52
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
einen Boten nach Celle an Magnus H. ab, welcher demselben verkündete,
daß die Stadt für ihre eigene Sicherheit Sorge tragen werde. Darauf, es
war am Abend vor Lichtmessen 1371, barg eine Anzahl Bürger ihre Waf-
fen unter Mänteln, und zog, untermischt mit betenden Frauen, zu dem am
Fuße des Kalkberges liegenden Michaeliskloster. Von hier begaben sich zwei
Gewaffnete zum fürstlichen Schlosse, stießen den Thürhüter nieder, erhoben,
unterstützt von den nachfolgenden Verschworenen, den Kampf mit den ver-
theidigenden Knechten, tödteten Siegbrand vom Berge, den herzoglichen
Voigt und erstiegen das Schloß. Als in der Nacht darauf ein von Celle
abgefandter Reiter anlangte, um der Besatzung die nahe Hülfe von Mag-
nus Ii. zu verkünden, fand er die Höhe bereits besetzt. Die Bürger aber
brachm das Schloß, welches die Freiheit ihrer Stadt zu vernichten drohte,
bis auf dm Grund, und bewilligten den Benedictinern die Mittel zum
Aufbau eines neuen Gotteshauses.
Hiernach trugen die Bürger kein Bedenken, dem Herzoge von Sach-
sen zu huldigen, welcher seinen Einzug in Lüneburg hielt und sich bald des
großem Theiles des Herzogthumes bemächtigte. Die Städte Uelzen und
Hannover schlossen sich ihm an; die vor Hannover gelegene Burg Lauen-
rode wurde um Pfingsten 1371 von den dortigen Bürgem geschleift, welche
seitdem ihre Stadt mit Wällen und Mauern umzogen.
Mit der ganzen Heftigkeit seines Wesens sann Herzog Magnus Ii.
nach diesen Unfällen auf Rache an den Bürgem von Lüneburg. Um ihn
sammelte sich in Celle die ihm treugebliebene Ritterschaft. Von dieser be-
gaben sich 700 Geharnischte, in kleine Haufen sich vertheilend, durch die
Haide, und gelangten in der Nacht vor dem Tage der heiligen Ursula 1371
vor den Mauern von Lüneburg an, wo sie sich unter dem Bannerherm
Heinrich von Homburg und dem Ritter Sivett von Saldern zum. An-
griffe bereiteten. Sodann setzten sie Leitern an die Mauer und stiegen in
die Stadt. Wer sich widersetzte, fand den Tod; einige von den Angreifen-
den in Brand gesetzte Häuser mehrten die Verwirrung. Nur einzeln konn-
ten die aus dem Schlafe sich ermunternden Bürger an Vertheidigung den-
ken; 3 Burgemeister sielen, die Waffen in der Hand, und schon hatten die
Ritter den Marktplatz erreicht und rüsteten sich jetzt zum Sturm auf das
Rathhaus, woselbst die Waffen der Stadt aufgehängt waren. Zn dieser
Noth wurde die Bürgerschaft durch die Entschlossenheit ihres Hauptmanns,
des Edlen Ulrich von der Weissenburg, gerettet, welcher, unter dem Vor-
wände, daß der Rath bereit sei, sich zu ergeben, listig eine kurze Waffen-
ruhe mit den Führem der Feinde verabredete. Aber währmd die vom
Kampfe ermüdeten Ritter sich an dem ihnen gebotenen Wein erquickten.
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T57: [Weser Stadt Hannover Harz Osnabrück Leine Kreis Aller Land Elbe], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier]]
TM Hauptwörter (200): [T97: [Heinrich Herzog Graf Erzbischof König Grafe Kaiser Stadt Herr Mainz], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T38: [Weser Elbe Hannover Land Stadt Lüneburg Leine Nordsee Aller Bremen]]
Extrahierte Personennamen: Magnus_H. Magnus Magnus Magnus Ursula Heinrich_von_Homburg Heinrich Ulrich
Extrahierte Ortsnamen: Lüneburg Hannover Lüneburg Celle Lüneburg Weissenburg
122
Zweites Buch. Erster Abschnitt.
