325
befreiten treuen Stadt auf den Händen getragen wurden und dann bei Becher-
klang und vaterländischen Gesängen nach altem Burschenbrauche die Nacht
verbrachten. Dem Rausche der jugendlichen Lust folgte die ernste Arbeit,
die blutigste des ganzen Krieges; denn wieder fiel dem Jorckschen Korps
die schwerste Aufgabe zu. Als Jorck am Morgen des 16. in Schkeuditz
unter seinen Fenstern zum Aufsitzen blasen hörte, da hob er sein Glas und
sprach den Kernspruch seines lieben Paul Gerhardt: „Den Anfang, Mitt'
und Ende, Herr Gott, zum besten wende!* Wohl mochte er sich einer
höheren Hand empfehlen; denn unangreifbar, wie bei Wartenburg, schien
wieder die Stellung des Feindes. Marmont lehnte sich mit seiner linken
Flanke bei Möckern an den steilen Talrand der Elster, hatte die Mauern
des Dorfes zur Verteidigung eingerichtet, weiter rechts auf den flachen
Höhen eine Batterie von 80 Geschützen aufgefahren. Gegen diese kleine
Festung stürmten die Preußen heran auf der sanft ansteigenden, baumlosen
Ebene; sechsmal drangen sie in das Dorf und verloren es wieder. Endlich
führte Jorck selber seine Reiterei zum Angriff gegen die Höhen unter dem
Rufe: „Marsch, marsch, es lebe der König!" Nach einem wütenden Häuser-
kampfe schlägt das Fußvolk den Feind aus dem Dorfe heraus; am Abend
muß Marmont gegen die Stadt zurückweichen, 53 Kanonen in den Händen
der Preußen laffen, und an den Wachtfeuern der Sieger ertönt das Lied:
„Herr Gott, dich loben wir", wie in der Winternacht von Leuthen. Aber
welch ein Anblick am nächsten Morgen, als die Truppen zum Sonntags-
gottesdienst zusammentraten! Achtundzwanzig Kommandeure und Stabs-
offiziere lagen tot oder verwundet; von feinen 12 000 Mann Infanterie
hatte Dorck kaum 9000 mehr, seine Landwehr war im August mit
13 000 Mann ins Feld gezogen und zählte jetzt noch 2000. So waren
an dieser einen Stelle die Verbündeten bis auf eine kleine Stunde an die
Tore von Leipzig herangelangt.
Im Südosten, auf dem Hauptschauplatze des Kampfes, bei Wachau,
fochten die Verbündeten nicht glücklich. Hier hatte zwei Tage vorher ein
großartiges Vorspiel der Völkerschlacht sich abgespielt, ein gewaltiges
Reitergefecht, wobei König Murat nur mit Not dem Säbel eines Leutnants
von den Neumärkischen Dragonern entgangen war. Heute hielt Napoleon
selber mit der Garde und dem Kerne seines Heeres die dritthalb Stunden
lange Linie von Dölitz bis Seifertshain besetzt, durch Zahl und Stellung
den Verbündeten überlegen, 121000 gegen 113 000 Mann. Auf ihrem
linken Flügel vermochten die Verbündeten, eingeklemmt in dem buschigen
Gelände, ihre Macht nicht zu gebrauchen. General Merveldt geriet mit
einem Teile seines Korps in Gefangenschaft; mtt Mühe wurden die
Reserven dieser Österreicher aus den Auen über die Pleiße rechtsab auf
die offene Ebene hinaufgezogen. Es war die höchste Zeit; denn hier im
Zentrum konnten Kleists Preußen und die Ruffen des Prinzen Eugen
sich auf die Dauer nicht behaupten in dem verzweifelten Ringen gegen
die erdrückende Übermacht, die unter dem Schutze von 300 Geschützen
ihre Schläge führte. Die volle Hälfte dieser Helden von Kulm lag auf
dem Schlachtfelde. Schon glaubt Napoleon die Schlacht gewonnen, befiehlt
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Extrahierte Personennamen: Paul_Gerhardt Gott Marmont August Napoleon Merveldt Eugen Napoleon
326
in der Stadt Sieg zu läuten, sendet Siegesboten an seinen Vasallen
König Friedrich August, der in Leipzig der Entscheidung harrt. „Noch
dreht sich die Welt um uns!" ruft er frohlockend aus. Ein letzter zer-
schmetternder Angriff der gesamten Reiterei soll das Zentrum durchbrechen.
