§ 152-
B. Züge des Volkscharakters und Volkslebens.
83
politisch angegliedert sind (s.§l^). Im Volksbewußtsein aber lebt die Selbständigkeit
der Oberlausitz fort: erst jenseits des Queis beginnt für ihre Bewohner das
eigentliche Schlesien, und zu Breslau, der provinzialen Hauptstadt, fühlen sie
sich wenig hingezogen. Dennoch wird vom Volkscharakter des Oberlansitzers
ungefähr dasselbe gelten, was Kenner (z. B. Gustav Freytag) vom Wesen des
Schlesiers gesagt haben, Auch der Oberlausitzer ist, wenn man zunächst den
Städter ins Auge faßt, lebhaft, höslich, gutmütig und gemütlich, heiteren Sinnes,*)
dabei emsig und betriebsam, anderseits aber anch wieder leichtsinnig, nicht immer
dauerhaft und zuverlässig („Meißner sind Gleisner", und „Görlitzer sind Wende-
hüte", also politisch unbeständig, so hieß es im Volksmunde), oft von weichlicher
Unentschlossenheit und ohne gewichtigen Ernst. Man will gerade darin die
slawische Blutbeimischung (s. § 150) erkennen. Jedenfalls machen sich Gemüt
und Wille iu gleicher Weise gelteud. Der Bauer zeigt mehr Ernst, Sparsam-
keit und Schweigsamkeit, auch eine gewisse Neigung zur Einsamkeit; obgleich
im Grunde am Alten, Überlieferten haftend, leiht er doch gern sein Ohr Ein-
flüsterungen und kommt sich dann aufgeklärt vor. Gute Anlagen trifft man
vielfach, aber selten gewaltige Naturen. Heimatliebe und Heimatsinn, die
wiederum nicht freudige Hingabe au das größere Vaterland ausschließen, ver-
binden sich mit einer gewissen Neigung für das Phantastische, daher denn anch
unsere Oberlausitz öfters einen Zug zu religiöser Schwärmerei und Sekten-
bildnng gezeigt hat; man denke z. B nur au Jakob Böhme oder an die An-
Hänger Schwenkfelds und Zinzendorfs. Heutzutage freilich verflacht sich das
Gemütsleben auch hier in den breiten Schichten des Volkes immer mehr, und
der Haug zu Geselligkeit und Lebensgenuß wird anscheinend immer stärker be-
fördert durch die zahlreicheu Vereine und Festlichkeiten, unter denen besonders
die vielen Kirmessen mit Musik und allerlei Kuchen, Schlachtfeste, Schweinskopf-
essen und Bockbierfeste oder „Skatturniere" zu nennen wären. — Anderseits muß
aber auch der Sinn des Oberlausitzers für die Natur, seine Freude an
Ausflügen in die Berge, seine Vorliebe für lichte, sanbere, freundliche Wohnhäuser
mit Blumengärtchen besonders hervorgehoben werden. Nicht von Schmeichlern
nur wird Görlitz, die „Perle Schlesiens", als „Gartenstadt" gepriesen, in der eine
außerordentliche geistige Regsamkeit herrscht. — Einer oberlausitzischen Eigenart
schließlich sei in heimischer Mundart gedacht: „Ich ho's schn gesoit, doß de
Lausnitzr gemittliche Karle wärn, doß es hibsch nngersche zu laben wär und
doß se o an Spoaß verstihn. s Hot oabr a jeds Ding a Ende und dastrwaigen
o der Spoaß; wennmrsch mit enn aus der Äbrlausitz zu weit treibt, doa trittr
ooch uff de Hinterbeene und tuttch wehrn und doa wird mrsch bale weise wärn,
doß's fu a Lausntzr saustknippldicke hingern Uhren Hot" (Qoh. Renatus,
Allerlee aus dar Äbrlausitz).
§ 152. Die Volkstracht. „Und wie stieht's denn heute mit der
ahlen Volkstracht? Die gibbts ne mieh" (E. Barber, Hausbacken Brut),
wenigstens nicht mehr bei der deutschen Bevölkerung. In der Stadt
wechselt ja das Kleid mit der Mode; auf dem Lande hat vielleicht
falsche Scham oder der Nachahmungstrieb bei der steten Berührung
*) Eins der besten deutschen Lustspiele, „Minna von Barnhelm", stammt von dem
Oberlausitzer Lessing.
