Preußen rüstet. 11
Ulu\iu'uvivlull'u'vuuliwul§)tl\,\'U Ivvvwvt \ Iw lvivtwwwv v% \J
zu kommen, und endlich warfen die deutschen Völker dieses
unermeßliche Reich gar über den Hausen. In nachfolgender
Zeit war der deutsche Name viele Jahrhunderte lang der erste
unter den Völkern, und der Kaiser der Deutschen, obwohl er
über die Fürsten, Städte, Grafen und Ritter in Deutschland
nicht so viel zu sagen hatte, als jetzt der kleinste Fürst über
seine Unterthanen, war in aller Welt gefürchtet und hieß der
mächtigste Herr in der ganzen Christenheit. Denn wenn das
starke und tapfere Volk einig unter sich selbst war, wenn es
mit seinem Kaiser über die Alpen nach Italien, oder gegen
die Heiden, die noch an der Oder und Weichsel wohnten, oder
wenn es gar weit über's Meer nach dem gelobten Lande zog,
so erkannten alle Völker, daß in den deutschen Gauen und
Wäldern, in Bergen und Ebenen, noch immer ein zahlreiches
Geschlecht starker und muthiger Männer wohne.
Aber mit solcher hohen Ehre war es aus, als die Zeiten
kamen, da man wähnte, ein friedlicher Bürger, der sein Ge-
werbe, und ein Landmann, der seinen Psing führe, dürfe sich
mit der Führung der Waffen nicht befassen; sie seyen das Erb-
theil eines eigenen Standes, welcher diese Kunst allein üben
und den andern eine Schutzwehr sein müsse. Dafür müßten
ihn die andern ernähren und dürften sich selbst der Ruhe und
Sorglosigkeit überlassen; ja, was männlicher Muth, Tapfer-
keit und Todesverachtung sey, das brauchten sie selbst gar nicht
in ihrer Brust zu hegen; das seyen nur Tugenden des Solda-
ten. Aber diese Verkehrung der menschlichen, so wie der Ord-
nung Gottes, der den Mann zum Schutze für seinen Heerd
und für Weib und Kind, und mit Allen vereinigt zur ssüehre
des Vaterlandes gesetzt hat, sie hat großes Unheil über Europa
gebracht. Wir Deutsche insbesondere waren dadurch so schwach
gegen die äußeren Feinde geworden, daß wir nahe daran wa-
ren, die uralte Ehre unseres Namens, allen Ruhm der Tapfer-
keit, unsere Sprache und unsere Sitten, und mit ihnen unsere
Freiheit zu verlieren. Endlich nahm Napoleon Bonaparte selbst
durch die Gewalt, womit er die Welt unterdrücken wollte, die
Binde von den Augen der Völker. Ohne es zu wollen, ver-
schaffte er ihnen das uralte, männliche Recht der Waffen und
dadurch ihre Mündigkeit wieder; ihr Zorn gegen ihn machte
sie mündig; und da zeigte sich wohl bald, was ein einiges
und entschlossenes Volk gegen einen ungerechten Unterdrücker
vermöge. Die erbitterten Spanier hielten schon fünf Jahr lang
einen blutigen Krieg gegen seine Uebermacht ans, weil jeder
Bürger und Bauer das Gefühl der glühendsten Rache gegen
ihn in seiner Brust fühlte. Die treuen Bewohner der öster-
reichischen Länder hatten im I. 1809 sehr tapfer gegen ihn ge-
stritten, als der Kaiser Franz die Landwehr aus Ungarn und
Oestreich, aas Böhmen und Mähren, aufrief. Die Tyroler
Httlen und Jäger, ein murhiges Bergvolk, hatten viele Tan-
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Franz Franz
Extrahierte Ortsnamen: Hausen Deutschland Italien Gottes Europa Ungarn
Ferdinand I. 107
viel, sondern nur Einen Glauben .geben. Beil
sie nun selbst nicht läugnen mögen, daß sie viel
Glauben haben, so könne der Gott der Wahrheit
nicht bei ihnen seyn."
Man har sich oft gewundert, warum die pro-
testantische Lehre sich nicht schnell über ganz Teutsch-
land verbreitet habe, bei der günstigen Stimmung
des Volkes, und der Gemalt, die eine neue Rich-
tung über ein ganzes Zeitalter zu üben pflegt.
