33
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die Viehzucht Werth legen. Jeder Bauer hat seine Kühe
im Stalle; in der Regel außerdem auch eine oder meh-
rere Ziegen; die größeren Bauern haben Schaafheerden,
und auch der kleinste mästet im Herbste ^ sein Schweln,
so daß er nicht viel Fleisch zu kaufen nöthig hat.
Auf den Rheinwiesen weiden Schaaren von Ochsen
und Kühen, meist von bunter Farbe, selten einfarbig und
roth, gewöhnlich schwarz und weiß.
In den Städten werden außerdem städtische Gewer-
be getrieben, Handwerke und Künste. Auch blühen in
einigen Gegenden Fabriken: in Mörs Baumwollspinne-
reien und Flanellfabriken, in Vluyn und andern Orten
Webereien, Baumwollfabriken und dgl. Auch werden
in vielen Orten des Kreises wollene Tücher, Leinwand,
Hüte, Lichter und Seife, Porzellanwaaren, Töpfe und
andere Sachen verfertigt.
Aber den eigentlichen Reichthum des Landes machen
die Fabriken nicht aus, und man hat nicht Ursache, die
Verbreitung und Vermehrung derselben auf dem Lande
zu wünschen. Denn mit ihnen verbreitet sich der ver-
dorbene Geist der Fabrikarbeiter, wie er in allen Fa-
brikgegenden der Erde angetroffen wird: Leichtsinn, äu-
ßere und innere Rohheit und Gemeinheit, Religions-
schwärmerei und Mysticismus, und damit verbünden:
Armuth, körperliche Schwäche, besonders Brustschwäche,
und Siechthum überhaupt. Die Fabrikarbeiter sind in
der Regel die unglücklichsten, ärmsten, bedauernswürdig-
sten Menschen. Gott wolle unsern Landleuten ihren
stillen Fleiß, ihre Genügsamkeit, ihre Sittsamkeit, ihren
einfachen Sinn und ihre Gesundheit erhalten, und deß-
wegen die Fabriken von ihnen entfernt halten!
Ausgeführt werden: Früchte, Branntewein, Butter,
Vieh und manche der oben angeführten Erzeugnisse. Ein-
geführt: Metalle aller Art, Metallwaaren, Salz, Stein-
kohlen, Porzelan, Pottasche, Wolle, Seide, Baumwolle,
Leder, Papier, sogenannte Cotonialwaaren, als Kaffee,
Thee, Zucker, dann Wein, Käse, Seefische und andere
Gegenstände. Der Durchgangshandel ist nicht unbedeu-
tend, besonders auf dem Rheine. Die Waaren, welche
aus dem Auslande kommen, müssen an der Gränze ver-
zollt werden. Deßwegen werden die westlichen Gränzen
von Zollbeamten (Douanen) bewacht, deren Aufmerksam-
keit ungeachtet — manche Wauren eingeschwärzt (einge-
schmuggelt) werden. Deßhalb wohnen in den Gränzorten
m der Regel viele schlechte Menschen.
">iesterw. Geogr. 3
TM Hauptwörter (50): [T15: [Wein Getreide Baumwolle Tabak Kaffee Obst Weizen Reis Zucker Kartoffel], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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TM Hauptwörter (200): [T114: [Fleisch Milch Brot Pferd Butter Käse Stück Wein Schwein Getreide], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T113: [Wein Seide Baumwolle Handel Zucker Kaffee Wolle Tabak Reis Getreide], T1: [Maschine Fabrik Herstellung Industrie Papier Leder Wolle Leinwand Fabrikation Art], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
42
4. Sitten und Gebräuche, Temperament und Cha-
rakter der Bewohner.
