1827 -
Erfurt
: Keyser
- Autor: Meineke, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Brigadeschule
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
4 Einleitung.
Haupteintheilung dieser Wissenschaft in die mathematische, physi-
sche und politische.
3) Die mathematische oder astronomische Geographie
betrachtet die Erde rein als Weltkörper ^ als Theil eines großen Son-
nensystems, nach seinen Verhältnissen in demselben zu der Sonne und
den übrigen Planeten, seine Gestalt, seine Bewegung. Sie entwickelt
die Begriffe: Pole, Erdachse, Aequator, Ekliptik, Horizont, Weltge-
gend, Länge, Breite, Zenith, Nadir, Zonen, Klimate u. s. w.;
erklärt die Erscheinungen der Jahreszeiten, der Sonnen- und Mond-
finsternisse, und lehrt den Gebrauch der Globen und Landcharten. Sie
ist folglich ein Theil der angewandten Mathematik.
b) Die physische Geographie (Physik der Erde) gründet
sich mehr auf Erfahrung, als auf mathematische Beweise, und ist in-
sofern ein Theil der allgemeinen Naturgeschichte. Sie handelt von der
natürlichen Bildung und Beschaffenheit des Erdkörpers und seiner
Theile, als: dem festen Lande, den Gewässern, Bergen, Inseln, Kü-
sten, Vorgebirgen, wie auch von den merkwürdigen Erscheinungen und
Veränderungen, die sich auf der Erde zutragen.
Doch bleibt sie nicht blos bei dem Allgemeinen stehen, sondern
geht auch in das Einzelne, und betrachtet folglich bei den festen Land-
massen die einzelnen Erdtheile, Länder und Gegenden, die Bildung des
Bodens in Hinsicht auf Höhe und Tiefe (Eonfiguration); eben so bei
dem Meere und bei den Flüssen rc.; woraus alsdann die von der all-
gemeinen physischen Geographie wohl zu unterscheidende, aber funda-
mental in ihr begründete, speciell-ph ysische, oder reine Geo-
graphie entsteht, welche jedoch immer auch noch alles Politische aus
ihrem Gebiete entfernt, und als Substrat aller weiteren geographischen
Kenntnisse angesehen werden muß.
c) Die politische Geographie endlich hat die bürgerlichen
Abtheilungen der Oberfläche zum Gegenstände, und betrachtet die Erde
ihrer Bestimmung nach als Wohnplatz vernünftiger Wesen, mit den
Verhältnissen und Bedingungen ihrer Ausbreitung und ihres gesellschaft-
lichen Nebeneinanderseyns in größeren und kleineren Staaten. Diese
ethische Bestimmung der Erde, als Erziehungshaus der sie bewohnenden
7 bis 800 Millionen Menschen, ist cs aber gerade, was sie so beson-
ders auszeichnet, und die Betrachtung derselben für jeden denkenden
Menschen so höchst interessant macht. Sie mußte dieser ihrer Bestim-
mung gemäß gebildet und organisirt werden, weshalb diese Bildung der
Erde also keinesweges als zufällig zu betrachten ist.— Weil aber der
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V
6 Einleitung.
. '
§. 2.
Werth und Nutzen der Geographie.
Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß nichts — nächst der Ma-
thematik, Geschichte und Naturkunde — den Verstand des Menschen
wehr bildet, und überhaupt den Geist mehr bereichert und erhebt, als
das Studium der Geographie. Sie wetteifert in dieser Hinsicht mit
der Geschichte, und ist nicht blos Hülfsmittel derselben, sondern eine
eigene, selbstständige Wissenschaft, die, mit den klassischen und mathema-
rischen Studien vereint, erst diejenige Gesammtbildung giebt, welche die
Gegenwart von uns erheischt. Von ihr geleitet,. thun wir in der ma-
thematischen kühne und tiefe Blicke in die Größe des Weltgebaudes,
und stummes Erstaunen ergreift die Seele bei der erhabenen Betrach-
tung der Unermeßlichkeit dieses Weltraumes; in der physischen wer-
den uns die geheimen Triebräder der großen Werkstatte der Natur ent-
deckt, und in der reinen wandern wir an ihrer Hand über Gebirge
und durch Thaler von der schwindelndsten Höhe in die unabsehbare Tiefe
der üppigsten Stromgebiete; durch die politische orientiren wir uns in
den großen und kleinen Staaten, auf dem Gebiete der Staatsverfassun-
gen der Völker, ihrer Kriegsmacht zu Lande und zu Wasser, der Schiff-
fahrt, der physischen und moralischen Kräfte; durch die Statistik
endlich, oder die Wissenschaft, die politische Gestaltung der
Staaten, und ihr inneres und äußeres Leben in der Ge-
genwart und im Zusammenhangs darzustellen, gelangen
wir zur genaueren Kenntniß der einzelnen wichtigsten und interessante-
sten Thcile der Lander und Staaten.
