— 80 —
3. Amiens (Somme), Fabrikstadt mit großen Spinnereien und Fabriken
für Seidenwaren, Samt, Teppiche.
4. Lille, starke Festung im Mittelpunkt des nördlichen Kohlen- und In-
dnstriegebiets, hervorragend in Spinnerei und Weberei, Maschinenfabrikation,
Brauerei und Zuckerfabrikation. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft noch
mehrere Groß- und viele Kleinstädte mit Textilindustrie.
Seineftädte:
5. Paris*), zu beiden Seiten der Seine und auf einer Flußinsel, mit
ungefähr 21/2 Millionen Einwohnern, die zweitgrößte Stadt der Erde, durch
17 Forts befestigte Hauptstadt des Landes, ist durch seine Industrie (Be-
kleiduug, Parfümerieu, Uhreu und Geschmeide, Maschinen und Instrumente),
seinen Handel (besonders Kolonialwaren, Drognen und Getreide), durch
Börsen- und Geldverkehr das Herz Frankreichs; 18 Bahnlinien verbinden
Paris mit den entferntesten Winkeln des Landes und den Hauptstädten der
Nachbarländer. Seine Sehenswürdigkeiten (Lonvre mit reichen Kunstschätzen),
die sorgfältige Pflege der Litteratur und die Universität machen es auch zum
geistigen Mittelpunkte Frankreichs.
6. Versailles**) (wärßaj), mit bedeutender Uhrenfabrikation, ehemalige
Residenz Ludwigs Xiv. und seiner Nachfolger.
7. Ronen (rnang), Mittelpunkt der Baumwollmannsaktur, Ausfuhr-
Hafen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Grenzort zwischen Fluß- und See-
verkehr.
Loireftädte:
8. Orleans***) (orlecmg), Eisenbahnknoten; Baumwollenfabrikation.
9. Tonrsf) (tnr), mit Seidenindustrie und Lederwaren.
10. Nantes (nangt), blühende Hafen- und Industriestadt, Handel be-
sonders nach Spanien und Amerika; Ausfuhr von Wein, Getreide, Salz (von
Orleans bis Nantes sind die Ufer der Loire rebenbedeckt). .
Hafenstädte des Pariser Beckens:
11. Calais (kaläh), starke Festung, Überfahrt nach Dover.
*) Erstürmung des Montmartre (30. 3. 1814) und Einzug in Paris (31. 3. 1814).
Erster Pariser Friede (30. 5. 1814), zweiter Friede (20. 11. 1815). Belagerung von Paris
(19. 9. 1870 bis 28. 1. 1871) und Einzug (1. 3. 1871). — Nördlich von Paris die Schlacht-
orte Laon (9. 3. 1814), Amiens (27. 11. 1870) und St. Quentin (18. und 19. 1.1871),
südöstlich Eh^lons (katalaunische Gefilde, 451) und südwestlich Le Maus (13.1.1871). —
Gedicht: Die nächtliche Heerschau, von Freiherr von Zedlitz.
**) Kaiserpr.oklamation Wilhelms I. (18. 1. 1871).
***) Befreiung der Stadt von den Engländern durch Johauua d'arc (Jungfrau von
Orleans) 1429. — 1870/71 hier drei Schlachten und viele kleinere Gefechte-
f) Zwischen Tours und Poitiers besiegte Chlodwig die Westgoten (507) und Karl
Martell die Mauren (732).
TM Hauptwörter (50): [T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T6: [Insel Stadt Meer Hafen Handel Hauptstadt Land Küste Einw. Halbinsel], T32: [Vgl Stadt Aufl Frankreich fig Maas Sch. Einw. Vergl Festung]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Freiherr_von_Zedlitz Wilhelms_I. Johauua Chlodwig Karl
Martell Karl
Extrahierte Ortsnamen: Amiens Lille Frankreichs Paris Frankreichs Fluß- Nantes Spanien Amerika Nantes Dover Paris Paris Paris Laon Amiens Poitiers
44. Franken.
85
ringen, Schwaben, unsere Pfalz, unser
Franken, welche — bis auf einige Kreise
in Bayern, — nur noch historische Er-
innerungen haben. Aber wer wollte
sagen, daß sie, obgleich nach 1805 von
den Karten verschwunden, deßhalb in
unseren Gemüthern, in unseren Sitten
und Gewohnheiten, in der Verschieden-
heit unserer Dialekte, in unsern Liedern
nicht mehr fortlebten? Noch schlägt das
Herz des Nürnbergers, des Würzburgers,
des Bambergers, der sich in der Ferne
befindet, feuriger, wenn er die breite,
tieftönende, kräftige Mundart vernimmt,
die seine Landsleute und er selbst reden,
wenn der Name „Franken" vor seinem
Ohre genannt wird, ein Name, der ehe-
dessen so hohen Klang besaß, zu Anfang
unseres Jahrhunderts von den Landkarten
verschwand und erst in neuester Zeit wie-
der durch Benennung dreier bayerischen
Kreise zu Ehren gebracht wurde.
Franken — es ist der freundliche
Name eines freundlichen Landes. Weit,
fruchtbar und lieblich breitet es sich im
Herzen von Deutschland aus, bedeckt mit
den gesegnetsten Fluren, welche alles
hervorbringen, was das Vaterland zu
seinen edelsten, inbuftrielxen und natür-
lichen Erzeugnissen zählt; geschmückt mit
großen und berühmten Städten, durch-
strömt von schiffetragenden Flüssen, deren
Ufer mit dem weichen Laub der Wein-
rebe geziert sind, durchzogen von Ge-
birgen, in deren Thälern die Sage des
Alterthums neben dem Gewerbfleiß wohnt,
und überwölbt von einem Himmel, unter
welchem der Leistenwein an seinem Fel-
senabhange reift.