Es ist immer schwer, den Charakter der Bewohner
eines Landes unbefangen, treu und wahr aufzufassen,
und noch schwerer, ihn also in Worten darzustellen. Ich
kann daher hier auch kein vollkommenes Gemälde der
Bewohner des Kr. Geldern aufstellen wollen. Ueberdieß
ist es ein mißliches Geschäft. Die meisten Menschen er-
tragen eher einen Tadel, der ihre Person trifft, als einen
Tadel über^ ihre ganze Familie, und diesen eher, als
einen, der über den ganzen Volksstamm, dem sie ange-
hören, ausgesprochen wird. Wenn man die Vorzüge
eines Volksstammes auch noch so vollständig und gebüh-
rend anerkennt und herausstellt, dem Gemälde aber ei-
nige Schattenstriche beimischt, so erregen letztere ein Ge-
fühl, welches leicht die heitere Stimmung, in welche
jene Anerkennung der Vorzüge versetzte, übertäubt, und
gegen den, der es wagt, seine Meinung offen zusagen,
zur ungerechten Beurtheilung verleitet. Welcher West-
pbale z. B. würde gern über seinen Stamm das Urtheil
Horen: derselbe sei brav, tüchtig, offen, bieder, gastfrei,
freiheitliebend, und wie die übrigen guten und preiswür-
digen Eigenschaften des Westphaten 'weiter heißen, aber
zugleich auch etwas breit, langsam und träge. Doch
wir sehen von dieser Unart der menschlichen Natur und
des engherzigen landschaftlichen Geistes ab und sagen
offen unsere Meinung, wenn es uns, was in der Regel
dem Fremdling eher zu glücken pflegt, anders gelungen
ist, das Gemeinsame unserer jetzigen Landsleute aufzu-
fassen. Wir wollen mit den schlimmen Eigenschaften be-
ginnen, und das Beste, wie die Kinder beider Mahlzeit,
bis zu Ende verschieben.
1. Langsamkeit und Bedächtigkeit.
Der Gugerner thut Alles, was er thut, bedächtig
und langsam; nirgends äußert er rasche Thatkraft und
rührige Lebendigkeit. Er ist daher das gerade Gegentheil
des lebendigen Franzosen. Dieser geht tanzend, jener in
abgemessenem Schritte über die Straße und zu der Arbeit.
Er theilt diese Eigenschaft mit dem Bewohner des Cle-
vischen Landes überhaupt, und steht in diesem Stücke
den Bewohnern des Bergischcn Landes gerade gegenüber.
Dieser ist feurig, rührig., behende, rasch und kräftig ;
kaum hat man ihn gesehen, so ist er auch schon um die
Ecke. 'Der Gugerner nimmt sich Zeit. Mit diesem phleg-
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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48
Volkes anderwärts zu suchen, nämlich theils in den Er-
fahrungen, welche das Volk zur Zeit der französischen
Herrschaft gemacht hat, lheis in dem von Natur leicht
entstehenden Mißtrauen des ungewandten Menschen ge-
gen den gewandteren und gebildeteren. Es ist allgemein
bekannte Thatsache, daß, außer einigen vorzüglichen und
trefflichen Meuschen, die Mehrzahl der französischen Be-
amten verderbliche Künste ausübte und sich der Bestech-
lichkeit preisgab. Ihrer Lebensgewandtheit und Schlau-
heit wurde es nur allzuleicht, das gutmüthige deutsche
Volk zu berücken. Dessen wird aber seder Mensch durch
schmerzliche Erfahrungen bald inne, und er geht dann,
wenn auch schwer, endlich zu völligem Mißtrauen über,
das sich eben so schwer, als es entstanden ist, wieder
vertilgen läßt. Daher vermuthet das Landvolk auf der
linken Rheinseite bei den Handlungen der Beamten und
Vornehmen leicht überall versteckte eigennützige Absichten.
Wir machen ihm dieß nicht gerade zum Vorwurfe,
beklagen aber die Allgemeinheit dieser Eigenschaft außer-
ordentlich. Denn sie verbittert dem Einzelnen die Freude
an dem gesellschaftlichen Leben, und sie wirft allen Ver-
besserungsversuchen schwer zu besiegende Schwierigkeiten
entgehen. Nur lange Gewohnheit und viele Erfahrungen ei-
nes bessern Sinnes von oben her, können das weit ver-
breitete Mißtrauen, besonders gegen die gebildeteren
Stände, allmählig bannen, und gewissenhafte, ihrem Amte
gewachsene Beamten, welche in der nächsten Berührung
mit dem Landvolke stehen, nämlich Richter, Advokaten,
Aerzte und Prediger, werden allmählig das Vertrauen
der Bewohner zu den Vorgesetzten und zu den gebildete-
ren Ständen wieder Herstellen und das nur noch zu häu-
fige Vertrauen zu Winkeladvokaten (Winkelkonsulenten),
medicinischen und religiösen Quaksalbern vermindern und
vernichten.
