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12. Kreis Notzenhausen.
Sein nördlicher Teil wird von dem schönen, gesegneten Werratale
durchschnitten, welches aus der rechten Seite die Höhen des Eichsfeldes
begleiten. Südlich der Werra finden sich Teile des Hessischen Berglandes:
der Kausungerwald, Hirschberg, Riedforst und der Westabhang des Meißner.
In fruchtbarer Gegend an der Werra hat die Kreisstadt Witzenhausen
ihre Lage. Dort zieht man im Tale viele Bohnen, an den Bergabhängen
Wein und Obst, namentlich Kirschen. Im Werratale sollen wie in vielen
andern Gegenden Hessens Zwerge, die Wichtelmännchen gehaust haben.
Ihr Name kommt von Wicht, welches soviel als Knirps heißt. Die Wichtel-
Männchen, Wichtel oder Erdmännchen waren in ihrer Gestalt den Menschen ähnlich,
jedoch nicht höher als eine Hand. Sie trugen Bergmannskleider. Ihre Wohnungen
lagen in der Erde, in Steinklippen und Höhlen. Man spricht in Hessen von Wichtel-
Häusern (Felsklippen) und von einer Wichtelkirche, d. i. ein wie eine Kirche geformter
Fels- Den Bösewichtern suchten die Wichtelmännchen stets zu schaden, den guten und
fleißigen Leuten halfen sie bei der Arbeit, und die Armen und Notleidenden versahen
sie mit Gold und Silber. Sie waren aber sehr empfindlich; wurden sie verletzt, so
verließen sie den Ort für immer.
»Auszug der Wichtel aus dem Burgberge bei Ermschwerdt.
Im Burgberge bei Ermschwerdt, eine Stunde unterhalb Witzenhausen, wohnte
vor alten Zeiten ein Wichtelvölklein, das lange daselbst sein Wesen trieb. Endlich
beschloß es, in das Gebirge der Werra überzusiedeln. Ein Abgesandter der Wichtel-
Männchen bestellte den Fährmann von Ermschwerdt, damit er in der Nacht das
Völkchen über die Werra setze. Um Mitternacht bewegte es sich unter Rauschen und
Flüstern vom Burgberge her der Fähre zu, voran das Männlein, das den Schiffer
bestellt hatte. Der Fährmann sah niemanden als das Männlein. Er bemerkte aber
ein Trappeln und Drängen im Nachen und ein unruhiges Bewegen, so daß der Kahn
tief in den Fluß hineinging. Da sprang das Männlein zu ihm hin, machte mit
Daumen und Zeigefinger einen Kreis und ließ den Schiffer hindurch sehen. Staunend
sah dieser jetzt sein Schiff ganz gedrängt voll kleiner Leute, schwer beladen mit Ge-
päck und zum Teil reitend auf kleinen Ziegen. Am andern Ufer angelangt, drängte
sich die Masse unruhig zum Schiff hinaus. Dem Fährmann aber, der seinen Hut
hinhielt, warf jeder etwas hinein. Er fuhr zurück und freute sich, daß sein Hut so
schwer geworden war. Als er aber hineinblickte, um zu sehen, was er bekommen, da
waren es lauter Kieselsteinchen. Unwillig schüttete er sie ins Wasser. Daheim erzählte
er seiner Frau, was ihm begegnet sei und griff zugleich in den Hut. Er fand aber
nur noch zwei Steinchen darin. Wie er diese bei Licht besah, da waren es Goldstücke.
Er eilte zwar schnell an die Stelle, wo er die andern ins Wasser geworfen, doch fand
sich von ihnen keine Spur mehr.
Von Witzenhausen auswärts liegt am rechten User der Werra in
freundlichem Talgrunde die Stadt Allendorf. In der Umgebung Pflanzt
man Tabak und Bohnen. Allendorf ist Gebnrtsstadt des Fabeldichters
Burkhard Waldis. Der gegenüberliegende Flecken Sooden hat ein altes
Salzwerk (Saline) und ist Solbad.
Die Wichtelmännchen.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner]]
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ein mit zwei wilden Rossen bespannter Wagen, und der alte Graf mit Weib und
Tochter nahm in demselben Platz. Der Bilsteiner trieb mit lautem Zuruf und Peuschen-
knall die Pferde an. Wenige Augenblicke darauf stürzte der Wagen in den schauer-
lichen Abgrund hinab. Menschen, Rosse und Wagen lagen zerschmettert am Boden.