Noch einmal dröhnt die Erde von dem Feuer der 300 Geschütze, dann
rasen 9000 Reiter in geschloffener Masse über das Blachfeld dahin, ein
undurchdringliches Dickicht von Rossen, Helmen, Lanzen und Schwertern.
Da kommen die österreichischen Reserven aus der Aue heran, und während
die Reitermaffen, atemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt
werden, setzen sich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern
fest, und am Abend behaupten sie fast wieder dieselbe Stellung wie am
Morgen. Schwarzenbergs Angriff war gescheitert, doch der Sieger hatte
nicht einmal den Besitz des Schlachtfeldes gewonnen.
Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, so konnte er sein Heer in guter
Ordnung zum Rheine führen; denn die schlesische Armee, die einzige
Siegerin des ersten Schlachttages, stand von der Frankfurter Straße noch
weit entfernt und war überdies schwer erschöpft von dem verlustreichen
Kampfe. Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu
ertragen. Sein Hochmut wollte sich den ganzen Ernst der Lage nicht
eingestehen, wollte nicht lassen von unmöglichen Hoffnungen. Der Kaiser
tat das Verderblichste, was er wählen konnte, versuchte durch den
gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit seinem Schwiegervater anzu-
knüpfen und gewährte also den Verbündeten die Frist, ihre gesammelten
Streitmassen heranzuziehen. Am 17. Oktober ruhten die Waffen; nur
Blücher konnte sich die Lust des Kampfes nicht versagen und drängte die
Franzosen bis dicht an die Nordseitc der Stadt zurück.
Ii.
Am 18. früh hatte Napoleon seine Armee näher an Leipzig heran-
genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Toren
der Stadt entfernt. Gegen diese 160 000 Mann rückten 255 000 Ver-
bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Kaiser
nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Gedanken
an eine Niederlage gewaltsam von sich, versäumte alles, was den schwierigen
Rückmarsch über die Elster erleichtern konnte.
Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, den
Gneisenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen ange-
sehen hatte: die Entscheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten.
Napoleon übersah von der Höhe des Tonbergs, wie die Österreicher auf
dem linken Flügel der Verbündeten abermals mit geringerem Glück den
Kampf um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Zentrum
der Verbündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es
waren die kampferprobten Scharen Kleists und des Prinzen Eugen; über
die unbcstatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden
ging der Heerzug hinweg. Vor der Front der Angreifer lagen langhin-
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_August Friedrich August Napoleon Ernst Napoleon Napoleon Eugen
306
134. Nur ein Schafhirt.
Es war am 12. Oktober 1806. Vor zwei Tagen hatte das Gefecht
bei Saalfeld stattgefunden, in welchem der Prinz Louis Ferdinand gefallen
war. Nun standen die Hauptarmeen der beiden Gegner, Preußen und
Franzosen, sich nahe gegenüber. Nur noch zwei Tage, und die unglück-
liche Schlacht bei Jena und Auerstädt sollte geschlagen werden.
Ein preußisches Armeekorps unter dem Fürsten Hohenlohe, etwa
40000 Mann stark, hatte rechts von der Straße, die von Jena nach
Weimar führt, zwischen den beiden Flüssen Ilm und Saale Aufstellung
genommen. Seine Vorposten befanden sich auf dem Landgrafenberge,
einem steilen Berge, der zwischen diesen Truppen und der Stadt
Jena lag. Von dem Gipfel dieses Berges konnte man das preußische
Heer ganz und gar übersehen, und über ihn führte der einzige Weg, um
es von vorn anzugreifen. Die preußische Hauptarmee stand unter
dem Kommando des Herzogs von Braunschweig. Sie war über 65000 Mann
stark und hatte sich eine Stunde weiter nach Weimar zu aufgestellt. Die
Preußen waren mit gutem Mut, ja mit Übermut in den Kampf gezogen.
Schon wurden die Vorbereitungen zu der großen Schlacht getroffen, die
in zwei Tagen geschlagen werden sollte. Es lag wie eine schwere, drückende
Gewitterschwüle auf der ganzen Gegend. Alle Dörfer ringsum waren
bereits von den Feinden geplündert, und viele von ihren Einwohnern
hatten sich mit einem Teil ihrer Habe und ihres Viehes auf die bewaldeten
Höhen jenseits der Saale geflüchtet.
