Das Zeitalter Ludwigs Xiv.
245
Saardam (Zaandam) unweit Amsterdam bei einem Zimmermann in Arbeit und
verkehrte in England hauptsächlich mit den Schiffleuten auf den Werften. Die
Werkstätten der Künstler und Handwerker, die Mühlen, Dämme, Maschinen
und dergl. feffelten die Wißbegierde des jungen Regenten. In England wurde er
so von Bewunderung für die Seemacht hingerissen, daß er ausrief: wäre ich nicht
Zaar von Rußland, so möchte ich englischer Admiral sein! Als er das Land ver-
ließ, um sich über Wien nach Venedig zu begeben, schickte er eine große Anzahl
Seeleute, Wundärzte und Künstler in seine Heimath. Kaum aber war Peter
nach Wien gelangt, so nöthigte ihn ein von den gegen die Neuerung und die
Fremdlinge erbitterten Großen erregter Aufstand der Strelitzen zur schleu- ^98.
nigen Rückkehr. Die Empörung wurde unterdrückt und die Schuldigen mit furcht-
barer Härte gezüchtigt. Das Hängen, Rädern, Enthaupten dauerte mehrere Wo-
chen lang; der Zaar legte selbst Hand an. Denn trotz seines Strebens, der euro-
päischen Cultur in seinen Staaten Eingang zu verschaffen und trotz seiner euro-
päischen Tracht, die er auch seinen Unterthanen gebot, blieb Peter doch in
Sitten, Denkungsart und Herrscherweise ein Barbar, dem Branntweintrinken
ergeben, roh in seinen Begierden und wüthend im Zorn. Dkeser Aufstand beför-
derte seinen Plan, das russische Kriegswesen allmählich durch das europäische zu
verdrängen. Er errichtete zwei Garden, schuf aus dem Adel eine Cavalerie und
bildete aus den Rekruten, die ihm die Geistlichen und Edelleute liefern mußten,
eine Infanterie. Fremde in russische Dienste getretene Offiziere übten die Truppen
nach europäischer Weise ein und vervollkommneten seine Artillerie. So kam es,
daß er bereits in dem oben erwähnten Türkenkrieg festen Fuß am Aso w sch en
Meer fassen konnte, indem er durch den Earlowitzer Frieden (tz. 620.) 1699.
der Pforte die mit Hülfe brandenburgischer, östreichischer und holländischer Heer-
führer eroberte Stadt Asow abtrotzte und dann Taganrog anlegen ließ. Wie
erstaunten die Türken, als plötzlich eine russische Fregatte in den Hafen von Con-
stantinopel einlief! Der Schwedenkrieg öffnete den Russen bald auch die
O stsee.
§. 643. Polen. Als der kriegskundige König Johann Sobieski
(§. 620.) nach vergeblichen Mühen, das polnische Staatswesen zu ordnen und
den Trotz des Adels zu bändigen, von häuslichen Leiden niedergebeugt kummervoll
ins Grab gestiegen war, erhob sich ein neuer Wahlkampf zwischen den Anhängern 16!,ß-
eines französischen Thronbewerbers und der Partei des Kurfürsten Friedrich
August von Sachsen. Der letztere trug den Sieg davon, weil die durch den
Verkauf deutscher Aemter und Städte erlangten Geldmittel des sächsischen Be-
werbers weiter reichten. Friedrich August, ein durch seine Körperstärke, wie2g ,
durch seine Galanterie und Prachtliebe bekannter Fürst, wurde zum König von' roo?.
Polen ausgerufen, nachdem er vorher zum Jubel des römischen Hofes in den
Schooß der katholischen Kirche übergetreten und den machtlosen
Thron durch Verzichtung auf seine große protestantische Stellung in Deutschland
und auf die Liebe und das Vertrauen eines treuen Volkes erkauft hatte. Der
polnische Adel, der allein Staatsbürgerrechte besaß, indeß der Bauer in harter
Leibeigenschaft schmachtete und der Bür^erstand sich nicht aus seiner untergeord-
neten Stellung emporzuarbeiten vermochte, benutzte jeden Wahlkampf zur Erwei-
terung seiner Corporationsrechte und zur Minderung der Königsgewalt durch be-
schränkende Capitulalionen (pacta convente,), bis der Staat die Form einer
demokratischen Adelsrepublik erhielt, in welcher das gewählte Oberhaupt nicht
viel mehr als der Vollstrecker der Reichstagsbeschlüsse war. Parteileidenschaften,
Conföderationen, stürmische Berathungen, die den polnischen Reichstag sprich-
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Peter Peter Johann Friedrich Friedrich August Friedrich_August Friedrich August
Extrahierte Ortsnamen: Zaandam Amsterdam England England Wien Polen Sachsen Deutschland
Innere Zustande.
257
rakter, wenngleich von liebenswürdigem Wesen, erlangte nach Entsagung
aller Ansprüche auf Polens machtlose Krone die seiner Gemüthsart weit ent-
sprechendere Herrschaft über das Herzogthum Lothringen. Um Frankreichs
Beitritt zur pra g mati sch en S a n cti o n zu erlangen, willigte Karl Vi.
in die höchstnachtheiligen Friedensbedingungen, wornach Franz Stephan,
Herzog von Lothringen, des Kaisers Schwiegersohn, sein Erbland gegen das
durch das Erlöschen des Mediceischen Hauses erledigte Toskana ver- 1737-
tauschte, Lothringen und Bar dagegen an Stanislaus und nach dessen Tod
an Frankreich kam, und Neapel und Sicilien als Königreich dem
spanischen Prinzen Don Carlos (§. 638.) überlassen wurde.