Römische Schriftsteller bezeichneten
mit dem Namen Franken jenen ger-
manischen Stamm, welcker zwischen der
Ostsee und dem Rhein seine wechselnden
Sitze hatte und seine Freiheit am wirk-
samsten gegen römische Unterdrückung
vertheidigte. Wir erblicken fünf bis sechs
Jahrhunderte hindurch die Völkerschaften
der Franken im Kampf mit den Römern
in Gallien, mit den Westgothen, Thürin-
gern, Alemaniern, Sachsen, Schwaben;
wir sehen sie unter Chlodowig das
Christenthum annehmen und zu einer
großen Monarchie sich vereinigen. Bis zu
diesem Zeitpunkte mußten wir den Namen
Franken in seiner Allgemeinheit gelten
lassen, unbekümmert um die einzelnen
Länderstriche, die er mit seinen Angehörigen
bedeckte. Eine unter Geneb ald, dem
Bruder Chlodowig's, über den Main-
strom geführte Kolonie, welche sich an
dessen Ufern niederließ und ausbreitete,
gab Veranlassung zu einer Theilung
des Begriffs: Franken, bei welchem man
nunmehr das westliche von dem östlichen
unterschied. Zu ersterem gehörte das
ganze weite, jenseits des Rheines gelegene
Gebiet, das heutige Frankreich; das
andere bildete Frankenland, unser Fran-
conia, und die Stelle, wo die Ueber-
führung der Kolonie stattfand, ist der
Ueberlieferung nach da, wo das heutige
Frankfurt sich ausbreitet.
Unter Pipin's Sohn, dem großen
Karl, war unser Franken ein kleiner
Theil des unermeßlichen Reiches, welches
dieser Fürst nach und nach unter seinem
Scepter vereinte. Und Karl liebte vor-
zugsweise die User des Rheins, des
Mains und der Saale und verweilte
gern innerhalb ihrer heiteren Grenzen.
Seine prächtige Pfalz an der Saale,
(die Saalburg oder Salzburg bei Neu-
stadt a. S.), deren weitläufige Trüm-
mer wir noch heute mit Bewunderung
erblicken, ist hievon der Beweis. Lieder-
und Harfenspiel ertönte oft von dieser
Burg über das Thal, wenn der Kaiser
innerhalb ihrer Mauern verweilte. Er
erfreute sich hier an dem Umgang den-
kender und gelehrter Männer, die er
aus den entferntesten Theilen seiner
Reiche um sich versammelte und unter
deren Beistand er Gesetzbücher und weise
Einrichtungen für die Regierung seiner
Völker entwarf.
Ritter- und Mönchthum fanden in
Franken den für ihre Entfaltung gün-
stigsten Boden in Deutschland. Berühmte
Geschlechter tauchten auf und verschwan-
den wieder, wie z. B. die der Grafen
von Babenberg (Bamberg), Coburg,
Rothenburg und andere. Die bischöf-
lichen Sitze von Würzburg, Bamberg,
Eichstätt nahmen an Macht und Bedeu-
tung zu, geschützt und gepflegt von Kaiser
und Reich, und von Männern aus reichs-
ritterschaftlichen Geschlechtern besetzt, die
es größtenteils verstanden, den Glanz
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner]]
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Schwaben Bayern Deutschland Ostsee Rhein Gallien Sachsen Schwaben Frankreich Frankfurt Rheins Mains Saalburg Salzburg Deutschland Babenberg Bamberg Coburg Rothenburg Würzburg Bamberg
97. Chlodwig, der Gründer des Frankenreiches.
211
von dieser reichen und großen Stadt
blieb auf dem andern, und so völlig
verschwand sie, daß man später kaum
mehr die Spur von dem Orte auffinden
konnte, wo sie gestanden. Ganz Italien
zitterte; selbst der römische Kriegsheld
Aötius wagte mit seinem schwachen
Heere nicht, im Felde dem Feinde ge-
genüber zu erscheinen. Schon rückte
Attila's Heer gen Rom, und keine irdische
Macht schien die Stadt retten zu können.
Da zog der Pabst Leo dem Hunnen-
könig entgegen, und der Heide ließ sich
durch das Haupt der Christenheit zum
Rückzüge bewegen. Krankheiten hatten
das Heer Attila's geschwächt; dies und
die Erinnerung an Alarich, der kurze
Zeit nach der Plünderung Roms ge-
storben, mochte den Vorstellungen Leo's
um so leichter Eingang verschafft haben.
Im darauffolgenden Jahre, da Attila
zu seinen zahlreichen Weibern noch eine
nahm, starb er in der Hochzeilsnacht an
einem Blutsturze. Die Hunnen setzten ihres
Helden Leichnam mitten in einer weiten
Ebene unter ein seidenes Zelt, um welches,
seine Thaten besingend, die Reiterei herum-
zog. Das Volk beweinte seinen großen
Führer nicht mit Thränen, sondern mit
Blut. Alle Leidtragenden schoren ihr
Haupthaar und zerfetzten ihr Angesicht mit
schmerzlichen Wunden. In der Nacht
wurde die Heldenleiche in einen goldenen
Sarg, dieser in einen silbernen und
letzterer wieder in einen eisernen gelegt
und mit großen Schätzen aus der weilen
Ebene an der Theiß begraben. Alle aber,
welche beim Begräbniß thätig gewesen,
wurden getödtet, auf daß Niemand je die
Grabesstätte des Hunnenfürsten erfahre.
97. Chlodwig, der Gründer des Frankenreiches.
Unter allen deutschen Staaten, welche
auf den Trümmern des römischen Reiches
gegründet wurden, schwang sich der
fränkische in Gallien zu einer glänzen-
den und dauerhaften Größe empor. Die
Franken bestanden aus mehreren Völ-
kern, die sich zur Aufrechthaltung ihrer
Freiheit — denn frank heißt frei —
zu einem großen Bunde gegen die Römer
im dritten Jahrhundert vereinigt hatten.
