Herz des Reiches".- Es hat übrigens früher lebhafte Beziehungen
zu dem oberrheinischen Deutschland unterhalten, und die Bildsäule
des „von Allemand" ist ein Zeugnis für die dankbare Pietät der
Bewohner. — Westwärts von Lyon liegt der große Kohlenbezirk,
und mitten in ihm St. Etienne, das Birmingham und Sheffield
Frankreichs. Hier werden Metallgeräte gearbeitet und namentlich die
Waffen geschmiedet für die französische Armee; hier ist aber auch der
Derd der Strikebewegungen und socialdemokratischen Umtriebe. —
Nördlich von Lyon zieht sich die Saone aufwärts und an den Berg-
hängen das Land Burgund mit seinem berühmten Weinwuchs. Das
Gebirge cöte d'or hat ja daher den Namen, daß aus den Reben
Gold über das Land fließt. Die Herzöge von Burgund beherrschten
dies Gebiet, und Philipp den Guten nannte man geradezu den due
des bons vins. Die burgundischen Fürsten haben eine große Nolle
in der Geschichte Frankreichs und Deutschlands gespielt; Karl der
Kühne war der reichste Fürst seiner Zeit, und da Burgunds Herrscher
zugleich die gewerbthätigen Niederlande mit ihrer Wollensabrikation
besaßen, so ist auf sie der Orden des goldenen Vließes zurückzuführen,
der noch heute als einer der vornehmsten der Christenheit anzusehen
ist. Aber noch in einer anderen Beziehung ist das burgundische Land
von mächtigem Einflüsse gewesen; es war das Land der Klöster.
Welche Fülle religiöser Anregungen ist von Cluny ausgegangen! Die
cluniacensische Richtung verinnerlichte das ganze Glaubensleben des
11. Jahrhunderts, ermöglichte demnach die Entstehung der Kreuzzüge,
begründete aber auch zugleich die Anmaßung der hierarchischen An-
sprüche und schus dem deutschen Kaiser die schwersten Gegner und
Kämpfe. Ungleich friedlicher ist der Einfluß, der von Citeaux, der
Heimatsstätte der Cifterzienfermönche, ausging. Aus den weit ver-
breiteten Tochterklöstern dieses Ordens zogen die Pioniere christlicher
Kultur, rationelleren Ackerbaus und vorgeschrittener Gartenpflege oft-
wärts unter die slavischeu Völkerschaften und gewannen z. B. dem
Deutschtum den ganzen Osten seines heutigen Gebietes, die Kern-
lande unseres jetzigen imposanten Kaisertums. Unweit von Citeaux
liegt die clara vallis, wo der heilige Bernhard als Abzweigung des
Ordens das berühmte Clairvaux gründete. Übrigens nennt man in
Frankreich gewöhnlich die Cisterzienser Bernhardiner. Um hier, da wir
gerade von den Klöstern sprechen, auch noch dreier anderer berühmten
Abteien in Frankreich zu gedenken, so liegt in der Perche La Trappe
der strengste Orden der katholischen Kirche, der seinen Bekennern nur
erlaubt den Mund zu öffnen zu dem Todesgruße memento mori,
in den Voralpen bei Grenoble die Karthaufe, das Stammkloster der
Karthäuser, das seit 1819 wieder bewohnt wird, und bei Laon Pr6-
montre, wo Norbert von Tanten die Prämonstratenser stiftete, die
sich in gleicher Weise wie die Cisterzienser um die Verbreitung der
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Extrahierte Personennamen: Etienne Philipp Philipp Karl_der
Kühne Karl Cluny Citeaux Citeaux Bernhard Norbert
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Lyon Frankreichs Lyon Burgund Burgund Frankreichs Deutschlands Burgunds Niederlande Frankreich Frankreich Perche_La Grenoble Laon
— 42 —
Ferner ist zu beachten, daß der Boden dort mit Stauden und Zwiebel-
gewachsen bedeckt ist, daß aber bei dem Mangel an sommerlichem
Regen ganz die rasenbildenden Gräser fehlen. Statt des Rindviehes
und der Pferde erscheinen als Haustiere Büffel und Maultiere. Die
Butter entbehrt man ganz und ersetzt sie durch Ol. — Was sonst
die Vegetationsformen betrifft, so sind ja vom Altertum her bekannt
die Pinie, der Lorbeer und die Cypresse. Letztere in ihrer bleistift-
ähnlichen Form hat den Orientalen als Vorbild für ihre Obelisken und
Minarets gedient. Es hat doch aber in diesen Gebieten künstliche
Einführung und Übertragung fremdartiger Gewächse sehr umgestaltend
auf das Pflanzenkleid eingewirkt. Wir können uns Süditalien und
Sicilien heute gar nicht ohne die stachligen Agaven denken, und doch
sind sie erst seit Entdeckung der neuen Welt dorthin übergesiedelt.
