112
Darauf sah er sein Haus an und ging in sein Kämmerlein und sprach:
„Alles steht bei mir fest und unversehrt!" und legte dafür in den Gottes-
kasten. Also auch, wenn ihm kostbarer Wein und schönes Geräte geboten
wurde, so kaufte er davon, jedoch mäßig, so daß sie sein Haus zierten und
seine Freunde erfreuten, und ging alsdann in sein Kämmerlein und sprach:
„Solches hast du dir kaufen und deinen Vorrat mehren können!" und legte
in den Gotteskasten; dazu sendete er gern von dem köstlichen Wein, so ein
Kranker dessen bedurfte. Also that er sein Lebenlang.
Als er nun sterben sollte, da klagten und weinten die Armen; die
Witwen und Waisen sprachen: „Wer wird unser sich erbarmen, wenn
Benediktus von uns scheidet?" Er aber sprach: „Ein guter Hausvater
sorget, daß auch dann, wenn er nicht daheim ist, den Kindlein nichts ge-
breche. ^o nehmet den Gotteskasten mit allem, was darinnen ist. Er
gehört den Armen, den Witwen und Waisen; theilet davon aus und ver-
waltet es wohl und weislich." — Darauf starb er, und es geschah, wie er
gesagt hatte.
Also bestehet der Gotteskasten seit hundert Jahren zum Troste der
Bedürftigen, und des Mannes Andenken bleibt im Segen.
Krummacher.
164. Das Vogelgeschrei.
Der reiche Kaufmann Sondersleben in Frankfurt am Main hielt die
Gebote des Herrn, seines Gottes. Er hatte sie nicht bloß in seiner Bibel
stehen, sondern sie waren ihm auch tief ins Herz geschrieben. Aber er
achtete auf Vogelgeschrei wie der König Manasse von Juda, und doch anders
als dieser, nämlich also:
Wenn im Spätherbst die ersten Schneegänse dahin zogen und den
Winter ansagten, so ging er in sein großes Kornhaus. Darin lagen große
Haufen von Roggen und Weizen aufgeschüttet: von diesem Getreide maß
er viele Scheffel ab und schickte sie dem Bäcker, der neben der Domkirche
wohnte. Der buk dann Brot daraus. Den andern Tag kamen arme
Leute zum Bäcker und holten das Brot ab; aber sie gaben kein Geld dafür,
sondern sie zeigten nur einen Schein von dem Kaufherrn vor und empfingen
dann, was ans dem Blättlein geschrieben stand.
In Frankfurt waren drei Schulen und darin viele Kinder reicher und
armer Leute durch einander. Der Lehrer ließ die Kinder der reichen Leute
vormittags um die dritte Stunde heim; die armen Kinder aber blieben
auf ihren Bänken sitzen und warteten, bis der Knecht des Bäckers kam.
Der trug einen großen Brotkorb auf dem Kopfe und gab einem jeglichen
Kinde zwei oder drei Semmeln, außen so gelb wie eine Citrone und innen
so weiß und locker wie Baumwolle. Dies Weißbrot war auch von dem
Kaufherrn.
So fuhr der Kaufherr fort zu thun, bis das Schwalbenpaar, welches
auf seiner Hausflur nistete, wieder da war und ihm ansagte, daß alle
Schneegänse wieder heimgegangen wären.
Nun hätte der Schaffner des Kaufmanns längst gern wissen mögen,
warum sein Herr das Kornhaus öffnete, wenn die Schneegünse kamen, und
es wieder schloß, wenn sie gingen. Deshalb fragte er ihn eines Abends
darum, als sein Herr fröhlich war in seinem Garten, der unten vor dem
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Extrahierte Ortsnamen: Frankfurt_am_Main Gottes Juda Domkirche Frankfurt
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gesucht. Aber der Bauer sprach: „Euer Aufzählen hilft euch nichts; der
Lcheffel kostet 8 Thaler; das ist mein Satz. Eher thu' ich meinen Boden
nicht auf. Und dann muß es ordentlich Kourant sein." Des Bauern
Söhnchen, ein Bürschchen von zehn Jahren, zupfte den Alten am Rock:
„Vater, gebt's ihm doch!" Aber der Vater prägte ihm mit einem Rippen-
stoß andere Grundsätze ins Herz. Der Weber mußte sein Geld zusammen-
streichen und heim wandern.
Den 8. Mai in der Abenddämmerung kam die Zeitung an. Einen
Blick hinein, und der Bauer fand, was er finden wollte: Roggen 8 Thaler."
Da zitterten ihm die Glieder vor Freude. Er nahm ein Licht, ging auf
den Boden und wollte übersehen, wie viel er wohl verfahren könnte, und
iiberschlagen, wie groß seine Einnahme wäre. Indem er so durch die Haufen
und gefüllten Säcke hinschreitet, strauchelt er an einem umgefallnen, fällt
selber, das Licht fliegt ihm aus der Hand und in einen Haufen Stroh, der
daneben liegt. Ehe er sich aber aufraffen konnte, steht das Stroh in Flammen.