— Das Rathscl löst sich größten, Heils aus der
baldigen inneren Entartung des Protestantismus
selbst. Wie wogte e-ne Lehre, welche so schnell in
geistloses Wortgezänk überging, und deren Beken-
ner einander vrrflachten, nun noch die Herjeu der
Menschen gewinnen '• An vielen Orten sah man
vielmehr Beisvielc, wie manche, die vorher schon
sich zu ihr gewendet, nun wieder zu der alten
Kirche üdertraten.
Ein anderer, starker Damm, welcher sich von
jetzt an dem Strome entgegeustellte, war der neu-
entstandene Je su r ter« Orden , gestiftet im
Jahre 1z40 von dem Spanier Ignaz Loyola,
einem sehr eifrigen und weitschaucnden Manne.
Dieser Orden, recht eigentlich als Stütze des
päpstlichen Stuhles errichtet, verbreitete sich bald
durch alle Länder. Seine Verfassung war auf
Einheit und kräftiges Zusammenwirken berechnet
und strenger Gehorsam war sein Gesetz. Das
Oberhaupt des Ordens Irbte in Rom, an ihn ge-
langten mit großer Pünktlichkeit die Berichte der
Vorsteher aus den Provinzen, welche wiederum viele
Stufen bis zu dem letzten Glieds unter sich hat-
ten. So konnte die ganze Brüderschaft von Ei-
nem Geiste regiert werden. Die Öderen prüften
ein jedes Glied genau und lange nach seinen Fä-
higkeiten , um es an den Platz zu stellen, wo es
den Absichten des Ordens am förderlichsten seyn
konnte. Ein feines, kluges Gewebe, welches sich
schnell über alle Länder Ellropa's legte. Als Loyola
1640 die Bestätigung des Papstes erhielt, hatte
er zehn Schüler. Im Jahre 1606 zählte man über
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Preußen nach dem tilßter Frieden. 409
«in Flüchtling aus seinem Wohnsitze gejagt. In
denselben zog der neue König, ein ausländischer
über teutsche Völker vom alten Urstamme der Sach-
sen und der Kalten, mrt einer Schaar französi-
scher Beamten, zum Hohne für ganz Teutschland,
triumphirend ein.
Der König Friedrich Wilhelm hatte nur ein
kleines, aber treues und tüchtiges Volk übrig be-
halten. Auch die Freude wurde ihm zu Theil,
daß drei seiner Festungen, Kolberg, Graudenz und
Pillau, sich in keinen Vertrag mit dem Feinde
eingelassen und mehrere der schlesischen auf ehren-
volle Weise sich vertheidigt hatten; zwei von ih-
nen, Kosel und Glaz, waren gleichfalls noch nicht
in Feindes Hand. In Graudenz befehligte der
Greis Courbiere, der, alö die Franzosen ihn zue
Ilebergabe aufforderten und ihm meldeten, der Kö-
nig sey über den Niemen zurück und habe sein
Königreich verloren, erwiederte: „So wolle er
König in Graudenz seyn." Nach Kolberg aber
hatte der König den Obrist Gneisenau gesendet,
schon damahis erkennend, daß er der Stadt in ihm
einen starken Pfeiler sende, welcher nicht wanken
werde. Und dazu hatte sich in dieser Gegend eine
Freischaar tapferer Männer eingefunden , durch den
Leutenant Schill und andere gesammelt, und
machte sich zum Schrecken der Feinde weit umher.
Diese Männer bewiesen, im kleinen Vorspiele des
künftigen Größeren, was der teutsche Mann einst
vermögen werde, wenn ihn der freie Geist mit
voller Kraft treibe.
Nachdem die französischen Heere das übrige
preußische Land geräumt hatten, behielten sie doch
noch einen Theil der Festungen besetzt. Es sollte
Preußen fortan keinen freien Entschluß mehr fas-
sen können. Ueberdieß erlag das Land unter den
unermeßlichen Brandschatzungen, die es den Fran-
zosen noch bezahlen mußte und an denen kein Nach-
laß zu hoffen war. In so bedrängter Lage ent-
wickelte das preußische Volk, an dem Beispiele sei-
nes Königs und seiner Königin sich spiegelnd, die
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Schill
Karl V Icqt die Regierung nieder, iz56. 101
Einkünfte aus den bisher einqezogenen geistlichen
Stiftungen. Weder Protestanten noch Katholiken
sollten einander zum Uebertritr zu verleiten suchen,
sondern ein jeder sollte frei seinem Glauben fol-
gen. Zwar sollte jeder Landesherr die herrscheride
Religion seines Landes bestimmen, aber dennoch
keinen seiner Unterthanen zu einer bestimmten
Kirche zwingen können; sondern einen! jeden sollte
es frei stehen, der Religion wegen auszuwandern."