Noch 29 Jahre regierte hierauf Stanislaus, der Gönner der Jesuiten, mit dem
Titel eines Königs in Lüneville und Nancy, geliebt und geehrt von seinen Unterthanen,
ein Wohlthäter der Armen, ein Beförderer der Künste und Wissenschaften, ein Verschö-
nerer der lothringischen Städte. Polen dagegen ging unter Friedrich August Iii. seiner
völligen Auflösung entgegen. Der sogenannte P acificationsreichstag erklärte
jeden für infam oder vogelsrei, der fremde (also auch sächsische) Heere ohne besondere Be-
willigung der Republik in's Königreich führen würde und verschärfte aus Besorgniß, der
König möchte für den Glauben seiner Jugend noch einige Neigung haben, die harten
Dissiden tengesetze. „Kaum sollte man überhaupt ein Regentenleben dieser Art, wie 1736.
König Augusts Iii. war, eine Regierung nennen; denn der regiert doch nicht, der blos
durch sein körperliches Dasein wirkt? Mißhclligkeiten der großen Familien arteten unter
ihm bis zu wahren Fehden aus. Die roheste Uncultur des Mittelalters herrschte unter dem
allgemeinen Haufen der Nation, und die Großen, deren einzige Cultur oft kaum nur aus
Reisen nach Frankreich entsprang, konnten selten Patriotismus oder wahren Charakter
haben, denn wie sollte Patriotismus oder kraftvoller Geistescharakter bei der Erziehung
entstehen, die sie gewöhnlich genossen; oder bei der eitlen, unthätigen, schwelgerischen
Lebensart sich erhalten, die unter den Edelsten ihrer Art fast allgemein herrschend war?"
Da der König und sein Minister Brühl sclavisch um Rußlands Gunst buhlten, so wurde
der Einfluß dieses drohenden Nachbarstaates immer mächtiger.
§. 653. 4) Preußen. Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst Kurfürst
von Brandenburg, gab seinen Staaten einen mächtigen Aufschwung, theils in-Wilhelm
dem er die getrennten, seit dem Anfänge des 17. Jahrhunderts dem kurfürstlichen 164°-88-
Hause zugefallenen Landestheile Preußen und Cleve (§. 563.) mit dem
Hauptland in nähere Verbindung brachte und zu einem zusammenwirkenden
Ganzen umschus, theils indem er Einwanderungen aus gebildeten Landern in die
durch den 30jährigen Krieg verödeten Provinzen begünstigte (französische Hugue-
notten) und der Gewerbthatigkeit und den Künsten des Friedens kräftig aufhals,
theils durch Bildung einer bedeutenden Kriegsmacht, womit er dem Lande
eine unabhängige, selbständige Stellung erkämpfte. Auf diesen einsichtsvollen,
kräftigen und besonnenen Fürsten folgte sein prachtliebender Sohn, Kurfürst
Friedrich Iii., dem der äußere Glanz, womit Ludwig Xiv. den Hof von Ver-F^rich
sailles umgeben, als der höchste Triumph irdischer Majestät erschien. Er setzte Ih- d-)
daher den größten Werth auf eine prunkvolle Hofhaltung; eine verschwenderische im-
Pracht in Kutschen, Marställen, Garderobe u. dgl., glänzende Feste und cere-
monielle Feierlichkeiten gingen ihm über alles. Mit Neid sah er aus die Kurfür-
sten von Hannover und Sachsen, denen das in seinen Augen unschätzbare
Gut einer Königskrone zu Theil geworden, und wie groß war seine Freude,
Weber, Geschichte. Ii. 6. Ausl. 17
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Extrahierte Personennamen: Karl_Vi Karl Franz_Stephan Franz Stanislaus Carlos_( Stanislaus Nancy Friedrich Friedrich August Augusts Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Friedrich_Iii Friedrich Ludwig_Xiv Ludwig Weber
Extrahierte Ortsnamen: Lothringen Frankreichs Lothringen Toskana Lothringen Frankreich Neapel Sicilien Lüneville Frankreich Brandenburg Sachsen
290
Das Revolutions-Zeitalter.
und andere europäische Länder kennen gelernt, verfaßt wurde, ist in einem gemäßigteren
und ernstern Ton gehalten. Um so wirksamer waren die mit Ruhe und Klarheit niedcrge-
lcgten Lehren von einer vernünftigen Freiheit. Bei der Darstellung der verschiedenen Staats-
formen wird die r e p u b li k a n i s ch e als Ideal obenangestellt, die aber nur bei hoher Bür-
gcrtugcnd .möglich sei. Nach ihr kommt die c o n stitu tio n elle Verfassung Englands,
mit scharfer Trennung der drei Gewalten, der gesetzgebenden, ausübenden und
richtenden, und zuletzt die ab so l u t e, die leicht in D esp o ti e umschlage und als Ur-
sache aller Entartung und alles Sittenverderbs anzusehen sei. Dabei wurden das Gerichts-
verfahren, das Besteuerungswesen und andere in Frankreich herrschende Mißstände stark
gerügt und das Fehlerhafte in der Regierungsweise aller Staaten des europäischen Fest-
landes hcrvorgehoben, Religion und Kirche dagegen mehr geschont als in den persischen
Briefen.
Rousseau. Den größten Einfluß auf die Umgestaltung der Ansichten und Meinungen
seiner Zeit, hatte I o h. I a k. R o u s s e a u. Er war in Genf geboren und zu dem Gewerbe
seines Vaters, eines Uhrmachers, bestimmt, entfloh aber der Strenge seines Lehrmeisters
und führte von dem an ein vielbewegtes, erfahrungsreiches Leben, bald in Savoyen und
Oberitalien, bald in Paris oder in der ländlichen Stille von Montmorenci, bald als ver-
folgter Flüchtling auf der Petersinsel im Vieler-See, im Neuenburger Kanton unter dem
Schutze Friedrichs Ii., in England bei dem Geschichtschreiber Hume, bis er, gedrückt von
Schwermuth und Lebensüberdruß, plötzlich aus dem Gute eines seiner Verehrer unweit
Paris starb. Er selbst hat alle Umstände seines äußern und innern Lebens in seinen Be-
kenntnissen mit seltener Offenheit und Aufrichtigkeit der Welt dargelegt, eine Lebensge-
schichle, die um so wichtiger ist, als sich die Richtung seiner Ansichten daraus erklären läßt.