Alan muß es daher als einen Anachronismus bezeichnen, wenn Preller
seine Odysseelandschaften überall mit diesen Agaven schmückt. Zum
heutigen Landschaftsbilde gehören ferner die Agrumen und Gold-
orangen, von den Magnolien mit ihren Tulpenblüten ganz zu ge-
schweigen. Die Citrgsarten sind aber aus Indien über Persien ein-
geführt, und der Name Apfelsine deutet schon ohne weiteres in seinem
Namen: chinesischer Apfel auf die fremdländische Herkunft. Peschel
sagt mit Recht, daß die Flora des europäischen Südens, namentlich
Italiens, mit der Zeit völlig umgewandelt ist und als Kunstprodukt
alter Kulturvölker bezeichnet werden muß. Er fügt dann aber weiter
hinzu, daß die Pflanzengebilde Südeuropas ästhetisch unendlich höher
stehen, und daß man sast betroffen ist, wenn man nach Norden zurück-
kehrt, über „die Ordinärheit der Pflanzenwelt, deren Laub- und
Nadelholzmassen schier ungeschlacht und grob erscheinen. Darum" —
und dies ist sein geistvoller Schluß — „ist der Kunstsinn hier im
Süden so früh geweckt worden. Das Akanthusblatt wurde zum
Vorbilde der Arabesken an der korinthischen Säule, das Laub des
Lorbeers schmückte die Stirn des Siegers, und der Zapfen der Pinie
krönte den Thyrsusstab."
Wenn wir die südeuropäischen Halbinseln betrachten, so gebührt
der mittelsten der Vorzug, den unverfälschtesten Ausdruck dieses be-
sonderen europäischen Ländertypus in sich darzustellen, also Italien.
Das alpine Hochgebirge schützt die Halbinsel gegen alle klimatische
Rauhigkeit des Nordens; nur ab und zu spürt man den Wind, die
tramontana, und namentlich im Süden entwickelt das Land allen
Reiz einer ganz eigenartigen Flora und einer weichen, gleichmäßigen
Himmelsluft. Das sind die Eindrücke, die Platen die Verse eingaben:
Zeit nur und Jugend verlor ich in Deutschland, Lebenserquickung
Reichte zu spät Welschland meinem ermüdeten Geist!
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Extrahierte Personennamen: Alan Peschel
Extrahierte Ortsnamen: Indien Italiens Italien Deutschland Welschland
— 109 —
schast mag ja auch die Unterwürfigkeit begünstigt haben. Aber
etwas anderes ist charakteristisch. Sie schließen sich gern zusammen
und übertragen einem aus ihrer Mitte die Fuhrung. Es pocht nicht
jeder aus seine Individualität, und man sieht ein, ein Volk, aus
solchem Holz geschnitzt, ist zu einer führenden Stellung, zu einer
politischen Rolle berufen und vorausbestimmt. Zudem hat es Nuß-
land nie an energischen Herrschern gefehlt. Schon das muß als ein
günstiges Omen gleich am Anfang der russischen Geschichte betrachtet
werden, daß Wladimir, „der Zar Peter des 10. Jahrhunderts," eine
Enkelin an König Heinrich I. von Frankreich vermählen konnte, so
daß alle französischen Könige das Blut seines Geschlechts in ihren
Adern tragen. Die Tüchtigkeit der Regenten verband sich dem Cha-
rakter des halbasiatischen Volkstums gemäß oft nüt einer grausamen
Wildheit; deshalb legte man dem Zar Iwan den Namen des Schreck-
lichen bei. Es geht die Sage, daß er den Baumeister der oben er-
wähnten „Ananaskirche" gefragt hätte, ob er sich getraue, ein zweites
Bauwerk derart vollenden zu können. Und auf die bejahende Ant-
wort hin ließ er ihn schnell enthaupten, damit nur er ein so Herr-
liches Gotteshaus besitze. Dann solgt um 1700 Peter der Große,
dem man eine wilde Energie gewiß nicht absprechen wird. Im
18. Jahrhundert regierten vier Frauen, Katharina I., Anna, Elisa-
beth und Katharina Ii. oder die Große, der Rußland so ungemein
viel zu verdanken hat, was uns Deutsche um so mehr freut, als
sie in Stettin geboren war und völlig als unsere Landsmännin
angesehen werden kann. Im 19. Jahrhundert war Nikolaus I.