Die Geographie cultivirt und civilisirt zugleich, und zwar nicht
blos einzelne Individuen, sondern selbst ganze Nationen. Ohne sie
bleibt man in seiner Erkcnntniß begrenzt, einseitig und in vielen Stük-
ken ganz unwissend. Nur der rohe Mensch kennt nichts weiter, als
seinen Wohnplatz, und bekümmert sich auch nicht um entferntere Lan-
der und Völker, noch weniger um die Gestalt, Größe und Beschaffen-
heit der Erde. Der Gebildete und Gesittete aber sieht sich nach etwas
Kriegsminister L ouvois die ersten Schritte zur Militär-Geogra-
phie gethan habe. Jener wurde durch seine Fortificationen darauf
geleitet; für diesen gaben die auswärtigen Kriege, die er von Paris
aus leitete, die Veranlassung dazu. Der erste entschiedene Schritt
zur Basirung der Militär-Geographie wurde aber 1688 in Frank-
reich mit der Anlegung eines allgemeinen Kr iegsd epots (daß,
was unsere Plankammer) gethan.
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80
Iv. Reine Geographie.
12. Volk.
Die Halbinsel zählt gegenwärtig über 14 Mill. Bewohner (in Spa-
nien 1350, in Portugal 1826 auf der Q.m.); ein Gemisch von
Eelten, Römern, Gothen, Sweven, Vandalen, Mauren und Juden,
mit Römerstolz, gothifchem Trotze und afrikanischer Hitze; übrigens ein
sehr kräftiger Menschenschlag, besonders in Mancha, Aragonien, Astu-
rien und Gallicien, ein charaktervolles Volk, das sich immer kühn und
tapfer gegen fremde Einfalle gewehrt hat. Es fehlt ihm keineswegs
an geistiger und physischer Kraft, aber an der Freiheit des inneren
Menschen, des höheren Sinnes, an ungefesselter Denkkraft, welche die
Inquisition einengte, alles Genie verbannte, und die Reife des Geistes
hemmte. — Mit vieler Festigkeit bewahrt der Spanier immer noch
seine väterlichen Sitten und Gebrauche, ist dabei aber indolent und
Egoist im höchsten Grade. Die Stiergefechte, die Fandangos, Spiele
und Tracht, z. B. die Mantilla und Basquina der Spanierin, sind
ächt national. — Die Religion ist des ganzen Volkes Element. Der
Mariendienst, die heilige Messe und der Rosenkranz das Wesentliche des
religiösen Lebens. Begreiflich ist daher die Gleichgültigkeit der Meisten
gegen alles Irdische, Praktische. Tausend Bedürfnisse eines rauheren
Klima's sind dem Spanier und Portugiesen unbekannt; das Leben ist
leicht, der Aermste kann es fristen, da Klöster und Kirchen so reichlich
die Wohlthätigkeit üben; der Fremde aber vermißt eben deshalb in die-
sem Lande eine Menge Gegenstände, die er, wenn auch nicht zu den
unentbehrlichsten Bedürfnissen, doch zu den Annehmlichkeiten des Lebens
rechnet. Unbegreiflich aber ist es, wie man die Spanier allgemein der
Trägheit hat bezüchtigen können; sie, die so oft, besonders in der letz-
ten Zeit, die unleugbarsten Beweise von Ausdauer, Energie und An-
strengung gegeben haben; sie, die nur solche Arbeiten vernachlässigen,
welche sie nicht mit Vortheil treiben können. In der Regel sind die Spa-
nier von mittlerer Größe, ernsthaft, stolz, gravitätisch, ruhig, behaglich
(Ar3näe?7.u), haben feurige Augen, schwarzes Haar, sprechende, aus-
drucksvolle Gesichtszüge. Die Spanierin ist klein, aber gut gebaut;
bewegt sich edel und stolz, doch aber mit Unbefangenheit; ist stark und
treu, aber aus Mangel an Unterricht und mehr vom Zufall erzogen,
fast unwissend. — Man unterscheidet übrigens vier besondere Volks-
zweige: 1) Spanier, das Gros der Nation. 2) Basken, Nach-
kommen der alten Cantabrier, welche auch ihre eigene Sprache (das
Baskische) reden, \ Million, die sich durch Einfachheit, Redlichkeit,
Tapferkeit und Ausdauer auszeichnen und gute Seeleute sind. 3) Mau-
ren, besonders in der Sierra Nevada, der letzte Ueberrest der alten
Herren Spaniens, etwa 45,000 an der Zahl. 4) Zigeuner, höch-
stens 50,000, rohes, räuberisches Gesindel, in ganz Spanien zerstreut,
Schleichhändler, doch so ziemlich mit den übrigen amalgamirt.
