Ii. Guropa im Uebergange ans dem Mit-
telalter in die Neuzeit.
(F. Guizot.)
1. Zum vollständigen Verständniß des fünfzehnten Jahrhunderts,
zu einer deutlichen und klaren Vorstellung von diesem Vorspiele des
neuern Gesellschaftsverbaudes bedarf es einer Klassifieirung der ver-
schiedenen Thatsachen. Zuerst wollen wir die politischen Ereignisse,
die Thatsachen, welche Nationen oder Regierungsformen gebildet
haben, untersuchen, von diesen zu den moralischen übergehen, die in
der Ideenwelt, in den Sitten vorgegangenen Veränderungen erörtern,
und daraus abnehmen, was für allgemeine Ideen durch sie vorbe-
reitet worden sind.
Was die politischen Thatsachen betrifft, so wollen wir ganz
einfach verfahren, alle großen Länder Europas durchgehen, und
herausheben, was das fünfzehnte Jahrhundert dazu gethan, in welchem
Stande es sie übernommen und wieder übergeben hat.
Mit Frankreich will ich den Anfang machen. Hier verflossen
die letzte Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts unter den großen Na-
tionalkriegen gegen England. Das ist die Epoche des Kampfes für
die Unabhängigkeit des französischen Reiches und Namens gegen eine
fremde Botmäßigkeit. Schon ein Blick in die Geschichte zeigt uns,
mit welchem Feuereifer, alles Zwiespaltes und Verrathes ungeachtet,
alle Klaffen der Bevölkerung mit in diesem Kampf auftraten, von
welchem Patriotismus damals der Lehnsadel, der Bürger, ja sogar
der Bauernstand beseelt war. Und wenn nur aus der Geschichte der
Jungfrau von Orleans der volksthümliche Charakter des Ereignisses
Histor. Lesebuch Tu. 2
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Extrahierte Personennamen: Guizot
Extrahierte Ortsnamen: Guropa Europas Frankreich England
Iii. Die deutsche Reformation.
(Karl Hase.)
Das Erbe des vorigen Zeitraums war die allgemein anerkannte
Nothwendigkeit einer Reformation. Ihre Vollziehung durch die ge-
setzmäßigen Organe der Kirche war nach ihrer Vereitlung auf dem
großen Concile schwer zu hoffen. Gleichzeitig in Sachsen und unter
den Eidgenossen ging sie vom Volke aus, nicht durch wissenschaftliche
Aufklärung, obwohl mit derselben verbündet, noch als Kampf wider
das Papstthum, obwohl durch seine Anmaßungen gefördert wie durch
seinen Verfall, aber zunächst aus der Angst frommer Herzen, daß
durch die Mißbräuche des Ablasses und der Werkheiligkeit die wahre
Buße und Seligkeit verloren gehe. Erst als die Hierarchie der Re-
formation entgegentrat, spaltete sich die Kirche im unabwendbaren
Drange der Verhältnisse, und das vorher untergeordnete Princip des
Protestantismus gründete als eigenthümliche Entwickelung ves Chri-
stenthums eine selbstständige Kirche, in Helvetien unter republikani-
schen Parteikämpfen, im innern Deutschland, unter gelehrten Strei-
tigkeiten, feierlichen Reichshandluugen, Volksbewegungen und Söld-
nerkriegen. Beide protestirende Parteien erwiesen ihr Recht durch die
heilige Schrift, die Reformirten im Vorwalten eines kräftigen Ver-
standes, die Lutheraner mit vorwaltendem Gefühle, beide mit gegen-
seitiger Verkennung, in ihrem Grundcharakter beide deutsch, doch die
helvetische Kirche, wie in Grenzlanden geschieht, mit früher Einmi-
schung des Französischen. Die Reformation begann ihren Lauf um
die Welt. Fremdartige politische Interessen traten bald störend bald
fördernd hinzu, aber das kirchliche Interesse stand im Vordergründe,
der Katholicismus erstarkte wieder durch den Gegensatz, und das
Abendland theilte sich in zwei Massen, welche noch einmal im Ge-
Histor. Lesebuch Iii. 4
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_Hase Karl
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Helvetien Deutschland
Ii. Europa im Uebergange aus dem Miitelalter in die Neuzeit.