Aus ihren Wohnsitzen am Niederrhein
dehnten sie sich erobernd immer westlicher,
in das damalige Gallien, aus. Nach
Sitte der germanischen Völker gehorchten
sie anfangs mehren unter sich verbündeten
Fürsten. Erst im Jahre 482 stand
unter den Franken ein König auf, der
sich nach und nach die Herrschaft über
alle fränkischen Volkstämme erwarb und
deshalb als Stifter des fränkischen Reiches
zu betrachten ist. Der war Chlodwig,
d. i. Ludwig, ein Zeitgenosse des Theo-
dorich, aus der Königsfamilie der Mero-
vinger. Er war ein äußerst kriegs-
lustiger und herrschsüchtiger Mann; sein
ganzer Sinn war einzig auf die Erwei-
terung der engen Grenzen seiner Herr-
schaft gerichtet. Hiezu waren ihm alle
Mittel und Wege, selbst die schlechtesten,
gleich willkommen. Zuerst schloß er
mit den übrigen Fürsten der Franken, die
größtentheils seine Verwandten waren,
Bündnisse zum Kriege gegen andere
Völker. Und hatte er diese mit ihrer
Hülfe bezwungen und seine Macht ver-
mehrt, so fiel er verräterisch über seine
Freunde selbst her und räumte einen
nach dem anderen durch Gift und Dolch
aus dem Wege.
Als er die Regierung antrat, bestand
in Gallien noch ein Rest des Römer-
reiches, von welchem Sp agrius Statt-
halter war. Auf diesen ging er zuerst
los und schlug ihn völlig bei Soissons,
im Jahre 486. Der Geschlagene floh
nach Toulouse, um am Hofe des west-
gothischen Königs Schutz zu suchen;
aber die feigherzigen Räthe desselben
lieferten den unglücklichen Flüchtling an
Chlodwig aus, der ihn ermorden ließ.
Dieser Sieg brachte das. noch römische
Gallien für immer an die Franken.
Als Retter wurden diese erwartet und
mit Jubel empfangen; so groß war hier
wie überall der Abscheu vor den Römern.
Um seine Macht zu verstärken, suchte
Chlodwig diefreundschaftderbenachbarten
Burgunder. Er vermählte sich deßhalb
mit Clotilde, einer Nichte des bur-
gundischen Königes. Diese Fürstin, welche
14 *
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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TM Hauptwörter (200): [T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk], T192: [Italien Reich Gallien Volk Land Römer Donau Hunnen Jahr König], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß]]
Extrahierte Personennamen: Chlodwig Aötius Leo_dem_Hunnen- Leo Attila Chlodwig Chlodwig Ludwig Ludwig Chlodwig Chlodwig
98. Bonifacius, der Apostel der Deutschen.
213
Monarchie legte. Das eroberte Gallien
bekam nunmehr den neuen Namen
Frankenreich oder Frankreich.
Der Stifter dieses neuen Reiches, der
auch wegeu seiner Kriegesthaten der
Große genannt wird, starb 511 zu
Paris, welches sich schon unter ihm
zu einer bedeutenden Stadt erhoben hatte.
98. Bonifacius, der
Wenn das Auftreten Muhameds und
die gewaltsame Verbreitung seiner Lehre
das Christenthum so sehr bedrohte und
ernste Besorgnisse um dasselbe hervor
rief, so ist es höchst wohlthuend zu hö-
ren, wie ungefähr um dieselbe Zeit durch
den Eifer christlicher Glaubensboten das
„Wort vom Kreuze" anderen Völkern,
die bisher noch im Heidenthume lebten,
und zwar namentlich den germanischen
Völkerschaften gebracht wurde.
Während die Gothen, Burgunder
und Vandalen schon zu der Zeit, als
sie in die Provinzen des römischen Rei-
ches einwanderten, zum Christenthum
bekehrt waren, hingen die Bewohner des
eigentlichen Deutschlands, auch als sie
durch Chlodwig und seine Nachfolger mit
dem Frankenreiche vereinigt worden wa-
ren, inlmer noch dem alten Heidenthum
an. Zwar waren im siebenten Jahr-
hundert englische und fränkische Mönche,
wie Columbanus, Gallus, Kilian, Em-
meran und Rupertus, nach Deutschland
gekommen und hatten in verschiedenen
Gegenden das Evangelium gepredigt;
aber die Zahl der Christen war nur
gering und die Masse des Volks wider-
stand hartnäckig allen Bemühungen die-
ser frommen Männer Da gelang es
der glühenden Begeisterung und der auf-
opfernden Liebe eines angelsächsischen
Mönches, die meisten deutschen Stämme
für das Christenthum zu gewinnen und
in dem größten Theil unseres Vater-
landes das Heidenthum für immer aus-
zurotten.
Dieser Mann war Winfried, spä-
ter Bonifacius genannt. Winfrieds
Heimat war das britische Städtchen
Kirton bei Plymouth, wo er un-
gefähr im Jahre 680 geboren wurde.
Er gehörte einem vornehmen Geschlecht an
und empfing darum auch den ritterlichen
Namen Winfried. Dieses Wort bezeich-
net einen Helden, der durch siegreichen
Apostel der Deutschen.
Streit Frieden gewinnt oder schasst.
An unserem Winfried erfüllte sich die
schöne Bedeutung seines Namens im
höheren Sinne, als es der Vater bei
der Taufe gedacht. Er sollte ein Strei-
ter Gottes und Vielen ein Führer zum
Frieden werden. Schon auf der Schule,
wo er sich durch vorzügliche Anlagen
und seltene Lernbegierde vor allen Kna-
den seines Alters auszeichnete, reifte in
ihm der Entschluß, sein Leben der Aus-
breitung des Christenthums zu widnnm.