An einem Bergabhange des linken Saaleufers stand am Nachmittage
des 12. Oktobers ein Mann, der, auf einen Stab gestützt, in das Tal
hinabschaute, durch welches die Straße von Jena nach Naumburg sich
hindurchzieht. Unten war ein buntes, wirres Leben. Soldaten, Pferde,
Wagen drängten einander. Der Mann im blauen, langen Rocke, mit
breitkrempigem, schwarzem Hute und langer Weste war der Schafhirt.
Starr und gedankenvoll ruhte sein Auge auf diesem Treiben. Nur zu-
weilen warf er einen Blick auf die vier oder fünf Schafe neben sich,
und dann zuckte um seinen Mund ein trauriges Lächeln. Noch vor
kurzer Zeit hatte er hier für seinen Herrn eine zahlreiche Herde geweidet.
Diese wenigen Tiere waren alles, was ihm davon übrig geblieben war.
Sie gehörten ihm, und er hatte sich mit ihnen hierher geflüchtet. Der
Abhang des Berges war steil, und er durfte hoffen, daß die Feinde
nicht auf den Berg kommen würden. In dem Dorfe dort unten im
Tale besaß der Schäfer ein Haus. Die Franzosen hatten sich in
diesem einquartiert und ihn daraus vertrieben. Alle Vorräte, die er für
seine Familie und seine Tiere zum Winter gesammelt hatte, waren ihm
genommen worden. Was sollte er nun noch da unten im Dorfe? Er
mochte das Treiben der übermütigen Feinde nicht in der Nähe ansehen.
Seine beiden Söhne standen drüben in dem preußischen Heere, und zu
ihnen eilten seine Gedanken. Wenn er jünger gewesen wäre, er hätte
gern die Waffen zur Hand genommen, um die Frechheit der übermütigen
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Extrahierte Personennamen: Louis_Ferdinand Ferdinand
335
Palisaden starren die Stürmenden an,
sie stutzen; wer ist der rechte Mann?
Da springt von achten einer vor:
„Ich heiße Klinke, ich öffne das Tor!" —
Und er reißt von der Schulter den Pulversack,
Schwamm drauf, als wär's eine Pfeife Tabak.
Ein Blitz, ein Krach, — der Weg ist frei;
Gott seiner Seele gnädig sei!
Gottlob, solchen Klinken für und für
öffnet Gott selber die Himmelstür.
Sieg donnert's. Weinend die Sieger stehn.
Da steigt es herauf aus dem Schlamm der Trancheen;
dreihundert find es, dreihundert Mann,
wer anders als Piefke führte sie an!
Sie spielen und blasen, das ist eine Lust;
mitblasen die Herzen aus voller Brust;
Klarinett' und Trompete, Hoboe und Fagott,
sie spielen: „Nun danket alle Gott!"
Und das ganze Heer, es stimmt mit ein,
und drüber Lerchen und Sonnenschein.
Von Schanze eins bis Schanze sechs
fft alles dein, Wilhelmus Rex;
von Schanze eins bis Schanze zehn,
König Wilhelm, deine Banner wehn.
Gruß euch, ihr Schanzen am Alseuer Sund!
Ihr machet das Herz uns wieder gesund, —
und durch die Lande draußen und daheim
fliegt wieder hin ein süßer Reim:
„Die Preußen sind die alten noch!
Der Tag von Düppel lebe hoch!"
Theodor Fontane.
145. Königgrätz und Sedan.
L
Über die Schlacht bei Königgrätz schrieb König Wilhelm an seine
Gemahlin:
„Horbitz, den 4. Juli 1866.
. . . Die Infanterie ging bis zum Talrande der Elbe vor, wo
jenseits dieses Flusses noch heftiges Granatfeuer erfolgte, in das ich auch
geriet, aus dem mich Bismarck ernstlich entfernte. Ich ritt aber nun
noch immer umher, um noch ungesehene Truppen zu begrüßen. Alle diese
Wiedersehen waren unbeschreiblich, Steinmetz und Herwarth fand ich nicht.