33
und begrenzte Existenz, sie bedürfen eines gewissen Zeitraumes zu
ihrem Entstehen, Wachsthume und ihrer Entwickelung, dann fallen
sie wieder und schwinden endlich ganz von der Schaubühne, unreinem
neuen Ereignisse Platz zu machen.
Auf eine genaue Bestimmung des Anfanges der Reform kommt
wenig an. Man kann dafür 1520 annehmen, wo Luther die päpst-
liche Butte Leos X. in Wittenberg öffentlich verbrannte und sich somit
gänzlich von der römischen Kirche lossagte. In diesem Zeitraume
und der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, 1648 dem Jahre des
Westphälischcn Friedens, ist das ganze Leben der Reform eingeschlossen,
der Beweis hiervon liegt in Folgendem. Die erste und größte Wir-
kung der religiösen Umwälzung war die Sonderuug der europäischen
Staaten in zwei Klassen, die katholischen und protestantischen, und
in deren Auftreten und Kampfe gegen einander. Unter vielen Wech-
felfällen dauerte dieser Kampf von dem Anfange des sechzehnten bis
in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Im Westphälischcn Frie-
den erst, also 1648, haben sich diese Staaten gegenseitig anerkannt,
sich ihre Existenz gegenseitig zugestanden und sich versprochen, ohne
Rücksicht auf die Religion in Ruhe und Frieden mit einander zu le-
den. Von 1648 an hörte der Glaube auf, das herrschende Princip
der Sonderung der Staaten, ihrer äußeren Existenz, ihrer Verhältnisse
und Verbindungen zu sein. Bis zu dieser Epoche war Europa, großer
Abweichungen ungeachtet, wesentlich in die katholische und protestan-
tische Ligue getheilt. Nach dem Westphälischen Frieden verschwindet
dieser Unterschied, die Staaten richten sich bei ihren Bündnissen und
Absonderungen nach ganz anderen Rücksichten, als dem Glaubens-
bekenntnisse. Damit schließt also das Uebergewicht, d. h. die Lauf-
bahn der Reform ab, ihre Folgen aber entwickeln sich nichts desto
weniger immer fort. Messen wir nun mit großen Schritten ihre
Laufbahn und bezeichnen wir nur durch die Benennung ihrer Ereig-
nisse und Männer, das, was in ihr liegt. Dieses ganz einfache Jn-
haltsverzeichniß, diese trockene und unvollständige Nomenklatur schon
giebt hinlängliches Zeugniß von der Schwierigkeit, eine solche Reihe
der verschiedenartigsten und verwickeltsten Thatsachen in einem allge-
meinen Factum zu resumiren; den wahren Charakter der religiösen
Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts zu bezeichnen und ihm seine
Rolle in der Geschichte unserer Civilisation anzuweisen.
Gleich bei ihrem ersten Erscheinen tritt die Reform in ein großes
Histor. Lesebuch Iii. 3
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Extrahierte Personennamen: Leos
Extrahierte Ortsnamen: Europa Wittenberg Europa Westphälischen
lío
Vi. Karl V.
Karl sprach nicht allein Graf Hermann von Nassau, sondern viele
spanische Große und Prälaten entwickelten in eigenen Schreiben an
die Kurfürsten seine Vorzüge, und versprachen Freundschaft und Bei-
stand. Der Papst, welchem die Frage: wer Kaiser, oder Herr von
Italien werde, wichtiger erschien, als so oft entstandene und beseitigte
theologische Streitigkeiten, hätte am liebsten gesehen, wenn jene mäch-
tigen Bewerber ganz wären ausgeschlossen und ein dritter gewählt
worden. Doch sprach er sich durch die Bezugnahme auf den alten
Satz: ,,kein König von Neapel dürfe Kaiser sein," eigentlich gegen
Karl aus; und nur als die Kurfürsten erklärten, dessen Wahl sei
lediglich ihre Sache, wußte er geschickt einzulenken.