6*
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T82: [Musik Stadt Hof Zeit Theater Fest Leben Leute Herr Art], T3: [Hebel Last Brief Ende Gewicht Rolle Gleichgewicht Punkt Seite Fig]]
Extrahierte Personennamen: Gustav_Freytag Gustav Ernst Ernst Jakob_Böhme Renatus
54 4. Abschnitt. Bewohner. § 115. 116.
schaftlich schwächsten und somit zu den am dünnsten bevölkerten unseres
Staates gehören, Wenden cm.*)
Für die gottesdienstlichen Bedürfnisse der Deutschen wurden viele
Dorfkirchen erbaut und, bei der Aufteilung des Ackerlandes in
bestimmte Hufen, Kirche und Pfarrer mit einer „Widemut" (Pfarr-
länderei) ausgestattet.
§ Li5. Ein Dorf Görlitz (villa Goreliz) bestand im Norden
der späteren Stadtanlage. Wahrscheinlich slawischen**) Ursprungs
(obwohl an der Rothenburger Straße nach Ludwigsdorf zu sich Spuren
einer älteren Siedlung finden) ward dieses Dorf hauptsächlich durch,
einen Ritterhof gebildet, den zunächst ein wendischer Adeliger, dann
etwa seit dem Jahre 1000 ein deutscher Rittersmann besaß. 1071 (in
diesem Jahre wird das Dorf zum erstenmal erwähnt) nahm
der Kaiser Heinrich Iv. dieses Rittergut, dessen Fluren sich nach Ludwigs-
dorf und Klingewalde erstreckten und dessen Raine sich teilweise noch
jetzt nachweisen lassen, seinem Besitzer Ozer und schenkte es dem Bischof
von Meißen. Dieser bildete daraus eine „Widemut" und baute
wahrscheinlich bald darauf ein Kirchlein des heiligen Nikolaus. Daher
ist die noch jetzt bestehende Nikolaikirche ursprünglich eine Dorfkirche
und älter als die innerhalb der späteren Stadt gelegenen Peterskirche.
§ 116. Die Stadt Görlitz entstand wohl, wie viele Städte
auf ostelbischem Kolonialboden, auf Veranlassung des Landesherrn
und wurde um 1200 von eingewanderten deutschen Kaufleuten
und Handwerkern im Süden des alten Dorfes Görlitz auf vorher
*) Noch heute dauert der Rückgang des Wendentums an; der Regierungsbezirk
Liegnitz, der 1861 noch über 32 000 Wenden aufwies, zählte 1890 schon 5000 weniger.
**) Die auf -itz, -sitz, -schütz, -enz, -igk, -ow (auch wohl au, z. B. Löban)
endigenden Ortsnamen weisen auf slawischen Ursprung hin, auf deutschen dagegen die
aus -dorf (vgl. § 114), -bach, -berg, -brnnn, -Hain, -feld, -kirch, -Wasser, -walde, -stein,
-see endigenden. Darans, daß die Kolonisation erst um 1200 begann, erklärt sich wohl
das Nichtvorkommen von Endungen wie -lar, -heim, -rode. Ehedem slawische Orts-
namen haben öfter durch Übersetzung deutsches Gewand erhalten. Gerade die größeren
städtischen Ansiedlnngen unzweifelhaft deutschen Ursprungs tragen slawische Bezeichnung,
wie Görlitz, Lauban, Löbau. Görlitz soll „Brandstätte" bedeuten; wahrscheinlich
vernichteten die ersten Ansiedler, um Ackerland zu erhalten, das Gebüsch und die Bäume
durch Feuer. Die sehr häusige Endung -itz (eigentlich ici), an Personennamen an-
gehängt, hat etwa die Bedeutung des süddeutschen -ing und -ingen, nämlich patronymische,
bezeichnet also alte Geschlechts- oder Sippenniederlassnngen. —- Mit oder bald
nach der Einwanderung der deutschen Bauern wurden alle Dörfer um Görlitz, auch
die mit altslawischem Namen, wie Moys, Leschwitz, Nikrifch, deutsch. Der umgekehrte
Fall ist nur ausnahmsweise eingetreten, so in der Nähe von Hoyerswerda, bei den
Dörfern Dörgenhausen (= Düringshausen) und Saalau.