Ehe an Hilfe zu denken ist, hat das Feuer Dachstuhl und Dielen ergriffen.
Um Mitternacht an demselben Tage, da der Scheffel 8 Thaler galt,
da er auf seinen Satz gekommen war, da er seinen Boden geöffnet hatte,
stand er am Schutthaufen seines ganzen Gutes als ein armer Mann.
Ahlseld.
201. Erlkönig.
1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
2. „Mein Sohn, was birgst du so bang
dein Gesicht?" —
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön' und
Schweif?" —
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." —
3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
manch' bnnteblumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Ge-
wand." —
4. „Mein Vater, mein Vater, und hörest du
nicht,
was Erlenkönig mir leise verspricht?" —
„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
in dürren Blättern säuselt der Wind." —
5. „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
und wiegen und tanzen und singen dich
ein." —
6. „Mein Vater, mein Vater, und siehst du
nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?" —
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es
genau,
es scheinen die alten Weiden so grau." —
7. „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne
Gestalt,
und bist du nicht willig, so brauch' ich
Gewalt." —
„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er
mich au!
Erlkönig hat mir ein Leid's gethan!"
8. Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
er hält in den Armen das ächzende Kind,
erreicht den Hof mit Müh' und Not.
In seinen Armen das Kind war todt.
Goethe.
202. Doktor Allwissend.
Es war einmal ein armer Bauer, Namens Krebs, der fuhr mit zwei
Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an
einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor
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285
Milch des Rennthieres ist überhaupt die wichtigste Nahrung des Lappen,
und nur durch die Kräftigkeit desselben wird es ihm möglich, die Furcht-
barkeit des Winters zu überdauern.
Das Rennthier ist ausgewachsen so groß, wie ein starker Hirsch, und
ein solches Thier kostet dort 8 bis 12 Mark. Braten und Keule schmecken
ähnlich wie Hirschbraten; das Fleisch ist aber röter, weicher und saftiger.
Die Keulen werden auch geräuchert und als Rennthierschinken weit versandt.
Th. Mügge.
13. Der Walfisch.
Der Walfisch ist das größte Säugethier. 100 Nashörner oder 80
Elefanten machen erst einen Walfisch aus. Zwischen der dicken Haut
und dem groben Fleisch liegt ein sehr dicker Speck. Der Kops nimmt fast
die Hälfte des ganzen Thieres ein, und das Maul ist so groß, daß ein
Mann bequem darin herumgehen kann. Die speckige Zunge ist 8 Meter-
lang und 3 Meter breit. Statt der Zähne hat der Walfisch Barten.
Diese Barten geben 3000 Pfund Fischbein. Auf dem Kopse befinden sich
die Spritzlöcher, aus denen er das Wasser 6 bis 8 Meter hoch heraus-
spritzt. Dieser sonderbare Springbrunnen macht ein Geräusch, das man
ziemlich weit hört. Die Seitenflossen des Walfisches, die er wie Arme
brauchen kann, sind 2 bis 3 Meter lang. Wenn das Junge müde ist vom
Schwimmen, so nimmt es die Mutter zärtlich zwischen die Flossen und
trügt es. Der Schwanz ist 6 bis 8 Meter breit und hat eine große Kraft.
Mit einem Schlage desselben kann er ein Boot zerschmettern. Einmal
schleuderte ein Walfisch mit seinem Schwanz ein Boot hoch in die Luft, so
daß die Leute alle ins Wasser fielen. Wenn der Walfisch eine Viertelstunde
unter dem Wasser geblieben ist, so kommt er herauf, steckt den Kopf aus
dem Wasser heraus und holt acht bis neun mal Atem. Dabei stößt er-
bet kaltem Wetter einen Dampf aus, gleich dem Rauche eines Ofens.
Das Junge saugt an der Mutter wie das Kalb an der Kuh.
Und nun sage mir, wovon dieses gewaltige Thier lebt? Das wird
wohl recht große Fische verschlingen? O nein. Denn es hat einen so
engen Schlund, daß man kaum mit einer Faust durchfahren kann. Be-
denke einmal, der ungeheure Walfisch lebt von Schleimthierchen, die nur
3 ein lang sind. Diese Thiere verschlingt er in solcher Menge, daß man
sie Walsischaas nennt. Außerdem frißt er auch kleine Krebse.