Dahin war es also noch nicht in der gegenseitigen
Duldung gekommen, daß der anders glaubende
Unterthan eines Landes ganz gleiche Rechte mit
den übrigen harte.
Nach dem Abschluß des Religionsfriedens ka-
men in dem churfürstlichen Collegio auch die ehe-
maligen Beschwerden des Churfürsten Moritz gegen
den Kaiser zur Sprache. Allein, zrnn Triumph
für Karl, wollte keiner der übrigen Reichsstande
eine solche Untersuchung geführt wissen, und sie
unterblieb.
19. Karl V legt.die Negierung nieder.
1556.
Durch diesen Frieden war die Trennung der
Religionspartheien in Teutschland auf immer fest-
gesetzt. Karl, welcher einen großen Theil seines
Lebens und seiner Kräfte an ihre Wiedervereini-
gung gewendet hatte, konnte an solchem Zustande
der Dinge keine Freude haben. Teutschland war
ibm von nun an noch mehr entfremdet. Der
Kneg gegen Frankreich wollte gleichfalls kernen er-
wünschten Fortgang nehmen; Karl hatte es noch zu-
letzt erleben müssen, wie sich das fremde Volk in die
teutichen Angelegenheiten gemischt hatte, und sein
Geist sah voraiis, welchen Einfluß diese ihm ver.
haßte Regierung überhaupt auf Europa gewinnen
werden wenn dre Macht des spanisch- oster reicht-
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Extrahierte Personennamen: Karl_V_Icqt Karl Moritz Karl Karl Karl_V Karl Karl Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Teutschland Frankreich Europa
i54 Vi.ztr. Karl V bis zum wesiph. Fried. 1620 -1648
Fi. Gustav Adolf in Teutschland.
i63o— 32.
Die Kraft der protestantischen Fürsten war
gelähmt, und das Restitutionsedict wurde an tne3
len Orten bereits in Vollzug gesetzt. Wer Ferdi-
nands Gemuthoart kannte, konnte wohl vorsehen,
was er der neuen Kirche bereite, und daß wohl
überhaupt die Frage die sey, ob in Zükunft eine
protestantische Kirche in Teutschland seyn werde?
In dieser Gefahr kam derselben die Hülfe von einem
Volke, welches bis dahin, fast unbekannt, in sei-
nen nördlichen Wohnsitzen gelebt hatte; es waren
die Schwede», ein Volk, stark, schön, unge-
mischt, tapfer und gottesfurchtig, vom gothisch-
teutschen Stamme, eines der edelsten, welche sich
germanischen Ursprungs rühmen. Bisher hatte es
in seinem, mir mancherlei Schönheit geschmückten,
aber rauhen, Lande, an Seen und Kü^en, auf
Hügeln und i» Wäldern, auf alt-germanische
Weise gelebt, und seit den ältesten Zeiten, da es
unter dem gemeinschaftlichen Namen der Norman-
nen an den großen Seezügen Theil genommen,
sich nicht nach Außen gewendet. Aber rn vielen
inneren Kämpfen hatte es die Kräfte für die
größere Rolle geübt. — Im Jahre 1611 folgte
Gulkav Adolf seinem Vater Karl Ix aitf dem
Throne, und er war es, den das Schicksal be-
ftnnint hatte, sein Volk aus den größeren Schau-
platz der Weltgeschichte zu führen. In dem Ge-
fühle solcher Bestimmung hat Gustav Adolf den
Kampf gegen die überlegene Macht Oestreichs un-
ternommen.
Dieser große König ist sehr verschieden beur-
theilt worden, weil er in einem Zeitalter lebte,
da der Geist heftiger Partheiung die einfache An-
sicht der Begebenheiten und Menschen nicht gestat-
tete. Ein Theil hat ihn nur als Eroberer betrach-
tet, welchen die llnruhe eines brennenden Ehrgei-
zes über das Meer getrieben, um fremde Lander
zu bezwrngen, und dem die Religion als Deck-
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260 Vii. 3iv. vomwestph. Fried, bis jetzt. 16^6-^817.
und sogar Haß zwischen dem Edelmann und dem
Volle und dies mußte den Sinn beider veroerben.