Aber erst nach langem Widerstreben
gestattete ihm sein Vater, sich dem geist-
lichen Stande zu widmen. Zu seiner
weiteren Ausbildung verlebte er dann
mehrere Jahre in einem durch die Fröm-
migkeit und Gelehrsamkeit seiner Mönche
berühmten Kloster und erhielt endlich
in seinem dreißigsten Lebensjahre die
Priesterweihe. Sogleich machte er sich,
seinem ersten Entschlüsse treu, nach
Deutschland auf den Weg, und landete
an der Küste von Friesland. Hier hat-
ten schon andere Bekehrer vor ihm nicht
ohne Erfolg gewirkt, aber der Herzog
Ratbod war den Christen feind. Er
hatte die Kirchen, die in Friesland ge-
gründet worden waren, zerstört, die
christlichen Lehrer vertrieben und die
Götzen und heidnischen Tempel wieder
hergestellt. Unter solchen Umständen
durfte Bonifacius nicht hoffen, Etwas
auszurichten. Er kehrte also im fol-
genden Jahre in seine Heimat Zurück,
wo er von seinen Ordensbrüdern ein-
stimmig zum Abt gewählt wurde. Er
war jedoch entschlossen, das begonnene
Werk nicht nach dem ersten mißlungenen
Versuch aufzugeben, schlug die ihm an-
getragene Würde aus, und begab sich
nach Rom. Der Papst erkannte schnell
die seltenen Eigenschaften des eifrigen,
gottergebenen Mannes, ermunterte ihn zur
Fortsetzung des Bekehrungswerkes und
stattete ihn mit Empfehlungsbriefen aus.
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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214
Iii. Geschichtsbilder.
Jetzt ging Winfried nach Thürin-
gen, wo das Christenthum zwar schon
seit zwei Jahrhunderten besannt, aber
durch die Nachbarschaft der heidnischen
Slaven und Sachsen so entstellt und
mit heidnischen Gebräuchen gemischt war,
daß von einem christlichen Leben kaum
eine Spur zu finden war. Mit kräf-
tigen Worten ermahnte er die Großen
des Landes, vom Götzendienste zur wah-
ren Gottesverehrung zurückzukehren. Aber
er konnte hier nur kurze Zeit verwei-
len, weil er die Nachricht von der Un-
terwerfung der Friesen durch Karl Mar-
tell erhielt. Sogleich eilte er nach Fries-
land und wirkte hier drei Jahre lang
mit solchem Erfolg, daß der greise Willi-
brord ihn durch die Ertheilung der Bi-
schofswürde belohnen wollte; er verbat
es sich aber, da er noch nicht das fünf-
zigste Jahr erreicht habe. Darauf pre-
digte er den Hessen die Christuslehre,
gründete in ihrem Lande das erste
deutsche Kloster und reiste abermals nach
Rom, wo ihm der Papst die Bischofs-
würde und den Namen Bonifacius er-
theilte und ihm Empfehlungsbriefe an
viele Fürsten und Geistliche, namentlich
auch an Karl Martell mitgab. Von
diesem erhielt er einen Schutzbrief an
alle Grafen des Frankenreichs und be-
gab sich abermals nach Hessen, wo viele
der früher durch ihn Bekehrten sich wie-
der dem Götzendienste zugewandt hatten.
Um durch eine kräftige That den Glau-
den an die heidnischen Götter zu ver-
nichten, legte er selbst die Hand an die
uralte, dem Donnergott geheiligte Eiche,
die in der Nähe des heutigen Fritzlar
stand, und fällte den Baum mit kräf-
tiger Hand, während das heidnische Volk
mit seinen Priestern in stummem Ent-
setzen den Blitzstrahl erwartete, durch
den der beleidigte Gott den Frevler
vernichten würde. Als diese Erwartung
nicht erfüllt wurde, erkannten Viele die
Machtlosigkeit ihrer Götzen und ließen
sich taufen. An der Stelle, wo die
Eiche gestanden hatte, errichtete Boni-
facius ein Kreuz, und aus dem Holze
derselben erbaute er eine dem heiligen
Petrus gewidmete Kapelle.
Noch größere Schwierigkeiten fand
der unermüdliche Mann in Thüringen,
denn hier widersetzte sich nicht allein
das Volk der weiteren Ausbreitung des
Christenthums, sondern es widerstrebten
auch viele irrgläubige und sittenlose
Priester seinen Anordnungen, so daß er
viele derselben ihres Amtes entsetzen und
neue an ihre Stelle berufen mußte.
Unterstützt von treuen und fleißigen Ge-
hilfen, gründete er in allen Theilen des
Landes Kirchen und Klöster, suchte nicht
nur den Götzendienst auszurotten, son-
dern mit dem christlichen Glauben auch
christliche Gesinnung und sittliches Leben
zu verbreiten.
So vermehrte sich mit jedem Jahre
die Zahl der Bekehrten; immer größer
wurde der Einfluß der neuen Lehre auf
die Bildung und Gesittung des Volkes,
selbst auf die Verbesserung des Feld-
baues und der Viehzucht. Die neu ge-
stifteten Klöster wurden Zufluchtsorte
für die Bedrängten und Verfolgten,
Herbergen für die Wanderer, Pflanz-
stätten der Kunst und Wissenschaft und
Spitäler für die Kranken.
Als Bonifacius dem Papst von dem
Erfolg seiner Bemühungen Bericht er-
stattete, ertheilte ihm dieser die Würde
eines Erzbischofs und veranlaßte ihn,
noch einmal nach Rom zu kommen. Aus
der Reise dorthin wurde der edle Mann
überall, wo er erschien, auf's ehren-
vollste empfangen, und selbst aus ent-
fernteren Gegenden strömten die Men-
schen herbei, um den muthvollen Glau-
benshelden zu sehen. Nach einem län-
geren Aufenthalt in Rom, während dessen
ihn der Papst mit Ehrenbezeugungen
überhäufte, kehrte er nach Deutschland
zurück, entschlossen, die Kirchenverfassung
des ganzen Landes gleichmäßig zu ordnen.
Er theilte zu dem Ende Bayern in
vier bischöfliche Sprengel, gründete in
Franken und Thüringen drei neue Bis-
thümer und die später durch ihre Kloster-
schule so berühmte Abtei Fulda und
berief im Jahre 742 die erste deutsche
Kirchenversammlung, in der strenge Ge-
setze gegen den anstößigen Lebenswandel
der Geistlichen gegeben wurden und alle
deutschen Bischöfe ihre Unterwerfung
unter den Papst schriftlich erklärten.