Fünftes Kapitel.
Uebersichl der inneren Verhältnisse.
Es hat kein Krieg dem deutschen Vaterlande so tiefe und bleibende
Wunden geschlagen, wie der dreißig Jahre lang zwischen Evangelischen und
Katholischen wüthende Kampf, wenn schon selbst aus diesem Ereignisse
manche segensreiche Folgen sich ergaben. Schon gegen Ende des sechszehn-
ten und im Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts hatten Seuchen die
Städte und Dörfer unsers Landes entvölkert, als der Krieg mit seinen
Schrecken hereinbrach. Handel und Gewerbe erstarben, der Feldbau konnte
zum Theil wegen Mangel an Zugvieh nicht bestritten werden. Kaiserliche
und Liguisten, Schweden und dänische Soldner verschlangen die Kräfte des
armen Landes, das unter den ausgeschriebenen Abgaben und Brandscha-
tzungen erlag. Keine Stadt, kein Dorf entrann dem allgemeinen Unglück;
Tilly's Horden begnügten sich nicht immer mit der Plünderung; überall
bezeichneten rauchende Wohnungen den Weg, welchen sie gezogen waren.
Bürger und Bauern gaben verzweifelnd sich selbst verloren, und wollten
nicht von Neuem für Fremde bauen und erndten. Der Dienst der Kirchen
und Schulen hörte auf, Zigeuner durchstreiften in Banden die Landschaft,
bewaffnetes Landvolk glühte nach Rache, und fand durch die Söldner einen
martervollen Tod; im Gebirge lauerten unverdrossen die Harzschützen; die
alte Tüchtigkeit des Volksstammes zwischen Weser und Elbe schien in La-
stern jeder Art erstorben zu sein; es hörten Zucht und Sparsamkeit und
der kecke, frische Scherz an den Höfen der Fürsten auf.
Im gleichen Grade, als die schlichte Sitte früherer Tage schwand,
gewann die Regierung an Künstlichkeit; die Zahl der fürstlichen Diener
mehrte sich; gelehrte Doctoren verdrängten mit ihrer Kenntnis des römi-
schen Rechts den nach bestem Wissen und Gewissen sprechenden Edlen; Ti-
tel und Würden wurden erfunden, die untere Dienerschaft vergrößert, selbst
in den Tagen des Friedens ein Troß von Trabanten, Arkebusi'rern und
Gardereitern gehalten, deren Löhnung die Kräfte der Landschaft verzehrte.
Adel und Städte büßten die frühere Stellung gegen den Landesherrn ein.
Auf eine ungewöhnlich rasche Art mehrte sich die Gewalt der Fürsten, für
welche der Kaiser und das römische Recht sprachen. Das Streben des
Landesherrn war häufig auf eine unumschränkte Herrschaft gerichtet. Aber
noch war er nicht durch eine gesonderte Hofdienerschaft von der engen Be-
rührung mit dem Volke geschieden, und Heinrich Julius trug kein Beden-
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T59: [Heer Mann Soldat Krieg Jahr Offizier Land König Truppe Waffe]]
TM Hauptwörter (200): [T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T155: [Soldat Krieg Heer Land Mann Truppe König Waffe Geld Feind], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich_Julius Heinrich
94
Erstes Buch, Fünfter Abschnitt.
mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen und den fränkischen Bischöfen zur
Bekämpfung des Markgrafen. Dieser jedoch, rascher als sein Gegner, warf
sich mit seinem Heere nach Niedersachsin und zog, verstärkt durch eine
Menge braunschweigischer Edlen, welche mit ihrem Landesherrn in Zwie-
tracht lebten, von Hannover über Peina der Stadt Braunschweig zu, als
er bei Burgdorf erfuhr, daß Herzog Heinrich und Kurfürst Moritz bei dem
Dorfe Sievershausen gelagert seien, um ihm den Weg zu verlegen. Hier
war es, wo am 9. Julius 1553 Markgraf Albrecht den Feind mit seiner
bekannten stürmischen Tapferkeit angriff. Lange Zeit schien sich der Sieg
auf seine Seite zu neigen; von drei Kugeln getroffen, siel Kurfürst Moritz,
und ein großer Theil seiner Sachsen gab die Schlacht verloren, als Hein-
rich der Jüngere mit seinen Söhnen Philipp und Karl Victor an der
Spitze der Braunschweiger so stürmisch angriff, daß die Brandenburger
nicht widerstehen konnten. In dieser Noth stürzte sich der Markgraf mit
seinen wieder geordneten Schaaren noch ein Mal auf den Feind; durch ihn
siel Philipp Magnus, der Sohn des Herzogs von Wolfenbüttel; bald sah
man auch Karl Victor stürzen, und schwer getroffen wurde Herzog Friedrich
von Lüneburg aus der Schlacht getragen. Dennoch wurde der Sieg von
Heinrich dem Jüngern vollständig erstritten; mehr als 4000 Todte zahlte
man auf dem Schlachtfelde, unter ihnen viele Edle aus den braunschweigi-
schen Landen. Die Leiche von Kurfürst Moritz wurde nach Sachsen abge-
führt, nachdem seine Eingeweide in der Kirche zu Sievershausen bestattet
waren.
Kaum hatte der geschlagene Markgraf Albrecht sich nach dem südli-
chen Deutschland zurückbegeben, als Herzog Heinrich die mit dem Gegner
einverstandene Stadt Braunschwelg einschloß und zu dem Versprechen nö-
thigte, sich fortan den gemeinen Steuern nicht entziehen zu wollen. So
wurde seit langer Zeit zum ersten Male ein freundliches Verhältnis! zwischen
Braunschweig und seinem Landesherrn begründet, der, gefolgt von vielen
Edlen, 1555 seinen feierlichen Einzug in die Stadt hielt.
Heinrich war alt geworden; die stürmische Heftigkeit beherrschte ihn
nicht mehr wie in früheren Jahren, und ob er auch seinem Sohne Julius
den Uebertritt zur evangelischen Kirche nicht verzeihen konnte, duldete er
doch die Ausübung der jungen Lehre in seiner Nahe. Er starb im neun
und siebenzigsten Jahre seines Lebens 1568 zu Wolfenbüttel.
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier]]
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Extrahierte Personennamen: Moritz_von_Sachsen Heinrich Heinrich Moritz Julius Albrecht Albrecht Moritz Philipp Philipp Karl_Victor Karl Philipp_Magnus Philipp Magnus Karl_Victor Karl Friedrich
von_Lüneburg Friedrich Heinrich_dem_Jüngern Heinrich Moritz Albrecht Albrecht Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Julius
Extrahierte Ortsnamen: Niedersachsin Hannover Burgdorf Sachsen Sachsen Deutschland Braunschweig
Fünftes Kapitel.