In den Städten, wo, der Natur der Sache nach,
eine größere Rührigkeit und Gewandtheit herrscht, haben
die Leute von den Franzosen theilweise die Verschmitzt-
heit , Schlauheit und Gewandtheit gelernt. Dem Cha-
rakter des Landvolkes widerstrebten diese Eigenschaften
allzusehr, als daß sie unter ihm hätten Platz greifen
können. Dieser Umstand hat aber das (deßwegen nicht
„überall" ungegründete) Mißtrauen der Landleute gegen
die Städter nur noch gesteigert. Offenbar sind die Land-
leute des Kr. Geldern im Allgemeinen einfachere und
bessere Menschen, als die Bewohner der kleinen Städte
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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in welchen sich bei dem Mangel großartiger städtischer
Gewerbe, bei dem unseligen Mangel aller Verbindungen
rn Innungen, Zünften und Gilden und bei dem Mangel
aller und jeder geschlossenen Korporationen der kräftige
und edle Bürgersinn, den wir in den größeren Städ-
ten unter dem wohlhabenden Bürgerstande treffen, nicht
hat ausbilden können. Auch wollen wir es mit wahrer
Freude anerkennen, daß es noch einfache und biedere
Landleute giebt, die einander aufsein bloßes Wort und
ein ehrliches Gesicht hin Geld leihen, und daß wenig-
stens noch Fälle vorkommen, wo das altdeutsche Sprich-
wort : ,,ein Wort, ein Wort — ein Mann, ein
Mann" seine Geltung findet. Freilich sind diese Fälle
selten, und sie scheinen immer seltener zu werden.
Nachdem wir nun die Schattenseite der Bewohner
des Kreises Geldern bezeichnet haben, wenden wir uns
mit Vergnügen zu der Hellen Seite des Charakters der
Bewohner. Es ist nicht zu verkennen, daß derselbe mehr
in negativen, als positiven Eigenschaften besieht, ganz
gemäß dem pflegmatischen Temperamente der Einwohner,
Wir wollen sie auf einmal aufzählen.
Der Bewohner des Kreises Geldern zeichnet sich
durch sanften, bescheidenen Sinn, durch Zufrie-
denheit mir seiner Lage und seinem Geschick,
durch stillen Fleiß und durch die Unbekannt-
schaft mit allen Versuchen zur Widerspenstig-
keit und zur Auflehnung gegen die Absichten
der Regierung aus. Er haßt die Reibungen; er liebt
dagegen die Beibehaltung des, nach seiner Meinung be-
währten besseren Alten; ihm kommt die Möglichkeit einer
Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes durch Um-
formung und Reformationen nicht in den Sinn; er ist
gehorsam und treu der Obrigkeit und dem Könige. Da-
bei sorgt er mit stillem Fleiße für die Bedürfnisse seiner
Familie und Angehörigen. Er ist ein guter Vater und
anhängliches Familienglied, und bringt für die, welche
er die Seinigen nennt, gern ein Opfer. Natürlich hat
er dagegen wenig Sinn für die Gemeinschaft des öffent-
lichen Lebens. Die Zeitverhältnisse, welche die Vernich-
tung aller lebendigen Gemeinschaft im Leben verwirk-
lichten, waren der Bildung des öffentlichen Gemeinsinnes
nicht günstig. Es haben sich daher in dem Bewohner
mehr die häusliche stille Tugenden ausgebildet. In den
meisten Familien kettet wahrer Familiensinn die Glieder
an einander, der allerdings fast überall mit Spießbür-
Diesterw. Geogr. 4
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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56
daher zur Erhaltung des Ganzen beitragen durch Sten-
ern und andere Leistungen. Ein tüchtiger Mensch ist
daher nicht bloß ein gutes Mitglied seiner Familie, son-
dern auch ein guter Bürger, und er trägt als solcher
Alles, was in seinen Kräften steht, dazu bei, daß in sei-
ner Gemeinde und in seinem Staate Alles wohl bestellt
sei. ^ Er achtet und respectirt Alles, was der Gemeinde
gehört: öffentliche Gebäude und Anstalten, öffentliche
Anlagen; er wird sich daber eben so wenig an öffentli-
chem oder gemeinsamem Gute vergreifen, wie an Privat-
besitzthum.