Die fürstliche Macht dagegen hob sich von
nun an von Stufe zu Senfe; einerseits, indem
die Fürsten die Kräfte ihrer Lander immer ausge-
dehnter benutzen konnten, anderntheils, indem sie
sich immer unabhängiger vom Kaiser machten. Sie
bedachten nicht, daß dadurch das Reich teutscher
Nation immer schwächer werden mußte; obwohl
selbst ein ausländischer Schriftsteller jener Zeit
sagt: „Durch diesen süßen und allgemeinen Irg
thum haben sie die Majestät ihres eigenen Vater-
landes entwaffnet." — Trennung erhob sich allent-
halben , statt der früheren Einheit. Die von dem
Kaiser, so trennten sich die Fürsten auch immer
ltiehr unter einander, seit sie nicht itrehr auf den
Reichstagen selbst zusammenkamen', in träulkchem
Verein, nach teutscher Sitte, beim fröhlichcü Mahle
frei» die Hand reichten und die persönliche'^Kraft
und Ueberlcgenheit die geringere Macht an Land
und Leuten vergessen machte. Die Zahl der un-
terkhanen wurde der Maaßaüb der Grösse lind des
Ranges, und der Mächtigere hielt sich von inni
an weit übel' de,r, welcher ein kleineres Land be-
herrschte. Die Kleineren dagegen' kmoltten' den
Größeren an äußerem Glanze nicht Nack «letzen,
ahmten ihnen in allen Dingen nach, und so tarn
es dahin, nach dem Worte eines Schriftstel-
lers : „ daß kaum ein Ländctzen in Tentsch-
land übrig blieb, dessen Herr sich nicht dünkte,
etwas Aehnli'ches von Ludwig Alv zu seyn, sein
Versailles zu bauen, Höflinge ltnd Soldaten zu
halten. "
In solcher Absonderung der Herrscher, wie
der Völker, von einander, versor sich die alte Ue-
bereinstlinsiiung der Eigenthümlichkeit immer mehr.
Wer früher Einen txutschen Hof gesehen, sagt ern
Geschichtschreiber, kannte sie alle. Eine Landes-
verfassung glich in den Hauptzügen allen übrigen.
Nun aber, da Alles von dein Winke eines Einzi
gen abhing und in der Verschieden^c,£ von der
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Allgemeine Anmerkungen.
201
vaterländischen Gemeinsitte oft ein Verdienst ge-
sucht wurde, veränderte die Hofessitte das Land,
und das Finanzsystem die Verfassung desselben.
Daher sind der Stimmen viele laut geworden,
welche die Zertheilung Deutschlands in eine Vlel-
herrschaft hart getadelt haben; andere dagegen nah-
men dieselbe in Schutz. Die letzteren fuhren das
Glsick der kleinen teutschen Lander für sich an, welchen
ein rechter Vater des Volkes als Herrscher zu Dheil
wurde. Er konnte >vie ein Famillenhanpt Allen
nahe fei;,,, sagen sie, mit den eigenen Augen se-
hen und mit eigenen Händen Segen' verbreiten,
statt daß in dem großen "Staate die V^chülk.ung
wie ein zusammengesetztes Uhrwerk nach wohlbe-
xechneten, sunverander'licheii Gesetzen gehen muß,
und der Landesfürst den Meisten llnterrhanen ein
ferner, unsichtbarer Gewalthaber ist. Die fnenge
der größeren und kleinssrechszürstetisitze fe.rnek, welche
durch Forderung von 'Kunst und Wisseiischaft'lstit
einander wetteiferten/ Erhielten das vielseitige Le.