Wie sah das Schlachtfeld aus! Wir zählten 35 Kanonen; es scheinen
über 56 genommen zu sein, auch mehrere Fahnen. Alles lag voller Ge-
wehrs, Tornister, Patronentaschen; wir rechnen bis heute 12000 Gefangene;
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Extrahierte Personennamen: König_Wilhelm Wilhelm Theodor_Fontane Wilhelm Herwarth
337
alle; kein Plündern, sie bezahlen, was sie können, und effen verschimmeltes
Brot. Es muß doch ein tiefer Grund von Gottesfurcht im gemeinen
Mann bei uns sitzen, sonst könnte alles nicht sein. Nachrichten über
Bekannte sind schwer zu haben; man liegt meilenweit auseinander, keiner
weiß, wo der andere, und niemand zu schicken, Menschen wohl, aber
keine Pferde.
Der König exponierte sich am 3. allerdings sehr, und es war sehr
gut, daß ich mit war; denn alle Mahnungen anderer fruchteten nicht, und
niemand hätte gewagt, so zu reden, wie ich es mir beim letztenmal
(welches half) erlaubte, nachdem ein Knäuel von 10 Kürassieren und
15 Pferden vom 6. Kürassier-Regiment neben uns sich blutend wälzte
und die Granaten den Herrn so in unangenehmster Nähe umschwirrten.
Die schlimmste sprang zum Glücke nicht. Es ist mir aber doch lieber so,
als wenn er die Vorsicht übertriebe. Er war begeistert über seine Truppen,
und mit Recht, sodaß er das Sausen und Einschlagen neben sich gar
nicht zu merken schien, und er fand immer wieder Bataillone, denen er
danken und guten Abend sagen mußte, bis wir denn richtig wieder ins
Feuer hineingeraten waren. Er hat aber so viel darüber hören müsien,
Laß er es künftig lassen wird, und Du kannst beruhigt sein; ich glaube
kaum noch an eine wirkliche Schlacht."
H.
Nach der Schlacht bei Sedan richtete König Wilhelm folgenden Brief
an seine Gemahlin, die Königin Augusta:
„Vendresse, südl. Sedan, 3. September 1870.
Du kennst nun durch meine drei Telegramme den ganzen Umfang
des großen geschichtlichen Ereignisies, das sich zugettagen hat! Es ist
wie ein Traum, selbst wenn mau es Stunde für Stunde hat abrollen
sehen!
Wenn ich mir denke, daß nach einem großen, glücklichen Kriege ich
während meiner Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte,
und ich nun diesen weltgeschichtlichen Akt erfolgt sehe, so beuge ich mich
vor Gott, der allein mich, mein Heer und meine Mitverbündeten aus--
ersehen hat, das Geschehene zu vollbringen und uns zu Werkzeugen seines
Willens bestellt hat. Nur in diesem Sinne vermag ich das Werk auf-
zufassen und in Demut Gottes Führung und seine Gnade zu preisen.
Nun folge ein Bild der Schlacht und deren Folgen in gedrängter
Kürze!
Der Kampf begann trotz dichten Nebels bei Bazeilles schon früh am
Morgen, und es entspann sich nach und nach ein sehr heftiges Gefecht,
wobei Haus für Haus genommen werden mußte, was fast den ganzen
Tag dauerte und in welches die Erfurter Division eingreifen mußte. Als
ich um 8 Uhr auf der Front vor Sedan einttaf, begann die große
Batterie gerade ihr Feuer gegen die Festungswerke. Auf allen Punkten
entspann sich nun ein gewaltiger Geschützkampf, der stundenlang währte,
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Añg. Teil. 22
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338
und während dessen von unserer Seite nach und nach Terrain gewonnen
wurde. Die genannten Dörfer wurden genommen.
Sehr tief eingeschnittene Schluchten mit Wäldern erschwerten das
Vordringen der Infanterie und begünstigten die Verteidigung. Die Dörfer
Jlly und Floing wurden genommen, und es zog sich allmählich der Feuer-
kreis immer enger um Sedan zusammen. Es war ein großartiger Anblick
von unserer Stellung auf einer überragenden Höhe hinter jener genannten
Batterie, rechts vom Dorfe Fr6nois! Der heftige Widerstand des Feindes
fing allmählich an nachzulassen, was wir au den aufgelösten Bataillonen
erkennen konnten, die eiligst aus den Wäldern und Dörfern zurückliefen.