Du wirst nun noch begierig sein zu hören, wie man dieses gewaltige
Thier fängt. Viele Schisse gehen jährlich aus den Walfischfang. Diese
Schisse müssen stark gebaut, mit Eisenblech beschlagen und mit sieben
Booten versehen sein. Wenn das Schiff im Eismeer angekommen ist, so
muß man Tag und Nacht Wache halten. Ein Offizier sitzt im Mastkorbe
und gibt sogleich ein Zeichen, wenn er einen Walfisch bemerkt. Man setzt
die Boote ins Wasser, in denen außer den Matrosen je ein Harpunierer
ist. Dieser hält die Harpune in der Hand, welche an einem langen Seile
befestigt ist. Leise fährt man zum Walfisch hin, und der Harpunierer wirft
ihm die Harpune in den Leib. Nun fährt der Walfisch mit der größten
Schnelligkeit tief unters Wasser. Das Seil, an dem die Harpune befestigt
ist, rollt so schnell ab, daß oft das Boot mit unters Wasser gerissen wird.
Ein Harpunierer trat einmal aus Unvorsichtigkeit aus das Seil und wurde
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320
bergmännisch gewinnt. Freilich ist es nicht selten mit Gips, Thon und
erdigen Theilen vermischt, und dann werden nicht die Salzsteine heraus-
geschafft, sondern man läßt in die Salzgruben Wasser hinein, welches
das Salz auslaugt. Im Schoße der Berge entstehen dann große, vom
Wasser ausgefressene Höhlen, wie in Hallein, wo der Fremde mitten
im Salzberge auf einem Kahne über einen kleinen Salzsee schifft, wäh-
rend an den Wänden und an der Decke beim Scheine der Fackeln und
Lichter die roten, blauen, weißen und grauen Salzkrystalle wie in einem
Feentempel wunderbar glänzen. Gewaltige, oft stundenlange Soolwasser-
leitungen führen dort die gesättigte Salzsoole in die Siedehäuser nach Ischl,
wo in großen Pfannen durch das Feuer das Wasser verdunstet und die
weißen Salzkrystalle anschießen und zurückbleiben. In Znckerhutsormen ge-
drückt, wird dann das Salz — das hier, wie überall, zu den Einnahmen
des Staatsschatzes gehört — ausgeführt in das Land und beim Gebrauche
erst klar gestoßen. Anders verführt man in Halle und überall, wo natür-
liche Salzquellen sich finden und die Soole so dünn ist, daß sie nicht ver-
sotten werden kann; da müssen Sonne und Luft in den Gradierwerken dem
Feuer vorarbeiten, indem von hohen Balkengerüsten die Soole an warmen,
lnftstillen Tagen durch aufgeschichtetes Reisig langsam herabtröpfelt und auf
diesem Wege durch die hindurchhauchende Luft und durch die daraus bren-
nende Sonne abgedunstet wird. Da macht man sich freilich an den Küsten
des atlantischen und mittelländischen Meeres das Abdünsten des Meer-
wassers leichter; man gießt das Wasser in große, flache Gruben und über-
läßt das Gradier- und Siedegeschäft der Sonne, in Sibirien aber der
Kälte, indem nur der salzreine Theil des Wassers gefriert oder verdunstet,
das Salz aber zurückbleibt.
So gewinnt man das Salz, dieses für Menschen und Thiere unent-
behrlichste Gewürz, diese Delikatesse der Schafe, dieses Konfekt des Kamels,
wie es die Araber nennen, von welchem man in der Schweiz das Sprich-
wort hat: „Ein Pfund Salz gibt zehn Pfund Schmalz." Und wie wollten
wir Menschen unsere Speisen bereiten und erhalten ohne das Salz, das
nicht bloß vor dem Faulwerden schützt, sondern die Speisen schmackhaft
macht? Woher sollten wir unsere Schinken, und die Schiffe, die übers
Weltmeer segeln, ihr gepökeltes Fleisch nehmen? Und endlich wür's doch
wirklich schade um die Millionen von Heringen und Pöklingen, die wir
alljährlich wohl eingesalzen oder geräuchert verspeisen, wenn wir sie von
Sommer zu Sommer nicht aufbewahren könnten, bis die guten Thierchen
wieder einmal herdenweis in die Netze und Garne der betriebsamen An-
wohner der Nord- und Ostsee schwimmen. Kell.
51. Die Steinkohle und die Braunkohle.
1. Die Steinkohlen sind schwarz, glänzend und hart wie Stein.
Sie haben gar manches erlebt. Vor alten, alten Zeiten, ehe^ noch ein
Mensch auf Erden lebte, waren sie nicht so schwarz wie jetzt. Sie waren
schön grün und braun; sie bildeten allerlei Pflanzen. Die einen streckten
einen langen, starken Stamm empor. Oben trug er eine schöne Krone
von grünen Blättern, zart getheilt wie prächtige Federn, gerade so, wie sie
Farrenkräuter heutzutage besitzen. Tausende solcher Farrenbäume stan-
den dicht bei einander und bildeten große Wälder. Zwischen ihnen sproßten
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139
17. Vielleicht, daß er noch retten,
den Strom noch hemmen kann!
doch sieh, der Guß ist fertig,
es fehlt kein Tropfen dran.
