1855 -
Hamburg
: Kittler
- Autor: Kröger, Johann Christoph
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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welches sich hatte locken lassen ihm beizutreten, sah den Schaden ein und milderte
die Strenge; die Beraubung des verwandten Herzogs von Oldenburg, die Ausdeh-
nung des.französischen Reiches an die Ostsee, widerrechtlich und gegen frühere Ver-
heißungen, zeigten dem Kaiser von Rußland, wie wenig Umstande Napoleons Ueber-
muth mache, und daß er nur seinen'willen, nicht das Recht als Gesetz anerkenne. —-
Für diesen Widerspruch sollte Rußland gezüchtigt, der letzte selbstständige Staat auf
dem festen Lande niedergeworfen werden; Napoleon rüstete sich 1812 zum Kriege.
Ein Heer von mehr als einer halben Million Menschen aus allen Landern von Eu-
ropa, geübt durch lange Praxis in ihrem blutigen Gewerbe, mit 12 bis 1300 Ka-
nonen aufs Beste versehen und von den erfahrensten Generalen geführt, ging am
24. und 25. Juni 1812 über den russischen Grenzfluß Niemen. Beim rechten
Flügel befanden sich 40,000 Oesterreicher mit dem Fürsten von Schwarzenberg, beim
linken, welcher zugleich Petersburg bedrohte, 30,000 Preußen unter Macdonald,
Oudinot und dem preußischen General Kork, während das Hauptheer von 240,000
Mann, bei welchem Napoleon, Ney, Davoust, Mortier, Eugen und Muratbefehligten,
auf Moskau rückte. Die preußischen Generäle und Minister Phull und Knesebeck
(in geheimem Auftrage des Königs), Scharnhorst und Müffling, Elausewitz, Stein,
Vollzogen rc. waren nach Petersburg gegangen. Sie waren es, welche laut den
neuesten Denkschriften, auf kräftige Maßregeln der Friedenspartei gegenüber, drangen
und den Feldzugsplan entwarfen, der den Russen „Raunt und Zeit" zu Alliirten an-
wies und die Franzosen durch diesen, auf die Verhältnisse berechneten Plan schlug.
Die Russen hatten ihre Mannschaften noch nichtgehörig zusammen, sondern erst
180,000 Mann; ein Heer stand noch gegen die Türken und konnte erst später her-
beigezogen werden; daher wichen sie überall zurück, so begierig auch Napoleon war,
mit einer Hauptschlacht den Krieg, wie er glaubte, beendigen zu können. Eilig
rückten die Franzosen nach, um die Russen irgendwo fest zu halten, zu überflügeln,
abzuschneiden, und erreichten nach blutigem, unentschiedenem Gefechte Smolensk.
Im russischen Lager fordete man, diese erste, wichtige Stadt Altrußlands nicht ohne
Kampf dem Feinde zu überlassen, und der Oberfeldherr Barclay de Tolly nahm
auch hier eine Stellung, in der er zu Napoleons Freude eine große Schlacht an-
nehmen zu wollen schien. Eine solche hatte Napoleon auch darum nöthig, weil
seine alte Weise, sich in Feindes Land ernähren zu lassen, bereits verderblich gewor-
den war, weil die Russen Alles verwüsteten und die Franzosen selbst plünderten
und raubten: Mangel und Krankheit rissen bereits ein. Der russische Feldherr
ließ zwar die Stadt hartnäckig vertheidigen, aber als die Franzosen am 17. August
mit einem Verluste von 13,000 Todten und Verwundeten die Vorstädte genommen
hatten, loderte sie in Flammen auf, und der schlachteifrige Napoleon fand am an-
dern Morgen keinen Feind mehr; ein ähnliches Schicksal hatten die Städte Doro-
gobusch, Miasma, Gyatsk am 26. und 29. Aug. und I.sept. Barclay de Tolly wollte
dem Plane gemäß nicht das Schicksal des Reiches auf eine Schlacht setzen, sondern
die Franzosen immer tiefer in das weite Land hinein locken, sie von ihren Hülfs-
quellen entfernen, ihnen die Subsistenzmittel entziehen, sie unaufhörlich beunru-
higen; Mangel, schlechte Witterung und der rauhe Winter mußten sie dann besie-
gen. Das sah jedoch der große Haufe des Volkes nicht ein, daher wurde der Ober-
befehl über die nunmehr mit dem Heere vereinigte Armee des Fürsten Ba-
gration, dem alten Russen Kutusow übergeben. Die Klugheit hätte den Fran-
zosen geboten, bei Smolensk stehen zu bleiben, sich mit Schwarzenberg und
Macdonald wieder in Verbindung zu setzen; allein Napoleon hoffte, in Moskau's
Besitz den Winter bequem hinbringen und dem dadurch erschreckten Alexander den
Frieden vorschreiben zu können. Kutusow bekam den Befehl, die Hauptstadt zu
decken, und so erfolgte am 6. und 7. September die blutige Schlacht bei Borodino
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unweit der Moskwa, 180,000 Russen gegen 200,000 Franzosen. Beide Theile schrie-
den sich nach einem furchtbaren Gemetzel den Sieg zu; diewürtemberger opfern sich
zur Rettung Murats und erhalten keinen Dank, der Verlust der Franzosen war
größer als der der Russen, aber diese hatten einen Theil ihrer Verschanzung ver-
loren und mußten sich deshalb zurückziehen, und weil die zur Deckung Moskaus
aufgeworfenen Festungswerke bei dem unerwartet schnellen Einbruch der Franzosen
noch nicht vollendet waren, so mußte auch Moskau Preis gegeben werden, welches
der größte Theil der Einwohner mit ihrer beweglichen Habe, öffentlichen Kassen und
Vorräthen verließen. Die Franzosen drängten eifrig nach und die Vorhut sah am
14. September Nachmittags 2 Uhr von der letzten Anhöhe Moskau vor sich liegen,
welches mit den vergoldeten Kugeln und Kuppeln ihrer 295 Kirchen von den Strah-
len der Sonne erleuchtet in tausendfältiger Farbenpracht ihnen entgegenglänzte.