Die Kavallerie suchte einige Bataillone unseres 5. Korps anzugreifen, die
vortreffliche Haltung bewahrten; die Kavallerie jagte durch die Abstände
der Bataillone durch, kehrte dann um und auf demselben Wege zurück,
was sich dreimal von verschiedenen Regimentern wiederholte, sodaß das
Feld mit Leichen und Pferden besäet war, was wir alles von unserm
Standpunkte genau mit ansehen konnten. Ich habe die Nummer dieses
braven Regiment- noch nicht erfahren können.
Da sich der Rückzug des Feindes auf vielen Stellen in Flucht auf-
löste und sich alles, Infanterie, Kavallerie und Artillerie, in die Stadt
und nächste Umgebung zusammendrängte, aber noch immer keine An-
deutung sich zeigte, daß der Feind sich durch Ergebung aus dieser ver-
zweifelten Lage zu ziehen beabsichtigte, so blieb nichts übrig, als durch die
genannte Batterie die Stadt beschießen zu lassen; da es nach 20 Minuten
ungefähr an mehreren Stellen bereits brannte, was mit den vielen
brennenden Dörfern in dem ganzen Schlachtkreise einen erschütternden Ein-
druck machte — so ließ ich das Feuer schweigen und sendete den Oberst-
leutnant von Bronsart vom Generalstabe als Unterhändler mit weißer
Fahne ab, der Armee und Festung die Kapitulation antragend. Ihm be-
gegnete bereits ein bayrischer Offizier, der mir meldete, daß ein französischer
Parlamentär mit weißer Fahne am Tore sich gemeldet habe. Der Oberst-
leutnant von Bronsart wurde eingelassen, und auf seine Frage nach dem
General en chef ward er unerwartet vor den Kaiser geführt, der ihm
sofort einen Brief an mich übergeben wollte. Da der Kaiser fragte, was
für Aufträge er habe, und zur Antwort erhielt: „Armee und Festung
zur Übergabe aufzufordern", erwiderte er, daß er sich dieserhalb an den
General v. Wimpffen zu wenden habe, der für den blesfierten Mac Mahou
soeben das Kommando übernommen habe, und daß er nunmehr seinen
General-Adjutanten Reille mit dem Briefe an mich absenden werde. Es
war 7 Uhr, als Reille und Bronsart zu mir kamen; letzterer kam etwas
voraus, und durch ihn erfuhren wir erst mit Bestimmtheü, daß der Kaiser
anwesend sei. Du kannst Dir den Eindruck denken, den es auf mich vor
allem und alle machte; Reille sprang vom Pferde und übergab mir den
Brief seines Kaisers, hinzufügend, daß er sonst keine Aufträge habe. Noch
ehe ich den Brief öffnete, sagte ich ihm: »Aber ich verlange als erste
Bedingung, daß die Armee die Waffen niederlege.« Der Brief fängt so
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273
Am enteren ^aferccmde.
Es ist das kleinst« Vaterland
der größten Liebe nicht zu klein;
je enger es dich rings umschließt,
je näher wird's dem Kerzen frin.
83. Müller.
121. Zachsrnlied.
Ven König segne Gott,
den er zum Heil uns gab,
ihn segne Gott!
Ihn schmücke Ruhm und Ehr',
ihn fiieh der Schmeichler Heer!
Weisheit steh' um ihn her,
ihn segne Gott!
wie Kinder liebt er uns
als Vater seines Volks,
er unsre Lust,
wir sollen glücklich sein,
von uns geliebt zu sein,
kann nur sein Herz erfreun;
ihn segne Gott!
Gib ihm gut Regiment,
dem Lande Fried' und Ruh',
den Waffen Sieg!
Er ist gerecht und gut
in allem, was er tut,
schont seiner Sachsen Blut;
ihn segne Gott I
Auf, biedre Sachsen, schwört,
dem König treu und fromm
und gut zu sein!
Eintracht sei unser Band I
Dies schwöret Hand in Hand!
Dann singt das ganze Land:
Ihn segne Gott!
122. Kronprinz Albert und das Königlich Sächsische
Armeekorps in den Jahren 1870 und 1871.
Unter den großen Feldherren, welche die deutschen Truppen im Kriege
von 1870 bis 71 von Sieg zu Sieg führten, steht Kronprinz Albert
von Sachsen mit obenan.