127
hensverbande mit dem Fürsten standen, das gute Vernehmen zwischen
diesem und der Stadt zu sichern suchten. Jetzt aber schloß sich die in
ihrem Stolz gekrankte Geistlichkeit den Klagen Brabants an, und er-
reichte, daß 1602 die meisten Patricier sich ihrer Stellen begaben, welche
unverweilt von Männern aus der Gemeine besetzt wurden, so daß seit-
dem die eigentliche Regierung sich in den Händen der Bürgerhauptleute
befand. Als jedoch die Prediger den Druck des zünftischen Regiments
für ungleich unleidlicher erkannten, als welchen die schon durch äußere
Verhältnisse im Leben bevorzugten Patricier ausgeübt hatten, wandten
sie sich zu diesen zurück, und forderten das Volk zum Sturze der Zunft-
genossen auf. Wahrend dieser inneren Unruhen wurden die Streitigkei-
ten mit Heinrich Julius durchgefochten. Henning Brabant, welcher
diese auszugleichen beflissen war, gerieth in den Verdacht, ein heimlicher
Fürstendiener zu sein; die Geistlichkeit, welche in ihm die Stütze der
Volkspartei erblickte, suchte sein Ansehen durch Beschuldigungen der lä-
cherlichsten Art zu untergraben. Endlich gelang es den vereinten Um-
trieben der Prediger und Junker, auf den Verhaßten die ganze Wuth
des Volkes zu lenken. Kaum entzog sich Brabant seinen Verfolgern
durch schleunige Flucht. Da wurde er durch Verrath ergriffen, als ec
sich bereits gesichert wähnte, in einen Kerker geworfen und den schreck-
Uchften Qualen der Folter unterzogen, um das Gestandniß der Gemein-
schaft mit dem Bösen zu erzwingen. Endlich erfolgte sein Todesurtheil;
mit erfinderischer Grausamkeit wurde dieses an ihm vollzogen; der Un-
glückliche athmete unter dem Mordmesser des Nachrichters, bis dieser
das Herz traf. Solches geschah im Herbste des Jahres 1603. Die
Geistlichkeit freuete sich des errungenen Triumphes, und nach wie vor-
herrschten jetzt die Junker über die Gemeine der fünf Weichbilde von
Braunschweig.
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T97: [Heinrich Herzog Graf Erzbischof König Grafe Kaiser Stadt Herr Mainz], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T26: [Kaiser Luther Papst König Wort Gott Tag Sache Fürst Schrift]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich_Julius Heinrich Henning_Brabant
Fünftes Kapitel.
187
durchzuckte die Nachricht von diesen Ereignissen die Herzen der Braun-
schweiger und Hannoveraner, während sich noch der Hof zu Cassel sorglos
seinen ausgelassenen Vergnügungen hingab. Mit der Gluth der Begeiste-
rung erhob sich das tiefgedrückte Preußen und als Friedrich Wilhelm Iii.
im Februar 1813 von Breslau aus sein Volk in die Waffen rief, sam-
melte sich Alt und Jung um die Fahnen des Königs, getrieben von Ver-
langen, an den verhaßten Fremdlingen blutige Rache zu nehmen und die
Erinnerung des Tages von Jena durch Siege vergessen zu machen. Un-
aufhaltsam stürzten sich Landwehr und Landsturm in den Tod; es trieb sie
das Vollgefühl der deutschen Ehre. Ein solches Preußen, so ritterlich kühn,
voll Gluth für die gemeine Freiheit, hatte Deutschland noch nie gekannt!
Endlich schlug auch für die deutschen Lande des welsi'schen Hauses die
Stunde der Erlösung. Kleine Schaaren von Engländern landeten an der
Mündung der Elbe; mit Russen und Deutschen zog der Obrist von Tet-
tenborn in Hamburg ein und am 21. März 1813 sprengten die ersten
Kosacken in's Thor von Lüneburg. Wer mag den Jubel der Bürgerschaft
beschreiben, als sie die Befreier in ihren Mauern begrüßten! Freudig opferte
jeder auf dem Altar des Vaterlandes; von nah und fern strömten Freiwil-
lige, herbeigerufen von der Stimme kriegerfahrener Männer, die auch in
den Zeiten der Knechtschaft die Liebe für das angestammte Regentenhaus
nicht verloren hatten. Glücklich wurde eine Abtheilung westphälischer Reiter
von der bewaffneten Bevölkerung Lüneburgs zurückgeworsen. Als aber der
französische General Morand der Stadt nahte, gab man einen Widerstand
auf, der, nach menschlicher Berechnung, keinen Erfolg verheißen konnte.