Auf der Wahlversammlung selbst erklärte Albert von Branden-
burg, Kurfürst zu Mainz, im Wesentlichen folgendermaßen: Nur ein
Eingeborener soll die deutsche Krone tragen, und Maximilian hat es
nicht um Deutschland verdient, daß mau einen Ausländer seinem
Enkel vorziehe. Ueberdies wird König Franz in Deutschland erobern,
oder doch mit Karl kriegen wollen, und seine, jetzt über Frieden und
Freiheit gegebenen Versprechungen sind um so weniger zuverlässig,
als in Frankreich allmälig jedes Recht vor der Uebermacht der könig-
lichen Gewalt verschwunden, in Deutschland aber die Macht der Für-
sten und die herkömmliche freie Verfassung aufrecht zu erhalten ist.
Zwar läßt sich, hinsichtlich Karls einwenden: Spanien sei entfernt,
eine kräftige Wirksamkeit schwer, die Gefahr, fremde Soldaten nach
Deutschland kommen zu sehen, unleugbar, lange Abwesenheit des
Kaisers schädlich und Krieg mit Frankreich wahrscheinlich. Hieraus
folge ohne Zweifel, daß es am wünschenswerthesten wäre, wenn
ein deutscher, einheimischer Fürst die Krone empfinge; welcher unter
ihnen besitzt aber Macht und Ansehn genug, die Ordnung im In-
nern zu erhalten und die Achtung des Auslandes zu erzwingen?
Hat man nicht unter Friedrich Hl. hierüber die traurigsten Erfah-
rungen gemacht? Endlich ist nicht zu übersehen, daß Irrungen in
der Kirche entstehen, jetzt zwar noch gering, vielleicht aber bald von
der höchsten Wichtigkeit. Nur ein starker, nur persönlich ausgezeich-
neter Kaiser (und ein solcher wird Karl sein) kann die geforderte
Kirchenversammlung berufen und schützen; Deutschlands und der Für-
sten Rechte lassen sich aber, gegen die Gefahr etwaniger Eingriffe,
durch Bedingungen sichern, welche man dem Neugewählten vor-
legt.
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Extrahierte Personennamen: Karl_V.
Karl Karl_V. Karl Hermann_von_Nassau Karl Karl Albert_von_Branden- Maximilian Maximilian Franz Franz Karl Karl Karls Friedrich_Hl Friedrich Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Italien Neapel Mainz Deutschland Deutschland Frankreich Deutschland Spanien Deutschland Frankreich Deutschlands
Vi. Kart V.
(Friedrich vcn Raumer.)
Spanien, von Nordosten her durch Völker verschiedenen Stam-
mes besetzt, von Phöniciern besucht, von Karthagern zum Theil, von
den Römern ganz unterjocht, blieb unter deren Herrschaft bis im
Anfange des fünften Jahrhunderts Vandalen, Alanen und Sueven
über die Pyrenäen hinabzogen. Ihnen folgten in größerer Zahl
die Westgothen und gründeten ein mächtiges Reich, welches indeß
im Jahre 712 durch die Niederlage bei Leres de la Frontera in An-
dalusien, ein Ende nahm. Seitdem beherrschten Araber die Halb-
insel und nur im Nordosten und Nordwesten leisteten die Christen,
durch die Natur des Landes begünstigt, den tapfersten Widerstand.
Dieser Kampf würde indeß schneller mit der einen, oder der andern
Partei geendet haben, wenn nicht Wechsel der Herrscher, Theilungen
und Mißgriffe mancherlei Art auf beiden Seiten eingetreten wären;
erst nach 780 Jahren, im Jahre 1492 ward mit der Eroberung
Granadas die Herrschaft der Araber völlig zerstört.