Als Befehlshaber des sächsischen Heeres fand er am 18. August 1870
in der blutigen Schlacht bei Gravelotte zuerst Gelegenheit, seine treffliche
Begabung als Feldherr aufs glänzendste zu bewähren und die große
Kriegstüchtigkeit und hervorragende Tapferkeit seiner Truppen im hellsten
Lichte zu zeigen.
Schon früh um 53/4 Uhr waren sie durch Mars -la-Tour gezogen
und hatten den linken Flügel der großen Armee eingenommen. Gegeu
Ivi% Uhr führte der Kronprinz seine Truppen gegen das Dorf St. Marie
aux Chenes, das von den Franzosen mit furchtbarer Wut verteittgt wurde.
Sieben Bataillone wurden zum Angriff bestimmt; ohne das feindliche
Feuer zu erwidern, gingen diese im Verein mtt preußischen Garden
nach 3 Uhr unverweilt zum Laufschritt über und stürzten sich mit weithin
schallendem Hurraruf dem Ziel entgegen. Die Verteidiger vermochten dem
ungestümen Andränge nicht standzuhalten; sie ließen diesen wichtigen Puntt
dem Angreifer, der noch einige hundert Mann zu Gefangenen machte.
Aber die schwerste Arbeit war noch zu tun. Es galt, die Hauptstellung
des Feindes, das Dorf Sr. Privat, zu erstürmen. Während die preußischen
Garden von Westen her den Feind beschäftigen, zog Kronprinz Albert seine
Lesebuch s. Fortbildungsschulen rc. Mg. Teil. Hz
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Extrahierte Personennamen: Albert Albert
von_Sachsen August Marie
aux_Chenes Kronprinz_Albert
274
Truppen mehr nach Norden, um das Dorf Roncourt anzugreifen. Mafor
von Bosse nahm dieses Dorf mit dem Regiment Nr. 107, und nun erst
war es möglich, das ganze Korps gegen St. Privat aufzustellen und
zum Angriff vorzugehen. Vor diesem Dorf zeigte sich ein kahler, sanft
ansteigender Hang, über den sich quer hintereinander liegende Feld-
mauern zogen, die von französischer Infanterie stark besetzt waren. Die
Franzosen empfingen die Anstürmenden mit Massenfeuer, das die Deutschen
reihenweise niederstreckte. Einen Augenblick wankten die stark gelichteten Reihen;
aber unter dem ermunternden Zurufe der Offiziere wurde der Anlauf
sogleich wieder fortgesetzt. Bis zum letzten Augenblicke hielt der tapfere
Feind stand, dann aber räumte er die Stellung. Die sächsischen Bataillone
sammelten sich hier nach einem 500 Schritt langen Sturmlaufe, um Atem
zu schöpfen; denn noch waren sie 300 Schritt vom eigentlichen Ziel entfernt.
Kronprinz Albert hatte hinter den Stürmenden 84 Kanonen auffahren laffen,
welche, mit 60 preußischen Kanonen vereint, St. Privat unter Feuer
nahmen. Mauern und Gebäude stürzten unter den einschlagenden Granaten
zusammen, und Feuersäulen stiegen an mehreren Stellen aus den Trümmern
des Dorfes empor. Da erließen die deutschen Führer den Befehl zum
Sturm. Auf das gegebene Zeichen werfen sich bei untergehender Sonne
die preußischen und sächsischen Bataillone auf das so lang und zäh ver-
teidigte Bollwerk des Feindes. Überall rufen die Trommeln und Hörner
zum Laufschritt, die voraneilenden Offiziere und die wehenden Fahnen,
von denen einige ihre Träger schon fünfmal gewechselt haben, zeigen der
Mannschaft den Weg, und fast gleichzeitig erreichen im Norden und
Nordwesten die Sachsen, im Westen und Süden die Garden das brennende
Dorf. Da entbrennt ein fürchterlicher Kampf. General von Craushaar
fällt an der Spitze seiner Truppen, nur wenige Führer bleiben unversehrt;
endlich wird die Kirche erstürmt, und um 8 Uhr abends sind die Deutschen
Sieger. Mit der Einnahme von St. Privat war die Niederlage der
Franzosen auf dieser Stelle entschieden. In Auflösung eilten sie dein
Moseltale zu und schloffen sich in die Festungswerke von Metz ein, die
sie nur als Gefangene wieder verließen. Das Xii. Korps hatte seinen
Ehrentag mit dem Verluste von 106 Offizieren und 2113 Mann erkauft,
die teils verwundet, teils getötet waren.