Frühe seiner Mutter beraubt erhielt er eine mangelhafte Erziehung. Er las mit seinem
Vater eine Menge von Romanen ohne alle Auswahl, wodurch sein Gefühl überreizt, seine
Phantasie mit unwahren und idealen Gebilden angefüllt wurde, indeß sein Geist ohne ge-
diegene Kenntnisse und echte Belehrung blieb. Durch seine Geburt und Erziehung war er
an Einfachheit, an bürgerliche Zucht gewöhnt und blieb daher sein Leben lang ein Feind
des Luxus und der Ungleichheit der Güter. Aus seinen Wanderungen sah er den Druck der
Armuth, die Mißhandlung der dienenden und arbeitenden Klasse durch die Reichen und
Vornehmen, und sein Gemüth empörte sich über diese Ungerechtigkeit. Die bürgerlichen
Zustände mit ihrer Standesverschiedenheit und den großen Unterschieden des Ranges und
Vermögens kamen ihm verkehrt und unnatürlich vor; er fand die Ursache dieser Gebrechen
in der gesteigerten Civilksation und stellte daher in seinen zwei ersten Schriften die Künste
und Wissenschaften als die verderblichsten u n b unheilvollsten Güter
der Menschheit dar. Ein eingebildeter Naturzustand wurde von ihm als die Heimath
der Freiheit und der Unschuld gepriesen und nur in dem Rückgänge zu diesem und in der
Abschüttelung aller Fesseln, die Bildung , Erziehung und Gewohnheit geschlungen, sah er
das Heil der Welt. In einem andern Buche, dessen Grundsätze auf den Gang der franzö-
sischen Revolution vom größten Einflüsse waren, in dem Gesellschastsvertrag (contrat
social) stellt er die Gleichheit aller Menschcn als Bedingung jedes Staats dar und
findet nicht wie der von ihm bekämpfte Montesquieu in einer constitutionellen Verfassung,,
sondern in der völligen Demokratie mit gesetzgebenden Volksversammlun-
gen die würdigste Staatsform und in dem leiblichen Wohlbefinden des Volks den höchsten
Zweck des Staats. — Wie Rousseau hierin die bestehenden Regierungsformen erschütterte,
so in seinen berühmtesten Werken: die neue Heloise und Emil die Sitten, Gewohnhei-
ten, Lebensweise und Erziehung der damaligen Zeit. In dem erster« schildert er in poeti-
scher Sprache und in der Form eines in Briefen geschriebenen Romans die Vorzüge eines
sentimentalen Naturlebens vor den verschrobenen Verhältnissen der Wirklichkeit und durch
das letztere suchte er eine auf Natur und Elternliebe beruhende vernünftige Erziehung zu
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs
Extrahierte Ortsnamen: Englands Frankreich Genf Oberitalien Paris Montmorenci Vieler-See Friedrichs England Paris
478
Neuere und neueste Literatur des Auslandes.
Generalcommandant von Sicilien, seiner konstitutionellen Ansichten wegen als
Staatsgefangener nach Brünn gebracht, wo seine sonst felsenfeste Gesundheit zu
schwinden begann, so daß man ihm endlich gestattete, die letzten Jahre seines Lebens
in Florenz zuzubringen. Hier verfaßte er die treffliche „Geschichte des Königreichs
Neapel von 1734—1825", die aber erst nach seinem Tode herauskam. Die Ge-
Amciri. schichte der „si ci li a ni sch en Vesper" von Mich. Ama r i schien der neapolita-
nischen Regierung so gefährlich, daß der Verfaffer sich den ihm drohenden Ver-
folgungen durch die Flucht entziehen zu muffen glaubte.
B. England (vergl. §. 557 f. §. 670). In der zweiten Halste des
18. Jahrhunderts machte sich die englische Literatur allmählich frei von dem
französischen Einfluß und Regelzwang, und kehrte wieder zu ihrer nationalen
Eigenthümlichkeit und zu den einheimischen Stoffen und Dichtern zurück. Auf
diese Wendung des Geschmacks übte die neue Romantik, der sich auch England
nicht zu entziehen vermochte, einen großen Einfluß, aber der gesunde, jeder Ueber-
treibung widerstrebende Sinn der Nation bewahrte die Literatur vor der krank-
haften Entartung, in welche die französische und deutsche Romantik verfiel. Das
Zurückgehen auf die Vergangenheit hatte in England zunächst die Folge, daß man
das Mittelalter mit seinem poetischen Reichthum dem jüngern Geschlechts nahe zu füh-
ren suchte, indem man die alten Balladen und Volksdichtungen sammelte
(Macpherson'sossian; Th. Percy's Volksballadenu.a. m.) oderinroma-
nen und geschichtlichen Schilderungen das Leben der untergegangenen Welt in allen
seinen Erscheinungen zur Anschauung brachte, daß man den während der Herrschaft
des französischen Geschmacks ganz vernachlässigten Dichtungen Shakespeare's
wieder die gebührende Anerkennung zollte, zumal seitdem man in Deutschland
diesen Dichterhelden so hoch stellte und der große englische Schauspieler David Gar-
rick (1716—1779)durch sein meisterhaftes Spiel der Nation die ganze Tiefe und
den unendlichen Reichthum der Shakespeareschen Dramen zum Verständlich brachte.