Wenn einerseits diese Fehden nicht ohne Grausamkeit, Religions-
haß, Vernichtung vieles Guten und Schönen geführt wurden; so
stählten sie andererseits den Muth, erzogen zur Selbstständigkeit, und
erhoben über das Unbedeutsame des ruhig dahinfließenden Lebens
hinaus, zu Heldensinn, dichterischer Begeisterung und zu einer durchaus
eigenthümlichen wunderbaren Vereinigung des Christlich-Europäischen
mit Südlich-Arabischem. Ferner hinderten jene Theilungen zwar die
schnellere Vereinigung des christlichen Spaniens zu einem mächtigen
Staate; allein jedes kleinere Reich gewann deshalb eine desto eigen-
thümlichere Gestalt; ja jede Stadt mußte so oft für sich dastehen,
wagen und kämpfen, daß das Genossenschaftliche, Korporative und
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_vcn_Raumer Friedrich Muth
252
Xvi. Die englische Revolution.
mit> der Haltepunkt der Partei der religiösen Freiheit zu werden. Das
ist das europäische Interesse an der Revolution von 1688, hier-
durch ist sie in die Reihe der europäischen Ereignisse getreten, und
zwar unabhängig von der Rolle, die sie mittelst ihres Beispieles
unv Einflusses auf die geistige Welt des folgenden Jahrhunderts
gespielt hat.
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Xvii. Ludwig Xiv.
257
ähnliches Resnltalt. Ich blieb bei der Bildung der europäischen Di-
plomatie zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts stehen; ich versuchte dort
zu zeigen wie die bis dahin kurzen, zufälligen und seltenen Verbin-
vungen der Staaten mit einander nach und nach regelmäßiger und
anhaltender wurden, wie sic den Charakter eines großen allgemeinen
Interesses annahmen, wie endlich zu Ende des fünfzehnten und An-
sang des sechzehnten Jahrhunderts die Diplomatie eine so ungeheuere
Rolle zu spielen anfing. Indessen war sie vor dem siebzehnten Jahr-
hunderte noch zu keinem Systeme gediehen, dauernde Bündnisse, große
überhaupt ans eine längere Dauer berechnete, nach festen Grund-
sätzen, und einem festen Ziele mit folgerechtem Geiste, dem wahren
Charakter feftbegründeter Regierungen, geleitete Combinationen hatte
sie noch nicht herbeigeführt. Während der religiösen Umwälzung
wurden die äußeren Beziehungen der Staaten fast ganz im religiö-
sen Interesse geleitet, Europa war zwischen Protestantismus und Ka-
tholieismns getheilt. Erst im siebzehnten Jahrhunderte nach vem
Weftphälischen Frieden unter dem Einflüsse der Regierung Lud-
wigs Xiv. ändert die Diplomatie ihren Charakter. Auf der einen
Seite steht sie nicht mehr unter dem ausschließlichen Einflüsse des
religiösen Principes, die andern Rücksichten herrschen bei dem Ab-
schlüsse von Bündnissen und politischen Combinationen. Zn gleicher
Zeit wird sie viel systematischer, regelmäßiger und immer mehr auf
einen bestimmten Zweck nach dauernden Prinzipien hingeleitet. Das
System des europäischen Gleichgewichtes erscheint zuerst und gewinnt
Halt, es bemächtigt sich mit allen seinen Folgen der europäischen
Politik; und dabei besteht die allgemeine Idee, daö dominirende
Princip der Politik Ludwigs Xiv., meiner Ansicht nach in Fol-
gendem.
Wir erinnern uns des großen europäischen Kampfes zwischen
der reinen Monarchie Ludwigs Xiv., welche sich gern zur Univer-
salmonarchie erhoben hätte, und der bürgerlichen und religiösen Frei-
heit, der Unabhängigkeit der Staaten unter dem Schutze des Prin-
zen von Oranien, Wilhelm Iii. Wir haben bereits gesehen, daß die
große Thatsache dieser Periode die Theilung der Gewalten unter-
diese beiden Banner war. Aber hiervon legte man sich damals nichb
so deutlich Rechenschaft ab, als ich hier erkläre; selbst die dabei thä-
tigen Personen waren sich dessen nicht bewußt; die Ueberwältigung
des Systemes der absoluten Monarchie, die Heiligung bürgerlicher
Hiftor. Lesebuch Iii. 17
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xiv Ludwig Ludwigs_Xiv. Ludwigs_Xiv. Ludwigs_Xiv. Ludwigs_Xiv. Wilhelm
Xvii. Ludwig Xiv.