So war Lüneburg abermals von 4000 Feinden besetzt, als der General
von Dörnberg, im Verein mit Czernitsches und Benkendorf den Angriff
beschloß. Am 2. April 1813 erfolgte dieser mit solchem Nachdruck und
mit so glücklicher Leitung, daß es den Verbündeten, geführt von Bürgern
der Stadt, gelang, Herrn der Thore zu werden. Nach muthiger Gegenwehr
ergab sich der bis auf den Tod verwundete Morand. Aber noch ein Mal
mußten die Verbündeten Lüneburg vor dem heranziehenden General Mont-
brun verlassen. Erbittert über die Gegenwehr, welche eine seinem Kaiser
unterthänige Stadt den Genossen geleistet hatte, ließ Montbrun hundert
der angcsehnsten Bürger verhaften, um den zehnten Mann derselben zum
Tode zu führen. Aber ihn schreckten Dörnbergs Drohungen, also daß er
die Ausführung dieses Entschlusses aufgab. Ob dann auch nach der Ent-
fernung Montbruns in Lüneburg die französische Verfassung aufgehoben
wurde und die Werbungen für den Dienst des Vaterlandes von Neuem
begannen, so mußte man doch noch ein Mal unter Sebastiani, dann un-
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T29: [Napoleon Heer Schlacht Preußen Franzose General Mann Armee Sieg Bluch], T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T51: [Armee General Schlacht Franzose Truppe Mann Feind Heer Metz Preußen]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T21: [Napoleon Bluch Heer General Preußen Franzose Schlacht Armee Mann Wellington], T17: [Uhr Feind Truppe General Schlacht Armee Napoleon Kampf Angriff Stellung], T71: [Deutschland Krieg Preußen Volk Napoleon Frankreich Macht Frieden Europa Land]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Gluth
Extrahierte Ortsnamen: Breslau Jena Deutschland Hamburg Lüneburg Dörnberg Lüneburg
48
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
Stande zu bringen. Doch bald wurde die tiefbegründete Feindschaft von
Neuem geweckt, indem Heinrich Kiphut, herzoglicher Voigt auf dem Schlosse
Bollruz, der Bürger Rechte auf eine ungebührliche Weise zu verkürzen
suchte. Da waffneten sich die Zünfte, zogen hinaus und brachen 1590 die
festen Hauser zu Harste, Bovenden und Rostorf. Ihnen entgegen eilte
Otto; aber bei Rostorf erlag er, und mit seinem Banner geriethen viele der
Junker in die Gewalt der Städter.
Wahrend jenes Kampfes wagte Heinrich Kiphut mit Gewalt in das
Haus des Burgemeisters Werner Rodens einzudringen und allda schändli-
chen Muthwillen zu treiben. Als solches dem auf dem Rathhause weilen-
den Burgemeister angesagt wurde, eilte er in seine Wohnung, erschlug den
herzoglichen Diener mit der Axt und warf die Leiche auf die Gasse. Wie
nun zu eben der Zeit die Bürger siegreich vom Schlachtfelde bei Rostorf
heimkehrten und den Frevel erfuhren, welcher ihrem Burgemeister widerfah-
ren sei, stürmten sie Schloß Bollruz, brachen es bis auf den Grund und
setzten den Herzog von ihrem Verfahren in Kenntniß. Trotz seines Grolles
mußte Otto den Bitten der ihn umgebenden Ritterschaft willfahren und
mit den muthigen Bürgern von Göttingen eine Einigung eingehen.
Erst als ihn das Alter beschlich, und der Fluch der Kirche, mit wel-
chem ihn der Erzbischof von Mainz belegt hatte, schwer auf ihm lastete,
ließ der Quade von seinem wüsten Leben nach. Als er 1394 zu Hardegsen
starb, durfte er wegen des Bannes in keine geweihte Erde bestattet werden.
In Wiebrechihausen fand er sein Grab. Seine Gemahlin Margarethe,
Tochter des Herzogs Wilhelm von Jülich, eine durch tiefe christliche Fröm-
migkeit ausgezeichnete Frau, welche vergeblich durch weibliche Sanftmuth
und Milde auf den starren Sinn des Herzogs einzuwirken versucht hatte,
lebte als Wittwe nur für die Kranken und Armen von Hardegsen, bis sie
ebendaselbst aus dem Leben schied.