Aehnlich den Spaniern und mit ihnen nur Ein Volk, sind die
Portugiesen, 3,145,000 Individuen. Mehr klein als groß, haben
sie einen festen, dauerhaften Körper. Die Gesichtsfarbe der Männer ist
gelb, weißer die der Weiber, mit lieblichem Reiz über ihre ganze Ge-
stalt verbreitet. Ein besserer Seemann (besonders der Algarver) als
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Zweiter Abschnitt. Ii. Festland der Alpen. 4. Deutschland. 161
Erzgebirge, die Sudeten, die Voralpen, der Harz und der Westerwald.
Nirgend wird aber auch der Bergbau so wissenschaftlich betrieben, als
in Deutschland, so daß dessen Bergacademien die Muster für andere
Länder geworden sind. Man berechnet den jährlichen Ertrag auf 182
Mark Gold, 123,000 Mark Silber, 39 000 Ctr. Kupfer, 191,200
Etr. Blei und 2,400,000 Etr. Eisen. Salz giebt es in keinem Lande
Europa's in solchem Ueberstusse; die Deutsche Porzellanerde ist die schönste
in unserm Welttheile, und welch einen Reichthum besitzt das Land an
Mineralquellen und Gesundbrunnen zu Karlsbad, Töplitz, Pyrmont,
Aachen rc.
12. Volk.'
Mit Ernst, tiefer Prüfung und Bedachtsamkeit steht der Deutsche
dem leidenschaftlichern und sinnlichern, südlichern Nachbar gegenüber.
Er ist es sich wohl bewußt, daß ihn an Gründlichkeit in allen Wissen-
schaften, wie an Forschungsgeist und Tiefsinn, noch kein Volk des Erd-
balls übertroffen hat. Noch bei keinem hat der große erhabene Gedanke
von immer steigender Veredelung und höherer Vollkommenheit des gan-
zen Menschengeschlechts so viele Anhänger und Verehrer gefunden, als
bei den Deutschen; vielleicht deshalb, weil sie unter den cultivirten Völ-
kern Europa's noch das moralisch beste Volk sind.
Unvermischt stammt dieses Deutsche Urvolk, 30 Millionen an der
Zahl, von den alten Germanen (d. h. Hker - oder Kriegsmannen) ab,
oder von den Teutonen, wie sie nach ihrem Gotte Teut sich nannten.
Slavische Völkerschaften aber, die jenseits der Elbe wohnten, gesellten
sich, besonders seit Heinrich I. Zeiten, zu den Ur - Einwohnern, daher
bis auf den heutigen Tag auch Slaven bald diesseits, bald jenseits dar
Elbe die Hauptmassen ausmachcn. Sonst theilt sich die ganze Deutsche
Nation in Ober- und Nieder-Deutsche; jene in ganz Süd-Deutschland,
diese im ganzen nördlichen Deutschland. Nur durch die weit weichere
und biegsamere Mundart und kräftigern Körperbau zeichnet sich der Nie-
derdeutsche von dem Oberdeutschen aus, sonst haben sie die Hauptgrund-
züge des Charakters gemeinsam.
Ehrlichkeit, Treue und Herzlichkeit sind aber diese Hauptgrundzüge
des deutschen Charakters und der alte Ruhm unseres Volkes. Sonst
zeichnet sich der Deutsche auch aus durch Tapferkeit, große Festigkeit
und Beharrlichkeit, fast, zu weit getriebene Regelmäßigkeit, geringere
Geselligkeit aus Hang zur Einsamkeit und zum Nachdenken. — Wenn
aber auch der Deutsche in andern Landern leicht heimisch wird, und
ihm deshalb der Weltbürgersinn zum Vorwurf gemacht werden könnte;
dennoch liebt er sein Vaterland und sein Volk, das unstreitig eins der
achtungswerthesten unseres Erdballes ist, andern weit überlegen an Geist,
Zahl, Ruhm und Geburtswürde seiner edelen Geschlechter, die auf den
meisten Thronen Europa's herrschen; hervorragend durch große und be-
rühmte Manner jeder Art, jedes Faches und jedes Standes; glanzend
durch Großthaten der Vorfahren, wie der Zeitgenossen. Ja überall fin-
det man die Spuren Deutscher Größe, Deutscher Gelehrsamkeit, Deutschen
Fleißes und Deutscher Betriebsamkeit; und wäre es auch n -r das Eine,
I. 11
/
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- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
162
Iv Reine Geographie.