Am ersten ging man von dem französischen Geschmack in Schottland
ab, wo überhaupt die conventionelle Poesie die heimische Volksdichtung nie ganz
zu verdrängen vermocht, und wo eine reiche Fülle von volksthümlichen Geschich-
ten, Sagen, Balladen und Liedern sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt
hatte. Eine Reihe von schottischen Dichtern, zum Theil den untern Ständen an-
gehörig, setzten der englisch - französischen Kunstpoesie eine einfache, gemüthvolle
Naturdichtung entgegen; die reiche Natur und das sinnige Seelenleben des Volks
sowohl in der Wirklichkeit als in den alten Nationalgesängen, war die unversieg-
bare Quelle ihrer literarischen und dichterischen Thätigkeit. Der erste, der diese
Bahn einschlug, war Allan Ramsay, Anfangs Perückenmacher, dann Buch-
händler in Edinburg; er dichtete in schottischer Mundart ein Hirtenspiel (,,the
gentle shepherd“) voll treuer und lebendiger Naturschilderung und sammelte
viele altschottische Lieder. Sein Beispiel wurde nachgeahmt von dem unglücklichen
Ferqussonin Folge einer Gehirnerschütterung im Jrrenhause jung gestorbenen Rob. Fer-
1/51—74. guffon, in dessen schottischen Gesängen sich ein innig poetisches Leben kund
^^E^'gibt und von Lady Anna Barnard, ged. Lindsay, in der schönen Ballade „der
1750 — alte Rob in Gray." Aber der eigentliche schottische Nationalsänger und Volkslieb-
Burn's ling war Rob. Bur ns, ein armer Bauer aus der Grafschaft Ayr. Die drücken-
175s-96. den Verhältnisse, unter denen er sein ganzes Leben hindurch zu leiden hatte, ver-
mochten das angeborene poetische Talent nicht zu ersticken, doch hemmten sie seinen
Flug und füllten seine lebensfrohe, musikalische Natur mit Schwcrmuth und
Kummer. Seine irr zahllosen Ausgaben und Uebersetzungen verbreiteten Gedichte
sind echte Naturlaute voll Wärme, Frische und Klarheit und von einer Mannich-
Schott-
land.
Ramsay
1686 —
1758.
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Extrahierte Personennamen: David_Gar- David Allan_Ramsay Anfangs_Perückenmacher Anna_Barnard Ramsay
Extrahierte Ortsnamen: Sicilien Florenz England England England Deutschland Schottland Edinburg Volkslieb-
Burn's Schott-
496
Neuere und neueste Literatur des Auslandes.
blühen, Orangen glühen, Castraten singen und fromme Kunst den Mangel der Sittlichkeit
erträglich macht. Die Corinna hatte ähnliche Wirkung in den Pariser Salons und die
Staol krönte sich selbst als sie in dithyrambischer Prosa ihre Corinna zur Krönung auf das
Kapitol führte."
Nach Napoleons Sturz kehrte Frau v. Staël nach Paris zurück, wo sie bis
zu ihrem Tode auf die Literatur und das öffentliche Leben Frankreichs im Geiste
des lieberalen Constitutionalismus zu wirken fortfuhr. Aus ihrem Kreise gingen
Benj. die Männer hervor, die, wie ihr Schwiegersohn, der Herzog v. Broglie, ihr
Constant Freund Benjamin Constant, der Historiker und Staatsmann Guizot u.a.
i83o7~ während der Restauration und unter Louis Philipps Regierung an der Spitze der
constitutionellen Opposition standen und für Aufklärung und Fortschritt tha-
thig waren.
Romanti- Der philosophische Materialismus des 18. Jahrhunderts hatte in dem
Poesie, atheistischen und gotteslästerlichen Treiben der Revolutionsmänner seinen prakti-
schen Höhepunkt erreicht. Es war daher ganz natürlich, daß man nach Bewälti-
gung der Revolution auf die Wiederbelebung des religiösen Sinnes im Volke
hinarbeitete und durch das Christenthum die Wunden zu heilen suchte, welche die
kirchenfeindliche Philosophie geschlagen. Schon Frau v. Staël hatte auf die
Nothwendigkeit einer religiösen Wiedergeburt hingewiesen und während des Con-
îsà' su lat s mit dem Vicomte von Chateaubriand, dem Begründer der christli-
1769— chen Romantik in Frankreich in geselligem Verkehr gestanden. Bonaparte
selbst und seine Brüder und Schwestern begünstigten diese die Wiederherstellung
der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung fördernde Richtung in der Literatur.
Als Chateaubriand, der gleich vielen andern Edelleuten der Bretagne beim
F'iitcmcs ^"êbruch der Revolution nach Amerika ausgewandert war, nach dem 18. Brü-
1757—' maire mit Fontanes, dem rhetorischen Dichter (,,le cri de mon coeur,“
182l ,,le verger“) und kunstfertigen Conventsredner („Lobrede aufwashington") nach
Frankreich zurückkehrte, erhielt er einen Antheil an der weitverbreiteten Zeitschrift
,,Mercure de France“ und wurde, als er durch seine im Geiste Bernardin's de
St. Pierre gehaltenen christlichen Erzählungen „Atala" und „Rene" und
durch sein großes poesiereiches Werk „Geist des Christenthums" allge-
meines Aufsehen erregte, mit Ehren und Gnadenbezeigungen überhäuft. Er
wurde bald die Seele der geistreichen Kreise, die sich, wie in der alten monarchi-
schen Zeit, um Fontanes, den begünstigten Prunkredner der Napoleonischen
Herrschaft im Senat und gesetzgebenden Körper, um Joubert, den Kritiker
und Aesthetiker (,,recueil de penseez“) und um einige Damen (Madame Reca-
mier) in Paris zusammenfanden. Unter den französischen Kolonisten in Amerika,
wo noch die ursprünglichen Sitten, die alten Volkslieder und Sprachformen, die
religiöse Gesinnung des sechzehnten Jahrhunderts fortdauerten, und unter den
Wilden in den Wäldern und Wüsten, hatte Cbauieaubriand das constitutionelle
Wesen abgeworfen und sich die Idee von religiösem Naturleben gebildet, die sei-
nen ersten Produkten ihren Reiz gab. Es war die Wahrheit, die Neuheit in
den Gemälden und Empfindungen, welche die Romane Irene und Atala dem fran-
zösischen Volke und allen nach religiöser Wärme und christlichem Gefühl verlan-
genden Gemüthern ohne Unterschied der Confession werth und anziehend machten.