Durch Pipin unterstützt, stellte er dann
auch im westlichen Theil des Franken-
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Extrahierte Personennamen: Winfried Winfried Karl_Mar- Karl Karl_Martell Karl
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Hessen Rom Frankenreichs Hessen Fritzlar Boni- Thüringen Rom Rom Deutschland Fulda
102. Karl der Große.
219
Entscheidung des Kampfes zu stellen.
Am Lech hatte er sich gelagert. Als
aber drei Frankenheere sich nahten, eines
von Italien her über die Alpen, ein
zweites von Pförring gegen die Donau
und ein drittes dem Lechfelde selbst,
da suchte er sein Heil in abermaliger
Unterwerfung. Zum dritten male leistete
er den Lehenseid und stellte zum Unter-
pfand 12 Geißeln, unter welchen sein
eigener Sohn Theodo. Aber Thassilo's
Unabhängigkeitssinn war immer noch
nicht gebrochen. Verzweiflungsvoll raffte
er sich zum dritten male auf, die ver-
haßten Fesseln zu brechen; verzweif-
lungsvoll erfaßte er das äußerste Mittel,
welches ihn zum Ziele führen sollte, ein
Bündniß mit den heidnischen Avaren,
seinen östlichen Grenznachbarn. Allein
gerade dieses Bündniß führte ihn in's
unabwendbare Verderben. Es entfrem-
dete ihm die Geistlichkeit und selbst
einen großen Theil des Volkes, und
aus der Mitte seiner, ihm seither so
treu anhänglichen Landsleute standen
Ankläger wider ihn auf. Der Vorla-
dung Karls auf die Reichsversammlung
zu Ingelheim 788 leistete Tassilo Folge,
wohl nicht ahnend, welch hartes Loos
ihm bevorstünde. Die Versammlung
sprach ihn wegen Landesverraths des
Todes schuldig. Karl milderte das
Todesurtheil in lebenslängliche Kloster-
haft. Auch Thassilo's ältesten Sohn
Theodo und seine beiden Töchter traf
gleiches Schicksal. Was aus seinem
Weibe und aus seinen übrigen Söhnen
geworden, — es werden deren fünf
genannt, — berichtet uns die Geschichte
nicht. Noch einmal, 794, erschien Thas-
silo im Mönchsgewande vor der Kirchen-
versammlung zu Frankfurt, um gebro-
chenen Herzens auf all das öffentlich
und feierlich zu verzichten, was ihm
schon seit Jahren genommen war. Das
Geschlecht der Agilolfinger aber, welches
über Bayern 234 Jahre lang regiert
hatte, ist von nun an verschollen. Bayern
ward eine Provinz des großen Franken-
reiches und theilt fortan dessen Geschicke.
102. Karl der Große.
1. Unter allen Herrschern des Mittel- I
alters ragt Karl der Große hervor durch
seine Wirksamkeit und seine Schöpfungen
sowohl, wie durch den Ruhm, mit dem
Geschichte und Sage ihn verherrlicht
haben. Wenn auch Vieles von dem,
was er geschaffen, wieder zusammen-
brach, als sein Auge sich schloß, so hat
er doch den Stempel seines Geistes
allen folgenden Jahrhunderten ausge-
drückt. Was uns Deutsche betrifft, so
hat er das unsterbliche Verdienst, die
verschiedenen Stämme unter einem Scep-
ter vereinigt und so das Gefühl der
Zusammengehörigkeit in ihnen erweckt
zu haben. Er hat das vorhandene
Gute nicht verkannt und scheinbar un-
bedeutende Keime mit Ausdauer zur
Blüthe gebracht. Aehnlich wie sein
Vater unter Karl Martell hatte auch
er Zeit, ein Vierteljahrhundert eine
tüchtige kriegerische und politische Schule
durchzumachen und zu lernen, was seiner
Zeit und seinem Volke nöthig und nützlich
war.
Karl, der älteste unter den Söhnen
Pipin des Kurzen, ward bald nach dem
Regierungsantritte seines Vaters ge-
boren. Ueber seine Jugendzeit weiß
man wenig Genaues; ja es kann nicht
einmal Zeit und Ort seiner Geburt
mit Bestimmtheit angegeben werden.
Doch wissen wir, daß er sich frühzeitig
in ritterlichen Uebungen gefiel, wie
solche damals allenthalben bei den Edel-
geborenen gebräuchlich waren.
Nachdem Pipin im Jahre 768 die
Augen geschloffen hatte, wurde die Herr-
schaft über das Frankenreich zwischen
den beiden Söhnen des verstorbenen
Königs, Karl und Karlmann, also ge-
theilt, daß ersterer die Provinzen im
Nordwesten, letzterer die Gebiete im Süd-
osten des Reiches als Erbe eichielt.
Nachdem aber Karlmann im Jahre 771
eines raschen Todes gestorben war, er-
faßte er die so zum Wohle des Reiches
dargebotene Hand des Glückes und ver-
einigte die Länder Karlmanns mit den
seinigen, zwang aber auch zugleich die
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Ortsnamen: Italien Donau Karls Frankfurt Franken-
220
Iii. Geschichtsbilder.
Wittwe seines Bruders und dessen junge
Söhne zur Flucht aus dem Reiche.
Hiedurch gerieth er in Streit mit
den Langobarden, deren König De-
siderius, der Schwiegervater Karlmanns,
die Ansprüche seiner Enkel geltend machen
wollte. Karl zog mit zwei mächtigen
Heeren über die Alpen nach Italien, das
eine unter seiner eigenen Leitung über
den Mont Cenis, das andere unter
seinem Oheim Bernhard über den St.
Bernhard. Ohne Widerstand überließ
ihm Desiderius die Pässe und schloß sich
in seiner Hauptstadt Ticinus oder Pa-
via ein, das Karl nach einer harten
siebenmonatlichen Belagerung endlich er-
oberte und so Desiderius besiegte. Karl
herrschte nun selbst über das longobar-
dische Reich. Aus allen Theilen des
Landes kamen die Langobarden, um sich
zu unterwerfen und Geschenke zum Be-
weise ihrer Unterordnung darzubringen.