daß die Reformation Deutschen Ursprunges und auch heimisch bei uns
geblieben ist, und daß zwei Erfindungen, die des Schießpulvers und der
Buchdruckerkunst, von denen die eine in bürgerlicher, die andere aber in
geistiger Hinsicht so ungeheuere Veränderungen in der ganzen Welt her-
vorgebracht hat, unserem Volke angehören: so beurkundet dies schon hin-
länglich seine geistige Ueberlegenheit.
Freilich mag wohl das übrige Europa dieser von uns über uns
selbst so eben ausgesprochenen Meinung nicht so unbedingt beitreten.
Anderen Völkern unseres Welttheiles sind wir wohl gar ein rohes, un-
gebildetes Volk. Mag der Grund dieses vielleicht weniger seltenen Ur-
theils^als wir es glauben, theils in unserer vortrefflichen Sprache lie-
gen, die als eigenthümliche, freiere und reichere, und deshalb schwerer
zu erlernende, den Fremden abschreckt; theils gewiß auch in der größeren
Tiefe unserer Geisteswerke, die den, an nur leichte Speise gewöhnten
Ausländer als schwerfällige Dunkelheit zurück stößt; vielleicht ist auch
unsere Empfänglichkeit für alles Schöne, Wissenswürdige und Nützliche,
mag es kommen, woher es will, mit Schuld daran, indem der Aus-
länder diese Empfänglichkeit für Bildungsbedürftigkeit hält. —
Mögen wir aber nur nicht selbst uns die unleugbar großen Vor-
züge unseres Volkes verbergen ! —
Die Deutsche Sprache ist nebst der Slavischen die einzige unver-
mischte Ursprache in Europa, welche den Vorzug einer ganz eigenthüm-
lichen, mehr als 1000jährigen Entwickelung genießt. Ihren hohen
Werth spricht der fromme Sänger*) in derselben so vortrefflich aus,
wenn er singt:
Den Gedanken, die Empfindung treffend
Und mit Kraft,
Mit Wendungen der Kühnheit zu sagen, das ist
Sprache des Thuiskon, Göttin, dir
Wie unseren Helden Eroberung ein Spiel.
Iii. Karpathen- und Balkanländer.
1. Nördliches Karpathenland: Polen mit Preußen.
1. Name, Lage, Größe.
Der Name.polen bedeutet in der Slavischen Sprache ein Blach-
feld, und mit Recht gebührt, in Folge seiner natürlichen Beschaffenheit,
dem ganzen Lande zwischen der Weichsel, der Ostsee, dem Niemen und
den Karpathen dieser Name, da dasselbe unter den nördlichen Abfallen
der Karpathen, und den §. 3. angegebenen Grenz - und Landrücken
auch fast gar keine Erhebungen des Bodens aufzuweisen hat; doch
kommt der Name Polen erst in der Mitte des 10ten Jahrhunderts vor,
als das alte Sarmatien nach und nach aus der Geschichte verschwand,
und die eigentlichen Polen mehr in folgenden natürlichen Grenzen wohn-
Klopstpck.
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Zweit. Abfchn. Iii. Karpathen - u. Balkanlandcr. 2. Ungarn. 151
waare, jährlich auf 300,000 Ctr. und Reiß in ansehnlicher Menge; Gold,
Silber, Marmor, Salpeter, Alabaster, schöne Karniole, Opale, Stein-
kohlen aus dem Mineralreiche.