18. Da eilt er abzuräumen
und sieht, und will's nicht sehn,
ganz ohne Fleck und Makel
die Glocke vor sich stehn.
19. Der Knabe liegt am Boden,
er schaut sein Werk nicht mehr.
Ach Meister, wilder Meister,
du stießest gar zu sehr!
20. Er stellt sich dem Gerichte,
er klagt sich selber an:
es thut den Richtern wehe
wohl um den wackern Mann.
21. Doch kann ihn keiner retten,
und Blut will wieder Blut;
er hört sein Todesurtheil
mit ungebeugtem Mut.
22. Und als der Tag gekommen,
daß man ihn führt hinaus,
da wird ihm angeboten
der letzte Gnadenschmaus.
23. „Ich dank' euch," spricht der Meister,
„ihr Herren lieb und wert;
doch eine andre Gnade
mein Herz von euch begehrt:
24. laßt mich nur einmal hören
der neuen Glocke Klang!
Ich hab' sie ja bereitet;
möcht' wissen, ob's gelang."
25. Die Bitte ward gewähret,
sie schien den Herrn gering;
die Glocke ward geläutet,
als er zum Tode ging.
26. Der Meister hört sie klingen
so voll, so hell, so rein;
die Augen gehn ihm über,
es muß vor Freude sein.
27. Und seine Blicke leuchten,
als wären sie verklärt;
er hat in ihrem Klange
wohl mehr als Klang gehört.
28. Hat auch geneigt den Nacken
zum Streich voll Zuversicht;
und was der Tod versprochen,
das bricht das Leben nicht.
29. Das ist der Glocken Krone,
die er gegossen hat,
die Magdalenenglocke
zu Breslau in der Stadt.
30. Die ward zur Sünderglocke
seit jenem Tag geweiht;
weiß nicht, ob's anders worden
in dieser neuen Zeit.
W. Müller.
200. Geiz ist die Wurzel alles Übels.
Die Jahre 1779, 80 und 81 stehen uns noch als Wasser- und Hunger-
jahre im Gedächtnis, uns freilich nur durch Hörensagen; unsern Groß-
eltern standen sie aber aus Erfahrung darin. In jenen Jahren lebte in
den Odergegenden ein Mann, dessen Feld war Höhenland und hatte gut
getragen. Und sein Feld war groß, so daß er eine gewaltige Masse Roggen
in der Scheuer und endlich aus dem Boden hatte. Hoch waren die Preise
schon im Herbste. Mit dem Winter und dem Frühjahr stiegen sie immer
höher. Mancher Handelsmann klopfte an die Thür des Reichen; mancher
Handwerker bettelte, er möchte ihm doch für gutes Geld ein Schesfelchen
ablassen. Alle aber wurden abgewiesen mit der Antwort: „Ich habe mir
einen Satz gemacht; der Boden wird nicht eher geöffnet, als bis der
Scheffel acht Thaler kostet. Dabei bleibe ich!" Und zum Zeichen hatte er
an die Bodenthür eine große, schwarze 8 mit Kohle gemalt. Der Winter
verging, der Mai kam heran; aber die Preise waren hoch gestiegen; denn
die gewaltigen Fluten hatten großen Schaden gethan.
Am 7. Mai kam ein armer Leinweber, ein ehrlicher Meister aus dem
Orte. Sein Gesicht sah von Hunger und Grämen selber aus wie Leinwand.
Er zahlte ihm, damit der reiche Mann Geld sähe, für einen halben Scheffel
3 Thaler 22 Ggr. auf den Tisch. Die 22 Ggr. bestanden aus Dreiern,
Vierlingen, Sechsern und Groschen; denn der Mann hatte alles zusammen-
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185
11. Die Lüneburger Heide.
Die Lüneburger Heide, das „Landmeer", gehört zu den übel ver-
rufensten Gegenden. Kalte Schauer durchrieseln den fröhlichen Rheinländer,
wenn er den Namen hört, und leise spricht er wohl vor sich hin: „Ich
danke dir Gott, daß ich nicht wohne in Sibirien oder auch in der Lüne-
burger Heide." Sehen wir uns den so viel geschmähten Landstrich ohne
Furcht näher an!
Die Lüneburger Heide erstreckt sich von der Göhrde bis in die Gegend
von Bremen und Stade ununterbrochen in unveränderter Richtung von
Südosten nach Nordwesten. Auf beiden Seiten wird sie durch die Elbe
und Aller begrenzt. Der höchste Rücken der Ebene erreicht die Höhe von
130 Meter, und der Abfall der Heide ist zu beiden Seiten sanft, doch
nicht gleichförmig; südwärts ist er erst in sehr bedeutender Erstreckung be-
merkbar, nordwärts dagegen etwa viermal so steil. Dieses Verhältnis der
entgegengesetzten Abdachungen läßt den Wanderer, welcher von Norden
kommt, die Heide als einen ausgedehnten blauen Gebirgsstreif am Hori-
zonte wahrnehmen, aus welchem die ihm entgegenkommenden Flüsse mit
beträchtlichem Fall und tief eingeschnittenen Thälern hervortreten, während
er, wenn er von Süden kommt, nichts als eine endlose Ebene vor sich sieht,
deren Flüsse langsam durch einen breiten Rand von Sümpfen und Torf-
mooren zur Aller abfließen.
