut nicht einem Bischos, Abt, Grafen übergebe, an dem suchten diese Großen Gelegenheit, ihn zu verurteilen oder ihn immerfort ins Feld zu schicken, bis er, wollend oder nicht, sein Gut ihnen gebe; wer dies thue, der körnte ruhig zu Hanse sitzen."
Karl der Große, wohl einsehend, daß das bloße Verbot der sog. Kontmendationen, der Hingabe eines kleinen Freien in die Abhängigkeit von einem Großen oder einer Kirche (welches er übrigens wiederholte) nichts helfen werde, griff zu einem andern Mittel: er ermäßigte die Wehrpflicht und machte sie dadurch für den kleinen Freien wenigstens erträglicher. Er verordnete (allerdings erst nach Beendigung der Sachsenkriege, 8v3), daß nur derjenige wehrpflichtig sein solle, welcher mindestens vier Hufen (mansi) Land besitze. Von den weniger Besitzenden sollten mehrere zusammen einen Krieger stellen, so zwar,
I In dem Kapitulare von 811.
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Karls des Großen Maßregeln zu Gunsten der Landwirtschaft, ic.
und Unterhalt für sich zu gewinnen, Wälder ausroden und wüstes Land urbar machen, wogegen die nach Sachsen versetzten Kolonen aus den landwirtschaftlich schon vorgeschritteneren Teilen des Frankenreichs diese bessere Kultur nach dem Norden brachten.
Wie für die eigenen, gab Karl der Große auch Vorschriften für die Güter seiner Vasallen und für die der Kirche. Er wies deren Besitzer an, sie ordentlich zu halten und gedeihlich zu bewirtschaften (und er hatte dazu das Recht als oberster Lehnsherr); er wies sie ferner an, die auf ihren Gütern lebenden Unfreien zu schonen, für die arbeitsunfähigen Armen zu sorgen, Arbeitsscheue dagegen zur Arbeit anzuhalten. In Zeiten der Hungersnot (wie 805) kam Karl direkt den Armen dadurch zu Hülse, daß er höchste Preise für die Lebensmittel festsetzte und das Aufspeichern derselben in wucherischer Absicht verbot. Die Klöster und andere kirchliche Stiftungen wurden mit der Fürsorge für Arme und Kranke betraut.
Für den Verkehr that Karl ebenfalls manches, sowohl mittelbar, als unmittelbar. Seine wechselnden Residenzen mit ihrem zahlreichen Hofhält und mit der Menge der dabei zusammenströmenden Personen wurden wichtige Mittelpunkte eines lebhaften Handels und mannigfaltiger Gewerbthätigkeit. Die Grasen wies er an, für die Herstellung von Wegen, Dämmen, Brücken zu sorgen und die großen Grundbesitzer, sowie die Klöster, zu deren Instandhaltung zu befehligen. Dabei hielt er darauf, daß der Verkehr nicht durch allzu-lästige Wege-, Brücken- u. ct. Zölle beschwert werde. Auch sür die Sicherheit der Straßen und für den Schutz der Handeltreibenden mußten die Grafen sorgen. In den Städten mußten die Bischöfe Verkehrseinrichtungen treffen; dafür erhielten sie einen Anteil ein den Zöllen oder aber Zollfreiheit für die Waren ihrer Stadt in andern Teilen des Reichs. Selbst auf die Einfuhr von Waren ans fremden Ländern und auf den Vertrieb der heimischen Waren nach solchen erstreckte sich Karls Fürsorge. Durch die Besiegung der Avaren hatte er die untere Donau dem Handel geöffnet; um dieselbe mit dem Rhein 311 verbinden, begann er die Anlegung eines Kanals zwischen Donau und Main, der freilich unvollendet blieb.*) Für den Verkehr mit den Slawen bestimmte Karl gewisse Grenzorte, Bardewick, Magdeburg, Erfurt, wo besondere damit beauftragte Beamte den Handeltreibenden hilfreiche Hand leisten sollten. Sogar mit den Fürsten des
■') Dieser .ficutal ward neuerdings durch beit König Ludwig I. von Bayern ausgebaut, jedoch mich in unzulänglicher Weise.
Biedermann, Deutsche Volks- und Kulturgeschichte. I. 7
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22 Häusliches und Familienleben.
wurden diese, tote Taeitus berichtet, immer so bald als möglich außerhalb des Stammes verkauft. Offenbar schämte sich der freie Germane, einen Stammesgenossen, der eben erst noch seines gleichen gewesen^ alv seinen ^fsavcit zu behandeln. Gegenüber dem Ungehörigen eines anderen germanischen (Stammes aber, den er als Kriegsgesangenen zum Sklaven gemacht, empfand er nicht dieselbe Scheu ein Beweis, wie wenig die verschiedenen germanischen Stämme sich als blutsverwandt untereinander betrachteten.