Doch blieb das Königreich dem Namen
nach selbstständig; es wurde nicht mit
der fränkischen Monarchie verschmolzen
und behielt sogar seine eigenen Gesetze
und Einrichtungen. Karl führte den
Titel „König der Longobarden", zählte
die Regierungsjahre darnach und setzte
im Jahre 780 seinen Sohn Pipin zum
König dieses Landes ein.
2. Weit hartnäckiger und blutiger
waren Karls Kriege gegen die im nörd-
lichen Deutschland wohnenden Sachsen.
Hier stand die zähe Ausdauer eines
unentnervten, kriegerischen Volkes, das
für seine Freiheit, seine Sitten und
seinen Glauben kämpfte, eine Ausdauer,
die überhaupt den freiheitsliebenden
Volksstämmen und Volksfürsten jener
Zeit eigen war, der eisernen Willens-
kraft eines Helden gegenüber, der unter
seinem Vater eine treffliche Kriegsschule
durchgemacht und vor Allem in den
Kriegen gelernt hatte, einen einmal ge-
faßten Entschluß nicht wieder aufzu-
geben, und der endlich selbst für seinen
großen Gedanken begeistert war. Das
war der Grund, warum der Kampf
sich über 32 Jahre hinzog und auf der
einen Seite die verzweifelte Empörung
immer wieder wach rief, auf der andern
stete Feldzüge herbeiführte.
Die kriegerische Jugend dieses Volkes
war dem benachbarten Frankenreiche
schon lange durch ihre verheerenden
Streifzüge lästig geworden, so daß schon
Karl Martell und Pipin die Unter-
werfung der wilden Nachbarn versucht
hatten. Karl dem Großen war es vor-
behalten, dies schwere Werk zu vollen-
den. — Die Sachsen wohnten zu der
Zeit, von der wir reden, vom Rhein
bis zur Elbe, von der Eider bis zur
Werra und Fulda. Sie zerfielen in
drei Hauptstämme; aber roh in ihrem
Glauben, wild in ihrer Vertheidigung,
barbarisch in ihrem Recht, zäh in ihrer
Freiheit, waren sie für eine gesunde
Fortentwicklung ihres Staatslebens nicht
recht geschaffen. Festes Zusammenhalten
der Stämme war ihnen fremd; sie zer-
fielen in freie Gemeinschaften, die nur
stammweise im Kriege zusammentraten
und sich einen Führer wählten; außerdem
hatten sie einen gemeinsamen Führer nicht.
Im Jahre 772 unternahm Karl
den ersten Heereszug in das feindliche
Sachsenland und errang einige Erfolge.
Wo er hinkam, Zerstörte er die heidnischen
Tempel und zwang die Sachsen zur
Annahme des Christenthumes. Die
Sachsen aber fielen nach Karls Abzug
in's fränkische Reich mit Mord und
Brand, ihrerseits durch Zerstörung der
christlichen Kirche Rache nehmend. Dies
war der wesentliche Charakter fast aller
folgenden Feldzüge dieses Krieges. Wenn
Karl persönlich gegen die Sachsen aus-
zog, zwang er sie zum Rückzug, eroberte
ihre Burgen und suchte die Unterwor-
fenen zur Annahme seines Glaubens
zu zwingen; war er dagegen aus fernen
Kriegszügen abwesend, so fielen die
Sachsen in sein Reich ein, und nahmen
für die erlittene Schmach blutige Rache.
Aber Karl brachte es endlich durch seine
Kriegsgewandtheit dahin, daß er in den
Jahren 775 und 776 die drei Stämme
mit ihren Vornehmsten an der Spitze
zum Eid der Treue bewog und zum
ersten male im Feindeslande eine Reichs-
versammlung in Paderborn abhalten
konnte, wo sich die Sachsen demüthigten,
Geißeln in größerer Zahl gaben und
im Falle der Abtrünnigkeit Freiheit und
Vaterland verlieren zu wollen erklärten.
Nur einer ihrer Führer, Widukind,
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Extrahierte Ortsnamen: Italien Karls Deutschland Sachsen Sachsen Rhein Fulda Sachsen Christenthumes Sachsen Karls Sachsen Sachsen Feindeslande Paderborn Sachsen
102. Karl der Große.
221
entzog sich durch die Flucht zum Dänen-
könig der Unterwerfung Karls.
Trotz dieser Unterwerfung nahm der
Kampf von beiden Seiten einen immer
grausameren Charakter an. Die Sachsen
verheerten bei einem Angriff im Jahre
778 die Dörfer und Flecken am Rhein
von Deutz bis Zur Mosel. Karl zeigte
sich persönlich immer noch milde und
versöhnlich; aber die Unversöhnlich-
keit und unerschöpfliche Treulosigkeit
der Sachsen führten auch ihn zu här-
teren Maßregeln; so daß er einmal
4500 Manu im heutigen Hannover auf
einmal hinrichten ließ (783). Nun
wuchs die Erbitterung unter den Sachsen
mächtig. Sie scheinen sich jetzt zu
größeren Massen vereinigt zu haben;
es kam zu blutigen Feldschlachten zu
Detmold und an der Hase, in denen
Karl sie aber entscheidend schlug und
worauf er verwüstend ihre Fluren bis
zur Elbe und Saale durchzog, von
seinem Sohne Karl unterstützt. Zwei
Jahre lang ließ er seine schwere Hand
sie fühlen und die Gesetze, die er im
Jahre 785 auf einer zweiten Reichsver-
sammlung zu Paderborn gab, athmen
Tod und Verderben.
Karls Energie blieb nicht ohne
Erfolg. In demselben Jahre schon hatten
sich Widukind und Abbio, die Häupter
der bisherigen Empörungen und die
heldenmüthigsten Führer der Sachsen,
unterworfen und das Christenthum an-
genommen, nachdem sie sich Verzeihung
und Straflosigkeit hatten angeloben
lassen. Da erlahmte allmählich der kräf-
tige Widerstand und die Sachsen waren
einige Jahre hindurch, ihrer Stützen be-
raubt, kampfunfähig und still. Nur
die Friesen und die Sachsen der nörd-
lichen Gaue empörten sich noch mehr-
mals, vernichteten einzelne Heerschaaren
der Franken, stellten deren Bundesge-
nossen Hinterhalte und ermordeten die
Abgesandten des Frankenkönigs.