ein mächtiger Fürst, der schon in seiner äußeren Erscheinung das
Majestätische und Jmperatorische spüren ließ. Als das Cholera-
schrecken 1831 in Petersburg alle Gemüter lähmte und ein wilder
Aufruhr die Stadt durchtobte, erscheint er ohne Begleitung unter
der wütenden Menge. Man raunt sich zu: Gossu dar (der Herr ist
da). Dann steigt er auf die Stufen einer Kirche und donnert den
Nuffen zu: na kalenn (aus die Kniee). Widerstandslos haben zehn-
tausend Menschen dem Befehl gehorcht.
Bei einem so gearteten Volke und bei solchen immer von neuem
wiederkehrenden energischen Herrschern will das westlichere Europa aus
der Angst nicht herauskommen, als ob uns alle das Slaventum der-
einst verschlingen werde. Erst neuerdings hat Nietzsche dieser Be-
sürchtung Ausdruck gegeben. Fast unheimlich ist ja das Anwachsen
der Bevölkerung. Wir haben heute dreimal soviel Russen als vor
hundert Jahren, und die Volksmasse allein des europäischen Ruß-
lands mit 106 Millionen erscheint unzählig und beängstigend. Aber
hinter, solcher Angst birgt sich doch nur das Gefühl der eigenen
schwäche; ein gesundes Westeuropa kann auch gegenüber solchen
Zahlen die Furcht bezwingen; denn es sprechen verschiedene Gründe
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Extrahierte Personennamen: Wladimir Peter Heinrich_I._von_Frankreich Heinrich_I. Iwan Peter_der_Große Katharina_I. Anna Katharina_Ii Nikolaus_I. Nikolaus_I. Nietzsche
Extrahierte Ortsnamen: Stettin Petersburg Europa Westeuropa
— Iii —
schweren Nachteil für die Entwickelung des Landes bedingt die Un-
Bildung der großen Massen, die fast zum Erschrecken große Zahl der
Analphabeten. So gewiß „Bildung Macht ist", so armselig ist der
Staat daran, dessen Bevölkerung nur körperlich mitzählen kann. Was
hat in den Perserkriegen den Athenern schließlich den Sieg verliehen?
Die Zahlenverhältnisse waren ja ungünstig genug, Herodot wenig-
stens rechnet bei Marathon aus 10 Perser 1 Athener. Aber es
waren bei den Orientalen zusammengetriebene Massen, bei den
Griechen selbständige, gebildete und sreiheitsliebende Männer, bei
denen Ehrgefühl und innerer Wert ganz anders mitsprachen. Man
rechnet in Rußland, daß nur der achte Teil der schulpflichtigen Ju-
gend Unterricht genießt und daß auch bei den bevorzugteren Klassen
sich jener Halbsirnis der Bildung eingestellt hat, unter dem sich an-
geborene Roheit versteckt. Darauf zielte jenes Wort Napoleons, das
wir oben erwähnten. Und damit hängt auch die erschreckliche Unehr-
lichkeit und Korruption des Beamtentums zusammen, ein Krebs-
schaden, dessen Heilung je länger desto mehr fast eine Undenkbarkeit zu
sein scheint. — Und sehen wir denn nicht, wie in dem ungeheuren
Reiche der Wurm im Innern nagt? — wie durch die nihilistischen Ver-
brechen alles Vertrauen erschüttert wird? Die Lebensbeschreibung
des Fürsten Krapotkin, die unlängst erschienen ist, weist auf entsetz-
liche Zustände. Ein Fürst steht an der Spitze der anarchistischen
Partei; das giebt doch wohl genug zu denken.