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T13: [Stadt Elbe Hamburg Berlin Provinz Bremen Land Lübeck Hannover Weser], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T10: [Stadt Berlin Hamburg Elbe Einw. Magdeburg Stettin Festung Lübeck Provinz], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T130: [Elbe Stadt Sachsen Provinz Saale Kreis Schlesien Elster Neiße Magdeburg], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich_Iv Heinrich Nikolaus Moys
82
4. Abschnitt. Bewohner.
§ 150. 151.
B. Züge des Molkscharakters und Volkslebens.
§ 150. Allgemeines. Die Umgegend von Görlitz wurde seit dem 13. Jahr-
hundert hauptsächlich von thüringischen und fränkischen Kolonisten dem
Deutschtum wiedergewonnen; doch trifft anch aus diese Gegend zu, das; das
ganze Deutschland sich an dieser Rückeroberung des Ostens beteiligte. Obwohl
der Wende den Einwanderern minderwertig erschien, ja unter Haß und Ver-
achtung sozial und wirtschaftlich zu leiden hatte, so ging doch gewiß ein nicht
unbedeutender Teil der slawischen Bevölkerung in der deutschen auf. Dieser
Vorgang läßt es zunächst erklärlich erscheinen, daß sich das Deutschtum der
Kolonisten nicht völlig rein und in der ursprünglichen Stammesart erhielt.
Vielleicht ist aus der dunkleren Farbe des Haares und der Augen hin und
wieder slawische Blutbeimischung zu erkennen.*) Stärker zu betonen ist aber,
daß auch Oberdeutsche und Niederdeutsche, selbst aus flämischen Landen, in die
Oberlausitz zogen und nun in gegenseitigem Verkehr ihre Stammeseigentümlich-
feiten austauschten oder einbüßten und sozusagen einen neuen deutschen Stammes-
charakter schufen, den man wohl als den „kolonialdentschen" bezeichnen kann.
Da ferner die Oberlausitz ein Ubergangsgebiet vom Berg- zum Tieflande bildet
(f. § 2 ff.), so ist es kein Wunder, daß anch der Charakter der Bewohner
nicht stark ausgeprägt erscheint. Sie zeigen nicht die ebenso knorrige und
zähe wie klare und zuverlässige Volksart, die uns in den bayrischen Alpenländern
oder in Niederdeutschland entgegentritt. Die Oberlausitzer wohnen vielmehr,
auch mit Bezug aus deu Bevölkernngscharakter gesprochen, in einem „Mittel-
deutschland". Daß die vielsach wechselnden politischen Schicksale (f. § 120)
dazu beigetragen haben, die Festsetzung einer klar erkennbaren Volksgruppe zu
verhindern, ist immerhin möglich. Vor allem muß aber berücksichtigt werden,
daß die ganze Oberlausitz nach ihrer Bodengestaltung und Bewässerung keine
Einheit bildet, sondern ein unselbständiges Durchgangsland darstellt,
das gegen Westen, Norden und Osten sogar jeder festen, natürlichen Grenze
entbehrt.
§ 151. Von bestimmter Stammesart der Oberlausitzer kann also kaum ge
sprachen werden. Niemals haben sie einen Volksstamm für sich gebildet, sie zeigen
vielmehr deutliche Verwandtschaft mit den mitteldeutschen Stämmen
überhaupt und vor allem mit den Schlesien!, denen sie seit 1815 zumeist auch
*) Aus den Personennamen lassen sich kaum sichere Schlüsse ziehen, Ganz
unzweifelhaft auf deutsche Herkunft hinweisende Namen wie Franke, Schwabe, Döring,
Flemining, Sachse, Hesse, Beier, Westphal, Holland usw. sind nicht gerade hänsig;
anderseits fällt es auf, daß in Görlitz ziemlich viele Personennamen aus itz endigen;
vgl. § 115 Anmerkung. Auch das tsch in nicht wenigen Namen ist bemerkenswert;
vgl. § 157. So wie wir von den Slawen manche Landeserzeugnisse durch Haudel
und Verkehr erhalten haben, so sind anch deren Bezeichnungen mit übernommen, z. B.