Endlich im Jahre 804 konnte das
Sachsenland als völlig unterjocht betrach-
tet werden. Karl hatte nach und nach das
Christenthum dortselbst verbreitet und
gründete nun die Bisthümer Bremen,
Verden, Münster, Minden, Osnabrück
und Paderborn zur Befestigung desselben.
3. Noch während des Sachsenkrieges
war Karl im Frühjahre 778 gegen
die Araber in Spanien zu Felde
gezogen. Er konnte aber keinen folgen-
reichen Sieg erringen und erlitt beim
Rückzüge in den Thälern von Ronce-
valles in den Pyrenäen eine empfind-
liche Niederlage. Hier fiel auch der in
den Sagen hochberühmte Held „Ro-
land", der Befehlshaber der Seelüfte
des Kanals, sowie Karls Truchseß Eck-
hard und der Pfalzgraf Anselm.
Zehn Jahre nach dem Beginn dieser
Kriege (788) ward das fränkische Reich
auch nach Osten hin ausgedehnt und
durch Absetzung des bayerischen Herzogs
Thassilo Ii., des letzten unter den
Agilolfingern, wurde Bayern eine frän-
kische Provinz*). Diese Angelegenheit
verwickelte den fränkischen König in einen
Krieg mit den Avaren, die Thassilo zu
Hülfe gerufen hatte, in dessen Verlauf
dies wilde Volk in sieben Feldzügen bis
hinter die Theiß zurückgedrängt ward.
Als nun auch Sachsen unterworfen
war, da waren alle deutschen Stämme zum
ersten mal unter einem Scepter vereint,
das Gefühl der Zusammengehörigkeit war
in ihnen erweckt, und wurde durch das
Erbrecht der nachfolgenden Karolinger
noch mehr befestigt und genährt. So
hat Karl das weltgeschichtliche
Verdienst, den Grundstein zum
deutschen Reiche gelegt zu haben.
Doch nicht bloß begründet hat er
dieses, sondern ihm auch die Elemente
der Bildung: Christenthum und Kultur,
Königthum und andere ausgebildete
Staats- und Rechtsinstitutionen einge-
pflanzt, dieser Neuschöpfung vor der
zerstörenden Wuth heidnischer Nachbarn
durch Bollwerke dauernden Schutz ge-
währt, und den Anfang gemacht, die
bezeichneten Segnungen über sie hinaus
nach Osten roheren Völkern zu bringen,
und so zeichnete er dem eben geschaffenen
Reiche eine unvergängliche Aufgabe
vor, die ihm immer großen Ruhm ge-
bracht, und an deren Lösung es heute
noch arbeitet, den Osten zu germanisiren
und damit zu bilden.
Aber auch gegen die Raubzüge der
dänischen Normanen, welche zur
*) Bergt. Nr. 101.
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Extrahierte Personennamen: Karl_der_Große Karl Karls Karl Karl Karl Karl Karl Karl Karls Karl Karl Karl Karl Karls_Truchseß Karls Anselm Thassilo Thassilo Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Karls Sachsen Rhein Deutz Sachsen Hannover Sachsen Detmold Paderborn Karls Sachsen Sachsen Sachsen Sachsenland Minden Paderborn Sachsenkrieges Spanien Ronce- Sachsen
222
Hi. Geschichtsbilder.
See durch Ueberfälle die Küsten Galliens
und Deutschlands verheerten, mußte
sich Karl vertheidigen. Ihr König
Godfried erschien (808) mit einer Heeres-
macht sogar vor dem Königssitze Aachen.
In Eile sammelte Karl ein Heer; aber
ehe es noch zu der von Godfried ange-
drohten Feldschlacht kam, wendete des
letzteren Tod die Gefahr ab, und die
unter den Söhnen ausbrechenden Thron-
streitigkeiten verhinderten weitere Kriege.
Das Land zwischen Schlei und Eider
blieb den Franken und wurde später
zur Nord mark.
So hatte sich denn das Reich Karl
des Großen ausgedehnt von der Elbe
bis zu den Pyrenäen, von der Nord-
und Ostsee bis zum adriatischen Meere,
und Karls Scepter waltete über fast
ganz Frankreich, Deutschland :
und Italien. Deutsche, Slaven,
Avaren, Spanier, Araber, Langobarden,
Italiener waren ihm Unterthan, eine
„Herrschaft, wie sie seit dem Unter-
gänge des Römerreiches nicht war
gesehen" worden. Sein Ruhm aber
ging weit über die Grenzen seines
Reiches hinaus. Gothische, schottische,
irische Fürsten nannten sich seine Unter-
thanen; britische Fürsten kamen an
seinen Hof, der Patriarch von Jeru-
salem sandte ihm die Schlüssel zum
heiligen Grabe, zum Calvarienberge und
Zur Stadt sammt einer Fahne; der
mächtige Chalif Harun al Raschid be-
wunderte Karl und suchte dessen Freund-
schaft. Auch der Papst, dankbar für
Karls einstimmige Hülfeleistung, setzte
ihm die kaiserliche Krone auf und salbte
ihn zum römischen Kaiser und ernannte
dadurch ihn und seine Söhne zu
Schutzherren Roms. Dies geschah bei
der Scheide zweier Jahrhunderte, am
25. Dezember, am Weihnachtstage des
Jahres 800.
Von jetzt an arbeitete Karl haupt-
sächlich an der inneren Entwickelung
seines Reiches. So nahm er sich der
Kirche und des Staates gleichmäßig
und bis in's Einzelnste an. Aber ob-
wohl in Alles eingreifend, ließ er doch
Kirche und Völkern Freiheit und Selbst-
ständigkeit der Entwickelung. Er hatte
mit der Uebernahme der römischen !