Schließlich bleibt Rußland als vornehmste und unbestrittenste
Aufgabe die Ausbreitung in Asien, und da hat, wie wir das schon
im ersten Teile nachwiesen, es Rußland auch erreicht, daß es zu-
sammen mit seinem europäischen Besitz den sechsten Teil der Land-
masse der Erde umfaßt. Man rechnet, dem Zaren ist die Hälfte von
Europa und ein Drittel von Asien unterthan. Und hier in Asien
stehen Rußland noch die rühmlichsten Kulturausgaben bevor. Möchte
es immer dessen eingedenk sein, was einst ein Russe gesagt hat: Wir
wollen Asien als unser eigenes Kind erziehen, es gleich der Mutter
an unseren eigenen Brüsten säugen!
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Extrahierte Personennamen: Herodot Napoleons
Extrahierte Ortsnamen: Napoleons Asien Europa Asien Asien
— 51 —
die, wie G. zu Stolberg gesagt hat, des schönen Italiens schönste
Provinz ist. „Wolkenlos erscheint der Himmel. Tags sieht man
Sterne, und in der Nacht hebt sich jedes Gebüsch unglaublich scharf
in der Landschaft ab. Beim bloßen Scheine der Mondsichel werfen
die Körper starke Schatten, und wo bei uns ein grauer Himmel das
Meerwasser grau erscheinen läßt, nimmt dort die See eine tiefgesättigte
indigoblaue Farbe an. In der Dunkelheit schimmern die Wellen in
mattem phosphorischen Lichte; um des Fischers Ruder sprühen^unken,
und die Spur seiner Barke ist Feuer." Allerdings, sagt ^tolberg
weiter, bedecken hier nur Blumen die Rüstkammer des Allmächtigen.
Denn Kalabrien ist der Brennpunkt der unterirdischen Feuer, deren
Hauch aus dem Vesuv, dem Stromboli und dem Ätna atmet.
Bei Reggio (Rhegium), das mit dem griechischen Qijywßl zu-
sammenhängt, ist der Faro di Messina, der Italien von Sicilien
trennt. Schon den alten Griechen muß also das Bewußtsein inne-
gewohnt haben, daß hier eine gewaltsame Ruptur gleichartige Lande
und Gebirge von einander gerissen hat. Wenn wir an dieser An-
nähme festhalten, so entfaltet sich, der Apenninenzug zum Schlüsse
zur gewaltigsten Erhebung. Der Ätna ragt gewaltig über das ganze
Eiland Sicilien, und wenn die Sonne ausgeht, soll man noch 150 km
entfernt bei Palermo seinen Schatten sehen können. Der alte Philosoph
Empedokles stürzte sich in seinen Krater, und ihm zu Ehren nennt
man heute einen Trümmerrest den Philosophenturm. Übrigens er-
zeugen die Minen des Ätna das Gold Siciliens — den Schwefel.
Sicilien, im Centrum des Mittelmeeres gelegen, war das Märchen-
land der antiken Welt. Hier hausten die Cyklopen und Lästrygonen,
und hier war für das homerische Zeitalter der Rand des geographischen
Horizontes, an den die abergläubischen Schiffer erfahrungsmäßig alle
die Fabelwesen ihrer erregten Phantasie hinversetzen. Im Mittel-
alter war die Insel das Streitobjekt zwischen Jtalikern, Normannen
und Saracenen, und die Erinnerung an diese dreifache Zusammen-
setzung der Bevölkerung ist festgehalten in Schillers Braut von
Messina, so wie blaue Augen und blonde Haare auch dem heutigen
Besucher das Normannenblut vergegenwärtigen sollen. — Von Messina
la nobile bis zu den im Westmeer liegenden Ziegeninseln sägatischen)
ist die Vegetation Siciliens namentlich an den Küstenrändern fast
tropisch; Messina bildet den Ausfuhrhafen für die köstlichen Süd-
srüchte, an denen sich die Nordländer erlaben. Vor Blumenduft,
berichtet schon Diodor, hätten die Hunde die Fährte des Wildes ver-
loren, und neben dem berühmten sicilischen Weizen, der „gedüngt ist
mit dem Blute des Ätna", erscheinen die Vertreter der Tropenwelt,
Zuckerrohr und Baumwolle. Zur Veranschaulichung dieser sicilischen
Vegetation der Küstenränder — denn die innere Hochfläche ist infolge
der Abholzung kahl, wovon wir weiter unten sprechen werden, —
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— 00 —
australischen Eukalypten, die ihre Wurzeln tief in das^ Erdreich ein-
senken, die Striche von ihrem Überfluß an Sumpfwasser allmählich