Vor Staunen bei diesem Anblick blieben sie stehen und riefen vor Freude: „Moskau,
Moskau!" wie der Seefahrer nach langer, mühseliger Fahrt: Land, Land! ruft.
Auch Napoleon war herbeigeeilt: vor Entzücken blieb er stehen und äußerte laut
seine Freude. Zn dieser Hauptstadt sah er das ganze russische Reich, ihre Mauern
schlossen seine ganze Hoffnung in sich: den Frieden, die Kriegskosten, unsterblichen
Ruhm und Weltherrschaft. Der Erfolg schien jetzt in den Augen der Menge Alles zu
rechtfertigen! Die Unternehmung, in welche er sich tollkühn hineingewagt, galt
nun als Frucht einer tiefen Weisheit, seine Unbedachtsamkeit wird seine Größe, sein
unvollkommner Sieg an der Moskwa scheint seine schönste Waffenthat: die seit dem
letzten Kampf unzufriedenen Marschälle huldigen seinem Glück und seinem Geiste,
die Soldaten drängen sich mit Lebehoch an ihn und vergessen ihre Beschwerden! —
Napoleon wartete jetzt auf eine Deputation, welche, nach seiner Meinung, Unter-
werfung geloben und die Gnade des Siegers anstehen werde, aber vergebens; schon
war die Vorhut bis an die Vorstädte gelangt, Niemand erschien. Die Beängstigung
des Kaisers, die Ungeduld der Soldaten wuchs wie der Tag verstrich; noch immer
blieb Moskau düster, schweigsam, leblos. Da kam die Nachricht, die Stadt sei von
den Einwohnern verlassen! Zornig wies er sie von sich, befahl Murat einzurücken
und ihm die Bojaren zu bringen, von denen er glaubte, daß sie starr aus Stolz
oder vor Schrecken sich in ihre Wohnungen eingeschlossen hätten. Man griff fünf
bis sechs Vagabunden, die der Gouverneur Nostopschin mit andern aus den Gefäng-
nissen freigelassen, auf, und die Antworten derselben überzeugten ihn bald, daß er
sich getäuscht habe. Immer tiefer drangen die Franzosen in die riesenhafte Stadt
ein, hörten mit einer Regung geheimen Schauders den Hufschag ihrer Pferde mit-
ten unter diesen verlassenen Palästen widerhallen, und Entsetzen wandelte sie an,
wenn sie mitten unter den zahllosen Wohnungen nichts als sich selbst vernahmen.
Nur in der Citadelle der Stadt, im Schlosse Kremlin, fand Murat einen trunknen
Haufen, den er halb mit Güte, halb mit Gewalt verdrängte. Erst mit einbrechen-
der Nacht zog Napoleon in die Stadt ein, blieb in den ersten Häusern der Vorstadt
und befahl die strengste Mannszucht. Die Nacht war düster, Unglück verkündende
Berichte folgten rasch auf einander. Es kamen Offiziere, in Moskau wohnhafte
und bei dem allgemeinen Auszuge zurückgebliebene Franzosen und inesbeten, im reich-
sten Quartiere der Stadt sei Feuer ausgebrochen. Man suchte zu löschen, und Na-
poleon machte den Soldaten Vorwürfe, weil er den Brand ihrer Verwahrlosung
zuschrieb; allein man zeigte ihm dicht verschlossene, unversehrte Häuser, aus denen
schwarzer Qualm hervorstieg. In Gedanken versunken, begab er sich am Morgen
in den Kremlin, wo er wohnen wollte. Beim Anblick dieses alten Palastes der
Rurick und Romanow, geziert mit dem Riesenkreuze des großen Iwans, von wel-
chem man den schönsten, von den Flammen verschonten Theil der^ Stadt übersehen
konnte, erwachten alle seine Hoffnungen wieder. Sein Ehrgeiz fühlt sich geschmei-
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sehen und rasenden Geberden die Thore, und öffneten sie erst als die Kaisergarde
herbeikam. Diesen wurden die vorschriftsmäßigen Rationen ausgetheilt; aber von
der Masse der Nachzügler gingen die meisten leer aus und starben vor den Thüren
der Magazine, die sie vergebens bestürmten; ordentliche Quartiere waren in der
verbrannten Stadt eben so wenig zu finden. Napoleon blieb hier bis zum
14. November, um die Nachhut zu erwarten, und zog dann weiter; 20,000 Russen,
welche die Straße verlegt hatten, fügten den einzelnen Abtheilungen großen Verlust
zu. Die große Armee, sagt Segur, bestand jetzt nur noch aus 50,000 Mann, von
denen nur 8000 Garden und 6000 andere Soldaten gehörig bewaffnet waren; nur
25 Kanonen waren noch vorhanden. Als am 21. November alte Truppenabiheilun-
gen endlich vereinigt waren, belief die Zahl der Kampffähigen sich auf 45,000 Mann.