14. Rreis Rotenburg.
Derselbe wird von dem meist engen und malerischen Fuldatale
durchschnitten, umfaßt das Richelsdorfer Gebirge und reicht bis zum Ring-
gau, Knüll und Seulingswald. Rotenburg, die Kreisstadt, hat eine schöne
Lage an der Fulda. Nördlich der Stadt erhebt sich der schöne Pyramiden-
förmige Alheimer. Weiter aufwärts an der Fulda liegt in geräumigem
Tale das Dorf Bebra, wo sich zwei wichtige Eisenbahnen kreuzen. In
dem großen Bahnhof herrscht viel Verkehr. Die im Richelsdorfer Gebirge
liegenden Dörfer Richelsdorf und ^Nentershausen zählten früher unter ihren
Bewohnern viele Bergleute. Bei ersterem betrieb man Bergbau auf
Kupfer und Kobalt. Unweit Nentershausen, bei dem Dorfe Dens befindet
sich ein kleiner, merkwürdiger See.
Der Denser See ist durch einen Erdfall entstanden und gilt als unergründ-
lich. Derselbe färbt sich zu gewissen Zeiten des Jahres blutrot. Diese Farbe des
Wassers entsteht durch mikroskopisch kleine Pflanzengebilde aus der Familie der Algen.
Man kann mit dem geröteten Waffer schreiben. So beschrieb im achtzehnten Jahr-
hundert ein Geistlicher in Dens auf einem Blatt des Kirchenbuches den See mit
seinem eigenen Waffer. Von dem See erzählt man nachstehende Sage.
*Die Jungfrauen aus dem Deuser See.
Einmal war im Dorfe Dens Kirmes. Zu derselben kamen auch zwei fremde,
unbekannte, aber schöne Jungfrauen. Diese tanzten mit den Bauernburschen und
machten sich lustig, verschwanden aber nachts um 12 Uhr. Indes waren sie am
andern Tage wieder da, und ein Bursche, dem es lieb gewesen, wenn sie immer ge-
blieben wären, nahm einer von ihnen während des Tanzes die Handschuhe weg. Sie
tanzten nun wieder mit, bis Mitternacht herannahte. Da wollten sie fort, und die
eine ging und suchte nach ihren Handschuhen in allen Ecken. Da sie dieselben nirgends
finden konnte, ward sie ängstlich. Als es aber während des Suchens zwölf schlug,
liefen sie beide in größter Angst fort, gerade nach dem See und stürzten sich hinein.
Am andern Tag war der See blutrot und wird es an demselben Tag noch jedesmal
im Jahre. An den zurückgebliebenen Handschuhen waren aber kleine Kronen zu sehen.
Das Städtchen Sontra, welches in dem nach Norden ziehenden
schönen Sontertale gelegen ist, pflanzt viel Flachs und liefert gute
Seilerwaren.
15. Kreis Uersfeld.
Mit diesem Kreise betreten wir das Gebiet der ehemaligen Provinz
Fulda, nachdem wir Niederhessen, den nördlichen Teil Hessens, verlassen
haben. Der Kreis Hersfeld wird vom Fuldatal, dem unteren Haunetal
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Das Lamboifest in Hanau.
Die Hanauer sind ein freundlich heiteres Volk Wer die Stadt im frohesten
Leben sehen will, der besuche das Lamboifest am 13. Juni. Da zieht alles hinaus
in den Lamboiwald, in das Lager von Zelten, Hütten und Buden, in denen Tausende
Tag und Nacht in Spiel und Tanz, in Sang und Klang und in fröhlichem Treiben
Gebrüder Grimin.
und Rauschen sich drängen. Es ist dies ein Volksfest von bleibender Bedeutung.
Man feiert dasselbe seit dem 30 jährigen Kriege aus folgendem Grunde. 1635 erschien
der kaiserliche General Lamboi vor Hanau und begann die Belagerung. Diese währte
9'/s Monate lang und drohte der Stadt mit Feuer und Schwert, Hunger und Seuchen
den Untergang. Aber Besatzung und Bewohner harrten mutig aus, bis Landgraf
Wilhelm V. am 13. Juni 1636 nach blutigem Kampfe unter dem Geläute aller Glocken
als Retter in die bedrängte Stadt einzog.
Die Schlacht bei Hanau (30. 31. Oktober 1813).