12. V o l t
Die acht Millionen Menschen, welche Ungarn enthält, sind der
Abstammung und dem Charakter nach unter sich sehr verschieden. Sie
bestehen aus folgenden Stammen: 1) Die Nationalungarn, die
alten Magyaren, Kalmückischer Abstammung und im neunten Jahr-
hundert eingewandert, jetzt etwa 2,750,000 Kopse. 2) Slawen,
jetzt großtentheils in das Gebirge gedrängt, etwa 4 Millionen. 3) Deut-
sche, meistens aus der Westseite des Landes und dem östlichen Theile
der Karpathen, etwa 577,000 Köpfe. 4) Wallachen oder Ro-
muni (Römlinge), Ueberbleibsel der alten Römer, meistens zerstreut
als Pferdehirten,. Schäfer und Fuhrleute, ein rohes, treuloses, feiges,
knechtisch gesinntes und räuberisches Volk, an 640,000 Köpfe. 5) Die
Szotaken, ein höchst merkwürdiger Slawenstamm, in der nach ih«
nen genannten Gegend S z o t a k e n i a des Zempliner Comitats. 6) Iu -
den, Zigeuner und Armenier, überall zerstreut, letztere als die besten
Landwirthc und Viehhändler Ungarns, zusammen etwa 50,000.
Bei der Vermischung so verschiedenartiger Stamme ist natürlich
an keine eigentliche Volksthümlichkeit zu denken; wohl aber zeichnen
sich die National Ungarn vor allen ganz besonders aus. Sie ha-
den sich in einem Zeiträume von 600 Jahren voll wechselnder Ereig-
niste am wenigsten mit den übrigen vermischt, und sind ein recht die-
derer Menschenschlag, der noch seine ganze Volkskraft bewahrt hat, mit
der sie einst der Erbtochter Karls Vi. (Maria Theresia) die ganze
Oesterreichische Monarchie retteten, als sie, die größte aller Frauen,
aus dem alten hohen Wien, von dem hinweggelrieben, dessen Le-
den von ihrem Vater erfleht wurde, sich zu diesen edelstolzen Ungarn
flüchtete. Der Ungarn ganzes Temperament ist Leben und Munterkeit;-
sie offenbaret sich in seinem Nationalanzuge, wie in seinen Tanzen.
Vaterlandsliebe ist* sein Eigenthum, und das Gepräge einer höheren
Bestimmung trägt seine offene Stirn. — Ihre Sprache ist eine Fin-
nische Mundart, vermischt mit Tatarischen Wörtern. Die Slawen
haben die Ausdauer, die Enthaltsamkeit, die Tapferkeit, Gewandtheit
und Starke ihrer nördlichen Brüder, wiewohl die Folgen früherer
Knechtschaft nur noch allzusichtbar sind.
3. Balkanland. Die (Europäische) Türkei.
1. Name, Lage, Größe.
Das Land hat den Namen von den Türken; einem Tatar-
volke, das ursprünglich nach Asien in die Steppen vom Altai bis zum
Kaspischen Meere gehört, wo noch jetzt ihre Stammgenoffen, die Kir-
gisen, Vucharcn, Usbecken und Turkomanen, wohnen. Os man, ein
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196
J V. Reine Geographie.
bietend, über Christen nach Willkühr herrschend, welche von ihnen un-
terjocht wurden, und noch jetzt auf das härteste gedrückt werden. Sie
sind das letzte Volk, das aus Asien nach Europa gekommen ist, und
haben daher noch ganz Asiatische Sitten und Gebräuche. Obgleich
seit Jahrhunderten in Berührung mit den übrigen gebildeten Völkern
Europas, haben sie doch wenig von ihrer ursprünglichen Rohheit abge-
legt, kaum die Asiatische grobe Rindt abgestreift, und nur geringe
Fortschritte in Künsten und Wissenschaften gemacht. Der Gebrauch
des Schießpulvers ist fast das Einzige, was sie von den Europäern
angenommen haben. Im Aeußern haben sie manches Aehnliche mit
den Spaniern: die stolze Haltung des Körpers, den schönen kräftigen
Körperbau, den hohen Wuchs, die schwarzen feurigen Augen und die
freie erhabene Stirn. Den Kopf schmückt der vierfarbige Turban, die
Brust der Dolch, und die Hüfte der Säbel. Ihr Gang ist gravitä-
tisch, feierlich und voll Ernst ihr ganzes Betragen; Stolz und Ueber-
muth das Gepräge ihrer Miene und aller Gebärden. Ihre lange und
weite Kleidung hebt noch ihren Körperbau und äußeren Anstand. Alles
geschieht bei ihnen mit einer gewissen Feierlichkeit; langsam, nachdrucks-
voll und starktönend ist ihre Sprache, selten daß der Türke lacht, höch-
stens seinen Bart streicht. Ernst an sein Verhängniß glaubend, sitzt er
mit untergeschlagenen Beinen, und raucht Taback aus langer Pfeife.