zu befreien. — Das arme italienische Volk bekundet seit je große
Neigung auszuwandern, und namentlich für die benachbarten Länder
haben sie, fozufagen, die Rolle der auswanderungslustigen Chinesen
übernommen. Bewundert wird dann ihre erstaunliche Anspruchs-
losigkeit und Lebhaftigkeit, wenn sie sich ihre polenta nach den Ge-
setzen der Kreisteilung vergnügt einteilen und ihrer drei bei einer
Flasche Wein mehr Spektakel machen als dreißig Deutsche, die Gam-
brinus einen Eimer opfern. Die Auswanderung beträgt, in manchen
Strichen über 3% der Bevölkerung. — Das schwerste Übel, an dem
endlich der Staat krankt, ist die mangelhafte Schulbildung des Volks,
namentlich wenn man tiefer in die Halbinsel nach Süden vordringt,
wo die ehemalige Mißwirtschaft der Bourbonen noch immer in ihren
beklagenswerten Folgen sich spüren läßt. Ehre und Anerkennung
sei der jetzigen Regierung, daß sie auch hier Wandel zu schaffen be-
strebt ist! Italienische Sprache und Bildung stehen sonst hoch in
Achtung, das ganze östliche Mittelmeer hat noch heute das Italienisch
zur Verkehrssprache, und nun sollten die eigenen Landeskinder die
wissenschaftliche Pflege ihrer Muttersprache vernachlässigen? Recht
prunkhaft nimmt es sich aus, daß Italien 19 Universitäten zählt,
aber auch da wird des Guten fast „zu viel geboten, und an inten-
filiere Geistespflege ist bei dieser Überzahl nicht mehr zu denken.
Die Regierung ist daher daraus aus, die kleineren Hochschulen all-
mählich eingehen zu lassen und dadurch Mittel in die Hand zu be-
kommen, um an den größeren Universitäten wirklich Vorzügliches
zu leisten. _
Dieselben Vorzüge des Klimas und einer entzückenden Vegetation
wie in Süditalien treffen wir auch in Süd- und Ostspanien und bei
dem Ostrande der südlichen Balkanhalbinsel. Valencia heißt z. B.
„das spanische Paradies", und von den Huertas und Vegas haben
wir schon im ersten Teile gesprochen. ^ Dasür macht das Innere der
pyrenäischen Halbinsel stellenweise einen fast trostlosen Eindruck. Aber
das Starre, Unbewegliche der Natur paßt zum Volkscharakter des
Spaniers, der seine ganze Empfindungsglut nach einer Richtung hin
ausströmen läßt, dann aber wieder in völliger Abgeschlossenheit und
Unzugänglichkeit sich stolz gegen alle fremden Einwirkungen verschließt.
Diese Mischung einer glühenden Leidenschaftlichkeit und sanatischen
Anhängerschaft an das Althergebrachte erzeugte in dem spanischen
Volke das Blütezeitalter unter Philipp Ii., wo der Spanier mit
Todesverachtung überall für den althergebrachten katholischen Glauben
1 Erdkundliche Aufsätze, S. 60.
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— 57 —
tugal seinem Riesenreiche hinzuerwarb, es eigentlich versäumte, nach
Lissabon die Hauptstadt seines Pyrenäenreiches hin zu verlegen. Dann
hätte „die Sultanin des Westens" dieselbe Rolle gespielt, wie etwa
heute Liverpool, das den Verkehr und Handel mit Amerika beherrscht.
Aber es ist müßig, solchen Kombinationen in der Geschichte nach-
zugehen, und jedenfalls eignet sich der Tajo auch nicht in dem Grade
dazu, alle die natürlichen Reichtümer des Landes ausschließlich nach
Lissabon als dem Ausfuhrhafen hinzuleiten. — Im Mittelalter ist
die Pyrenäenhalbinsel wieder nach einer andern Hinsicht höchst inter-
essant. Es ist die Zeit des Cid und der Mauren. Zweimal hat
der Islam versucht, Europa zu unterjochen. Im 8. Jahrhundert
von Westen her durch die Araber, vom 15. Jahrhundert ab von der
Südostseite durch die Türken. Damals gelang es den Saracenen,
sich in der Pyrenäenhalbinsel festzusetzen; aber da der Islam wohl
vermag, seine Streiter zum Angriff zu begeistern, sie aber nicht zur
Seßhaftigkeit und zum Widerstande zu erziehen, so hat nach der
ersten stürmischen Eroberung Stillstand und Rückgang begonnen. Die
Christen der Halbinsel, die in die kantabrisch-asturischen Berge ge-
flüchtet waren, eroberten von da aus das Land allmählich zurück.