Gurke (irt dem ursprünglichen slawischen Kolonialgebiet ist die Gewohnheit, saure
Gurken zu speisen, am stärksten verbreitet). Eins der ersten durch slawische Vermittlung
zu uus gekommenen Lehnwörter ist „Kürschner" (Kursina — Pelzrock); auch „Grenze"
ist ursprünglich slawisch und ging im 1-1. Jahrhundert durch den Handelsverkehr und-
aus Anlaß vou Eigeutumsstreitigkeiteu ins Neuhochdeutsche über.
TM Hauptwörter (50): [T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau]]
TM Hauptwörter (100): [T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T10: [Stadt Berlin Hamburg Elbe Einw. Magdeburg Stettin Festung Lübeck Provinz]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T159: [Bewohner deutsche Bevölkerung Sprache Neger Volk Jude Einwohner Stamm Land], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T83: [Klima Winter Sommer Land Meer Wind Regen Niederschlag Zone Gebirge]]
86
4. Abschnitt, Bewohner.
§ 154.
bn§ Kirchweihfest, in Görlitz lediglich zu einem geschäftlichen Unter-
nehmen der Gastwirte herabgesunken, während ihr auf dem Dorfe doch
etwas höhere Bedeutung zukommt ls. S. 88». Erfreulich ist es, daß die
bäuerliche Bevölkerung noch gern an den alten Gebräuchen festhält;
bilden sie doch oft im Leben der mühsam arbeitenden Landleute die
einzige Poesie. — Im Kreislaufe des Jahres kommen hauptsächlich
folgende Feste und Volkssitten in Betracht.
1. Zur Weihnachtszeit, die im weitesten Sinne die Tage vom
Andreasabend oder doch vom 6. Dezember bis zum 6. Januar um-
faßt, spielt in Stadt und Land der Knecht Ruprecht noch eine
Rolle; ein neckischer, polternder, aber auch wieder gabenspendender
Gesell, der die unartigen Kinder „in den Sack" steckt, den artigen aber
Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen bringt. Oft tritt er in der Advents-
zeit in Begleitung von „Engeln" und „Christkind" oder mit den
„heiligen drei Königen" aus dem Morgenlande auf: sie gehen ver-
eint vor die Türen der wohlhabenden Leute und singen um eine kleine
Gabe. Vor Weihnachten arbeiten die fleißigen Hausfrauen oft bis
spät in die Nacht: sie „thomßen", wie der Volksmund dem Thomas-
tag zu Ehren (21. Dezember) sagt. Die Kinder stellen da in ihrer
Ungeduld beim Schlafengehen abends ihre Schuhe ins Doppelfenster,
um sie den nächsten Morgen mit süßen, guten Gaben gefüllt gxt finden.
Der Andreasabend (30. November) ist für heiratslustige Mädchen
von besonderer Bedeutung, denn jetzt erfahren sie durch allerhand
Orakel Näheres über „ihren Zukünftigen". An demselben Abend
bricht man auch gern Kirschzweiglein, um sie, als glückverheißend,
Weihnachten blühen zu sehen. In der Weihnachts- und Neujahrszeit
gilt es für gut, „Quellendes" zu essen, z. B. Mohn, Hirse, Erbsen, Reis
oder auch den Rogen des Herings; Schuppen des Weihnachtskarpfens
legt man in die Geldtasche: sie bringen Glück. Am Weihnachtsabend
oder in der Neujahrsnacht umwindet der Landmann seine Obstbäume
mit Strohseilen; das verscheucht böse Geister und verbürgt reiche Frucht.
2. Zu Ostern spielen die Ostereier in der alten Form der
„gebuuteten" Hühnereier zwar noch überall ihre Rolle, doch sind sie
in der Stadt fast ganz verdrängt durch die Mode des Suchens nach
dem „Osterhasen", der Zucker- oder Schokoladeneier gelegt hat. An
manchen Orten besteht noch die Sitte des Schmagosterns oder Schmeck-
osterns: am Ostermontag werden die Langschläfer mit einer aus
Weidenruten geflochtenen Peitsche geschlagen; in anderen Dörfern
werden sie mit Osterwasser begossen, und es klingt darin die alte
Vorstellung wieder, daß Wasser, zu heiliger Zeit geschöpft, segenbringend
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch]]
TM Hauptwörter (200): [T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T167: [Fest Tag Kirche Jerusalem Spiel Stadt Hofer Volk Jahr Zeit], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung]]
88
Abschnitt. Bewohner.