Wie die Sachsen bei Gravelotte den preußischen Garden zur Seite
standen, so zeigten sie sich bei Sedan den Bayern als treffliche Helfer.
Über La Moncelle rückten sie vor, vertrieben hier den Feind und lenkten
die Angriffe der Franzosen, welche Bazeilles bedrängten, auf sich. Der
Feiud leistete heftigen Widerstand; aber der ungestümen Tapferkeit der
nebeneinander kämpfenden Bayern, Sachsen und preußischen Garden
konnte er nicht widerstehen; die Franzosen waren genötigt, sich nach Sedan
zu flüchten. Infolge seiner großen Verdienste schmückte König Wilhelm den
tapferen Kronprinzen mit der höchsten militärischen Würde: Kronprinz Friedrich
Wilhelm, Kronprinz Albert und Prinz Friedrich Karl wurden Feldmarschälle
des deutschen Bundesheeres.
Bei der Belagerung von Paris befehligte Kronprinz Albert die Hi. Armee.
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen]]
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Extrahierte Personennamen: Albert Wilhelm Friedrich
Wilhelm Friedrich Wilhelm Albert Friedrich_Karl Friedrich Karl Albert
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Sachsen Sedan Sachsen Sedan Paris
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ihnen über Nacht bleiben. Wohl waren die Nächte schon kalt und feucht
geworden; aber Born war von Jugend auf an Wind und Wetter gewöhnt
und hatte schon in kälterer Zeit manche Nacht im Freien zugebracht. Der
Abend brach herein und stiller wurde es auf den Bergen. Um so lauter
schallte das Geräusch aus dem Tale herauf. Da rollten die Wagen und
die Kanonen, es dröhnten die Hufschläge der Pferde, und oft erklangen
Trommelschlag und laute Stimmen. Der Schäfer hörte lange zu. Dann
setzte er sich zur Erde und lehnte sich an einen Baum. Neben ihm
lagerte sich sein treuer Hund und die kleine Herde. So schlief er
endlich ein.
Der 13. Oktober brach an. Der Herzog von Braunschweig hatte
seine Armee geteilt. Der Hauptteil zog mit dem Könige von Preußen
bei Tagesanbruch nach Sulza und kam am Abend jenes Tages auf
den Höhen von Auerstädt an. Der Fürst Hohenlohe war mit den
Truppen, die er befehligte, auf den Bergen zwischen Weimar und Jena
zurückgeblieben. Leider dehnte er seine Armee über eine Länge von sechs
Stunden aus und vergaß es, den wichtigsten und höchsten Punkt der
ganzen Stellung, den Landgrasenberg, zu besetzen. Napoleon hatte mit
scharfem Feldherrnblick diesen Fehler sogleich bemerkt. Ein Teil seiner
Truppen besetzte den Berg, den er selbst bestieg. Von hier aus konnte
er die ganze Stellung des preußischen Heeres beobachten und seinen
Schlachtplan für den folgenden Tag entwerfen. Noch aber fehlten ihm
die Reiterei und die Artillerie, und ohne beide konnte er die Schlacht
nicht wagen. Man hatte vergebens alles mögliche aufgeboten, um sie an
den hohen und steilen Abhängen des Landgrafenberges hinauszuschaffen.
Es war unmöglich, wenn man nicht einige Tage darüber verlieren wollte.
Selbst die Infanterie hatte die größte Mühe gehabt, auf den schmalen
und steilen Pfaden den Berg zu erklimmen.
Am Morgen stand auch der Schafhirt wieder an dem Abhange des
Berges, um seine Tiere zu weiden. Sein erster Blick war in das Tal
hinab gewesen. Es leuchtete wie Freude auf dem ernsten Angesichte, als
er die zahlreichen Geschütze und die Reiterei der Franzosen unten sah.