Er wird nicht nur durch Fleiß und Thätigkeit dafür
sorgen, daß die Glieder seiner Familie mit allen Bedürf-
nissen des Lebens hinreichend versorgt werden, sondern
auch bemüht sein, das Beste seiner Gemeinde und des
Staates mit Rath und That zu fördern, und dahin zu
wirken, daß die Wohlfahrt allgemein werde.
Woran läßt es sich nun erkennen, daß es in einer
Gemeinde gut stehe?
Außer andern Dingen auch an folgenden:
1) daran, daß Kirchen und Schulen und andere Er-
ziehungs- und Unterrichtsanstalten gedeihen und
blühen;
2) daran, daß jedes Kind ohne Ausnahme den nöthi-
gen Unterricht, überhaupt allgemeine, menschliche
und die erforderliche Bildung zu seinem Berufe voll-
ständig empfange;
3) daran, daß emsiger Fleiß und rege Thätigkeit un-
ter allen Klassen der Bürger verbreitet ist;
4) daran, daß es außer den gebrechlichen Alten und
Kranken keine Armen gibt, ein jeder Arme und
Kranke mit Nahrung und Kleidung, mit Arznei und
Krankenkost um der" Gerechtigkeit und Liebe willen,
reichlich versorgt werde;
5) daran , daß Redlichkeit, Rechtschaffenheit und gegen-
seitiges Vertrauen die wahren Stützen des öffentlichen
Lebens sind;
6) daran, daß überhaupt Alle wetteifern, zum Flor
aller, das Gemeinbeste fördernder Anstalten und
Zwecke alles Mögliche beizutragen.
Die Erstrebung aller dieser großen, ja heiligen Güter
hängt zunächst von den öffentlichen Beamten ab, und es
wird gewiß in jeder Gemeinde ein lebendiges, reges,
schönes und edles Leben herrschend werden, in welcher
alle Beamten in patriotischem Gcmeiusinnc mit einander
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
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145
de; das reinste Deutsch wird unter den Gebildeten in
Kleve gesprochen.
Während der 20jährigen französischen Negierung, die
vor den Gerichten Alles in französischer Sprache ver-
handeln ließ, wurde in den Häusern der gebildeteren
Volksklasse viel französisch gesprochen. Seit 1814 aber
ist dieses eine Seltenheit geworden, und wenn vor die-
sem Jahre fast jedes Burgermädchen französisch lernte,
so verschwindet diese Sitte immer mehr; nur in den
Gränzprevinzen gegen Frankreich und in Fabrikgegendcn
wird auf die Erlernung der französischen Sprache ein
besonderer Werth gelegt. Doch ist die französische Sprache
in neuerer Zeit wieder als öffentlicher Lehrgegcnstand in
tue, Gymnasien und höher» Bürgerschulen aufgenommen
worden. Aus den Elementarschulen ist sie aber mit Recht
verdrängt worden.
Die alte deutsche Sittenreinheit wird in Rheinpren-
ßen im Allgemeinen nicht mehr angetroffen. Wo die
Leichtfertigkeit der Zeit auf Vornehme und Geringe
eingewirkt hat, da sind die Sitten locker geworden. Am
meisten ist dieses in den großen Städten Koblenz, Köln,
Düsseldorf und Aachen der Fall. Elberfeld hat sich bis-
her in dieser Beziehung vvrtheilhaft ausgezeichnet. Ueber-
haupt herrscht auch tn dieser Hinsicht auf der rechten
Rheinseite noch mehr Altcrthümliches, als auf der linken
Rheinseite. Die Ehe wird jedoch im Allgemeinen noch
für heiliggehalten, und Ehescheidungen sind sehr selten;
auf dem platten Lande sind sie fast unerhört. Die Kreise,
welche an Frankreich gränzen, stehen in dieser Beziehung
am tiefsten. Auch hat daselbst der Smuggelhandel grund-
verderblich auf den Charakter der Leute gewirkt.