Mit ihnen eilte Napoleon der Berestna zu, denn der russische General Tschitscha-
goff, mit seiner bisher gegen die Türken gebrauchten Donau-Armee, vereint mit
Wittgenstein, droheten, nachdem sie Schwarzenberg zum Rückzüge über den Bug
gebracht, den Uebergang streitig zu machen und die Franzosen gänzlich abzuschnei-
den. Und wirklich schien die letzte Stunde der Armee herangekonimen zu sein,
denn als sie den nur 1200 Schritt breiten Fluß erreichten, hatten die Russen das
jenseitige Ufer besetzt, und wäre der alte Kutusow energischer verfahren, oder hatte
ein Suwarow, Bagration, Miloradowitsch u. A. das Heer geführt, so wäre Napo-
leon, wenn nicht schon früher, doch wenigstens hier, Gefangner geworden und hätte
den Kremlin doch nicht als Sieger wieder gesehen. Aber sein Glück rettete ihn noch
diesmal. Die Russen ließen sich von Napoleon durch Juden, die für Geld auf beiden
Seiten die Spione machten, über den wahren Uebergangspunkt täuschen und hiel-
ten einen Uebergang bei Studienka für eine Finte, zogen dort weg und an die Be-
resina hinab. — In der Nacht vom 26. zum 27. Nov. ließ Napoleon zwei Brücken bei
Studienkaschlagen, denn das Thauwetter der vorigen Tage hatte den Fluß um mehrere
Fuß angeschwellt, so daß die Furth, durch welche die Infanterie im Nothfall ihren
Weg hätte nehmen können, selbst für die Reiterei zu tief war. Die Pioniere muß-
ten die ganze Nacht bis an die Brust in Wasser und Morast arbeiten, aber die seit
gestern wieder eingetretene Kälte hatte scharfe Eisschollen gebildet, welche zweimal
Alles zertrümmerten. Die Noth stieg auf's Höchste, denn kam der Tag, und die
Russen, welche über Borisow marschirt waren, merkten die Absicht, so wäre die
Arbeit in Kurzem zertrümmert worden. Endlich waren die Brücken vollendet. Es
begann der Uebergang, und wäre Ordnung gewesen, so würden die Russen zu spät
gekommen sein; man durfte hoffen vor Mitternacht den größten Theil der Bagage
und der Verwundeten in Sicherheit zu sehen. Der Abend brach an, es rückte der
Zug der Fuhrwerke langsam vorwärts; aber schon war ein Getümmel von Men-
schen, Pferden, Wagen und Schlitten, welches sich mit jeder Minute vermehrte, als
nun Borisow in Flammen stand und der Donner der Kanonen verrieth, wie die
Nachhut unter Victor mit den Russen im Kampfe sich befinde, suchte Jeder in über-
stürzender Hast die Brücke zu gewinnen, auf welche die Wagen von drei Seiten zu-
getrieben wurden. Diese fuhren gegen einander, daß Räder und Achsen zerbrachen;
mit Wuth warfen sich die Nachsetzenden auf die, welche ihnen den Nettungsweg
versperrten; in wilder Eile jagten andere über die Trümmer und verfuhren sich
ebenfalls in einander. Menschen und Pferde stürzten über einander; fürchterliches
Geschrei und Toben erscholl von allen Seiten. Vergebens sprengte die Cavallerie dazwi-
schen, aber selbst Säbelhiebe fruchteten nicht. —• Plötzlich vernahm man ein dum-
pfes, donnerndes Krachen und gleich darauf zerriß ein Schrei des Entsetzens die
Lüfte und ein erstarrendes Grausen fesselte Brust und Lippe, als man die Brücke
unter ihrer Last und dem Andränge der Eisschollen sinken sah. Die Nachfolgen-
den ahneten jedoch nichts davon; sie drängten mit rasender Verblendung nach und
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ländern näher zu kommen, welche gleichfalls etwas zurückgingen. Napoleon schickte
den Preußen Grouchy nach und hoffte nun mit Wellington bald fertig zu werden.
69. Die Schlacht bei Belle-Alliance. (Nach Varnhagen.)
Wellington hatte zum 17. Juni 1815 früh sein Heer bei Quatre-Bas zusammen-
gezogen, und dachte den Feind diesen Tag in Gemeinschaft mit Blücher anzugreifen,
von dessen Rückzug er noch nichts erfahren hatte; seine Offiziere, die seine Vorschläge
deßhalb an Blücher bringen sollten, fanden auf der Straße von Quatre-Bras nach
Sombref den Feind, und erfuhren, daß ein Adjutant Blüchers in der Nacht auf dieser
Straße getödtet worden war. Nach zufällig erlangter Gewißheit über den Ausgang
der Schlacht von Ligny und den Rückzug Blüchers nach Wavre, sah Wellington sich bei
Quatre-Bras dem Angriffe der gesammten Macht Napoleons ausgesetzt, und beschloß
daher gleichfalls abzuziehen, um wieder mit Blücher näher zusammen zu stehen; ob
dieser in der nächsten Zeit im Staude sein würde, eine zweite Schlacht zu liefern, war
völlig ungewiß. Im Verueiuungöfalle wurde ein weiterer Rückzug gegen Antwerpen
nöthig, und Brüssel mußte dem Feinde überlassen werden. Jedoch schon um 9 Uhr Mor-
gens empfing Wellington von dem unverzagten Blücher auswavre eine Botschaft, worin
derselbe zum neuen Angriffe nur so viel Zeit verlangte, als nöthig sei, seinen Truppen Pa-
tronen und Lebensmittesauszutheilen. Hierauf zog Wellington im Laufe des Tages in die
Stellung von Mont-St.jean zurück, vorwärts von Brüste', vor dieser Stadt nur durch
den Wald von Soignes getrennt. Hier wollte Wellington das Heer Napoleons zur
Schlacht erwarten, so ließ er Blüchern wissen, im Fall dieser versprechen könnte, mit
zwei preußischen Heertheilen zur Unterstützung einzutreffen; Blücher antwortete, nicht
mit zweien Heertheilen nur, sondern mit seinem ganzen Heere werde er am 18. über
St. Lambert heranrücken, uman diesem Tage den Angriff Napoleons mit zu bestehen,
oder denselben am folgenden Tage mit Wellington vereint selbst anzugreifen. Daß
Wellington anfänglich den Vorschlag gemacht habe, die Preußen sollten hinter seinem
Heere weg sich auf diestraße von Nivellesziehen, und den rechten Flügel der Schlacht-
ordnung bilden, gerade so wie dies ehemals derkronprinz von Schweden in den Ta-
gen vor der Schlacht beileipzig verlangt hatte, ist völlig ungegründet; seinem Sinne
lag es fern, dem Mitkämpfer das Schwierigere oder Gefährlichere aufbürdenzu wol-
len, seine seldherrliche Gesinnung war vielmehr zu jeder Verläugnung und Aufopfe-
rung bereit: hierin wetteiferte mit ihm Blücher, der gleichfalls willig jedes Schwerste
auf sich nahm, und nur einzig sorgte, die Schlacht möchte verzögert, ein weiterer
Rückzug angeordnet werden. Zwischen den beiden Feldherren wurden die näheren
Verabredungen genommen, und demnach alles für den nächsten Tag vorbereitet.