Daher hat der Thronfolger in Spanien den Titel Prinz von Asturien.
Aber lange Zeit faßen doch die Araber in Spanien, so daß man in
dem heutigen spanischen Volke die Mischung erkennen will: iberisches
Bergvolk, heißes Saracenenblut und gotische Eisensubstanz. In dieser
langen Zeit der arabischen Herrschaft in Spanien, die durch das
Kalifat von Cordova repräsentiert wird, hat das orientalisch-semitische
Volkstum eine Zeit hoher Blüte erlebt, und seine Spuren sind bis
in die heutige Zeit zu verfolgen. Einmal bewundern wir die arabi-
schen Bauten. Am Guadalquivir, dessen Name noch an die arabische
Zeit erinnert, und in Granada treffen wir auf die ehrwürdigen Zeugen
muhammedanischer Vergangenheit. In Cordova war vier Jahrhunderte
lang (bis 1031) der Sitz des Kalifats; es zählte eine Million Ein-
wohner, und man nannte es „das Mekka des Westens". An die
frühere Glanzzeit erinnert noch die herrliche Kathedrale, die in die
alte berühmte Moschee hineingebaut ist: la Mezquita. Die Moschee
war nächst der Kaaba zu Mekka der größte mohammedanische Tempel,
durch 1200 Säulen in 19 Längs- und 29 Querschiffe geteilt und
zur Zeit des Kalifats von 4700 geschliffenen Krystalllampen er-
leuchtet. In Sevilla, von wo der Guadalquivir schiffbar wird, üben
gleichermaßen auf uns maurische und altchristliche Denkmäler eine
zauberhafte Wirkung aus. Da ist zunächst Alkassar, „das Haus des
Cäsar", ursprünglich ein maurischer Palast mit seinen Hufeisen- und
Kielbogen; während die Außenflächen der Mauern ungegliedert sind,
erscheinen die Innenflächen mit ihren wunderbaren Ziegelarabesken
gleichsam, als wären sie aus den feinsten Spitzenstoffen gewebt. Von
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Extrahierte Ortsnamen: Lissabon Amerika Lissabon Europa Spanien Asturien Spanien Spanien Granada Cordova Mekka Mekka Sevilla
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überwältigendem Eindruck ist daneben die Kathedrale S. Maria de
la Sede, eine der schönsten gotischen Kirchen der Welt mit der be-
rühmten, 5000 Pfeifen zählenden Orgel. Endlich liegt in Granada
der seenhaste Palast, die Alhambra. Mitten in dieser herrlichen
Bega, die „ein vom Tau benetzter Rosenkranz" genannt wird, ragt
die Akropolis von Granada empor, eben die Alhambra, „das Herr-
lichste Bauwerk, das Menschenhand vollbrachte". Vieles in dem
imposanten Gebäude ist ja schon versallen oder dient anderen Zwecken,
aber noch deuten Hose und Säle auf die einstige Pracht. Der Hof
des Löwenbrunnens ist mit Recht berühmt. Er gleicht einem schönen
Saale und ist aus allen Seiten mit offenen Bogen, die von zarten
Säulen getragen werden, umgeben. Charakteristisch sind auch hier
die Flächen zwischen den Bogen „mit reich gemusterten durchbrochenen
Ziegeln ausgefüllt, so daß die Wände ausgespannten arabischen
Teppichen ähneln". — Die Araber haben während ihrer Herrschast
in Spanien auch eine Zeit hoher geistiger Blüte erlebt, und ihr Ein-
flnß auf die Wissenschaft ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung
gewesen. Namentlich wurden bei ihnen die exakten Wissenschaften
gepflegt, wie denn die Semiten von je eine besondere Begabung
z. B. für die Heilkunde gezeigt haben. Als der Kardinal Z^imenez
1498 sämtliche in der Stadt vorgefundenen arabischen Bücher — es
waren wohl 80000 — verbrennen ließ, schied er die Bücher medi-
zwischen und naturhistorischen Inhalts aus, die jetzt einen wertvollen
Teil der Bibliothek des Escorial ausmachen. Was für Förderung
verdankt ferner die abendländische Kulturwelt dem Arabertum in Be-
zug auf Erdkunde, Astronomie und mathematische Wissenschaft! Ziffer,
Algebra sind Wörter arabischen Ursprungs, ebenso Zenith und Nadir;