Keineswegs bietet die Ebene einen so traurigen Anblick, als man er-
warten sollte. Nirgends trifft das Auge kahle Sandschollen und Hügel,
die der Wind versetzt; selbst in der höchsten Trockenheit bekleidet das Moos-
heidekraut, mit dem gemeinen Heidekraute um den Rang streitend, und in
reicher Fülle auch die Heidelbeere den Boden. Wo Zutritt der Feuchtig-
keit eine freiere Entwicklung erlaubt, treten in großem Umfange schöne
Waldungen von Buchen und Birken auf; und die herrlichen Eichenwäldchen,
welche die einsamen Heidedörfer umgeben, zeugen von der Fruchtbarkeit
ihrer Grundlage. Einförmige Kiefernwälder und mit ihnen öde Sand-
schollen beginnen erst in der Nähe des Allerthales und an den sumpfigen
Rändern der Flüsse des Südabhanges; doch findet sich der Wanderer auch
hier nicht selten erfreut durch eine Vermischung derselben mit Fichten. Die
heilkräftige Arnica montana (Wohlverleih) ist überall durch die Heide ver-
theilt und ziert die Ebene bis Hannover in großem Überfluß.
Die Dörfer der Heide bilden mit ihren Gürten und Wiesen, mit
ihrer Einfassung von Baumgruppen freundliche Oasen. Die Bewohner
sind auf die drei Hauptprodukte der Heide: Schafe, Buchweizen und Honig
vornehmlich angewiesen. Was dem Lappländer das Rennthier, dem Grön-
länder der Seehund, dem Marschbewohner das Rind ist, das sind dem
Heidebauer die Heidschnucken, deren an 600000 in der Heide gezählt
werden. Der Buchweizen oder das Heidekorn, liefert dem Heidebewohner
seine Hauptnahrung. Er wird theils zu Mehl, theils zu Grütze verarbeitet,
die mit Milch zu einer Suppe gekocht, meistentheils als erstes Frühstück
genossen wird; das Mehl dient besonders zu Pfannkuchen und zu „Bouk-
wüitenklüten" (Buchweizenklößen). Diese dürfen bei keinem Mittagsmahl
fehlen und erscheinen häufig auch als Abendgericht. Eine andere Quelle,
aus der dem Landmann ein ansehnlicher Erwerb zustießt, sind die Blüten
des Heidekrautes und des Buchweizens, die den Bienen eine reiche Weide
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von zahllosen Mücken- und Fliegcnschwärmcn verfolgt, welche Menschen und
Thieren das Leben wahrhaft unerträglich machen. Es dringt aber von
selbst darauf, daß seine Herren mit ihm an die kühle Meeresküste oder in
die tiefen Thäler hinabziehen, wo die Wolken des Ungeziefers in den
Winden zerstieben. Kaum aber nahet der Herbst, so erwacht die Begierde
nach dem Schnee der Berge, und vergebens wäre es, dem Verlangen des
Thieres zu wehren. Die ganze Herde der ohnehin nur halbgezähmten
Renner würde gewaltsam entlausen, um in wilder Freiheit mit ihren Brüdern
die Gebirge zu durchirren.
Zieht der Lappe im Herbste auf die Alpen zurück, so werden die Renn-
thiere mit allem Eigentum beladen, wie man Pferde beladet. Es werden
dazu die stärksten ausgesucht, und man vertheilt möglichst die Last; denn
das Rennthicr trägt nicht viel. Den großen Leitthieren werden Glocken
umgehängt, und so wandelt die Karawane, die mindestens 200, zuweilen
aber mehr als 2000 Geweihe zählt, die öden Fjellen auswärts in die un-
ermeßlichen Wüsten, gefolgt von der Familie und umkreist von den wach-
samen Hunden. Der Hausvater bestimmt endlich einen zur Winterrast
geeigneten Ort. Hier baut er seine Hütte. Dabei sucht er gern die Nähe
einer geschützten Schlucht, wo Birke und Kiefer wachsen, wo ein Bach
niederstürzt, und er baut dann die Hütte etwas fester, als das leichte
Sommerzelt, bedeckt sie von außen mit Rasen, bekleidet sie innen mit den
Fellen des Thieres, dem er alles verdankt, und erwartet nun, umringt von
seinen Vorräten, die weiße, warme Decke, welche der Himmel ihm aus den
Wolken schickt. Der Schnee fällt ellenhoch; aber das Rennthier achtet das
nicht. Es weiß mit seinen Hufen die Hülle fortzuscharren, weiß die Kräu-
ter und Moose darunter zu finden und irrt auf diesen ungeheuren Schnee-
feldern umher, ohne je eines Stalles oder einer Wartung zu bedürfen.