Blücher befahl, die Truppen sollten vor ihm in Parade vorbeimarfchiren, um Sinn
und Gemüth in Uebung strenger Genalligkeit und im Stolze kriegerischer Haltung
von den Eindrücken der letzten Unfälle vollends zu reinigen.
Napoleon hatte am 17. früh das Schlachtfeld von Ligny beritten, und, nach-
dem er in Erwartung näherer Angaben, welche seinen Entschluß bedingen möchten,
lange gezögert, gegen Mittag den Marschall Grouchy mit den Heertheilen von Van-
damme und Gérard und der Reiterei der Generale Pajol und Ercelmans, zusammen
über 32,000 Mann, von Ligny zur Verfolgung der Preußen abgesendet, wandte er
sich dann mit seiner Hauptstärke links nach Quatre-Bras, um nun auch die Englän-
der heftig anzugreifen. Diese hatten blos eine starke Nachhut dem Marschall Ney
gegenüber zurückgelassen, die den Feind verzögerte, doch ohne den Angriff selbst ab-
zuwarten, sondern in der Richtung von Brüssel abzog. Dahin folgte Napoleon mit
allen seinen Truppen voll Eifer und mit größter Anstrengung. Es hatte die Nacht ge-
regnet, und regnete immerfort, der Boden war bald völlig durchweicht, die schwarze
Erde löste sich in zähe Flüssigkeit auf, und mit unsäglichen Belchwerden kam das
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Heer, auf der schlammigen Straße, und in den alsbald unter den Hufen der Pferde
grundlos gewordenen Getraidefeldern, nur langsam fort. Bei Gemappe hielt die eng-
lische Reiterei ernstlich Stand, und setzte erst nach hitzigem Gefecht ihren Rückzug fort.
Erst am Abend gelangte der französische Vortrab an die englische Stellung vonmont-
St. Jean, die sogleich, aber vergeblich angegriffen wurde. Die Nacht brach herein,
und machte dem Gefecht ein Ende. Furchtbare Regengüsse strömten diese Nacht vom
Himmel; die Truppen litten unbeschreiblich, die Tritte versanken in Koth, Geschütz
und Wagen schienen kaum fortzubringen. Am folgenden Morgen, den 18. Juni, waren
die Franzosen sehr überrascht, den Feind, welchen sie unter Begünstigung der Nacht
über Brüssel hinaus abgezogen glaubten, unverrückt in derselben Stellung, wie am
vorigen Abend, vor sich zu finden. Napoleon mußte bald erkennen, daß Wellingtons
ganzes Heer auf der Anhöhe von Mont-St. Jean schlagfertig ihm gegenüber hielt. Der
rechte Flügel, von Lord Hill befehligt, stand rechts der Straße von Nivelles, und er-
streckte sich in der Richtung von Braine-la-Leude. Die Mitte, unter dem Prinzen von
Oranien, hielt die Strecke zwischen den beiden Straßen von Nivelles und voncharle-
roy, und, vorwärts dieser Stellung, rechts das Vorwerk Hougomont in einem Wäld-
chen, und links den Maierhof la Haye-sainte besetzt. Der linke Flügel, unter demge-
neral Picton, stand zwischen der Straße von Charleroy und den Dörfern Papelotte
undlahaye bis gegenfrichemont. Dieschlachtordnung war inzweigedrängtentref-
fen; die Reiterei, als drittes Treffen, stand in der Vertiefung, welche sich hinter der
Anhöhe hinzog; Wellington hatte sein Hauptquartier rückwärts in Waterloo, am
Ausgange des Waldes von Soignes. Die sämmtlichen Truppen betrugen etwa
68,000 Mann; mit 18,000 M. stand der Prinz Friedrich der Niederlande bei Hall,
um die rechte Flanke des Heeres, welche durch eine Scheinbewegung Napoleons be-
droht war, zudecken. Napoleon ordnete sein Heer auf der Anhöhe vonbelle-Alliance
zum Angriff. Aber nur mühselig und langsam trafen auf durchweichtem Weg und
Feld die Truppen ein; einzelne Regenschauer fielen noch von Zeit zu Zeit, der Boden
erschwerte jeden Fortschritt. Erst um Mittag konnte Napoleon den Befehl geben,
zum Angriff vorzurücken. Der zweite Heertheil, unter dem General Reille, wandte
sich links, der erste, unter dem General Drouet, rechts, von Belle-Alliance gegen die
englische Linie andringenv; der sechste, unter dem General Mouton, blieb in der
Mitte rückwärts halten, noch weiter zurück die Garde; die Reiterei war auf beiden
Seiten vertheilt. Zuerst wurde links das Vorwerk Hougomont heftig angegriffen,
aber nicht minder hartnäckig vertheidigt. Nachmittags um 2 Uhr wurde auch der
Angriff rechts gegen den Maierhof la Haye-sainte und das Dorf la Haye durch den
Marschall Ney mit stärkstem Nachdruck ausgeführt. Auf letzteren Punkt richtete Na-
poleon den Hauptstoß, weil der linke Flügel Wellingtons der schwächere schien, hier
dieverbindung mit den Preußen abzuschneiden war, und auf dieser Seite auchgrou-
chy's Streitkräfte mitwirken konnten. Das Feuer aus dem Geschütz, aus dem Klein-