Der Roman „Atala", den Chateaubriand selbst für den Bruchtheil eines größern
Werkes „die Natchez", worin die Sitten und Lebensweise eines zwei Jahre
lang von ihm beobachteten nordamerikanischen Volksstammes geschildert waren,
ausgab, erlangte schnell die größte Verbreitung, noch ehe er gleich dem einfachern
und naiver gehaltenen Roman René, dem großen Werke „Geist des Chri-
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Neuere und neueste Literatur des Auslandes.
497
st en t h ums" als Episode beigefügt wurde. Dieses letztere Werk, welches das
Christenthum ganz in das Gebiet der Schönheit hinüberspielt, die Religion zu
einem Gegenstand des ästhetischen Genusses macht, „enthalt Chateaubriands
poetische Religion und seine katholischephilosophie in Geschichten und Bildern und
frommen Traumen. Es war die Bibel der Herren und Damen des Salons,
denen das biblische Christenthum zu nackt und zu trocken erschien." Der glanzende
Stil, die bilderreiche, poetische Sprache und die vollendete Darstellung erregten
nicht minder Beifall und Bewunderung als der christliche Inhalt und Ton.
„Die Tochter der Wüsten, Atala, ein Chactas und ein Pater Aubry als Hauptperso-
nen eines Romans oder Drama waren ganz unerhörte Erscheinungen und sielen gerade
in eine Zeit, als das Concordat eine neue papistisch-bonaparte'sche Kirche in Frankreich an
der Stelle der alten gallicanisch-bourbonischen stiftete. Das Neue erschien also im Roman
wie im Leben unter alten Formen." — Im „Reno" ist die Geschichte höchst einfach und
ohne abenteuerliche Ereignisse; „es ist gewissermaßen nur ein kurzer und einfacher Bericht,
ohne jenen Wortschwall und Klingklang der galanten Wendungen, wodurch Chateaubriand
in seinen andern Schriften den Leser darüber tröstet, daß sie den Schall für etwas Reelles
nehmen müssen. Renö konnte allerdings am besten dienen, um den Franzosen ohne alle
Doctrin handgreiflich zu machen, daß das Christenthum einen Werth habe, oder, wie
Chat, den Zweck seines ,,6onio du Christianisme“ ausspricht, in der französischen Nation
Gesinnungen wieder zu erwecken, die im 18. Jahrhundert ganz untergegangen gewesen."
— Von ähnlichem Geist ist der kleine Roman „les aventures du dernier Abencerage“,
„eine Elegie aus die untergegangene Chevalerie" ein harmonisches Kunstwerk, das „ebenso
sehr zur Phantasie wie zum Herzen sprechend" zur Wiederbelebung der Romantik wesent-
lich beitrug.
Nach dem Tode des Herzogs von Enghien (§. 744.) wandte sich Chateau-
briand von dem Napoleonischen Herrscherhaus ab. Nach einem langem Aufent-
halte in Italien und in der Schweiz, unternahm er eine große Reise nach Grie-
chenland, Aegypten und Jerusalem, als deren Ergebniß man nicht nur sein
,,Itinéraire", sondern auch die epische Dichtung „> ie Märtyrer", worin er
die Vorzüge des Christenthums vor dem griechischen Heidenthum in glanzenden
und erhabenen Zügen aber mit vieler Uebertreibung und Parteilichkeit darzuthun
sucht, ansehen darf. In der „Pilgerfahrt nach Jerusalem" sind die Eindrücke und
religiösen Gefühle des pilgernden Dichters, die Empfindung bei dem Anblick
der heiligen Orte, die mächtige Wirkung der vom historischen Hauche geweihten
Natur des Morgenlaudes treu und anziehend geschildert.
„In allen Schriften Chateaubriands findet man glücklich gewählte Bilder und Aus-
drücke, Frische, Originalität und dichterisches Leben ; aber man darf nicht erwarten, daß
die Begriffe, die er vorträgt, die ruhige Prüfung des Verstandes aushalten, oder auch nur,
daß sie unter sich übereinstimmen, noch viel weniger, daß sie ein harmonisches Ganze bil-
den. Sobald er über das Malen und über die Ausführung gewisser Sätze im Kleinen
hinauskommt, sobald die Gegenstände größer werden, darf man seinerbeweissührung nicht
mehr trauen. Man sucht das Urtheil eines ruhig prüfenden und forschenden Weisen ver-
geblich bei ihm; man findet dagegen überall das Colorit eines farbenkundigen, erfinderi-
schen Malers. Sein Styl ist zuweilen allerdings erhaben; allein er sinkt stellenweise auch
sehr tief herab, dies merkt man dann am meisten, wenn er die Nachahmung der Alten zu
weit treibt und dadurch kalt wird. Gleichwohl ist bei allem seinem Anschmiegen an den
Geschmack der vornehmen Welt seiner Zeit etwas von der Unabhängigkeit der ihm in fri-
scher Jugend in den amerikanischen Wildnissen zu Theil gewordenen Eindrücke zurück-
Weber, Geschichte. Ii. ö.aufl. Zi
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Aubry Weber
Extrahierte Ortsnamen: Atala Frankreich Napoleonischen_Herrscherhaus Italien Schweiz Jerusalem Jerusalem
508
Die Zeit des französischer! Bürgerkönigthums.