Neben dem Wohnplatze des Lappen steht meist noch ein Zelt. Hier
speichert er auf, was er an Mehl, Fellen und Geräten besitzt. Gewöhnlich
aber hat er nichts, als einige hölzerne Schüsseln, einen Kessel, einige Klei-
dungsstücke, einige Pelzdecken, und an den Zeltstangen hängen die Renn-
thiermagen, worin er seinen Milch- und Käsevorrat verwahrt. Aus einer
andern Seite der Hütte ist aus Pfählen eine Art Hürde gemacht, in wel-
cher die Rennthiere des Tages zweimal gemolken werden. Das ist das
Anziehendste für die Fremden. Die Hunde und Hirten treiben die Herde her-
bei, und die schönen Thiere mit den klugen, milden Augen bilden einen Wald
von Geweihen. Die Kälber umringen die Mütter, und die jungen Thiere
erproben spielend und stoßend ihre Kraft, und unaufhörlich hört man jenes
seltsame Knistern, das aus dem Knacken der Kniegelenke des Rennthieres
entsteht. Beim Melken wird jedem Thiere eine Schlinge übergeworfen,
damit es stille steht, und diesen Zügelriemen gebrauchen die Lappen mit
bewunderungswürdiger Geschicklichkeit. Das Rennthier gibt wenig Milch,
aber sie ist fetter als jede andere und außerordentlich nahrhaft. Jedes
Mitglied der Familie bekommt seine Portion; ein anderer Theil wird zu
der täglichen Suppe verwendet, welche mit Mehl oder auch mit Rennthier-
blut und Fleisch gemischt, eine wohlschmeckende, stärkende Speise gewährt.
Der Rest der Milch wird zu Käse gemacht. Im Winter läßt man die
Milch wohl auch gefrieren, so daß man sie in Tafeln schneiden kann.
Sie verliert dabei durchaus nichts von ihrer süßen Frische und ist
namentlich ans Reisen ein sehr dienliches Nahrungsmittel. Fleisch und
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
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mitgefangen werden. Diese Netze werden oben durch leere Tonnen gehalten
und sind unten mit Steinen beschwert, so daß sie steif wie eine Wand
stehen. Sic werden gewöhnlich des Abends ausgeworfen und gegen Morgen
mit der Winde anfgewunden. Wenn das Glück wohl will, gehen die an-
strömenden Heringe oft augenblicklich in diese Netze hinein, und man kann
dann schon oft nach zwei Stunden answinden. Aus einen Zug fängt man
ans diese Weise wohl 130 000 bis 140 Om Stück. Da sie außer dem
Wasser bald dahin sterben, so nimmt man ihnen schnell die Eingeweide
und Kiemen heraus und wirst sie vorläufig in Fässer mit Seewasser.
Später werden sie ausgewaschen und in eine starke Lake von Seesalz gelegt; bei
ihrer Ankunft in den Städten endlich werden sie ordentlich in Tonnen,
mit Schichten Seesalz dazwischen, verpackt. Dieses so wichtige Verfahren
des Einsalzens erfand vor etwa 400 Jahren ein gewisser Beukelen in
Holland, und erst dadurch wurde der ausgedehnte Verbrauch der Heringe
möglich gemacht. Im Handel nennt man Vollheringe diejenigen, welche
noch alle Milch oder Rogen enthalten, also noch nicht gelaicht haben; die
andern, welche schon gelaicht haben und daher hohl sind, Hohlheringe,
endlich die nach dem Einsalzen noch gedörrten und geräucherten Bück'
linge. Da, wo die Heringe in so großer Menge gefangen werden, daß
sie nicht alle eingesalzen werden können, benutzt man sie zu Thran und im
Notfall zu Dünger. Curtman.
26. Der Hecht.
Vor fast hundert Jahren wurde in einem Teiche ein Hecht geboren,
welcher sein Leben lang mit einem schlimmen Erbübel, mit dem Hunger,
zu kämpfen hatte. Als er noch jung war, machte er sich über den Laich
der anderen Fische her und ließ ihn sich wohlschmecken, und wenn die
munteren Gründlinge aus den Eiern schlüpften und sich umsehen wollten,
wo sie eigentlich wären, da hatte er schon ein Dutzend von ihnen wegge-
schnappt. Selbst die eigenen Geschwister, sobald sie kleiner waren als er,
fraß der Nimmersatt und fühlte dabei nicht mehr Reue und Kummer, als
wenn ein Knabe sein Butterbrot verzehrt.