gewehr, die Angriffe mit blanker Waffe, wechselten mit immer neuer Wuth; die
Reiterei wogte in stürmenden Angriffen hin und wieder, und zerstörte sich gegensei-
tig in furchtbarem Gemetzel, ohne irgend einen wesentlichen Erfolg. Der Kampf
dauerte mehrere Stunden, die Franzosen fochten mit andringender Wuth, die Eng-
länder mit ausdauernder Standhaftigkeit. Endlich wurde der Maierhof la Haye-sainte
den Engländern entrissen, darauf auch das Wäldchen von Hougomont, allein weiter
vorzudringen war den Franzosen unmöglich. Wellington, sein Heer mehrmals in
Gefahr sehend durchbrochen zu werde», eilte persönlich in das stärkste Feuer, zeigte
sich den Truppen und strengte alle Kräfte an, sich gegen die Uebermacht zu behaup-
ten, bis Blücher mit den Preußen herankäme und dem Kampfe eine entscheidende
Wendung gäbe. Er wußte, daß Blücher kommen würde, er wußte ihn im Anzuge,
die Vortruppen desselben schon in der Nähe, doch wurde dessen wirkliches Eintreffen
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Nachmittags zur Schlacht kommen. Ater erst nach 4 Uhr war endlich der schwie-
rige Engweg von St. Lambert, über und durch de» Bach von Lasnes, zurückgelegt,
und nur zwei Brigaden und die Reiterei von Bülow hatten jenseits ihre verdeckte
Aufstellung erreicht und erwarteten das Herankommen der übrigen. Napoleon
indeß war auf seiner fernen Höhe die nahenden Preußen gewahr geworden, hielt
sie jedoch für wenig bedeutend und sandte nur an Grouchh den Befehl, seinen
Angriff gegen das preußische Heer, welches er zu verfolgen beauftragt war, zu ver-
stärken. Blücher aber, die Gefahr Wellingtons erkennend, gab seinerseits, ohne
sich lange zu besinnen, den Befehl zum Vorrücken, er glaubte, die Wirkung für das
Ganze in diesem wichtigen Augenblicke jeder andern Betrachtung vorziehen zu müs-
sen, sein einzelnes Unternehmen konnte scheitern, da nur erst so wenige Truppen
heran waren, aber die Schlacht konnte dadurch zum Vortheil entschieden werden;
die beiden Brigaden Fußvolk und die Reiterei, unter Anführung des Prinzen Wil-
helm von Preußen, drangen demnach ungesäumt zum Angriff gegen das Dorf Fri-
chemont und in den Rücken des rechten französischen Flügels vor; sie zogen sich,
nach Maaßgabe, daß die übrigen Truppen nachrückten, mehr und mehr links, um
das Dorf Plancenois zu gewinnen, welches theilweise erobert wurde, doch im hart-
näckigen Kampfe noch lange streitig blieb. Napoleon hatte sofort genauere Kunde
von dem Anzuge der Preußen erlangt, doch noch immer nicht von ihrer Macht und
Eile; erst als sie auf der Höhe von St. Lambert sichtbar wurden, ließ er gegen sie
einige Regimenter seitwärts im Haken aufstellen. Blücher aber gab nun durch
frühzeitiges Geschützfeuer dem Heere Wellingtons das Zeichen seiner ersehnten An-
kunft; dieser Kanonendonner erweckte den Engländern frohe Zuversicht, den Fran-
zosen Staunen und Bestürzung. Jetzt schickte Napoleon den sechsten Heertheil, den
er bisher noch aus dem Gefecht zurückgehalten, dem Angriffe der Preußen entge-
gegen, und es entstand ein heftiger Kampf, in welchem die beiden Brigaden anfangs
gegen die Uebermacht einen harten Stand hatten. Blücher indeß sandte allen Trup-
pentheilen, deren Herankommen er auf alle Weise rastlos beeilte, den Befehl, ihre
Richtung geradezu auf die Höhe von Belle-Alliance zu nehmen, deren Gebäude über
die ganze Gegend sichtbar emporragten; der Bach von Lasnes sollte die Stütze des
linken Flügels bleiben. Der Kampf stand in aller Heftigkeit, als Blücher von
dem General von Thielemann die Meldung erhielt, der Marschall Grouchh habe
ihn bei Wavre mit beträchtlicher Truppenmacht angegriffen und suche den Ueber-
gang über die Dhle zu erzwingen; wenn dies gelang, so konnte das Heer, im Fall
Napoleon die Schlacht behauptete, zwischen zwei Feuer kommen und vernichtet
werden. Doch Blücher hatte für die Meldung, der Feind greife ihn im Rücken
an, dasselbe Wort wie bei Hainau; vor ihm lag die Entscheidung des Tages und
nicht anderswo, sagt der amtliche Bericht; er befahl, alle Truppen sollten im Vor-
rücken bleiben, erst wenn Napoleon geschlagen worden, dürften Unterstützungen nach
Wavre umkehren, und dem Heertheil von Thielemann ließ er wissen, er habe den
Feinden nach Kräften zu widerstehen.
Auf Wellingtons linkem Flügel, wo die Vereinigung der beiden Heere sich be-
werkstelligen mußte, drängten sich jetzt die wichtigsten Bezüge des Tages zusammen.