Unterdrückung des aufstrebenden Demokratismus und zur Bewältigung der von
den emigrirten Polen geleiteten Verschwörungen und Umwalzungsversuche. Das
gemüthliche östreichische Volk, mehr auf Genuß als auf Freiheit bedacht,
ertrug mit großer Ergebung das patriarchalische Regiment, welches Fürst Met-
ternich unter einem humanen Regentenhaus aufgerichtet hatte. Ausgeschlossen
von deutschem Leben und deutscher Cultur und durch ein strenges Absperrungs-
system getrennt von der Nation, mit der es ein Jahrtausend in trüben und fröh-
lichen Tagen zusammengehalten, wurde Oestreich den deutschen Zustanden und
Interessen immer mehr entfremdet; und mit fremden Nationalitäten zu einem
unnatürlichen Ganzen verbunden, merkte es nicht, daß sein Staatswesen einem
„S ch utt" cntgegenging, wie ihn sein Dichter ergreifend geschildert. — Preußen
schien zu vergessen, daß seine wahre Macht in seiner Volksthümlichkeit bestehe,
daß Friedrich Ii. seine Siege nicht minder der Sympathie der Völker als der
Tapferkeit seiner Heere verdankte. Im Besitze der größten Intelligenz, des vor-
trefflichsten Kriegswesens, einer blühenden Industrie und beherrscht von einem
glorreichen Fürstenhause würde Preußen eine gebieterische Stellung unter den eu-
ropäischen Staaten gewonnen haben, hätte es sich dem übrigen Deutschland fest
und innig angeschlossen, wäre die Regierung dem Freiheitsbedürsniß des Volks
durch constitutionelle Staatsformen entgegenkommen, hätte der König seinen
Stützpunkt lieber im liberalen und aufgeklärten Mittelstand als in einer kleinen
Zahl von Aristokraten, Strenggläubigen, Beamten und Gelehrten gesucht Mit
Deutschland zu einem Ganzen verbunden und die kleinern Staaten von Mittel-
europa unter seinen Schutz nehmend, würde ein constitutionelles Preußen mit
Glaubens- und Lehrfreiheit die vermittelnde und gebietende Macht zwischen dem
Osten und Westen gewesen sein, während es im Anschluß an den absoluten Osten
und im hochmüthigen Streben nach dem Range einer selbständigen Großmacht
eine untergeordnete Stelle in der europäischen Völkerpolitik einnahm. — Ruß-
land, der Schrecken der Demokraten, die Stütze aller nach Absolutismus stre-
benden Regierungen, ist durch seine autokratischeherrschermacht stark nach Innen,
durch diplomatische Klugheit mächtig nach Außen. Kaiser Ni c o laus , von dem
Gedanken beseelt, „die russische Nationalität aus sich selbst heraus zu civilisiren
und in dieselbe alle unterworfene Volksstämme hineinzuziehen, in der Sprache
wie im Glauben", verletzte nicht selten in seinem Streben nach Uniformität,
Menschenrechte, Freiheit und Nationalität. Unbeschränkter Gebieter über Staat
und Kirche beherrscht er sein unermeßliches Reich durch die Macht seines starken,
strengen Willens; der reiche Grundadcl, die unwissende Geistlichkeit und das
halbwilde, zum großen Theil aus Leibeigenen bestehende Landvolk werden durch
den Schrecken des Despotismus und durch die Gewalt des Säbels in gleicher
Unterwürfigkeit gehalten. — Polen, einst durch einen ungerechten Gewaltstrcich
der drei absoluten Mächte aus der Reihe der Völker gestrichen, ist noch in seinen
zerstückelten Gliedmaßen ein drohendes Gespenst für die Staaten, die durch seinen
Raub sich vergrößert. Seitdem das Königreich Polen den russischen Waffen er-
legen, war die Hoffnung der Emigranten auf Krakau gerichtet, das als Frei-
staat unter den Schutz der drei Nachbarstaaten gestellt, mit seinen altpolnischen
Königsgräbern und seinen nationalen Erinnerungen als eine glänzende Säule aus
dem allgemeinen Ruin der Nation einen mächtigen Zauber auf die Flüchtlinge
ausübte. Es wurden daher von der polnischen Propaganda mehrere Versuche
gemacht, durch Verschwörung sich der Stadt zu bemächtigen und sie als Mittel-
1836. punkt einer Revolution zur Wiederbelebung des alten Polenreichs zu gebrauchen.
Das erste Unternehmen der Art hatte eine vorübergehende Besetzung des Frei-
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Extrahierte Personennamen: Bürgerkönigthums Oestreich Friedrich_Ii Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Mittel-
europa Polen Krakau
Kampf der Nationalitäten. 511
kirchlichen Gemeinschaften. Aber „wie aufrichtig, abgesehen von einigen fratzen-
haften Erscheinungen, die Frömmigkeit dieses Volks ist, noch hat sie nicht ver-
mocht, durch Verbreitung schöner Menschlichkeit den gemeinsten Egoismus und
den Druck einer geistlosen Geldaristokratie zu brechen," noch auch die Skla-
verei in allen Staaten aufzuheben. Der Volksunterricht, wenn auch noch jung
und in einigen Staaten erst im Beginne, gedeiht jedoch mehr und mehr unter guter
und humaner Pflege und in Handel und Schifffahrt wetteifert Amerika mit England,
von dem derkern seinerbevölkerung ausgegangen und gegen das es immer noch alte
Nationaleiferfucht hegt, die bei Gelegenheit des Streits über den Besitz des Oregon- 1845.
Gebiets am Columbia-Strom, mit der Pelzhandelniederlaffung Astoria,
von Neuem angefacht wurde. — Als der Congreß mit dem früher zu Mexiko
gehörigen, dann durch eine erfolgreiche Empörung unabhängig gewordenen
Texas einen Vertrag schloß, in Folge dessen dieses sclavenhaltende Land den *845.