Viertes Kapitel.
Lüneburgische Linie.
Von Herzog Johann bis auf den Tod Wilhelms. 1267 bis 1369.
Herzog Johann, der Sohn Otto's des Kindes, seit der Theilung mit
seinem Bruder Albrecht dem Großen im Besitze des Herzogthums Lüne-
burg, hatte durch Thaiigkeit und Gerechtigkeit die Liebe seiner Unterthanen
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T97: [Heinrich Herzog Graf Erzbischof König Grafe Kaiser Stadt Herr Mainz], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich_Kiphut Heinrich Otto Heinrich_Kiphut Heinrich Werner_Rodens Schloß_Bollruz Otto Margarethe Wilhelm Johann Johann Wilhelms Johann Johann Albrecht Albrecht
56
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
Stadt Braunschweig eine Veränderung des Regiments vor sich gegangen,
wie sie sich in diesen Zeiten in den verschiedensten Gegenden Deutschlands
ereignete.
Voll Unwillen über eine hart auf ihnen lastende Besteuerung hatten
sich die Gilden der Stadt an den Rath gewandt und um Verringerung
der Abgaben angehalten. Statt auf die gerechten Beschwerden der Klagen-
den Rücksicht zu nehmen, fühlte sich der aus Patriciern zusammengesetzte
Rath über den Widerspruch empört, welchen seine Verfügungen hervorge-
rufen hatten, und nahm an den wortführenden Abgeordneten der Gilden
eine ungebührliche Rache. Hierdurch zum äußersten Zorn getrieben, traten
die Zunftgenossen zusammen; ihnen schloß sich der Pöbel der starkbevölker-
ten Stadt an. Der Rath, von Furcht vor dem tobenden Haufen ergriffen,
verlor den günstigen Augenblick, um mit Nachdruck den Aufstand zu be-
schwichtigen, und mußte dulden, daß der Burgemeister Thiele von dem
Damme gewaltsam aus dem Versteck seines Hauses hervorgerissen wurde.
Einzelne Herren vom Rath, welche sich auf das Michaelisthor geflüchtet
hatten, wurden gezwungen, sich der bewaffneten Gemeine zu ergeben. So-
dann bestellten die Bürger ein Gericht, welches auf dem Hagenmarkte ge-
halten wurde. Daselbst siel Thiele von dem Damme durch Henkershand;
drei andere Burgemeister erlitten ebendaselbst ein gleiches Loos; drei Vor-
steher der Stadt wurden auf den Straßen erstochen. Hiermit war die
Wuth des Volkes noch nicht gestillt; einige Tage darauf wurde auf dem
Markte der Altstadt der Burgemeister von Sonnenberg, darauf Dorring
gerichtet, nachdem letzterer vergeblich gebeten hatte, daß man den Grund
der gegen ihn erhobenen Beschwerden namhaft machen möge. Aus der
Altstadt, Neustadt, dem Hagen und dem Sack mußten alle Patricier wei-
chen, nachdem sie einen feierlichen Eid abgelegt hatten, der Stadt bis auf
10 Meilen nicht zu nahen.
Nach diesen Ereignissen trat die Bürgerschaft zusammen, und erkor
einen neuen Rath, welcher aus den Vorstehern der Zünfte bestand, ohne zu
bedenken, daß den Gildemeistern Erfahrung und Gewandtheit abgehen müsse,
um einem großen Gemeinwesen mit Erfolg vorzustehen.