Der General von Müffling, der sich preußischerseits im Hauptquartiere Welling-
tons befand und zwischen beiden Heerführungen das Zusammenwirken thätigst för-
derte, begab sich selbst dahin, wo er schon frühmorgens die Gegend erkundet und
für den preußischen Anmarsch und Angriff die leitenden Angaben, unter Welling-
tons voller Zustimmung, an Blücher und Bülow gesandt hatte; er ordnete die
Maßregeln zur beschleunigten Annäherung und Einwirkung der Preußen, nach de-
ren Erscheinen vielfach verlangt und gefragt wurde. Doch Wellington selbst, voll
unerschütterlichen Vertrauens in Blüchers Wort und Thatkraft, ließ in dieser Hin-
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ficht weder Besorgniß noch Ungeduld klicken, und kein Zweifel, keine Frage solcher
Art unterbrach die entschlossene Ruhe seiner strengen Fassung. Endlich zeigten sich
die ersten Truppen des Heertheils von Ziethen, durch wiederholte Botschaften in
ihrem Marsche beschleunigt, auf den linken Flügel Wellingtons von Ohain her im
Anrücken. Sogleich brachen nun sechs Regimenter englischer Reiterei, welche bis-
her auf dem linken Flügel gehalten hatten, zur Unterstützung der hartbedrängten
Mitte der englischen Schlachtordnung auf, wo sie im rechten Augenblicke zum er-
folgreichen Einhauen anlangten. Inzwischen hatte der Feind seine Starke gegen
Wellingtons linken Flügel beträchtlich vermehrt, und drang nun, nach dem Abrücken
jener Reiterei, deren nahe Ersetzung durch die Preußen er noch nicht wahrnehmen
konnte, nachdrücklich in den Raum vor, welcher die beiden verbündeten Heere noch
trennte; die Franzosen nahmen das Dorf Papelotte wieder, zu gleicher Zeit griffen
sie das Dorf Frichemont heftig an und schoben sich demnach zwischen die Truppen
vonbülow und das Heer Wellingtons immermehr trennend vor. In diesem gefahr-
vollen Augenblicke, gegen 7 Uhr, treffen die ersten Truppenziethens, durch Müfflings
Angaben fördersamst geleitet, auf dem Kampfplatze ein, Ziethen selbst an der Spitze
seiner ersten Brigade, mit der ganzen Reiterei und dem Geschütze seines Heertheils;
er erstürmt mit 2 Bataillons das Dorf Papelotte, und bereitet sich zu stärkerem Vor-
dringen. Napoleon jedoch wankt noch immer nicht, er steht die Truppen Blüchers
immer furchtbarer auftreten, allein sein hartnäckiger Eifer verzichtet noch nicht auf
den Sieg, ein letzter verzweifelter Schlag soll ihn entscheiden. Bereits hatte er die
junge Garde nach Plancenois geworfen, um das den Preußen wieder entrissene Dorf
zur Sicherheit seiner rechten Flanke festzuhalten, jetzt laßt er die alte Garde, den
Kern seiner Truppen, 12 Bataillons, zur Durchbrechung der Schlachtordnung Wel-
lingtons auf deren Mitte im Sturm vorrücken, zusammengedrängt, das Gewehr im
Arm, ohne Schuß, unter Anführung des Marschalls Ney, während zugleich die
ganze französische Linie überall zum neuen Angriff übergeht. Doch Wellington stellt
der vordringenden Garde sechs englische Bataillons in zwei Gliedern aufmarschirt
entgegen, deren mörderisches Gewehrfeuer ganze Reihen des dichtgeschaarten Feindes
niederstreckt, zugleich richtet alles Geschütz seine Wirkung gegen diese Masse, von allen
Seiten wenden sich die Truppen zu diesem Kampfe, dem blutigsten des Tages. Ganze
Schaaren werden vernichtet; die große Menge der Verwundeten, welche dem Gefecht
entweichen, giebt aufbeiden Seiten den Anschein einer Flucht. Die französische Garde,
trotz ihres ungeheuren Verlustes, rückt immer vor, ihrem gewaltigen Ungestüm scheint
nichts widerstehen zu können, die Engländer weichen auf mehreren Punkten, ihr Ge-
schütz stellt das Feuern ein. In diesem Drange rückt Ziethen überpapelotte hervor,
laßt 24 Stücke Geschütz in den Feind schmettern, und führt seinen Hauptangriff im
Sturmschritt, unter dem Wirbel aller Trommeln, die Höhe von Belle-Alliance zur
Richtung nehmend, unaufhaltsam vorwärts. Diese Bewegung ist entscheidend, der
Feind, auf dem Winkel seiner beiden Kampflinien durchbrochen, beginnt aus beiden
zu weichen. Schon aber hat gleichzeitig auch Wellington die Truppen seines weniger
bedrängten rechten Flügels nach der Mitte gezogen, seine Reiterei zusammengebracht,
und geht nun selbst wieder mit allen Kräften zum entschlossensten Angriff über. Er
befiehlt seiner ganzen Schlachtordnung ein allgemeines Vorrücken. Die französische
Garde, dem allseitigen Sturme erliegend, geräth in Unordnung und flieht, 4 Batail-
lons, die am meisten vorgerückt sind, ziehen sich in Vierecken geschlossen nach Belle-
Alliance zurück. Sie kommen aber hier in das Geschützfener Bülow's, werden
von der Reiterei umzingelt; die meisten fallen; Einige entkommen; gefangen werden
nur Wenige. Jetzt kommt auch der zweite preußische Heertheil, unter Pirch, zur
Schlacht, und um halb 8 Uhr erneuert sich der Kampf bei Plancenois. Noch leistet der
Feind voll Verzweiflung Gegenwehr, alle drei preußischen Heertheile sind im heißesten
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hatten schon am Tage vorher den Marschall Besseres, die Allirten den Prinzen von
Homburg verloren; der größte Verlust war der des trefflichen Scharnhorst, der eine
Wunde am Fuße von einer Kartätschenkugel erhielt und sich nach Prag bringen
ließ, um auf Oesterreich zu wirken, darüber sich selbst vernachlässigte und starb.
Das französische Heer folgte, Napoleon kam nach Dresden (9. Mai). Von Prag
mußte jetzt der König von Sachsen, der sich an Oesterreichs Politik angeschlossen,
herbei, um Napoleons Befehlen zu gehorchen, der den guten alten Mann so ein-
schüchterte, daß er ihm Torgau übergab, dessen Commandant, Thielemann, zu den
Russen überging; das ganze sächsische Heer schloß sich leiderden Franzosen an, ob-
gleich die Soldaten nur ungern. Auch König Murat, bisher in Neapel gegen Na-
poleon grollend und mit England unterhandelnd, kam jetzt wieder herbei.