Kaiserwürde nicht den germanischen
Sinn für Freiheit verloren.
Er gründete Kirchen und Klöster
und beschenkte sie reichlich. Eben so
sehr sorgte er aber auch für die Rechte
seiner weltlichen Unterthanen durch
weise Gesetze und Aufstellung tüchtiger
Beamten.
Die Bildung fand einen hervorra-
genden Beschützer an ihm; denn er
gründete Schulen, ließ eine deutsche
Sprachlehre schreiben und die alten
Heldenlieder sammeln, welche noch im
Munde des Volkes lebten.
Selbst in Bezug auf den Landbau
ward er durch Anordnungen für die
königlichen Güter das Vorbild eines
sorgsamen, weisen und gerechten Guts-
herrn. Er gab Verordnungen über
Ackerbau, Garten-, Weinbau, Hausein-
richtung, Jagd u. s. w.
Seinem Reiche suchte er von jetzt
an die Ruhe zu erhalten. Er ordnete
den Heerbann, schützte durch Aufstellung
von Markgrafen, denen er eine größere
Gewalt in die Hand gab, die Grenzen
seines Reiches und baute zur Wehr
gegen die Ueberfälle der Normanen
und Mauren Flotten und Festungen,
besichtigte sie selbst, legte Häfen an
und setzte Wachtposten hinein. So war
er fortwährend für sein Reich besorgt,
und es gibt kein Gebiet des Staats-
lebens, wo Karl nicht, an frühere Einrich-
tungen anknüpfend, rastlos die bessernde
Hand angelegt hätte, bald ergänzend,
bald ordnend, nie aufhebend oder zer-
störend. Nach allen Seiten hin hat er
so Samenkörner ausgestreut, von denen
zwar einzelne im Drange der Ver-
hältnisse erstickten, die Mehrzahl aber
doch Früchte trug. Aus allen seinen
Thaten, wie Gesetzen aber blickt stets
der Geist der Frömmigkeit, der Weis-
heit, des Rechtes und der Milde hin-
durch. Und wenn dennoch scheinbare
Härte aus diesem so harmonisch gestal-
teten Wesen hervorbrechen, so ist nicht
Willkür, sondern Ueberzeugung die
Quelle davon.
4. Nicht uninteressant dürfte es sein,
auch von der Person Karls des Großen
zu reden.
Er war eine gewaltige Erscheinung,
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T83: [Karl Heinrich König Otto Sohn Reich Kaiser Sachsen Ludwig Herzog], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T65: [Reich Italien Land Kaiser Römer Volk Jahr Rhein Gallien Franken], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T132: [König Karl Italien Otto Kaiser Papst Reich Sohn Rom Jahr], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß]]
Extrahierte Personennamen: Karl Karl Godfried Karl Karl Godfried Karl Karls Harun Karl Karl Karls Karl Karl Karl Karl Samenkörner Karls
Extrahierte Ortsnamen: Galliens Deutschlands Aachen Nord Ostsee Karls Frankreich Deutschland Italien Karls Roms
410
Ii. Epische Dichtungen.
52. Das Grab im Bnsento.
Von Aug. v. Platen.
1. Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder!
2. Und den Fluß hinaus, hinunter zieh'n die Schatten tapf'rer Gothen,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.
3. Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schultern blond umgaben.
4. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
5. In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung auf dem Pferde.
6. Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldeugrabe.
7. Abgelenkt zum zweiten male, ward der Fluß herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Buscntowogen.
8. Und es sang ein Chor von Männern: Schlaf' in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab vermehren!
9. Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gothenheere;
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
53. Wittekind.
Von Aug. v. Platen.
1. Da kaum die Hügel matt erhellte
Der morgenrothe, lichte Schein,
Wer schleicht sich in die Zelte
Des Frankenlagers ein?
Mit Schritten, leise, leise.
Wie Späherschritte sind,
Verfolgt er die geheime Reise,
Das ist der Sachse Wittekind.
2. Schon focht er wider muth'ge Franken
Durch lauge Jahre blut'gen Streit;
Und grollte sonder Wanken
Dem Herrn der Christenheit:
Nun schlich er kühn und schnelle
Zum Feinde sich bei Nacht,
Vertauschend seine Heldenselle
Mit einer feigen Bettlertracht.
3. Da fühlt er plötzlich sich umrungen
Von Melodieen sanft und weich,
Gesungen wird, geklungen
Wird um ihn her zugleich;
Verwundert eilt er weiter,
Durchzieht das rüst'ge Heer,
Da sieht er Beter statt der Streiter,
Das Kreuz als ihre ganze Wehr.
4. Weihnachten war herangekommen,
Der heil'ge Morgen war entglüht,
Und innig schwoll des frommen,
Des großen Karls Gemüth;
Zum hohen Tempelbaue
Ließ wölben er sein Zelt,
Daß er im Land der Heiden schaue
Die Glorie der Christenwelt. -
5. Hoch über'm Altar prangt und raget
Ein blauer, golddurchwirkter Thron,
Drauf sitzt die reine Maget,
Und ihr im Schooß der Sohn.
Hell schimmert rings das schöne,
Das heilige Geräth,
Und alle Farben, alle Töne,
Begrüßen sich mit Majestät.
6. Schon kniete brünstig, stillandächtig
Der Kaiser vor dem Hochaltar,
Mit Grafenkronen prächtig
Um ihn die Heldenschaar;
Schon fällt vom Spiel der Lichter
Ein rofensarb'ner Schein
Auf ihre klaren Angesichter p
Da tritt der Heide keck hinein.
7. Er staunt, als er die stolzen Paire
Mit Karl auf ihren Knien erkennt,
Damit sie himmlisch nähre
Das ew'ge Sakrament;
Doch staunt er deß nicht minder,
Da sich kein Priester fand,
Und sieh! Es kamen Eügelkinder
Im blütheuweißen Lichtgewand.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr]]
Extrahierte Personennamen: Cosenza Karls_Gemüth Karls Karl Karl