Der Kreis seiner Frauen (Harem) erscheint verschleiert, wie die Spa-
nierinnen, und auch der Türkische üppige Sara band erinnert uns an
den Spanischen Fandango. Von Jugend auf abgehärtet und stark
von Natur, können die Türken die größten Beschwerden ertragen, sind
tapfer und beharrlich, rmtthig und unerschrocken im Kriege, dafür träge
und sclavisch im Frieden, ausdauernd und trotzig im Unglück, streng
und pünktlich in Befolgung der Vorschriften ihrer Religion, aber auch
herrschsüchtig, grausam und ohne allen Sinn für geistige Ausbildung
Und Veredlung. Sie kennen kein Völkerrecht, kein Ehrgefühl, keine
Barmherzigkeit, und vertauschen mit derselben Gleichgültigkeit den Pa-
last mit der Verbannung, den Thron mit dem Blutgerüst, mit der sie
sich und andere morden.
2) Tataren, 260,000, ebenfalls Fremdlinge, wie ihre Kinder,
die Türken. Sie wohnen in der Dobrutscha an den Donaumündun-
gen und in den Valkanthälern, friedlich und gastfrei, weit bessere Men-
schen, als die Türken.
3) Abadioten, ein Arabischer Volksstamm, etwa 4000 Köpfe
stark, auf der Insel Kandia.
4) Armenier, 80,000, als Handelsleute und Lieferanten überall
zerstreut.
5) Juden, 300,000, und Zigeuner, letztere besonders in der
Moldau und Wallachei, über 80,000 Köpfe.
8, Ureinwohner.
1) Griechen, 3 Millionen, ein Name, an welchen sich die größ-
ten geschichtlichen und wissenschaftlichen Erinnerungen knüpfen, sind die
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Zweiter Abschn. Iii. Karpathen - u. Balkanlander. 3. Türkei. 197
Nachkommen jener alten Hellenen, welche durch ihren gebildeten Ge-
schmack und Kunstsinn, durch ihre herrlichen Talente, ihre Thätigkeit,
Tapferkeit und hohe Vaterlandsliebe sich zu einem Originalvolke und
zu den Lehrern und Bildnern aller Europäischen Nationen emporge-
schwungen hatten. Trotz der beiden Jahrtausende, welche zwischen den
alten und neuen Griechen liegen, sind die Urzüge jener bei diesen noch
nicht ganz verwischt, und noch, heute finden sich unter ihnen Phidias
schöne Formen. Nur der Druck ihrer Beherrscher, der Türken, hat
ihren Charakter verschlechtert, sie unruhig, tückisch, boshaft, falsch
und feindselig gemacht, so daß sie selbst von den Türken verachtet wer-
den. Dabei aber besitzen sie noch Witz, Fassungskraft, Kunsifleiß und
Heiterkeit, wie ihre Vorfahren, in hohem Grade; und wenn der Ncu-
grieche seine Gebärdentänze tanzt, muntere Schifserliedcr singt, seinem
Heiligen sich empfiehlt, und von den goldenen Zeiten alter Freiheit plau-
dert, an die ihn so viele alte Denkmähler der Kunst und Wissenschaft
mahnen: dann erinnert doch.auch so Alles, Sprache, Tracht (der weib-
liche Gürtel), Gebräuche (das Augenküssen) an die schöne Jugendzeit
der Hellenen. Aber könnte man jetzt fragen: wo ist Griechenland, wo
seine Hellenen? — Lange Zeit schon alté der Reihe selbstständiger
Völker und Staaten verschwunden, erwachten sie jüngst aufs Neue,
durch die Verzweifelung geweckt, und ergriffen, überdrüssig der Ketten
und des fürchterlichen Tyranncnjochs, die Waffen, anzukämpfen gegen
das ungeheure Schicksal. Wahrscheinlich ist die Zeit nicht mehr fern,
wo sie seit sechsjährigem Kampfe wieder selbstständig da stehen.
Ein zahlreicher Griechischer Volksstamm, die Mainoten, von
ihrem Hauptorte Maina, im Gebiet von Misitra, oder des alten
Sparta, so genannt, etwa 60,000 Köpfe stark, haben schon bisher
in ihren Gebirgen in Morea ihre Unabhängigkeit behauptet. Sie sind,
wie die Sulioten in Ep i rus und Arnauten in Albanien, aus
einer Vermischung der Griechen mit den Illyriern entstanden. Die
Sulioten haben ihren Namen von dem Gebirge Suli zwischen Ja-
nina, Nardaund Prevesa (S. 185). Die Hydrioten, 25,000
Köpfe, auf der Insel Hydra, haben sich besonders tapfer in dem gegen-
wärtigen Kampfe bewiesen.