Napoleon ließ Ney und Lauriston von Hoyerswalde her den Russen und Preu-
ßen, welche das Lager bei Bautzen bezogen, in die rechte Flanke gehen, um ihre
feste Stellung zu umgehen. Barclay de Tolly und Uork überfielen seine aus Ita-
lienern bestehende Avantgarde von 9000 Mann bei Kömgswartha den 18., rie-
den sie gänzlich auf und zogen sich dann auf das Hauptthor zurück. Am 20. Mai
griff Napoleon den linken Flügel deralliirten an, um sie vom böhmischen Gebirge
abzuschneiden; aber er konnte sein Ziel nicht erreichen, 6000 Preußen unter Kleist
vertheidigten die Stellung bei Bucka den ganzen Tag mannhaft gegen Marmont und
Bertram; als die Nacht kam, hatten die Franzosen 10,000, die Alliirten 2000 Mann
verloren. Am folgenden Morgen kam aber auch Ney herbei, trieb Barclay zurück,
verfing sich aber so ungeschickt zwischen der Spree und den Sümpfen, daß Blücher
vom Centrum aus, dem Schlüssel der Stellung, das Dorf Preititz, wieder nehmen
konnte. Blücher sollte aber auch die Krekwitzer Höhen behaupten, während das Haupt-
heer der Russen auf dem linken Flügel kämpfte und die Monarchen auf die Behaup-
tung desselben einen so hohen Werth legten, daß sie das Centrum nicht unterstützen
ließen: dadurch kam Blücher in eine gefährliche Lage, indem er auf drei Seiten um-
faßt wurde, aber durch seine Geistesgegenwart und die erstaunliche Tapferkeit seiner
Soldaten, die Verbindung mit Wittgenstein wieder herstellte. Die Alliirten verloren
an diesen beiden Tagen 12,000 Todte und Verwundete, Napoleon 20,000 Mann.
Jene zogen sich in voller Ordnung immer an der österreichischen Grenze nach Schle-
sien, und dieser rief voll Aerger (wie Fain erzählt): „Wie? nach einem solchem Ge-
metzel kein Erfolg, kein Gefangener? Keinen Nagel lassen die Leute uns." Rasch
drängte er nach und trieb seine Vorhut unvorsichtig in das feindliche Kanonenfeuer,
aber auf jeder günstigen Höhe donnerten ihr Kartätschen entgegen. Bei Reichen-
bach hieb Miloradowitsch den 23. die anstürmende Reiterei der Franzosen zusam-
men, wobei ihr General Bruyeres fiel; bei Mockersdorf schmetterte eine russische Ku-
gel den General Kirchner darnieder und riß dem Freund Napoleons, dem Groß-
marschall Duroc, den Leib auf. Seine ganze Umgebung war muthlos. „Wir haben
gesiegt, hieß es, aber keine andern Palmen, als Cypresfen, keine andern Trophäen,
als die Gräber der Sieger." Am 26. ließ Blücher die französische Avantgarde durch
einen kühnen Handstreich unter den: tapfern Dolfs bei Haynau zusammenhauen.
Das Alles machte Napoleon geneigt, einen Waffenstillstand abzuschließen, den
Oesterreich vorschlug, um dann wegen des Friedens zu unterhandeln. Er nahm
ihn an den 4. Juni, und statt sonst nicht ohne sich Festungen und Landstriche aus-
zubedingen, räumte er jetzt sogar Breslau, und behielt nur einen kleinen Theil von
Schlesien. Der einzige, zufällige Gewinn war die Besetzung Hamburgs, das von
Tettenborn mit ein paar tausend Mann Kosaken und der Bürgerwehr gegen Da-
voust und die den Franzosen sich anschließenden Dänen sich nur bis zum 31. Mai
hatte behaupten lassen. Wie leicht wäre es den Engländern oder den Schweden,
die unter Bernadotte, ihrem neuen Kronprinzen, in Stralsund und Mecklenburg
1855 -
Hamburg
: Kittler
- Autor: Kröger, Johann Christoph
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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45.000 Oesterreicher unter Hitler standen in Kärnthen gegen den Vicekönig Eugen.
Nach dem zu Trachenberg verabredeten Plane sollte Blücher die Franzosen aus Dres-
den locken, und wo Uebermacht käme, sich zurückziehen, wahrend Schwarzenberg auf
Dresden rücke, und Bernadotte Berlin decken und nach Umstanden sich mit Blücher
in Verbindung sehen.
Blücher war zuerst bei der Hand. „Die diplomatischen Narrenspossen und das
Notenschreiben müssen nun ein Ende haben; er werde den Takt ohne Noten schlagen",
erklärte er und drängte Ney zurück, der bei Löwenberg von seinen Unterfeldherren
Macdonald, Marmont, Lauriston abgeschnitten worden wäre, hätte der eifersüchtige
russische General'langeron sich nicht widersetzlich bewiesen, wie Barclay gegen Schwar-
zenberg, und so ging zum großen Aerger Blücher's am 19. August die Gelegenheit
verloren, „den Tapfersten der Tapfern" zu fangen. Auf die Nachricht, Blücher ziehe
heran, eilte Napoleon mit Uebermacht ihn zu vernichten (21.). Blücher zog sich aber
schlau zurück und Uork leistete nur in günstigen Stellungen Widerstand. — Schwar-
zenberg war indeß mit großen Massen auf Dresden marschirt, aber erst am 26. Abends,
als schon Napoleon in Eilmärschen zurückkehrte. Schon waren die Alliirten Meister
des großen Gartens und andere Corps in die Vorstädte gedrungen, als Napoleon
in zwei Heeren herausstürzte und sie auf allen Punkten zurückdrängte; Schwarzen-
berg hätte sich zurückziehen müssen, weil nicht bezweifelt werden konnte, daß in der
Nacht beträchtliche Verstärkungen ankommen würden. Er zauderte, und am andern
Tage wurde sein linker Flügel, den Barclay nicht gehörig unterstützte, zerrüttet, 12—
15.000 Mann in den durch Regen unwegsamen Schluchten gefangen; Moreau verlor
beide Beine: die Franzosen jubelten darüber, die Deutschen blieben kalt, er hatte einen
großen Theil der Siegeslorbeeren an sich gerissen und die Franzosen dann geprahlt,
sie wären nicht durch Deutsche überwunden! Der Rückzug des unbesiegten Centrums
wurde gefährlich, durch Regen, Mangel an Lebensmitteln und durch Vandamme,