Durch diese Schlacht, die 24000 Menschen das Leben kostete, wurde Hanau
schwer heimgesucht. Die in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagene französische Armee
nahm ihren Rückzug durch das Kinzigtal. Bei Hanau stellte sich der bayrische General
v. Wrede mit dem 40000 Mann starken Heere der Verbündeten, das meist aus Bayern
bestand, derselben entgegen, um ihr die Flucht abzuschneiden. Das Heer der Franzosen
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und dem Werratal durchfurcht. Die bedeutendsten Erhebungen sind die
nördlichen Vorberge der Rhön (darunter der breite Landecker), der Tullings-
wald und der östliche Teil des Knüllgebirgs. An der Vereinigung von
Fulda und Haune liegt die Kreisstadt Hersfeld mit 8500 Einwohnern.
Sie ist eine der gewerbtätigsten Städte nnsers Regierungsbezirks. Bon
Bedeutung sind ihre Wollentuchfabriken. Hersfeld hat ein Gymnasium,
eiue Kriegsschule und Garnison. Der Gründer der Stadt war der heilige
Lullus, Erzbischos von Mainz, welcher hier 769 ein Kloster stiftete.
Das Luttusfeft in Hersfeld.
Das größte Fest der Hersfelder ist ihre Kirchweihe, das sogenannte Lullussest.
Dasselbe füllt die ganze Woche aus, in welche der Gedächtnistag (Todestag) des
hl. Lullus, der 16. Oktober fällt. Im achtzehnten Jahrhundert war das Lullusfest eines
der heitersten Volksfeste. Da wurde am Lullusmontage unter dem ständigen Rufe
„Bruder Lolls" auf dem Markte eine Bretterbude gebaut und ein großer Holzstoß
ausgerichtete Mittags um 12 Uhr zündete man den Holzstoß an, die Glocken läuteten
das Fest ein, und tausendstimmiges Lollsrufen erscholl. Nun erschienen die beiden
Bürgermeister der Stadt, begleitet von dem in einem blauen Mantel gehüllten städti-
schen Wagemeister und dem Stadtdiener. Letzterer warf aus einem großen Sacke fort-
während Nüsse unter die Schuljugend, unter welcher sich nun eine gewaltige Balgerei
erhob. Die Alten belustigten sich in der Bude mit Speise und Trank, Musik und
Tanz. Das Lollsfeuer brannte unterdessen Tag und Nacht fort und wurde erst in
der Nacht vom Donnerstag zum Freitag gelöscht. Die Bude wurde nun wieder ab-
gebrochen, die Lustbarkeiten aber setzte man noch bis zum Sonntage fort. Das heutige
Volksfest ist mit dem früheren nicht mehr zu vergleichen. Doch noch immer begrüßt
man sich mit dem lauten Zurufe „Broder Lolls!" und noch brennt das Feuer auf
dem Markte.
Die Stadt Hersfeld, welche neben dem Kloster des hl. Lullus eut-
stand, wurde der Sitz eiues geistlichen Fürstentums, der Abtei Hersfeld.
Diese wurde später in ein weltliches Fürstentum umgestaltet und stel nach
dem 30jährigen Kriege an Hessen. Im 7 jährigen Kriege zerstörten die
Franzosen die prächtige Stiftskirche, deren Ruinen noch stehen.
Die Plünderung von Hersfeld 1807.
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eroberten die Franzosen Kurhessen. Badische
Truppen, welche mit ihnen verbündet waren, besetzten die Stadt Hersfeld. Die Ein-
wohner dieser Stadt waren aber mit der französischen Herrschaft unzufrieden und er-
laubten sich Widersetzlichkeiten, wobei ein französischer Soldat das Leben verlor. Da
verhängte der französische Kaiser Napoleon I. eine schwere Strafe über die Stadt. Hersfeld
sollte geplündert und dann niedergebrannt werden. Die Strafe wurde nachher zwar
gemildert, es sollte bei der Plünderung bleiben, aber das war noch hart genug. Als
die schreckliche Stunde schlug, trat der Kommandant von Hersfeld vor die Reihen
seiner badischen Jäger, stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner leb-
hast vor die Augen und sagte hierauf: „Soldaten, die Erlaubnis zu plündern fängt
jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete aus dem Glied!" Aber kein Mann trat heraus.