§ lö-L
5. Das Iohannisfest, das Fest der Sommersonnenwende, wird,
obgleich altheidnisch, zäh festgehalten. Auch an ihm leuchten Freuden-
feuer auf den Bergen auf, wie vor Jahrtausenden, aber die Ursprung-
liche Bedeutung ist wohl überall vergessen. In der Urzeit mochten
diese Feuer entzündet werden zur Erneuerung des heiligen Elements-
oder um den Sieg des Lichtes gegenüber den Mächten der Finsternis-
zu versinnbildlichen. Der alte Germane schrieb dein Feuer eine
reinigende Kraft zu, und so sollten solche Opferfeuer segnende Wirkung
auf das Gedeihen und Wachstum alles Lebendigen, des Menschen, des-
Tieres und auch der Pflanze, ausüben und anderseits von ihnen alle feind-
lichen Mächte (ansteckende Krankheiten, böse Geister und Hexen) abwehren.
l>. Zum Erntefeste wird auf dem Dorfe das Gotteshaus reich
geschmückt; Ehrenpforten werden errichtet, und Burschen und Mägde
durchziehen im Festschmuck mit Kränzen und Sträußen unter Musik-
begleitung (die Burschen auch wohl zu Pferde) das Dorf und beschließen
den Tag mit frohem Tanze im Gasthaus. Ein paar Wochen später,
wenn nicht bloß die letzte Garbe, sondern auch die Hackfrüchte, Gemüse
und Obst eingeerntet finb, gönnt sich der Bauer ein zweites Freuden-
fest, die Kirmes. Zwar spielt die Verpflegung eine Hauptrolle, aber
noch ist nicht jeder geistige und gemütliche Zug erstorben. An diesem
Tage — meist Montag — wird besonderer Gottesdienst gehalten^
und die oft auf mehrere Dörfer zerstreuten Verwandten benutzen das-
Fest, um sich wie zu einem großen Familientage zu besuchen.
7. Bei Hochzeiten hat sich auf dem Lande noch mancher alte
Brauch erhalten; der Hochzeitsbitter und die Züchtfrau oder Zücht-
jungfer spielen dabei eine große Rolle. Bei Begräbnissen in reichen
Bauernhäusern gibt es noch immer einen Leichenschmaus, und am
Jahrestage des Todesfalles wird von den Hinterbliebenen ein Nachruf
veröffentlicht. Am Grabe selbst oder in der Dorftirche sieht man
wohl öfters Sträuße von künstlichen Blumen oder einen Kranz in
einem Glasfchränkchen aufbewahrt, eine Sitte, die auch auf dem
Görlitzer Friedhofe beobachtet werden kann.
8. An eigenartigen volkstümlichen Kinderspielen ist die Görlitzer
Gegend nicht gerade reich. Am meisten fällt noch der „Bändertanz"
der Mädchen auf, der indes nur bei Schulfesten veranstaltet wird,
ferner das Spiel mit Murmelkugeln oder dem Kreisel und ein Spring-
spiel nach den Umrissen einer Figur, die bald Himmel und Hölle, bald
Kirchenfenster, bald Paradies genannt wird.
9. Zusammenkünfte „zum Lichten" sind in dem alten Umfange
überall abgekommen. Das früher auch in Görlitz übliche Choral-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch]]
TM Hauptwörter (200): [T167: [Fest Tag Kirche Jerusalem Spiel Stadt Hofer Volk Jahr Zeit], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau]]
§ 157.