Es war also noch nicht gelungen, diese den Berg hinauszuschaffen, und
er jubelte darüber in seinem Herzen. „Wenn der Feind den Weg wüßte,"
sprach er vor sich hin, „der dort auf die Höhe führt! Aber er weiß
ihn nicht und wird ihn nicht finden. Es weiß ihn ja kaum jemand
außer mir. Fast scheint es unmöglich, den Berg hinaufzukommen. Und
doch bin ich früher mehr als einmal auf dem Wege nach seinem Gipfel
geritten."
Wieder kam der Mann, der ihn am Tage zuvor überrascht hatte,
zu dem Schäfer herab. Dieser sah ihn finster und befremdet an und
rief endlich: „Ihr sagtet ja gestern, daß ihr nach Naumburg gehen
wolltet."
„Das war auch mein Wille", sprach Sielert. „Aber die Wege sind
alle wie versperrt, und es ist nicht möglich, hindurchzukommen. Ich
habe übrigens gestern noch ein gutes Geschäft gemacht, von dem ich schon
eine Zeit lang leben kann."
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gütigen und freundlichen Worten zu. Er sollte nur mit einem einzigen
Winke seiner Hand die Richtung bezeichnen, in welcher der gesuchte Weg
lag. Dann sollte er augenblicklich freigelassen und reichlich belohnt werden.
Born schwieg auch diesem Zureden gegenüber. Seine Hände wurden
ihm auf den Rücken gebunden, und so führte man ihn den Abhang des
Berges hinab. Drei Soldaten luden vor seinen Augen die Gewehre. Er
wußte, was es bedeutete, und wandte sich ab. Eine halbe Stunde Zeit
war ihm noch vergönnt, um sich zu besinnen.
Eine Minute nach der anderen verging. Born betete still und
inbrünstig, während seine Lippen sich unmerklich bewegten. Und das
Gebet gab ihm neue Kraft, neuen Mut, Frieden und Freude. Eine stille,
heitere Ruhe legte sich auf sein Angesicht und glänzte aus seinen Augen.
Endlich war die bestimmte Zeit verflossen. Der Offizier trat zu dem
Schäfer und fragte ihn, ob er jetzt den Weg zeigen wollte. Ein schweigen-
des Schütteln seines Kopfes war die einzige Antwort, die er auf diese
Frage gab. Der Offizier sah ihn einen Augenblick teilnehmend und mit-
leidig, aber doch auch mit stiller Bewunderung an. Dann gab er den
Soldaten einen Wink, und sie nahmen ihre Gewehre zur Hand. Mau
verband dem Schäfer die Augen und stellte ihn an einen Baum. Auf
Kommando traten die Soldaten an. Noch einmal wiederholte er seine
vorige Frage. Ja, er legte sie ihm zögernd sogar zum dritten Male vor.
Schweigend, aber fest verneinend schüttelte Born das Haupt. Da ertönte
das furchtbare Kommandowort: „Feuer!" Drei Blitze fuhren aus den
Gewehren, drei Schüsse hallten zugleich an den gegenüberliegenden Bergen
wider. Ohne einen Laut sank der wackere Hirt zusammen. Er war
gut getroffen worden, es zuckte keine Muskel auf seinem Gesichte. Die
Soldaten ließen den Leichnam liegen und kehrten in das Lager zurück.
Es war ja Krieg, was hatte da ein einzelnes Menschenleben zu bedeuten?
Leider fand sich bald darauf doch noch ein Verräter, der den Feinden den
Weg zum Landgrasenberg hinauf zeigte. Napoleon ließ in der Nacht
Geschütze hinaufbringen, und als der 14. Oktober anbrach, war die
Schlacht bei Jena so gut wie entschieden, ehe noch der Kamps begonnen
hatte. Das preußische Heer wurde gänzlich geschlagen und in die wildeste
Flucht auseinander gesprengt.
Auf den Feldern von Jena begannen die sieben Jahre preußischer
Not und Schmach, bis sie endlich durch Gottes Gnade in den glorreichen
Tagen der Befreiungskriege wieder übertvunden wurden.
Kein Geschichtsbuch erzählt den Heldentod des braven Schäfers. Nur
einzelne Landleute in der Gegend von Jena wissen noch heute davon za
berichten. Niemand kennt sein Grab. Von seiner Tat redet kein glänzendes
Denkmal. Er war nur ein armer Schafhirt; aber er ist getreu gewesen
bis zum Tode. Darum soll seines Namens nie und nimmer vergessen
werden! Wilh. Ztethe.
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