Allein die kleinen Fische wurden von Tag zu Tag größer und flinker,
und weil sie wußten, was für ein schlimmer Patron der Hecht war, so
nahmen sie beizeiten Reißaus. Die einen tauchten rasch nach dem Grunde,
die anderen schossen im Bogen dahin, noch andere machten blitzschnell
links- und rechtsum. Einige schnellten sogar über das Wasser. Die Kaul-
köpfe wühlten Löcher unter die Steine und versteckten sich, und die Schmer-
len rührten den Schlamm um, so daß das Wasser sich trübte und sie un-
sichtbar wurden. Doch der Hecht war meist noch schneller und schlauer
als sie alle, und nur selten blieb sein hungriger Magen leer. Etwas Un-
bequemes hatte für ihn freilich jede Mahlzeit. Wenn er nämlich einen
Fisch mit den spitzen Hakenzähnen gefaßt hatte, so konnte er weder die
Gräten ausschälen, noch die Flossen und Stacheln abputzen, sondern mußte
den Bissen ganz hinunter schlucken.
Da der Bösewicht es verstanden hatte, alle Angeln und Netze schlau
zu vermeiden, so hatte er viele Jahre lang sein Wesen getrieben und war
immer frecher und raubgieriger geworden. Manches Hundert Fische war
feinem unersättlichen Appetite zum Opfer gefallen, besonders Karpfen und
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Äste wurden schon 1392 durch sechzig steinerne Säulen gestützt, und ein
Gedicht von 1408 sagt: „Vor dem Thore eine Linde jw)t, die sieben und
sechzig Säulen hat." Im Jahre 1831 wurden diese Säulen auf 166 ver-
mehrt. Ein abgebrochener Ast gab sieben Klaftern Holz. Die Linde muß
ein Alter von mindestens 700 Jahren haben, da sie 1226 schon als ein
großer Baum bezeichnet wird. Die stärkste Linde in Deutschland ist die
auf der Burg zu Nürnberg, welche bei nur 18 Meter Höhe einen Stamm
von 14 Meter Umfang hat. Der Stamm ist so weit hohl, daß man wie
durch ein Thor zu Pferde hindurchreiten kann. Ihr Alter kann man ziem-
lich genau berechnen; denn sicher ist sie erst nach Erbauung der Burg und
Ausgleichung des Bodens gepflanzt worden, wird daher kaum über 800
Jahre alt sein. Die größte Schirmfläche bietet wohl die Linde zu Vilsen
in der Provinz Hannover, von welcher erzählt wird, daß sich unter ihren
künstlich herabgebogenen Zweigen jeden Sonntag im Sommer 13 Ort-
schaften zum Gottesdienst versammelten und wohl ein ganzes Regiment
Soldaten darunter Platz gehabt haben würde. Linden von 6 bis 9 Meter
Umfang sind nicht selten in allen Gegenden Deutschlands.
Nach H. Jäger.
44. Das Getreide.
Das Getreide soll den Völkern des Erdkreises Speise liefern; daher ist
es fast über die ganze Erde verbreitet. Unter allen Arten desselben hat sich
die Gerste am weitesten verbreitet. Sie ist dem Menschen nach dein kalten
Norden gefolgt; sie gedeiht auch auf den warmen Fluren des gelobten
Landes. In dem winterlichen Lappland, wo man den Obstbaum und die
Eiche vergebens sucht, bietet sie dem Menschen das tägliche Brot zu dem
Fleische der Fische und der Milch des Rennthieres. Gerste und Hafer
sind auch die Hauptnahrung der Bewohner von Norwegen, Schweden und
Schottland. In Norddeutschland wird der Roggen am meisten angebaut,
obwohl hier auch der Weizen auf dem fetten Boden reichlich geerntet wird.
Gerate wird bei uns besonders zur Bereitung des Bieres und Hafer meist
als Pferdefutter benutzt. Alle diese Gewächse sind unscheinbar. Sie haben
keine buntfarbige Blüte, kein schön geformtes Blatt. Aus einer einfachen,
spärlichen Wurzel ist ein Halm hervorgeschossen, schwank und dünn, auf
dessen Spitze sich die Ähre im Winde wiegt; doch hat er starke Knoten,
daß der Wind ihn nicht knicken, und biegsame Fasern, damit er im Sturme
sich beugen könne. Die stiellosen, bandförmigen Blätter umschließen den
Halm. Sie helfen getreulich mit, daß er groß wird; denn sie sammeln
den Thau des Himmels, sangen das Sonnenlicht ein und führen der Pflanze
aus der Luft Stoffe zu, deren sie bedarf. Ist die Ähre aber der Reife
nahe, so verwelken sie, denn sie haben ihr Tagewerk vollbracht, und der
Nahrungsstoff, welcher noch immer ans der Wurzel aufsteigt, darf nicht
mehr in den Blättern sich zertheilen, sondern soll nun ganz allein den
Körnern zu gute kommen. — Die Südländer haben Reis und Mais, die
auch zum Getreide gehören.