B. Züge des Volkscharakters und Volkslebens.
91
g 157. Die Sprache eines Stammes bietet eins der wichtigsten Mittel,
um seine Eigenart kennen zu lernen. Es kommt aber dabei nicht bloß die
bereits gedruckt vorliegende mundartliche Literatur in Betracht, von der noch
einmal die Werke des Freiherrn v. Wagner (Joh. Renatus) und Emil Barvers
genannt sein mögen, sondern in fast noch höherem Maße die Erforschung der
Sprichwörter, Rätsel, Wetterregeln, Kinderreime, Volkslieder sowie Beobachtungen
über den Wortschatz, über Laut-, Wort- und Satzbildungen u. ä. Natürlich
schwindet mit der zunehmenden Bildung die Mundart immer mehr, aber
einzelne Reste sind mich in Görlitz noch zu beobachten, und vor allem fließt
diese Quelle noch rein auf dem Lande; je weiter vom Verkehr ab, desto lauterer.
Wer mit dem Landvolk recht zu verkehren weiß, d. h. wer sich natürlich gibt,
nicht gleich über jedes mundartliche Wort die Nase rümpft, sondern wer die
rechte Mitte zwischen Ernst und Scherz zu finden weiß, der wird auch an der
Frisch? des Dialekts und dem ungekünstelten Ausdruck des schlichten Mannes
seine Freude finden. Luther und Lessing hielten es z. B. nicht uuter ihrer
Würde, dem Volke auf den Mund zu sehen. „Wenn de, doß de meenst, de
Pauersproche wiär weiter nischt wie verdriähtes Huchdeutsch, doh bist de ge-
hierch uffn Hulzwaige. Unse Lausnzer Sprache is wie jedr andre Dialekt a
Tenkmol aus ahler Zeit . . se is a Arbsticke vu unsen Uroahnen har" (E. Barber).
Wissenschaftlich gesprochen ist dieoberlausitzer Mundart nach derherkunftder
deutschen Bevölkerung der ganzen Gegend eine vorwiegend mitteldeutsche,
deren Grundlage wieder das Hochdeutsche bildet; jedoch zeigt sich mancher An-
klang ans Niederdeutsche. Die Oberlausitzer Mundart ist zunächst der schlesischen
eng verwandt; im Lautstand und Wortschatz findet'sich nur wenig Unterschied,
und doch empfindet der Oberlausitzer diese Verwaudtschaft als eine nicht allzu
nahe; es mag das wohl seinen Hauptgrund in einem veränderten Wort- und
Satzakzent haben. Man vergleiche nur einmal das lausitzische: Doas weeß'ch
ne mit dem schlesischen: Doas weeß ich nich. Auch ist nicht zu verkennen, daß
der Lausiger Dialekt, zumal der oberländische, im ganzen härter klingt als der
schlesische der Tiefebene. Selbst an Einzelheiten kann man den Oberlausitzer
vom Schlesier unterscheiden. Scherzweise heißt jener wohl der „Siehacker" von
dem sehr beliebten Adverb ack (ock) = nur, bloß, das häusig reines Flickwort
ist. Einige Verhältniswörter verbindet der Oberlausitzer recht unsicher; so ohne
mit dem Dativ, ba'n Vetter gehn = ihn besuchen; man hört oft: das geht mir
nichts an, und selbst Gymnasiasten sagen in den unteren Klassen: Ich habe
Ihnen gestern gesehen, ich habe einen Brief an Ihnen. Statt „er bringt es
nicht fertig" heißt es: a bringt's ne; gebrucht hudd a nischt mit'n; mit dann
(= dem) brittste nischt.
Gemeinsam sind dem Schlesier und dem Oberlansitzer die Verwendung
des „es hat" für „es gibt", die Endung el als Verkleinerungs- und Koseform
(Mizl — Kätzchen, Schnäuzel, Krippel) und die Verkürzung von Hochdeutscheu
langen Vokalen, wie besonders des u, z. B. in Kuchn, Blut, oder des ie in i
in richn, schißn usw. Altes « ist häufig in ö verdumpft, z. B. schlösn, Sprache,
oder es schwankt doch zwischen a und ö, gerade so wie anch das kurze a häufig
eine Beimischung von 0 erhält. Am Schlüsse mancher Worte wird ein e
gesprochen, z. B. bei dicke, Bette, feste, dinne, iche (= ich), und besonders bei
Zahlen viere, fünfe usw. Den Umlaut läßt der Lausitzer wie der Schlesier
öfters außer acht; er sagt z. B.: es hat gelauten, die Säule. Auch ganze
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Extrahierte Personennamen: Wagner Renatus) Emil_Barvers Ernst