Die Bildung des Volkes ist im Allgemeinen nicht
groß, l Wie kann es anders sein? Wo die Revolutions-
zeit gewaltet hat, da ist für die eigentliche Bildung
nichts geschehen. „Es sei," hieß es damals, „für Schu-
len und Institute kein Geld da." Der Krieg verschlang
alle anderen Interessen. Auch liebt der Rheinländer den
frohen Lebensgenuß zu sehr, als daß er auf intellektuelle
Ausbildung von selbst einen sehr hohen Werth legen
sollte. Zudem ist derselbe mit Anlagen nicht gerade in
ganz besonderem Maße gesegnet. Deßhalb haben die
Rheinlande nach Verhältniß wenig große Männer in
Wissenschaften und Künsten hervorgebracht, und als man
seit 1814 höhere Bildnngsanstalten errichten wollte, sah
man sich genöthigt, die meisten Lehrer aus andern Län-
Diesterw. Geogr. jq
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland]]
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Extrahierte Ortsnamen: Kleve Frankreich Fabrikgegendcn Rheinpren- Koblenz Elberfeld Frankreich Rheinländer
146
dern Deutschlands zu berufen. Diese schlimmen Verhält-
nisse werden aber allmählig ganz anders. Seitdem —
wir sprechen diese unleugbare Wahrheit nicht ohne Hoch-
gefühl aus — die Provinzen, von welchen hie/ die
Rede ist, dem Hause Hohenzollern, das in Deutschland
als die Hauptstütze wahrer Bildung angesehen werden
muß, unterworfen sind, haben sich am Rheine Anstalten
aller Art erhoben, welche für wahre Bildung des Vol-
kes, wie der künftigen Beamten, die emsigste Sorge tra-
gen. Wir nennen nur die Rheinuniversität, die vielen
Gymnasien, die höhcrn Bürgerschulen, deren Zahl sich
jährlich vermehrt, die Schullehrcr-Bildungsanstalten und
die preiswürdigen Bemühungen aller rheinischen Regie-
rungen , das Volksschulwesen zu heben. Wie ganz an-
ders ist es in dieser Beziehung in Rheinpreußen gewor-
den ! Hier kann man an einem lehrreichen Beispiele er-
sehen, was eine wohldenkcnde Regierung in 15 Jahren
vermag, wenn der gesunde Sinn der Bewohner nicht
widerstrebt; und wer etwa vor 10 Jahren es über sich
gewann, zwischen der französischen und neueren Zeit einen
Vergleich anzustellen, der betrachte die angegebenen Ver-
hältnisse der jetzigen Zeit mit dem in dieser Beziehung
vor 20 Jahren bestehenden Zustande! Wer sollte sich des
Ergebnisses dieses Vergleichs nicht freuen!
In allen Ständen, in allen Gegenden ist das rasche
Steigen der Bildung sichtbar. Wenn cs in früherer
Zeit fast allgemeine Sitte war, die Kirchen nicht zu
besuchen, und" nur auf die Gewinnung gewisser Lebens-
kenntnisse bedacht zu sein; so steigt dagegen von Jahr zu
Jahr die Ehrfurcht gegen heilige Dinge und die Perso-
nen, welche sich in edlem Eifer der Ausbreitung der Re-
ligion, der Wissenschaft und der Bildung widmen. Nach
und nach wird Rheinpreußen einen Lehrstand gewinnen,
der an Tüchtigkeit des Charakters und der Ausbildung
mit jedem andern in den, in dieser Beziehung am höchsten
stehenden Provinzen des übrigen Deutschlands wetteifern
kann. Wir preisen darum unsern König und unsere
Obern.
Offenbar haben auch die Religion und ihre Formen
nicht geringen Einfluß auf den Charakter der Menschen.
Nächst der Verfassung sind die Religionsformen gewiß
vom mächtigsten Einfluß. Da nun die Bewohner der
Provinz Rheinpreußen verschiedenen Confessionen ange-
hören, so ist auch dieses eine Quelle der Verschiedenheit.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschland Rheine Rheinpreußen Rheinpreußen Deutschlands Provinz_Rheinpreußen
Ix
Tüchtigkeit und Aufopferungsfähigkeit für gemeinsame
Interessen zu leben und zu wirken.