die /ueydlrj ovvxa^ig des Ptolemäus wurde in das Arabische über-
setzt, und in dieser Verkleidung wurde der Almagest der Brunnen,
aus dem Europa seine astronomische Kenntnis schöpfte. Die pyre-
näische Halbinsel war damals reich bevölkert; allein das Land süd-
lich vom Duero soll 25 — 30 Millionen beherbergt haben, und die
Araber brauchten das Sprichwort: wen Gott lieb hat, dem giebt er
sein Brot in Spanien zu essen. In noch älterer Zeit war Spanien
womöglich noch berühmter; es galt als das antike Mexiko und hatte
in der Römerzeit wohl 40 Millionen Bewohner. Die Gegend von
Sevilla hat den berühmten Kaiser Trajan erzeugt, und ebenso stammen
die Vorsahren des Hadrian daher. Im grauesten Altertum haben
endlich die Phönizier das Land Tarschisch ausgesucht, ^eben die Tief-
ebene des Guadalquivir, und sie fanden dort so viel Silber, daß sie
Anker und Schiffsgerätschasten aus diesem edlen Metalle verfertigt
haben sollen. Hört man diese Angaben, so muß man bekennen, daß
Spanien heutzutage einen bedenklichen Rückgang erlitten^ hat,^ es
zählt nur etwa 17 Millionen Einwohner, und das Land ist vielfach
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Während Europa und die occidentalische Kultur auf der Pyrenäen-
Halbinsel schon über 500 Jahre lang den Zwang und die Einwirkung
des Islam abgeschüttelt haben, ist auf der Balkanhalbinsel auch noch
gegenwärtig der Islam, vertreten durch die Türkenmacht, im Besitz
seiner Ländereien. Allerdings hat die verachtete Rajah, also die
christliche Unterthanenschaft, im 19. Jahrhundert große westlich und
nördlich gelegene Stücke von dem türkischen Staatenleib losgerissen,
und so sind die Königreiche Griechenland, Rumänien, Serbien und
das Fürstentum Montenegro als selbständige Staaten entstanden,
während Bulgarien, Bosnien, Kreta nur noch in nomineller Verbin-
dung mit dem Sultanat stehen; aber immerhin glänzt noch von der
Hagia Sophia in Konstantinopel der Halbmond, und das Dasein
des „kranken Mannes", wie man den Sultanstaat nennt, ist weiter
gefristet, weil die europäischen Mächte nicht darüber sich einigen
können, was nach der Vertreibung der Türken aus ihrer Erbschaft
werden soll. Das ist ja klar, die Türkenherrschaft hat den unter-
jochten Ländern keinen Segen gebracht, die Osmanen gehören nach
Asien, und mit Vorliebe lassen sich auch die vornehmen Türken in
Skutari beerdigen, gleichsam als ob ihnen instinktiv das Gefühl inne-
wohnte, daß es mit ihrer Herrlichkeit in Europa bald vorbei sein
würde; — aber die Thatsache ist nun einmal da, politisch muß mit
dem islamitischen Staate in Europa nach wie vor gerechnet werden.
Man schätzt, wenn man die großen wüsten Striche, die die Türkei
in Asien und Afrika besitzt, nicht mit in Anschlag bringt, etwa so,
daß der vierte Teil des Türkenreiches in Europa liegt. Und wiederum
sind unter diesen europäischen Unterthanen nur die Hälste Muhamme-
daner. Man kann sich denken, daß bei diesen für die Türken un-
günstigen gegebenen Verhältnissen die christlichen Unterthanen sehr
zur Empörung neigen, und der Abbröckelungsprozeß wird wohl auch
sürderhin seinen Fortgang nehmen. Wirtschaftlich steht es um die
Türkei recht traurig. Der Türke neigt zum Phlegma, abgesehen da-
von, daß auch seine Religion ihm vorschreibt, an sein „Kismet" zu
glauben, also sein Schicksal als ein prädestiniertes zu betrachten und
der eigenen fleißigen Arbeit nur wenig Kraft zur Förderung seiner
Glückseligkeit zuzuschreiben. Daher liegt es mit dem landwirtschaft-
lichen Betrieb des Landes sehr im argen, nur ein Zehntel der Boden-
fläche ist bebaut. Dazu kommt die greuliche Waldverwüstung, die wir
in sämtlichen südeuropäischen Halbinseln haben wahrnehmen müssen.