btn in ihnen, so daß »pohl bald kein Volk Her
Erde in umfassender Bildung sich mit dem
teucschen vergleichen wogte. Bei andern Völkern
siäb. die allgemeine Hauv^adt, in Melcher, sich Me
zusamnlendrangreir, für 'd'aö, was als wahr und
schon und anmutig gelten sollte, . für die Werke
der Wissenschaft ustkl Kli'nsi, und für die Svrache,
ihre aligemeinen Gesetze. Zn Tfutschlast'd'aber er-
hielt fitz darin das rege Leben eines Frekstgcit?s; es
galt kein Ansehn dcp Person, sondern nurzdas in
sich Gediegene und 'Pollen 5ek<,' welches hie meisten
ergriff, konnte sich den'sieg versprechest. Dadurch
har Deutschland/e,»,en heirlichen Wetteifer der
Geister'gesehen', 'der 'nicht 'ohne Hruw^öblie-'en
jh" ; > ¡fsit,¡511 Jv >' ; -i7) j;st
Dawider stellen düe Gegsi'^r'mit vielem Nach,
druck die Schwache des 'Vaterlandes gegcsi jeden
äußeren Feind auf, welche ebe'n.aus der Vielhesr
d'er Herrschaft entsvrang', und durch die G'eschichre
der letzten anderthalbhunden Zähre nur allzu
rraung bestätigt wild. Und fetüer rügen sic es
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548 Vii. Ztr. vom westph. Fried, bis jetzt. 1648-1617.
folgte; weil sein Hof und seine Großen so 'gar
verdorben waren, und weil bald der Pöbel einer
entarteten Hauptstadt, in dem leichtsinnigsten und
leidenschaftlichsten Volke Europas, an der Senkung
der Dinge Theil nahm, ist Ludwigs Xvi Thron
umgeworfen.
Es kann hier nicht erzählt werden, durchweiche
Stufen, vom ersten, befonnenern Anfänge an bis
zu der rasendsten Wuth verruchter Menschen hin-
durch, diese Revolution ihren Weg genommen hat;
wie viel unschuldiges Blut vergossen, wie König
und Königin gemordet sind ; wie die heillosen
Menschen, alle Scheu vor dem, was heilig ist,
abwerfend, die Altäre der Religion umgestürzr,
ihrer eignen bodenlosen Vernunft Tempel geweiht,
;a, wie sie sich erfrecht haben, das Daseyn Gottes
zu dekretiren; — wie sie ferner tn ihrem Taumel
ubermüthigen Verstandes eine Staatsverfassung
nach der andern auf das Papier gebracht, mit
großem Iubelgefchrei als ein Meisterstück, von
ewiger Dauer, ausgerufen, und nach einigen Mo-
naten wieder verworfen haben. Wehe dem Volke,
welches unter den Schrecken gewaltsamer Umkeh-
rungen, unter Blut und Mord und dem Rufe
der Sturmglocke, seine Verfassung gründen soll!
Die Grundlage der wahren Freiheit ist nur unter
dem Schilde des Rechtes, der Sitte und der Mäßi-
gung zu finden, wenn das Neue aus dem Alten,,
wie ein junger Sprößling, hervorwachst. Das ist
die Verbesserung des Zustandes der Völker auf
geschichtlichem Wege. Wenn aber alle Stämme
des alte» Waldes mit einem Mahle gefällt wer-
den, so fehlt dem jungen Anwüchse jegliche Schutz-
wehr gegen die Sturme. Zn Frankrelch sollte
das Andenken der Vorzeit vertilgt, die Geschichte
vernichtet werden; der Begriff wollte Alles neu
schaffen, darum verwehten die neuen Schöpfungen
wie ein Hauch. — Doch soll auch nicht verkannt
werden, daß ln der großen Fluth der Gedanken
Goldkörner mit ausgeworfen sind, welche für die
Geschichte Europa's nicht verloren gehen werden.
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Das Zeitalter Friedrichs des Großen. 33i
Friedrichs Negierung Raum. Aber, so scharf sein
Auge war, — das Auge des Einzelnen vermag
dennoch nicht Alles zu durchdringen; es mußten
lhjtt wesentliche Mängel verborgen bleiben; in der
Verwaltung aber mußte sowohl Willkühr auf ei-
ner, als eine tobte Förmlichkeit auf der andern
Seite, sich immer menr einschleichen, .weil das
Auge der öffentlichen Meinung nicht zugleich mit
>vachte. Darum ist eine volksvertretende Verfas-
sung, wie die englische, so unzerstörbar, und hebt
die Kraft eines Staates zu so hoher Stufe, weil
in ihren Formen die Stimme der Aufgeklärtesten
im Volke auf g e se tz m li ß i g.e m Wege laut
werden, und jeder-, den Einsicht und tüchtiger
Wille treiben, ohne-Staatsbeamter zu seyn, sein
Vaterland mit leiten helfen kann. Wenri in der
unumschränkten Selbstherrschaft ein Mißverhältiii'ß
zwischen den Regierenden und dem Volke entsteht,
da kann dasselbe, weil die öffentliche Stimme kei-
nen gesetzmäßigen Einfluß hat, zu solcher Höhe
steigen, wie Frankreichs Beispiel gelehrt hat, daß
eine gewaltsame Umwälzung geschehen muß, und
daß statt der veralteten Formen, neue, übereilte,
an die Stelle gesetzt weroen. In der Verfassung
aber, in welcher den Wünschen und Bedürfnissen
der Mehrheit ein Antheil an der Anordnung des
Ganzen gestattet ist, führt der Widerstreit höchstens
zu einem Wechsel der ersten Rathe des Königs;
dieser versammelt nmn solche um sich, welche das öf-
fentliche Vertrauen gewonnen haben.