261
aufgefunden sein. Es ist die erste, die als eine ihres Erfolgs sichere
Gewalt auftritt, als eine Gewalt die ihr Dasein nicht erst inneren
Feinden abkämpfen muß, sondern ruhig in ihrem Lande, im Frieden
mit ihrem Volke sich nur um das Negieren selbst zu kümmern braucht.
Alle europäische Mächte waren bis dahin ohne Unterlaß in Kriege
verwickelt, die ihnen alle Sicherheit und Muße nahmen, oder so sehr
von innern Parteien und Feinden umlagert, daß sie ihre Zeit im
Kampfe für ihr Dasein verwenden mußten. Die Regierung Lud-
wigs Xiv. war die erste, welche sich blos mit ihren eigentlichen
Angelegenheiten zu beschäftigen hatte, sie war die erste in sich abge-
schlossene und doch fortschreitende, welche keine Reformen zu scheuen
brauchte, weil sie ihrer Zukunft gewiß war. Es giebt in der That
wenige Regierungen, welche so viele Neuerungen geschaffen hätten,
wie sie. Vergleichen wir sie einmal mit der ihr ganz gleichartigen
absoluten Monarchie Philipps Ii. in Spanien. Sie war noch un-
umschränkter und doch weit weniger geordnet und ruhig.
Wodurch hatte aber auch Philipp die absolute Gewalt in Spa-
nien begründen können? Dadurch, daß er alle Thätigkeit des Lan-
des erstickte, sich allen Verbesserungen verschloß und Spanien in
einen vollkommen stagnirenden Zustand versetzte. Ludwigs Regierung
dagegen entwickelte in jedem Zweige der Neuerungen die außerordent-
lichste Thätigkeit, begünstigte Künste und Wissenschaften, förderte den
Wohlstand, mit einem Worte, die Civilisation; und hierin liegt
der wahre Grund ihres Uebergewichtes, eines Uebergewichtes, das
sie während des ganzen siebzehnten Jahrhunderts behauptet hat,
und vermöge dessen sie nicht blos für die Herrscher, sondern auch
füt die Völker zum Typus der Regierung geworden ist.
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xiv Ludwig Philipps Philipp Philipp Ludwigs Ludwigs
Xxiv. Friedrich Wilhelm Iii.; das Unglück Preußens.
353
Freilich war der entscheidende Augenblick erschienen, wo Preußen
entweder von seiner Höhe herabsteigen, oder sich mit Standhaftigkeit
darauf erhalten mußte. Entweder nahm es unter den ersten Mächten eine
Stelle ein, und alsdann ließ es eben so wenig ungefragt und un-
geahndet durch sein Land gehen, als man heutigen Tages französi-
sches oder mit Frankreich verbündetes Gebiet berühren dürste; oder
es befand sich schon in einer Klasse, wo es sich schwere Opfer und
ein demüthiges Stillschweigen gefallen lassen, und in diesem Falle,
auf die weitere Täuschung Europens über seine Nichtigkeit Verzicht
thun mußte. Dem Könige war es nicht unbewußt, welches von
beiden Schicksalen auf ihn warte; und gewiß hatte er es nicht durch
begangene Fehler verdient. Vielleicht wäre er groß genug gewesen,
um von selbst die Stelle zu wechseln, und dem Glücke seines Volkes
die Regungen eines gerechten Unwillens aufzuopfern, (denn in die-
ser schönen Seele wohnte Stolz, und um sich selbst zu überwinden,
bedurfte sie der ganzen Vorgewalt der Pflicht); aber der unselige
Irrthum einiger Stände theilte sich allmählig den Vernünftigsten mit,
und balv, im Rausche unseres langen Glücks und unserer glänzen-
den Erinnerungen, verlangten wir alle, wo nicht den Krieg, doch
wenigstens den Ruhm, die Vorrechte die er giebt, und die Sprache
zu welcher er berechtiget. Ein verborgenes Glück, welches wir noch
einige Zeit erhaschen konnten, war Schande für uns. Wozu zwei-
malhunderttausend Mann auf den Beinen, wenn man sich Gesetze
wollte vorschreiben lassen? Wozu gegen Rußland den Starken spie-
len, wenn man von einer andern Seite Beleidigungen hinnehmen
wollte?