Dazu wird zunächst als unerläßliche Bedingung er-
fordert, daß der heranwachsende Mensch seine Umge-
bung kenne, den Zweck öffentlicher Einrichtungen und
Anstalten auffasse und ihre Nothwendigkeit einsehe. Die-
sen Grund hat die öffentliche Schule zu legen. Das
öffentliche Leben muß ihn, als vorhanden, voraussetzen,
um darauf fortzubauen. An uns Lehrern ist cs, dieses
als eine unserer wichtigsten Pflichten zu betrachten,
wenn wir für das Leben in edler Gemeinschaft, für
Gemeinsinn und Aufopferungsfähigkeit vorbereiten wol-
len. Es ist dieses ein Zielpunkt eines bildenden Unter-
richtes in der Weltkunde. Man hat so häufig und so
lange über das Wesen der wahren Aufklärung ge-
stritten und noch ist man, wie es scheint, darüber zu
keinem allgemeinen Einverftändniß gelangt. Und doch
ist es nach meinem Bedünken leicht nachzuweisen, daß
die Aufklärung nicht in der Summe des Wissens, nicht
vorzugsweise in einseitiger Verstandesbildung, nicht in
der Verbreitung gewisser, vermeintlich festlegender Kennt-
nisse, auf Treu und Glauben anzunehmen; sondern, ne-
den der Entwickelung selbstständiger Einsicht, bestehe in
der Förderung der Gemüthsbildung und in der Ent-
wickelung der Gesinnung, in sittlichen und religiösen
Grundsätzen für die Veredlung eines heiteren, frohen
und schönen Lebens thätig zu sein. Nicht gelehrtes
Wissen, nicht technische Fertigkeiten, nicht Berufsbildung
gehören zur allgemeinen wahren Aufklärung, sondern
Umfassung der gemeinschaftlichen Interessen des öffent-
lichen Lebens. Diese aber kann nicht erstrebt werden
ohne Kenntniß der Formen und Einrichtungen des öf-
fentlichen Lebens und ohne Ergreifen des lebendigen Gei-
fles, um deßwillen jene Formen da sind. Das sind
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
Xvi
terricht für's Leben ertheilen. In den nächsten Jahrhun-
derten werden daher gewiß noch unerwartete Aenderun-
gen mit den Schuten vorgehen. Diese langsam und sicher,
auf dem Wege der Pflicht, durch die rechten Grundge-
danken der Gerechtigkeit und Humanität einzuleiten und
zu fördern, ist die Pflicht jedes Lehrers, zumal desjeni-
gen, welcher die Weltkunde als ein Mittel ansieht zur
wahren Menschenbildung.
Es ist löblich und schön, seine Heimath zu lieben, ja
von Heimathsliebe durchglüht zu sein; aber cs kommt
doch sehr darauf an, was man an der Heimath liebt, ob bloß
die Berge und Fluren, oder die Erinnerung an die Tage
der seligen Kindheit, oder ob man die Heimach liebt, weil
man in ihr das Land sieht, in welchem man vorzugsweise an
sich und Anderen für edlere Menschheit thätig sein kann.
In jenem Falle ist die Heimathsliebe irdisch und ohne be-
sondern Werth; in diesem Falle aber ist es eine heilige
Heimathsliebe, und es ist ein köstlich Ding, daß des
Menschen Herz von ihr durchdrungen sek.
Was nun endlich der Schüler der Weltkunde zuthun
hat, braucht kaum auseinander gesetzt zu werden, wenn
nur der Lehrer das Rechte thut. Doch wollte ich noch
das Eine herausheben, daß er nach und nach, wie der
Unterricht weiter fortschreitet, die Theile der Erdober-
fläche, welche beschrieben worden, genau abzeichnen muß,
die Gegenstände seiner nächsten Umgebung nach der Na-
tur, die entfernteren nach Angabe und Vorzeichnung des
Lehrers. Wo cs nur möglich ist, muß der Schüler selbst
mit Hand anlegen. Er zeichnet deßhalb auf Schieferta-
fel und Papier theils Einzelnes, einen Fluß, einen Berg,
eine Stadt u. s. w., theils kleine Ganze, ein Flußgebiet,
einen Kreis, eine Provinz u. s. w.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T47: [Karte Lage Länge Breite Größe Meile Linie Ort Grenze Höhe]]
17
6) Orsoy, ein Städtchen am Rheine, mit 260 H.
und 1500 E.