Diese inneren Unruhen, welche das Leben der Stadt Braunschweig zu
zerreißen drohten, waren keinem willkommener, als dem Herzoge Otto dem
Quaden, welcher von Wolfenbüttel aus die mächtige Bürgerschaft unter
seinen Gehorsam zu zwingen hoffte. Andrerseits glaubte auch der Bund
der Hanse sich um so bestimmter gegen diese Ereignisse aussprechen zu müs-
sen, als er befürchtete, daß sie sich in anderen Bundesstadten wiederholen
könnten. In allen umliegenden Städten fanden die vertriebenen Patricier
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T63: [Jahr Senat Plebejer Gesetz Volk Recht Staat Bürger Gewalt Rom], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T97: [Heinrich Herzog Graf Erzbischof König Grafe Kaiser Stadt Herr Mainz], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T62: [Gericht Recht Gesetz Richter Jahr Volksversammlung Senat Plebejer Beamter König]]
Extrahierte Personennamen: Thiele Thiele Hagen Otto
112
und zähe Friesenvolk ließ sich nicht entmuthigen; immer wurden
die Deiche aufs neue, und jedesmal höher und kräftiger herge-
stellt. Die letzte große Fluth, welche an unseren Küsten fast
alle Deiche durchbrach und sie auf weite Strecken hin zerstörte,
fand im Jahre 1825 statt; doch hat sie glücklicherweife keinen
Verlust an Land zur Folge gehabt. — Solch eine Fluth ist das
Schrecklichste, was der Mensch erleben kann. Hoch bäumen sich
dann die Wogen vom Nordweststurm gepeitscht und von der
Fluth landeinwärts getrieben am Deiche empor; stundenweit hört
man ihr dumpfes Brüllen. Vergebens hofft der den entfesselten
Naturkräften gegenüberstehende Landmann auf den Eintritt der
Ebbe; der Sturm läßt das Wasser nicht wieder zurücktreten.
So kommt dann nach zwölf Stunden die zweite Fluth wie ein
schwarzes Gebirge heran. Nun wird der Deich überströmt; alles
Volk, durch die Sturmglocke zur Hülfe aufgeboten, hat sich an
den bedrohten Stellen versammelt. Bisweilen gelingt es, mit
herbeigeführtem Mist und Erde eine entstandene Oeffrtung zu
stopfen; oft ist aber alle Hülfe vergebens angewandt. Dann
bricht die salzige Fluth mit furchtbarer Gewalt durch die sich
stets erweiternden Oeffnungen auf das dahinter liegende niedere
Land ein, wühlt in demselben tiefe Löcher, verwandelt die weite
Marsch in kurzer Zeit in einen tiefen See, zerstört die Felder und
die Wohnungen der Menschsn. Können sich letztere nun vielleicht
auch noch retten, so geht der Viehstand doch meistens verloren. Oft
werden sogar weite Strecken Landes mit darauf stehenden Häusern
und Bäumen losgerissen und weithin fortgeschwemmt; so wurde
z. B. im Jahre 1509 am Dollart von der Groninger Küste eine
große Fläche Landes losgerissen und mit Häusern, Menschen und
Vieh auf das jenseitige ostfriesische Ufer getrieben. Legt sich dann
der Sturm, und zieht sich das Meer in seine alte Grenzen zurück,
dann sieht man oft die reichsten Felder mit unfruchtbarem Sande
bedeckt. Ueberall trifft man Leichen von Menschen und Thieren,
bald vereinzelt, bald in Gruppen bei einander liegend; hier er-
blaßte Mütter, die ihre todten Kinder noch krampfhaft umschlungen
halten, dort Eheleute aneinander gebunden; von Kälte erstarrte
Menschen in den Bäumen hängend, andere im umgestürzten Kahn
in den verschlammten Gräben liegend. Da kam es früher wohl
vor, daß ein Mann der noch vor wenig Tagen als wohlhabend
galt, nun, weil er die Kosten der Wiederherstellung des Deiches
nicht erschwingen konnte, nach der alten Regel, die da hieß : „Wer
rttch mit kann dieken, de mot wieken", den Spaten in seine Län-
dereien steckte und seine Heimat mit dem weißen Stabe in der Hand
als Bettler verließ. Wer dann den Spaten wieder herauszog und
damit erkärte, die Deichlast übernehmen zu wollen, der wurde Be-
fitzer des verlassenen Landes. Von dem Elend solcher Ueberschwem-
mungen nur ein Beispiel. Die sogenannte Weihnachtsfluth (24. Dec.)