Vereinigten Staaten einverleibt ward, gerieth der nordamerikanifche Freistaat
mit der durch Parteiung und innere Kampfe zerrütteten Republik Mexiko in
einen blutigen Krieg, der nach Erstürmung der Hauptstadt Mexiko mit einer 1847•
wichtigen Erweiterung des Vcreinsgebiets gegen Westen endigte. Die ehemals
spanischen Staaten Nordamerikas, die mit dem Mutterlande die Schlaffheit,
Zerrissenheit und Unordnung gemein haben, wo bald Anarchie, bald dictatorische
Gewalt (Santa Ana) herrscht, scheinen allmählich eine Beute des anglo-
amerikanifchen Freistaats zu werden. Florida, Texas und Californien mit
seinem neuentdeckten Goldstrom sind bereits gewonnen; das im Aufstand
begriffene Pucatan wird nicht lange mehr mit Mexiko verbunden bleiben, und
die in den südamerikanischen Freistaaten herrschende Gesetzlosigkeit, Parteiwuth
und Empörungssucht, die durch fortwährende Bürgerkriege den Genuß gesetzlicher
Freiheit und gesicherter Ordnung stören, geben Zeugniß von der Unfähigkeit des
spanischen Volksstammes für ein republikanisches Selbstregiment. — Wie in-
dessen auch die Regierungsweise eines Staats beschaffen sein mag, einer neuen
Macht, die seit der Revolution in die Welt gekommen und die mit der zuneh-
menden Civilisation und periodischen Literatur an Umfang und Bedeutung wächst,
kann sich keine Obrigkeit auf die Länge mehr entziehen, diese Macht heißt d i e
ö ffent lich e M ein un g , und diese fordert: politische Freiheit mit Anerkennung
der Nationalitäten, Betheiligung des Volks am Staatsleben durch Repräsenta-
tiv - Verfassungen und Achtung der individuellen Freiheit auf dem Gebiet des
Glaubens und der Kirche, der Wissenschaft und der Industrie.
2. Der Kampf der Nationalitäten.
h. 805. Der Westen. Hatte die frühere Politik nur die Ländergebiete
und Staatenvereine berücksichtigt und bei Friedensschlüssen und Verträgen nur
auf geographische Lage und Begrenzung , nicht auf Abstammung , Sprache und
Nationalverschiedenheit Rücksicht genommen, so ging in neuerer Zeit das Ver-
langen der Völker auf Scheidung des Ungleichartigen, auf Unabhängigkeit und
Selbständigkeit der Nationalitäten und Volksstämme unter eigener Verwaltung,
auf Pflege und Geltendmachung der Stamm- und Volkssprachen. Das immer
offener hervortretende Streben der Regierungen, die fremdartigen Bewohner
eroberter Ländergebiete mit dem herrschenden Volksftamme zu verschmelzen und
durch allmähliche Verdrängung der Sprache, Sitten, Einrichtungen und Natio-
naleigenthümlichkeiten der Besiegten mit der Zeit ein aus gleichartigen Bestand-
theilen zusammengesetztes Staats-Ganze zu bilden, erzeugte bei den Unterdrückten
einen Geist des Widerspruchs, eine Vorliebe für die Sprache, Sitten und Ein-
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T41: [Insel Staat England Amerika Kolonie Mill Küste Nordamerika Land Stadt]]
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Extrahierte Ortsnamen: Amerika England Columbia-Strom Mexiko Mexiko Mexiko Nordamerikas Florida Texas Californien Mexiko
Kampf der Nationalitäten.
513
Dänemark waren (außer den deutschen Schleswigern) keine fremden Elemente zu
bekämpfen, dagegen rührte sich daselbst eine sc an di nav isch e Partei, die,
aus Studenten tind jungen lebhaften Männern bestehend, eine Vereinigung der
Reiche zu einem großen Staatsganzen anstrebte.
tz. 807. Der europäische Osten. Die heftigsten Nationalkampf? fan-
den im Osten statt, wo verjährtes Unrecht und jahrhundertelanger Druck die
Leidenschaften reizte, wo nicht die Kraft der Civilifation die Ausbrüche einer der-
den Natur milderte und brach, wo feit den Tagen der großen Wanderzüge ein
buntes Völkergemisch mehr streitlustig als friedfertig vereint und getrennt fort-
besteht. Hier kämpfen drei Völkerstamme, Germanen, Slaven und Ma-
gyaren, theils um Herrschaft theils um Fortdauer ihrer Existenz. Die ersten,
in einigen Landern des ehemaligen Polenreichs der herrschende Stamm, können nur
mit Mühe ihr errungenes Uebergewicht gegen die widerspenstigen, conspirirenden
Polen bewahren und müffen, der germanischen Natur zuwider, häufiger das
Schwert der Selbsterhaltung gegen die Ueberwundenen ergreifen als daß sie sich
ihrer überlegenen Bildung zur Eultivirung derselben bedienen könnten. In Un-
garn und Siebenbürgen müssen sie ihre deutschen Sitten, Sprache, Ein-
richtungen gegen die feindlichen Eingriffe der herrschenden Magyaren schützen.
Der slavische Volks stamm ist der verzweigteste in den östlichen Landern,
aber nur in Rußland besitzt er die Herrschaft. Das alte Polen ist als Opfer
innerer Gesetzlosigkeit und äußerer Gewaltthat zu Grunde gegangen und alle Ver-
suche der rührigen Emigranten durch Propaganda und Conspiration den zer-
stückelten Leichnam wieder zu beleben sind bis jetzt gescheitert und werden so lange
scheitern, als der polnische Adel nicht Selbstentsagung lernt und das polnische
Volk nicht die Rechte und die Bildung freier Staatsbürger erlangt. So lange
der Bauer in Posen, trotz des regen Nationalgefühls und der warmen Vater-
landsliebe, die allen Polen innewohnen, lieber unter preußischer Regierung stehen
will als unter der Herrschaft des heimischen Adels, und so lange der galizische
Leibeigene bereit ist, seinen ihm nur als Peiniger und Dränger bekannten Gutsherrn
mitsense unddrefchflegel zuerschlagen, wieimi. 1846, ist an Polens Wiederher-
stellung nicht zu denken. Die übrigen Slaven leben unter verschiedenen Namen in
der ganzen östreichischen Monarchiezerstreut, nirgends herrschend, an wenigenorten
frei und für die Güter der Civilifation wenig Empfänglichkeit zeigend. Nicht
kräftig genug, um das Joch der fremden Stamme abzuschütteln und nicht hin-
gebend genug, um sich das Wesen und die Eigenthümlichkeiten derselben anzu-
eignen und das ihrige aufgehen zu lasten, stehen die Slaven überall in feindseli-
gem Haß den fremden Nationalitäten gegenüber. Ein Versuch der böhmischen
Czechen, mittelst einer blutigen Revolution ihre deutschen Landsleute zu unter-
drücken und die Herrschaft des Landes in die eigenen Hände zu nehmen, endete
mit ihrer Niederlage. Die weitverzweigte Verbindung der Panslavisten sucht
unter den verschiedenen Stämmen aller Länder das Gefühl des gemeinsamen Ur-
sprungs und der gemeinsamen Interessen lebendig zu erhalten und Alle für das
große Ziel, nationale Einheit, zu begeistern. Der Panslavismus dient in
manchen Ländern der russischen Politik als Träger und Förderer ihrer Interessen,
in andern ist er der Gegenstand ihrer Furcht, ihres Mißtrauens und ihrer Verfol-
gung. — Der rüstige Magyare herrscht in Ungarn, namentlich in den frucht-
baren Niederungen ostwärts der Theiß. Ursprünglich ein streitbares Räubervolk
haben die Magyaren auch in den Zeiten, wo mildere Sitten ihren Einfluß übten,
die kriegerische Kraft, den ungebändigten Freiheitssinn und das bei ritterlichen
Völkern meistens einheimische Feudalwesen beibehalten. Als Eroberer des frucht-
Weber, Geschichte. Ii. 6. Alufl. 33
Ger-
manen.