Hier befinden sich bedeutende Wollentuch - und Kafi-
mirfabriken; auch werden bier immer noch viele Fische
gefangen, besonders vortreffliche Lachse.
Ehemals war das Städtchen in blühendem Zustande;
seine Tücher gingen fast durch ganz Deutschland, Holland
und Frankreich.
Es wäre gewiß nicht uninteressant, gelungene, d. h. wahre
Beschreibungen des Charakters der Bewohner einer Gegend oder
auch nur eines einzelnen Ortes zu lesen. Deßwegen finde hier noch
eine kurze Darstellung des Charakters der Einwohner von Orsoy,
einer kleinen Stadt am Rheine, einen Platz.
Die Verschiedenheit des Charakters der Bewohner der Stadt
Orsoy und der Bewohner der nächsten Umgebungen ist so groß,
daß man durchaus beide trennen muß, wenn man der Wahrheit
strenge folgen will.
Wie es mir scheint, sind Ursachen davon: daß Orsoy ehemals
als Theil des Herzogthums Cleve nach andern Gesetzen und Lan-
desstatuten regiert wurde, als die Bewohner der Grafschaft Mörs,
wovon Orsoy ganz umringt war; daß hier ein ziemlich starker
Verkehr mit Holland bestand, wodurch holländische Sitten, Ge-
bräuche rc. ihren Einfluß äußerten; daß alle holländischen Schiffer,
die nach Köln fuhren, hier Zollabgaben bezahlen und ihre Lebens»
bedürfnisse einkaufen mußten. Handel und Fabriken beschäftigten
die Einwohner, wogegen die Dorfbewohner der Umgegend auf den
Ackerbau rc. beschrankt waren.
Aber so verschieden die Orsoyer von den zunächst wohnenden
Landbewohnern sind, eben so groß ist die Verschiedenheit der letzte-
ren in Betreff ihres Charakters.
Eversael liefert andere Menschen als Binsheim, und Baerl an-
dere als Budberg.*) Daß politische Verhältnisse, Religionsbekennt-
nisse, Lehrer rc. diese Verschiedenheit hervorgebracht haben, wäre
leicht nachzuweisen.
Die Einwohner Orsoy's sind meistens stark gebaute, gesunde
und physisch kräftige Menschen. Die Lage der Stadt am Rheine,
in einer angenehmen, gesunden Gegend; die Regelmäßigkeit in der
Bauart der Stadt, die breite, gradlaufende Straßen hat, wo also
stets frische Luft durchströmt, und der Genuß einfacher Kost, so
wie die Unbekanntschaft mit den sogenannten feinern Genüssen der
großen Welt — dieß mögen die nächsten Ursachen davon sein. In
mechanischen Arbeiten zeigen sie Gewandtheit, Leichtigkeit und
Raschheit; doch nur dann, wenn der Gewinn ihnen klar vor Au»
gen liegt. Im Allgemeinen liebt man die Reinlichkeit, sowohl im
Häuslichen als Persönlichen. Wahrscheinlich hat die engere Ver-
bindung mit Niederländern, oder Gewohnheiten, die sich Manche
in Holland angeeignet haben, viel dazu beigetragen.
So sehr nun auch der ächte Orsoyer auf Reinlichkeit' halt, ein
eben so großer Feind ist er von aller Ziererei. Er liebt eine ein-
fache, schöne Bekleidung, haßt aber den Flitterstaat. Gerne geht
*) Dörfer der ehemaligen Grafschaft Mörs.
Diesterw. Geogr.
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TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T8: [Stadt Rhein Schloß Kreis Mainz Einw. Dorf Main Frankfurt Einwohner], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T73: [Stadt Schloß Augsburg Grafe Nürnberg Reichsstadt Bischof Sitz Regensburg Fürst]]
TM Hauptwörter (200): [T66: [Stadt Kreis Einw. Berlin Einwohner Schloß Regierungsbezirk Sitz Provinz Düsseldorf], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit]]
Extrahierte Personennamen: Eversael
Extrahierte Ortsnamen: Rheine Deutschland Holland Frankreich Rheine Orsoy Holland Budberg Rheine Holland