des Jahres 1717, welche von Holland bis an die schleswigsche Küste
alle Deiche zerstörte, kostete 11000 Menschen das Leben; so rasch
kam das Unheil, daß fast niemand ihm entfliehen konnte. Mitten
in der finstersten Nacht, als alles sorglos im tiefsten Schlafe lag,
TM Hauptwörter (50): [T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier]]
TM Hauptwörter (200): [T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung]]
20
Die Küsten unseres Landes.
tritt der Ebbe; der Sturm läßt das Wasser nicht wieder zurück-
treten. So kommt dann nach zwölf Stunden die zweite Fluth
wie ein schwarzes Gebirge heran. Nun wird der Deich überströmt;
alles Volk, durch die Sturmglocke zur Hülse aufgeboten, hat sich
an den bedrohten Stellen versammelt. Bisweilen gelingt es, mit
herbeigeführtem Mist und Erde eine entstandene Oeffnung zu
stopfen; oft ist aber alle Hülfe vergebens angewandt. Dann
bricht die salzige Fluth mit furchtbarer Gewalt durch die sich
stets erweiternden Oeffnungen auf das dahinter liegende niedere
Land ein, wühlt in demselben tiefe Löcher, verwandelt die weite
Marsch in kurzer Zeit in einen tiefen See, zerstört die Felder und
die Wohnungen der Menschen. Können sich letztere nun vielleicht
auch noch retten, so geht der Viehstand doch meistens verloren. Ost
werden sogar weite Strecken Landes mit darauf stehenden Häusern
und Bäumen losgerissen und weithin fortgeschwemmt; so wurde
z. B. im Jahre 1509 am Dollart von der Groninger Küste eine
große Fläche Landes losgerissen und mit Häusern, Menschen und
Vieh auf das jenseitige Ostfriesische Ufer getrieben. Legt sich dann
der Sturm, und zieht sich das Meer in seine alte Gränzen zurück,
dann sieht man ost die reichsten Felder mit unfruchtbarem Sande
bedeckt. Ueberall trifft man Leichen von Menschen und Thieren,
bald vereinzelt, bald in Gruppen bei einander liegend; hier er-
blastte Mütter, die ihre todten Kinder noch krampfhaft umschlungen
halten, dort Eheleute aneinander gebunden; von Kälte erstarrte
Menschen in den Bäumen hängend, andere im umgestürzten Kahne
in den verschlammten Gräben liegend. Da kam es früher wohl
vor, daß ein Mann der noch vor wenig Tagen als wohlhabend
galt, nun, weil er die Kosten der Wiederherstellung des Deiches
nicht erschwingen konnte, nach der alten Regel, die da hieß: „Wer
nich mit kann dicken, de mot wieken", den Spaten in seine Län-
dereien steckte und seine Heimat mit dem weißen Stabe in der Hand
als Bettler verließ. Wer dann den Spaten wieder herauszog und
damit erklärte, die Deichlast übernehmen zu wollen, der wurde Be-
sitzer des verlassenen Landes. Von dem Elend solcher Ueberschwem-
mungen nur ein Beispiel. Die sogenannte Weihnachtssluth (24. Dec.)
des Jahres 1717, welche von Holland bis an die Schleswigsche Küste
alle Deiche zerstörte, kostete 11000 Menschen das Leben; so rasch
kam das Unheil, daß fast niemand ihm entfliehen konnte. Mitten
in der finstersten Nacht, als alles sorglos im tiefsten Schlafe lag,
kam die Noth. Mehrere Tage vor Weihnachten hatte es scharf
aus Südwesten geweht, wodurch viel Wasser aus dem Kanal in
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