Das Getreide liefert uns das tägliche Brot, und ein Sprichwort sagt:
„Es ist etwas Großes, Gottes Wort und ein Stück Brot haben." Die
trocknen Halme geben das Stroh. Dasselbe dient manchen Hausthiercn
zur Nahrung und bietet ihnen ein weiches Lager. Auch zum Dachdecken
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Extrahierte Personennamen: H._Jäger
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschlands Lappland Norwegen Schweden Schottland Norddeutschland Gottes
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kühlen Gebirge ober auf beut walbigen Hügel zum Quell ober Bach und
rinnt, inbem es seine nährenben Gaben rings umher vertheilt, von neuem
hinab zur Tiefe. Das Wasser folgt dem Bergmann nach in seine Gruben,
wie dem Krystallgrüber auf seine kahlen Berghohen; beim ebenso wie die
Luft ins Wasser einbringt und in dieses sich senkt, so brängt sich das
Wasser in luftiger Gestalt in die Atmosphäre ein und gibt bcn Alpen-
pflanzen und Moosen des Hochgebirges in solcher Fülle zu trinken, daß
kaum die Mittagssonne die perlenben Tropfen hinwegnimmt. Nur ba,
wo kein Kraut mehr gedeihen, wo kein burstenbes Leben sich mehr erhalten
kann, in den kalten Hohen, bahin sich nur Luftschiffer und kühne Gebirgs-
besteiger erheben, scheint das Wasser seiner hausmütterlichen Mühen und
Sorgen entbunden, bort kommt es nur wenig hin, die Luft ist ba wasser-
leerer als anderwärts.
Wasser gibt es freilich viel auf Erben; benn mehr als drei Vier-
theile ihrer Oberfläche sinb vom Meere bebeckt, und Strome wie L-een und
Sümpfe finben sich in den verschiebenen Welttheilen und Länbern in großer
Zahl. Dennoch kommt bieses wohlthätige Element bcn Landthieren, die
nach ihm bürsten, nicht so von selber entgegen, wie die Luft, die sie
atmen, sonbern es muß von ihnen oft in weiter Ferne und mühsam auf-
gesucht werben. Denn das dampfförmige Wasser, das in der Luft schwebt,
stillt ihren Durst nicht, und das salzige Wasser des Meeres, welches ihn
nur vermehren würde, ist meist für sie ungenießbar. Aber dazu hat der
Vogel seine Flügel, das vollkommnere Lanbthier seine rüstigen Füße em-
pfangen, daß es mit Hilfe berselben aufsuchen kann, was ihm fehlt. Zn
wenig Minuten ist die Schwalbe, die in den Felsenritzen des steinigen
Arabiens nistet, wenn sie der Durst treibt, bei der Lache angelangt, in
der sich von der Regenzeit her noch einiges Wasser erhalten hat. Die
Herben der schnellfüßigen afrikanischen Gazellen ziehen von einem Land-
strich zum andern dem Regengewölk nach, wenn bieses jetzt hier, dann
bort seine Segensfülle ergießt, und jeden Morgen wie jeden Abend finden
sie von der fernen Weide her am Tränkplatze sich ein.
Viel anders als bei den Thieren verhält es sich bei den Gewächsen
des Landes. Diese können nicht von ihrem Orte hinweg, um nach dem
Wasser zu suchen; sie müssen es abwarten, bis dieses ihnen selber entgegen
kommt. Und dennoch bedürfen sie des Wassers noch viel mehr als die
Thiere. Denn diese finden zum Theil schon in ihrem Futter Säfte, die
ihren Durst zu stillen vermögen; der Raubvogel im frischen Fleisch und
Blut der erbeuteten Thiere, der Stier und die Gemse in den Stengeln
und Blättern der Kräuter. Bei der Pflanze dagegen ist das Wasser nich,
bloß eine Zugabe zur Speise, sondern es ist für sie das Hanptnahrnngs,
mittel selber, wie für den Säugling die Muttermilch. Der zarte Säuglingt
wie übel wäre er daran, wenn er seine Nahrung selber aufsuchen müßte-
er, der noch nicht stehen noch gehen kann, sondern in seinen Windeln es
erwarten muß, daß die Mutter ihn tränkt. Und er darf nicht vergeblich
harren; die Liebe treibt seine Mutter mächtiger zu ihm hin, als sein
Hunger ihn zur Mutter.
Gleichwie dem Säugling ergeht es dem Reich der Pflanzen. Nicht
nur das flüssige Wasser des Bodens dringt in ihre feinen Wurzelfasern
ein, sonbern wie die Milch dem neugeborenen Kinde genügt vielen Ge-
wächsen das dampfförmige Wasser, das neben der andern luftförmigen
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