Europa hat seine Geschichte, d. i. seine Reihe von Begeben-
heiten gehabt, und in derselben oft tragische, mitunter tröstliche
Momente erlebt. Daß aber Europa je ein allgemein anerkanntes
Recht besessen, daß aber dieses Recht je für etwas in dieser Ge-
schichte gegolten; es behaupten, hieße mit der öffentlichen Leicht-
gläubigkeit sein Spiel treiben. Von jeher war die Sicherheit des
Staates, des Staates erstes Gesetz; die Kraft des Staates, das
beste Unterpfand dieser Sicherheit; und die Grenzen dieser Kraft, die
Verstandesgrenze des Machthabers, dem sie anvertraut worden. So
oft die großen Mächte Europas das Schild einer andern Moral
ausgehängt haben, ist es aus eigennützigen Absichten geschehen; die
kleinen haben nie die Wohlthat ihrer Grundsätze genossen. Polen,
Histor. Lesebuch Iii. 23
—
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_Iii Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Europens Europa Europa Europas
Xxvii. Lesfing, Herder, Goethe.
405
ließ er sich nicht durch den Widerstand seiner Eltern, seiner Freunde,
seines Volkes selber irren, und seine ungeheure Thätigkeit ward von
Erfolgen gekrönt, die wir mit Neid und Freude nach einem Jahr-
hundert überblicken, wir Späteren, für die er gewirkt hat; ihm
selbst, der allem Egoismus wunderbar entfremdet, im großen Gan-
zen seiner Nation lebte, und mitten in seinen Bestrebungen starb,
war es so wenig wie Schillern vergönnt, die Summe seiner Wirk-
samkeit in der Weise zu überschlagen, wie es Klopstock, Wieland,
und Göthe gestattet war. Wer seine Talente dem pflanzlichen Wachs-
thume hingiebt, der hat immer die Befriedigung, die großen Wahr-
heitn des Epikureismus darzuthun; ihm gelingt es, das bescheidene
Glück einer harmlosen Eristenz zu ergreifen und mit heitern Grund-
sätzen ein langes Leben zu erreichen. Aber eine gehalwollere Un-
sterblichkeit ist jenem gewisser, den seine freien menschlichen Kräfte
von dem Boden, auf dem er gewachsen war, losreißen, der sich auch
auf die Gefahr eines tragischen Endes nicht begnügt, Gott zu leiden,
die Welt gehen und ruhig auf sich wirken zu lassen, sondern der sich
mit dem Schicksale einzustimmen, mit ihm auf den Gang der Dinge zu
wirken, mit ihm die kühne Wette wagt, was menschliche Freiheit
vermöge, indem sie sich dem Gesetze des Weltganges anschließt.
Lessings Wirksamkeit war ganz dieser Art. Seine Beschäftigungen
waren vielleicht immer ohne Plan, nie ohne den schärfsten Instinkt
begonnen; mit der Zeit hellte ihm die Erfahrung und Erkenntniß
das Bewußtsein auf; er ergriff nun seine Partie, liegen zu lassen
oder fortzuführen mit gleicher Energie, und man kann sagen, er hat
nach den ersten Jrrgängen seiner rathloseren Jugend, niemals fehl
gehandelt. Wenn man seinen literarischen Thätigkeiten nachforscht,
so kann man im Einzelnen verlorene Zeit, und unreife Fragmente
und bibliothekarischen Dilettantismus bedauern, aber wenn mandas
Ganze seiner wissenschaftlichen Bildung überschaut, so erkennt sich
wohl die Bedeutung selbst der geringsten Collectaneen die er gemacht
hat. Wenn man seinem unstäten Leben folgt, so schlösse man leicht
auf einen unruhigen Menschen, dem es nirgends wohl war als auf
der Skraße, aber sieht man näher zu, so war das Ganze seiner
menschlichen Charakterbildung nothwendig in dieser Eigenheit bedingt,
und durch alle seine Kreuz- und Querzüge schlingt sich ein rother
Faden hindurch. Es ist dies die ewige Opposition gegen den faulen
Schlendrian der deutschen Kleinmeisterei und die Armseligkeit des
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser]]
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