2) Slawen, 1,400,000, besonders in-den westlichen Gegenden
der Türkei, in Bulgarien, Serbien, Bosnien und Kroatien. Die
Kroaten, Bosniaken, Serben, Vulgaren, Morlaken,
Montenegriner rc. sind einzelne Stämme derselben.
3) Wlachen (Wallachen), 1,300,000, in der Moldau und
Wallachei, reden ein verdorbenes Latein, und theilen sich in eigentliche
Wlachen und Moldoweni, die Bewohner der Moldau, ein schö-
nes, aber sehr rohes räuberisches Volk, das sich nie zur Selbststän-
digkeit erhob.
Die Türkische Sprache ist eine Tatarische Mundart, die et-
was Volltönendes, zugleich aber auch viel Rauhes und Ernstes hat.
Die Hof-, Kirchen- und Gelebrtensprache ist die Arabische; die Ar-
nautische und Albar fische eine Vermischung der Slawischen und
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266
Iv. Reine Geographie.
Vi. Mandschuren. 1) Tungusen. 2) Lamuten. Vii. Polar-
völker, nämlich: 1) Samojeden in 7 Zweigen. 2) Korjaken in 3
Zweigen. 3) Arinzen. 4) Affanen. 5) Kotowzen. 6) Ostjaken.
7) Kamtschadalen in 3 Zweigen. 8) Juralen. 9) Iukagiren. Viii. Co-
lonisten und ein gewanderte Völkerstamme verschiedener
Nationen; als Deutsche, Schweden, Danen, Engländer, Franzosen,
Italiener, Griechen, Albaneser, Arnauten, Moldauer, Wallachen, Os-
manen, Perser, Armenier, Indier, Juden, Zigeuner.
Unter allen diesen sehr verschiedenen Völkern sind die Russen
und Polen in dem Europäischen Rußland die herrschenden Nationen;
die übrigen, deren eigentliche Heimath Asien ist, verlieren sich oft nur
in geringen Haufen unter ihnen. Wir beschranken uns daher bei der
nahem Charakteristik der Völker hier blos auf die im Europäischen
Rußland wohnenden Hauptstamme der Russen, Finnen, Tata-
ren, Kosaken, Samojeden und Kalmüken, da wir die Polen
schon früher kennen gelernt haben.
1) Die Russen, die herrschende und Hauptnation, sind Sla-
wen, ein Sarmatisches Volk, das einst bei der großen Völkerwande-
rung seine Zweige über den Osten von Europa eben so ausbreitete,
als die Deutschen die ihrigen über den Westen dieses Erdtheils. Viel-
leicht hat dieses Volk früh schon die weiten Gegenden zwischen dem
Adriatischen und Baltischen Meere, der Oder und dem Don inne ge-
habt. Die alten Völker waren aber mit diesen Landern wenig bekannt,
und die Namen Scythen und Sarmaten umfaßten alle Völker des
Nordens. Erst im sechsten Jahrhunderte kommt der Name Slawen
in der Geschichte vor, und in der Mitte des neunten der Name der
Russen (Rossi); nachdem sie sich 862 unter Einem Herrscher, Ru-
rik, vereint hatten, der seine Macht von Nowgorod nach Kiew und
weiter ausbreitete, obschon der Name Russen alter ist als Rurik. In
dem langen Zeiträume von 700 Jahren (1598 starb Fe oder, der
letzte Fürst aus Ruriks Stamme) hatte das vorher ganz rohe Volk sich
schon mächtig empor gearbeitet und in der Civilisation zugenommen;
bis Peter der Große cs durch eine ganz neue Schöpfung mit in
die Reihe der übrigen cultivirten Nationen erhob, hinter welchen es
übrigens doch in vielfacher Beziehung noch bis auf den heutigen Tag
zurücksteht. Von Natur sind die Russen ein sehr starker, nervöser
Menschenschlag, kriegerisch und tapfer, aber weniger geschickt im An-
griffe, als beharrlich in der Vertheidigung. In der Ertragung der größ-
ten Beschwerden übertreffen sie aber fast alle Europäische Nationen,
weil sie sich von Jugend auf gegen jedes Ungemach abharten. Beson-
ders geschieht dies auch durch das Baden. Bei jedem Orte ist da-
zu ein eigenes Zimmer oder Gebäude, in welchem ein großer Ofen
glühend geheizt wird, dann gießt man Wasser auf die erhitzten Steine
und badet sich so in diesem erstickend heißen Wasserdunste; unmittelbar