Nicht einer! Der Aufruf wurde wiederholt, aber kein Fuß bewegte sich. Niemand
wollte sich an der Habe seines deutschen Mitbruders vergreifen. So wendete der
TM Hauptwörter (50): [T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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Sandsteinbrüchen, oder als Fabrikarbeiter in den Fabriken. Noch jeden
Frühjahr gehen viele aus dem Süden des Kreises nach Holland und Nord-
deutschend als Ziegeleiarbeiter, und früher gingen viele aus der Umgegend
von Rodenberg nach Holland zum Mähen. Viele ernähren sich von der Be-
reitung der Leinwand; die Bewohner der hochgelegenen Dörfer auf dem
linken Weserufer sind meist Leinweber. Im Weserthal vermag auch eins
der Tochter des reichsten Bauern den Webstuhl zu regieren. An'den langen
Winterabenden aber sind hier, wie überall bei uns auf dem Lande, 'die
Mädchen und Frauen mit Flachsspinnen beschäftigt; auch die männliche Be-
volkernng nimmt wohl Anteil daran. Dabei werden kernige Volkslieder
gesungen und echte Volksmärchen erzählt. Die Schiffahrt auf der Weser hat
sehr abgenommen. Die übrigen Einwohner im Kreise haben sich dem Be-
amtenstande und den sonstigen öffentlichen Berufen gewidmet. Kein Kreis-
kind, das Lust zur Arbeit hat, braucht Hunger zu leiden, und im allgemeinen
herrscht viel Wohlstand im Kreise.
3. Die Bewohner unsers Kreises sind Nachkommen der alten Sachsen und ein
schöner, kräftiger und ziemlich gut beanlagter Menschenschlags Reich an echter Volks-
tümlichkeit, tritt in dem Schanmbnrger noch vielfach in Gestalt, Sprache, Sitte und Kleidung
der alte sächsische Stamm hervor. Am meisten sind die Bewohner des Amtes Rodenberg,
die sich durch kräftigen Körperbau und einfache Lebensweise auszeichnen, den Sitten ihrer
Väter treu geblieben. Der Bewohner des Weserthales dagegen ist für das Neue em-
pfänglich und ahmt in vielfacher Beziehung dem Städter nach. Im allgemeinen ist der
Schaumburger fleißig und ausdauernd, treu, schlicht und bieder, aber auch kräftig und
derb bis zur Grobheit. Mit stolzem Selbstbewußtsein nennt er sich einen Schanmbnrger.
Er hängt mit Liebe an seiner Heimat und mit Treue und Ergebenheit an seinem Laudes-
herrn. — Die bei uns gesprochene Sprache ist die plattdeutsche; auch die Bürger in den
Städten bedienen sich meistens derselben. Die Mundarten sind in den einzelnen Gegenden
des Kreises sehr verschieden; fast jeder Ort zeichnet sich durch eine besondere Klangfarbe
seiner Laute aus. Während im Weserthal eine weiche und wohlklingende Mundart herrscht,
ist die im Rodenbergischen rauh und schnarrend. Bemerkenswert ist, daß es dem Schaum-
burger große Schwierigkeit verursacht, den 3. und 4. Fall zu unterscheiden, und daß er
statt „nur" das unbestimmte Fürwort „man" gebraucht.
Nach altem sächsischen Rechte wird bei uns der Grundbesitz nicht geteilt,
sondern der Vater überläßt das Gut dem ältesten Sohne ganz, und dieser
hat au die übrigen Geschwister nur eiue Herausgabe zu entrichten. Daher
finden sich bei uns große Bauerngüter und schöne Dörfer vor. Letztere sind
nach altsächsischer Weise angelegt, die sich durch die zerstreute Lage der ein-
zelnen Häuser und Gehöfte kenntlich macht. Es herrscht auch noch auf dem
Laude der altsächsische Häuserbau. Wohnhaus, Scheune und Stallungen sind
nämlich eins; das große Scheunenthor ist zugleich auch die Hausthür; zu
beideu Seiten der Tenne sind die Viehstülle, sodaß die Krippen unmittelbar
von der Tenne aus beschüttet werden. Im Hintergrunde des Hauses befinden
sich die Stuben, Kammern und Küche. Im Norden des Kreises trifft man
noch viele Strohdächer an; doch dürfen solche der größern Feuergefährlichkeit
halber bei Neubauten nicht mehr angebracht werden. Der massive Häuserbau
findet immer mehr Eingang. — Die noch vielfach bei neuerbauten Häusern
aus einen Hauptbalken geschriebenen Reimsprüche legen Zeugnis von der
Gottesfurcht des Volkes ab. Allgemein verbreitet ist noch die aus der Heid-
uischeu Vorzeit stammende Sitte, am ersten Osterabend auf den Höhen sogen.
Ostersener anzuzünden. Bei den alljährlich gefeierten Schützenfesten und
Erntebieren, sowie bei Hausrichtungen und Hochzeiten geht es hoch her.