!vzm allgemeinen hatten die L-klaven bei den Germanen sich einer besseren Behandlung zu erfreuen, als bei den Römern. Was bei letzteren nicht selten geschah, daß man die Sklaven aus bloßer Laune oder um kleiner Vergehen Nullen peitschte oder sonst wie grausam züchtigte, war der germanischen Sitte fremd. Dagegen kam es freilich vor, daß ein Herr im Zornseinen Sklaven tötete, und eine solche That blieb nngerügt."') Tie jungen Sklaven wuchsen unter demselben Dache (wie taeitus es ausdrückt: „in demselben Schmuze") mit den Kindern der Herrschaft auf, durch nichts von diesen unterschieden bis zum Alter der Mannbarkeit. Auch das zeugt von einem mehr patriarchalischen als despotischen Verhältnisse des Herrn zum Sklaven.
Glicht genug rühmen kanu taeitus die Sittenreinheit und Ehrbarkeit der Germanen im Punkte der ehelichen Verhältnisse-Vielweiberei kam nur als seltene Ausnahme vor, eigentlich nur als eine Art von Pruuk bei den Vornehmen oder als ein Mittel, um einflußreiche Verbindungen anzuknüpfen. So nahm Ariovist, als er in Gallien sich aufhielt, neben seiner ersten Gemahlin (die er, wie es scheint, in seiner alten Heimat zurückgelassen hatte), eine zweite, aus einem vornehmen gallischen Geschlechte. Verletzungen der ehelichen Treue wurden von der öffentlichen Sitte auss Strengste verurteilt. „Verführen und verführt werden", fagt Taeitus mit einem scharfen Seitenblick auf die in diesem Punkte so tief verderbten Sitten seiner römischen Landsleute, „gilt hier nicht als guter Ton". Die Frau zumal, die sich gegeu ihre Pflicht vergangen, verfiel der härtesten Strafe. Der beleidigte Gatte hatte das Recht, sic in Gegenwart ihrer Verwandten, ihrer Kleider beraubt und mit abgeschnittenem Haar, durch die ganze Dorfflur zu Peitschen. „Niemals", fügt Taeitus hin-
*) Noch in den späteren „Volksrechten" wird lediglich der Todschlag eines fremden Sklaven — als eine Eigentumsverletzung seines Herrn — mit Strafe und zwar bloß mit Geldstrafe bedroht; von dem Todschlag des eigenen Sklaven ist nicht die Nede. Der Sklave galt eben nicht als Person, sondern nur als Sache.
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
24 Ztandesverhältinsse: Freie und Unfreie, Adel, Fürsten, Könige, Priester.
begab er sich mit diesem zum nächsten Hanse, und beide waren bort bcr gleichen gastlichen Aufnahme sicher.
Für die Bestattung der Toten war zu der Zeit des Tacitns noch die Verbrennung die übliche Form. Bei Vornehmen wurde wohl das Leibpferd mit verbrannt; daß man den Sklaven das gleiche Schicksal bereitet habe, ist nicht erwiesen. Tie Asche ward in Urnen aufbewahrt. Solcher Urnen haben sich viele, teils einzelne, teils in Gruppen zusammengestellt, in alten Grabeshügeln gefunden. Das Begraben der Leichen scheint erst in der christlichen Zeit Sitte geworden zu sein.
Siebentes Kapitel.
Stnndesverhältnisse: Freie und Mitfmer iibeft Fürsten^ Königs Priester.
cd er echte Volksgenosse eines germanischen Stammes war einfreier und zugleich angesessener Mann, als solcher allen anderen Volksgenossen gleich und ebenbürtig. Unfrei waren nur die Sklaven, d. H. die Kriegsgefangenen, bic, welche ihre Freiheit verspielt hatten, und die Kinder von Sklaven oder auch von Sklaven und Freien, beim hier entschieb immer bcr niebrigere Stand.
In den seltenen Füllen, wo ein ein Sklaven die Freiheit geschenkt ward, erlangte ein solcher Freigelassener keineswegs sofort die Stellung eines vollbürtigen Stammesgenossen, denn zu dieser gehörte außer der persönlichen Freiheit auch noch ein freier Grnnbbesitz und bic Zubchörigkeit zu ciitcr freien Familie ober Sippschaft. Von einer anberen Mittelstufe zwischen Freien und Sklaven, als eben biescr bcr Freigelassenen, weiß Taeitus nichts. Möglich, daß schon damals jene Klasse der Halbfreien sich zu bilden anfing, bic später unter beut Namen Situs vorkommt und bic wohl teils aus solchen Freigelassenen bestaub, welche ans Mangel freien Eigentums noch immer ein Stiicf Grnnb und Boden ihrer früheren Herren bewirtschafteten, teils ans solchen von Haus aus Freien, die aus irgend welchem Grunde in ein ähnliches Abhängigkeitsverhültnis zu einem freien Grunbeigentnmer getreten waren. Eine sichere Spur von biescr Klasse bcr Halbfreien ober Litcn finbct sich vor bcr Völkcrwanbernng nicht.
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