Solche Ansichten und Grundsätze waren dem
damaligen Zeitalter, welches sich von hem eist,
fachen Gange der Natur so gar entfernt hatte,
und den klügelnden Verstand über Alles setzte,
verborgen. Die Festigkeit eines Staates, welche
in dem freieil Zusammenwirken freier Männer fup
ein, über Alles geliebtes, Vaterland liegt, sucht?
diese Zeit in den Formen; diese setzte sie an dich
Stelle des Wesens, und machte ihr Staaisgebäude
zu eiuetr» seelenlosen Räderwerke. Zn Friedrichs
starker, fester Seele würden die großartigern An«
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20 Vi.ztx. Karl Vbrszumwestph. Fried. 1z20-1648.
breiteten. *) Wer mit sinnlichem Maaßstabe mißt,
kann solches nicht begreifen; denn nrrr die Kraft
des Gedankenblitzes, welcher in Millionen auf
einmahl den schon vorhandenen Brennstoff entzün-
det, richtet solche Wirkung aus.
Wenn ein Zeitalter für große Umwandlungen
reif ist, so bedarf es nur des Losungswortes, und
alle sind wie von einem Zauberschlage geweckt, und
der es ausgesprochen, gilt ihnen als der große
Erfinder, obwohl er nur das ausgesprochen har,
was irn Schooße der Zeit und in ihrer eigenen
Seele schon reif war. Wie der Zustand der Wis-
senschaften, und das Leben und Regen in densel-
den , wie die großen Erfindungen des vvrhergegan-
genen Jahrhunderts, und besonders die Buch-
druckepkunst, die anf einmahl vielen Tausenden
mittheilte, was ohne sie laug? Zeit hindurch nur
wenigen bekannt, vielleicht in den. Mauern der
Klöster verschlossen geblieben wäre, — wie dieses Al-
les die Welt für die neuen Bewegungen vorberei-
tet hatte, ist aus den früheren Abschnitten klar
geworden. Auf der andern Seite ist eben diese
Schnelligkeit der Verbreitung der neuen Grund-
sätze ein unwiderleglicher Beweis für die Größe
des Verfalls rn dem gelammten kirchlichen und sitt-
lichen Zustande der damahligen Zeit. Der Mensch
*) Durbers 96 Sake gegen den Ablaß waren in vierzehn
Tagen in ganz Teurschland, m.b ln 4 bis 6 Wochen
in ganz Europa bekannt geworoen, und es ist nicht
zu beschreiben, was für Bewegung«» allenthalben
dadurch verursacht wurden. >520 wurden schon Lu»
thers Schr'llcen rn den Niederlanden in'; Spanische
übersetzt; und 1621 taulle ne em Rersc-der chon in
A e r n sa l e m. — Als der Herr v 0 n Wr 1 r -. ein
mchsischer Edelmann, un I. i5i9 von Italien nach
Wittenberg reiste, um futtern zur Nachgiebigkeit
Und zu dem Versprechen des Gtittschweraeni zu de«
wegen, gestand er iyrn selbst, daß er aus seiner Reise
durch Teucschland immer dreie gefunden habe!, die
Iurhern, gegen Erneu, der dem Papste günstig ge«
wesen sey. Und das war erst zwei Jahre nach Lucher-
erstem Auftreten,
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Extrahierte Personennamen: Karl_Vbrszumwestph Karl
Extrahierte Ortsnamen: Europa Niederlanden Italien Wittenberg