Besonders werden im Amt Rodenberg die Hochzeiten mit größter Pracht und
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Extrahierte Personennamen: Rodenberg Rodenberg
Extrahierte Ortsnamen: Holland Holland Weserthal Sachsen Weserthal Rodenbergischen
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und Ohrberg bei Hameln, noch weiter östlich den Solling, die Lauensteiner
Berge und sogar bei hellem Wetter die Spitze des Brocken im Harz. Im
Norden sind der Deister und Bückeberg sichtbar. Unmittelbar unter dem
Hause befindet sich eine tiefe Schlucht, die Wolfsschlucht genannt, zu der
man durch das Meimekeu- oder Möncheloch gelangt. Sie scheint dadurch
entstanden zu sein, daß sich einst ein Stück des äußern Bergrandes loslöste.
Dreißig Meter hohe Felswände starren hier wild empor; rings klaffen
Risse und Spalten, gähnen Höhlen, starren Spitzen, Zacken und Felsklumpen,
die jeden Augenblick herabzustürzen drohen. Die Paschenburg wird jährlich
von vielen Fremden besucht, und auch die Bewohner der Umgegend machen
oft Ausflüge nach der herrlichen Höhe. Im Winter freilich ist es da oben
einsam, und ein scharfer Wind weht durch die Gipfel der Bäume, im Sommer
aber herrscht daselbst stets fröhliches Leben; kein Kreiskind sollte unterlassen,
der Paschenburg alsdann einen Besuch abzustatten.
Die Volkssage erzählt, daß die grausige Wolfsschlucht und das Innere
des Paschenberges vor Zeiten zum Aufenthalte der Wichtel- oder Erd-
männchen gedient habe. Das waren ganz kleine Wesen, nicht höher als
eine Hand, "die lebten in schönen Schlössern da drinnen im Berge. Sie
waren in Bergmannstracht gekleidet und hatten dreieckige Hüte und zierliche
Schuhe; in ihren Wohnungen waren die Wände von hellglänzendem Berg-
krystall, die künstlich geschnitzten Tische und Stühle aus Rosenholz, verziert
mit buntfarbigen Muscheln und Steinchen. In unzähliger Menge hausten
sie, Männchen und Weibchen, da unten in der Tiefe. Das winzige Völkchen
machte es aber ganz anders als ihre Vettern im Rheinlande zu Köln, die
Heinzelmännchen, die ehedem den Faulpelzen halfen und während der Nacht
für die arbeitsscheuen Handwerker die Arbeit verrichteten. Unsere Wichtel-
männchen halfen nur den fleißigen und braven Leuten und waren stets bereit,
die armen, notleidenden, hilfsbedürftigen Menschenkinder mit Gold und
Silber, das in ihren Schatzkammern aufgehäuft lag, zu unterstützen. So
wissen noch die Leute von Eschwege, wo es einst auch Wichtelmännchen gab,
zu erzählen, wie sie dem armen Schuster Jobst so treulich das Leder zu-
schneiden und zu Schuhen verarbeiten halfen. Den Tagedieben aber suchten
unsere grauen Berggeister stets zu schaden. Auf dem Felde der faulen
Bauern traten sie des Nachts die Früchte nieder und von den Läden der
trägen Bäcker stahlen sie heimlich das Brot. Wenn die Knaben einmal in
Streit gerieten, so halfen sie denen, die im Recht waren, und wenn ein roher
Knabe es wagte, die lieben Sänger in Feld und Wald bei ihrem Nesterbau
zu stören, so waren die kleinen Männlein flink zur Stelle, und ehe der Tier-
qualer es sich versah, setzte es für ihn einen Denkzettel ab von unsichtbarer
Hand. Gegen die ungeschlachten Riesen unsers lieben Schaumburgerlandes
war das kleine Volk mit Haß und Neid erfüllt. Wenn einer von den Recken
in der Sonne schlief, dann krabbelte das kleine Völkchen munter auf ihm
herum, und am Ende kitzelte ein Kleiner ihn unter die Nase, daß er mit einem
Niesen erwachte, wovon die ganze Hünenburg zu wackeln anfing. Sonntags-
kinder, die zwischen der Vormittags- und Nachmittagskirche geboren sind,
haben unsere Wispelmännchen oft im Thale in den Furchen des Ackers lust-
wandeln sehen; jetzt aber sind sie längst verschwunden. -— Nach einer andern
Sage sollen in einem tiefen Erdloche rechts von dem Hanfe auf der Paschen-
bürg sieben Prinzessinnen verzaubert gehalten werden. Ein großer schwarzer
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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