Slaven.
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514
Die Zeit des französischen Bürgerkönigthums.
deren Pannoniens sprechen sie die Herrschaft über die übrigen Bewohner germa-
nischen und slavischen Ursprungs an und wollen die einst von ihnen bezwungenen
Völkerschaften an den südlichen Grenzmarken, die Slavonier, Kroaten
(Raizen, Ruthenen) u. a. nicht als Gleichberechtigte, sondern als Unterworfene
behandeln. Stolz auf ihre Abstammung und Nationalität bewachen die Magya-
ren neidisch ihre Stammeigenthümlichkeiten, ihre Sprache, Sitten und Einrich-
tungen; ja um vom Auslande unabhängig zu sein und die Landesindustrie zu
heben, bildeten sich Vereine, mit der Verbindlichkeit, zu Nahrung, Kleidung und
häuslichen Bedürsniffen sich nur einheimischer Erzeugniffe zu bedienen. Stand-
haft und muthig verfochten sie gegen die despotische Regierung ihre angestammten
Rechte und Freiheiten, aber weniger gerecht als tapfer und herrschsüchtig versagten
sie die Güter, die sie für sich so entschieden in Anspruch nahmen, ihren Unter-
thanen. Sie verdrängten von ihrem aus einer Adelstafel (Magnaten) und
einer Ständetafel bestehenden Reichstag die seit langeher gebräuchliche latei-
nische Sprache durch die magyarische, ohne Irücksicht auf die andersredenden Völ-
kerschaften; sie bestanden darauf, daß nur Ungarn (Magyaren) die höhern Mi-
litär- und Beamtenstellen bekleiden dürften und während sie das Band, das sie
mit dem östreichischen Kaiserstaat zusammenhielt, immer mehr zu schwächen be-
müht waren, suchten sie zugleich die Herrschaft des Magyarenthums fester zu be-
gründen. Um aber nicht das Loos des polnischen Adels zu theilen, lernten die
Edelleute noch rechtzeitig Mäßigung und Klugheit. Die Stände bewilligten ein
Urbarialgesetz, das dem Bauer Ablösung der Feudallasten und ein freies
Eigenthum zugestand und hoben die lange bestandene Steuerfreiheit des
Adels auf. Dadurch wurde das Magyarenthum in sich einiger und stärker.
3. Pauperismus und Social-Reformen.
tz. 808. Das Proletariat. Die große französische Revolution, nach
praktischer Verwirklichung des Grundsatzes der Freiheit und Gleichheit
strebend, hat die Fesseln der Unfreiheit, welche die frühem Geschlechter dem Nie-
driggebornen, Armen und Geringen angelegt, zersprengt und damit die untern,
auf Erwerb durch Handarbeit angewiesenen Klassen als vollberechtigt den höhern
Ständen zur Seite gestellt. Die Lastträger der menschlichen Gesellschaft, die zu
den schweren körperlichen Arbeiten und zu den untern Geschäften des Lebens noth-
wendigen Menschen, die in den Republiken des Alterthums rechtlose Sc laven
waren, im Mittelalter theils leibeigene Bauern, theils Gesellen und
Knechte ohne politische Rechte, ohne Eigenthum, Besitz und persönliche Frei-
heit, traten nunmehr als gleichberechtigte Staatsbürger ins öffentliche Leben ein,
mit den Ansprüchen auf das Recht der Existenz durch Arbeit und auf Gründung
einer Familie durch Verheirathung, ein Recht, das in frühern Zeiten wesentlichen
Beschränkungen unterlag. Als die Stürme der Revolution vorüber waren, als
Ackerbau, Gewerbfleiß, Industrie wieder aufblühten und mit den Künsten des
Friedens Wohlstand, Lebensgenuß und Luxus einzogen, da zeigten sich bald die
Folgen der Auflösung der frühern gesellschaftlichen Bande. Die unbegrenzte
Theilbarkeit der Güter und die gleiche Erbberechtigung aller Kinder vermehrte
den Stand der Grundbesitzer ins Unendliche und schuf einen freien Bauernstand
von kleinem Grundeigenthum. Die Anfangs erfreuliche Erscheinung wurde die
Quelle unsäglichen Elends. Durch die mit jeder Generation sich mehrenden Thei-
lungen wurde der Grundbesitz dermaßen gespalten und vermindert, daß nur wenige
Familien von dem Ertrag leben konnten; atls freien Bauern wurden daher all-
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
TM Hauptwörter (200): [T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T153: [Donau Ungarn Land Hauptstadt Böhmen Königreich Wien Stadt Galizien Siebenbürgen]]