nach diesem Bade walzt sich der Russe im Schnee, oder stürzt sich ins
kalte Wasser. Die Gutmüthigkeit, der Frohsinn der Russen, ihr leb-
haftes Gefühl und die Warme ihres Herzens wird leider nur zu oft
durch rohe Sinnlichkeit, Trunk und Jähzorn entstellt. Trieb nach hö-
1827 -
Erfurt
: Keyser
- Autor: Meineke, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Brigadeschule
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Zweiter Abschnitt. Vi. Ostsee- und Urallander. Rußland. 267
herer Vervollkommnung, tiefer Scharfsinn und eigene Erfindung zeigt
sich selten bei den Russen, dagegen eine ungemeine Fertigkeit im Ko-
pien und Nachahmen. Was er sieht, fasset er leicht und macht es
sich bald zu eigen. Aberglaube und Bigotterie ist im Gefolge seiner
Religiosität, dabei halt er viel auf Vorbedeutungen, Amulete, Fatum
und Heiligenbilder; doch ist er sehr duldsam und frei von allem Ver-
folgungsgeiste. Die Erziehung und der Unterricht der gemeinen Neusten
wurde bisher sehr vernachlässigt; doch was für große Fortschritte macht
nicht auch hierin die Nation jetzt? — Die Sprache der Russen ist eine
Tochter der altslawischen, kraftvoll und bilderreich, daher auch bei der
lebhaften und blühenden Fantasie des Volkes bereits vortreffliche Dich-
ter unter ihnen aufgetreten sind. Die Russischen Schriftzüge, welche
ihnen zugleich mit dem Christenthume aus Griechenland zugckommen
sind, sind eine Mischung lateinischer, griechischer und willkührlich erfun-
dener Buchstaben. —
2) Finnen, in Finnland und den angrenzenden Statthalterschaf-
ten, etwa 1,300,000 Köpfe, mit eigener National-Physiognomie und
Sprache. Ihre gelbbraune Gesichtsfarbe, der finstere Blick, das braune
oder weißgelbe Haar, ihr mürrisches Wesen, ihre taktmaßige rauhe
Sprache, laßt sie leicht vom Russen unterscheiden. Dabei sind sie
höchst unreinlich, gegen Fremde gastfrei, aber auch heimtückisch und
beleidigen gern. Dem Trünke sind sie, wie der Russe, ergeben, lieben
Musik und Tanz, und nähren sich vom Ackerbau, Viehzucht, Jagd,
Fischerei. Das Weib hilft dem Manne den Boden bebauen, ist sehr
arbeitsam, webt grobes Tuch (Wattmann), Leinwand, färbt, spinnt
und strickt.
3) Tataren, ein großes Volk und eine vortreffliche Menschen-
race, zumal in den südlichen Provinzen des Landes, etwa 230,000'
Köpfe, mit festen Wohnsitzen und ziemlich vollkommenen Gewerben;
ehrliebende, nüchterne, arbeitsame, stille, friedfertige, dabei tapfere, der
Regierung treue, an Geist und Körper wohlgebildete und in jeder Hin-
sicht ehrenwerthe Leute. Ihr Anstand ist edel und frei; sie sind offen,
freundlich, theilnehmend und gastfrei. Sie sind fast alle Muhamedaner.
Die Baschkiren in Orenburg und Perm, etwa 28,000 Familien
stark, sind Stammverwandte von ihnen; sie stehen aber viel tiefer als
die eigentlichen Tataren, und sind ein Nomadenvolk, das im Sommer
herumzieht, im Winter aber in Dörfern wohnt. Sie unterscbeiden
sich durch ihr plattes Gesicht, dickeren Kopf, größere Ohren und fleischi-
geren Körperbau, von den Tataren. Als Krieger zeichnen sie sich durch
ihre plumpe Dreistigkeit aus. Die Tatarische Sprache ist eine eigene,
aber in mehrere Dialekte getheilt.
4) Die Mongolen, einst als Weltstürmer bekannt, sind eine
der häßlichsten Menfchenracen, meist klein; krummbeinig, fast ganz
ohne Bart und von gelblicher Hautfarbe, mit besonders kleinen, lang
geschlitzten Augen. Sie zahlen höchstens noch 7009 Köpfe, und beken-
nen sich zur lamaischen Religion.
5) Die Kosaken, ursprünglich Slawen, daher sie auch Spra-
che, Sitten und Lebensart mit den Russen gemein haben, mit cini-
l