Ihr leistet allen Vorschub die vorherrschende Methode der Viehzucht,
die von dem Rind wesentlich absieht und Schafe und Ziegen bevor-
zugt. Der Straßenbau ist überall vernachlässigt, selbst die berühmte
ostwestliche Heerstraße von Durazzo über Saloniki nach Konstantinopel,
die schon im Altertum von einschneidendster Bedeutung war, existiert
nicht mehr; an Eisenbahnen sind mit fremdem Gelde nur ein paar
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Extrahierte Personennamen: Durazzo
Extrahierte Ortsnamen: Europa Griechenland Serbien Montenegro Bulgarien Bosnien Kreta Konstantinopel Asien Europa Europa Asien Afrika Europa Saloniki Konstantinopel
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werk der römisch-katholischen Kirche betrachtet werden. Diesen Ruf
hat es sich seit Kaiser Ferdinand Ii. erkämpft. Schon war in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Protestantismus im Oster-
reichischen gewaltig verbreitet. Um 1560 rechnete man 20, ja
60 Lutheraner auf einen Katholiken, um 1600 war in Kärnten
nur der zwanzigste Teil der Bewohner katholisch, da kam die er-
folgreichste Reaktion der katholischen Kirche. Ferdinand Ii., der in
Steiermark, wo er srüher herrschte, mit eisernem Besen die neue
Lehre ausgerottet und der in Loretto gelobt hatte, seine Dienste wie
in Spanien Philipp Ii. dem alten Glauben zu weihen, ist nach seinem
Siege in Böhmen auf das unbarmherzigste darauf bedacht gewesen,
alles in seinem Lande katholisch zu machen. Er wolle lieber in einer
Wüste herrschen, sagte er, als über einen Staat voll Ketzer. Und
wirklich haben er und seine.nachfolger es erreicht, daß der Katho-
licismus uneingeschränkt in Österreich Geltung hat. Im 18. Jahr-
hundert ist ein zweiter unduldsamer Fürst in den Gebieten, die jetzt
im österreichischen Staatenleibe vereinigt sind, zu erwähnen. Es ist
der Erzbischof Firmian von Salzburg, der seine protestantischen Unter-
thanen grausamer Weise aus dem Lande trieb. Zum Glück fand sich
ein Landesfürst, Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der die Ver-
triebenen mit offenen Armen aufnahm und ihnen in Litauen neue
Wohnsitze anwies. Heute bilden diese Salzburger Kolonisten einen
erfreulichen und wertvollen Zuwachs der alteinheimischen preußischen
Bevölkerung, und die damals geübte fürstliche Wohlthat hat tausend-
fältige Frucht getragen. — Ist nun aber auch Osterreich ein Hort
des Katholicismus, so hat darum doch nicht die ganze Monarchie
einen einheitlichen Glauben. Je weiter nach Osten, desto bunter wird
die Mischung, und in einzelnen Städten hat man viererlei, sogar
sechserlei Gotteshäuser. Da finden sich Anhänger der griechischen
Kirche, die aber noch den Papst als Oberhaupt anerkennen, daneben
aber auch orthodoxe Griechen, die sich ganz losgesagt haben;
Evangelische Augsburger Konfession erscheinen neben Evangelischen
Helvetischer Konfession. Die Israeliten bilden mit fast 2 Millionen,
namentlich in Galizien, einen starken Prozentsatz der Bevölkerung,
und endlich zählt „die apostolische Majestät" des österreichischen Kaisers
seit der Besitzergreifung von Bosnien und der Herzegowina auch
islamitische Unterthanen, die durch die Stimme der Muezzine in
ihre Moscheen gerufen werden.
Die zweite Kulturaufgabe, die Osterreich seit je obgelegen hat
und die auch heutzutage als sein nobile officium zu betrachten ist,
besteht darin, das Deutschtum unter dieser östlichen und fremdartigen
Bevölkerungswelt aufrecht zu halten und ihm stets und immer den
gebührenden Rang in dem seltsamen Völkergemisch zuzuweisen. Wie
ein Keil schiebt sich das Deutschtum an der Donau zwischen den
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Extrahierte Personennamen: Ferdinand_Ii Ferdinand Ferdinand_Ii Ferdinand Philipp_Ii Philipp Friedrich_Wilhelm_I._von_Preußen Friedrich Wilhelm_I.