den Napoleon in den Rücken der Alliirten geschickt hatte, um ihnen den Rückzug ab-
zuschneiden. Barclay folgte nicht den Befehlen Schwarzenbergs, die Straße über
Peterswalde zu ziehen, er hatte sie Vandamme offen gelassen und tvar nach Dippol-
diswalde gegangen. Ein schwaches Corps unter Eugen von Würtemberg und Leo-
pold von Coburg warfen sich diesem in den Weg und hielten ihn den 26. mir Selbst-
aufopfrung zurück, zogen sich am folgenden Tage auf Ostermann, welcher beschloß,
mit seinen 8000 Garden dem vierfach überlegenen Vandamme sich bis auf den letzten
Mann entgegenzustellen, damit dieser nicht nachteplitz gelange, und dem Hauptheere
Zeit bleibe, durch die gefährlichsten Gebirgspässe zu kommen. Wie Felsen standen
sie unter dein fürchterlichsten Kugelregen, Oftermann verlor den linken Arm. Der
König von Preußen war von Teplitz herbeigeeilt, machte treffliche Anordnungen,
suchte von allen Seiten Hülfe herbei zu schaffen. Ein österreichisches Dragoner-
regiment, das des Weges zog, nahm auf seinen Befehl Theil am Kampfe, eine preu-
ßische Batterie folgte. Diebitsch und Miloradowitsch brachten auch Verstärkung,
und so gelang es bis zur Nacht die Stellung zu behaupten und am Morgen mußte
noch mehr Unterstützung kommen. Vandamme, verblendet durch die Aussicht auf
den Marschallsstab und hoffend, daß Napoleon nachrücke, blieb stehen. Nun faßte
ihn am 30. August Barclay, welchem Schwarzenberg großmüthig die Leitung über-
tragen, damit er seinen Fehler wieder gut mache. Während des heißen Kampfes
hörte Vandamme Plötzlich in seinem Rücken Kanonendonner und hoffte französische
Hülfstruypen. Es war aber der preußische General Kleist, der (nicht durch Zufall,
wie französische Schriftsteller behaupten, sondern auf einen Befehl vom 29.) mit
kühnem Entschluß den nächsten Weg über die Nollendorfer Gebirge einschlagend,
ihm in den Rücken fiel (daher Kleist v. Nollendorf), und das ganze französische Heer
auflöste, 10,000 Gefangene (darunter Vandamme selbst, den Alerander wegen seiner
1855 -
Hamburg
: Kittler
- Autor: Kröger, Johann Christoph
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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kleine preußische Corps des Generals Borstell zurückhalten ; aber dieser, dem die Sache
verdächtig wird, gehorcht nicht, kommt im rechten Augenblick zu Hülse und hilft so
furchtbar auf die Franzosen einschlagen, daß sie endlich in wilde Flucht gerathen und
haufenweise von den Piken der Landwehrreiter niedergestochen werden. 18,000 Todte
und Gefangene, 80 Kanonen und viele Feldzeichen wurden erbeutet. Neh, durch die
Polen gerettet, bekannte, „er sei nicht mehr Herr seiner Kriegsschaaren", die ganz
aufgelöset waren. Nur Oudinots Corps kam noch gut erhalten nach Torgau, weil
er den unthätigen Schweden und Russen gegenüber gestanden, welche erst auf dem
Schlachtfelde anlangten, als der glänzende Sieg mit dem Blute vieler tapfern Preu-
ßen errungen war. Bayern, Sachsen, Würtemberger hatten sich am längsten
gehalten. Dennoch schob Ney die Schuld auf die Sachsen und erwiderte einem
würtembergischen General auf die Beschwerde, daß die deutschen Truppen immer
auf die gefährlichsten Posten voran gestellt würden, höhnend: „das sei ganz recht,
wenn sie zu Grunde gingen, könnten sie nicht bei einem Abfall des Rheinbundes ge-
gen Frankreich verwendet werden!" Natürliche Folge des undeutschen Bündnisses!
Auch Davoust, der Befehl erhalten, von Hamburg aus den Angriff auf Ber-
lin zu unterstützen, ward von dem muthigen Wallmoden, der auch das Lützowsche
Corps bei sich hatte, im Mecklenburgischen zurückgedrängt (Th. Körner fiel am
26. August). Als 14 Tage später ein aufgefangener Brief zeigte, daß Davoust die
Division Pecheur auf das linke Elbufer gesandt habe, täuschte Wallmoden die
Franzosen, ging mit dem größten Theil seines kleinen Corps bei Dömitz über die
Elbe und nahm jene im Göhrder Walde den 16. Septbr. größtentheils gefangen.
Im Rücken der Franzosen schnitten Streifparteien die Verbindung mit Frankreich
ab, nahmen am 11. Septbr. 1500 Franzosen in Weißensels gefangen, Thielemann
den 18. in Merseburg 2300 und befreite 2000 alliirte Gefangene und bei Kösen
eine reiche Convoi von 200 Wagen; d^in vereinigten sich Thielemann, Mensdorf
und Platow gegen Lefebvre, der mit 10,000 Mann gegen sie ausgeschickt war, und
brachten ihm eine Niederlage bei. Czernitchef jagte den 28. September den König
Jerome aus Cassel, Tettenborn nahm Bremen.
Während dieser Zeit saß Napoleon immer mehr umgarnt mißmüthig in Dres-
den. Anfangs zog er gegen Blücher, hoffend, daß dieser im Siegestaumel Mac-
donald folgen und sich überraschen lassen würde; aber der Alte war auf seiner
Hut. Dann wandte er sich den 6. September wieder gegen Schwarzenberg, drang
bis Vandamme's Schlachtfeld bei Kulm den 16., konnte aber nirgends durchdringen
und verlor an Colloredo noch 10 Kanonen und 2000 Gefangene.
Noch einmal rückte er den 22. September gegen Blücher, erschöpfte aber in
vergeblichen Märschen die Kräfte seiner Soldaten. Als nun Benningsen mit seinem
neugebildeten Heere einrückt, marschirt Blücher eilig links ab, geht durch eine kühne
und unerwartete Wendung den 3. Dctober über die Elbe bei Jessen und läßt durch
Uork die für unüberwindlich gehaltene Stellung bei Wartenburg, welche Bertrand
mit 20,000 Mann besetzt hatte, stürmen, um dadurch zugleich Bernadotte aus sei-
ner Unthätigkeit herauszubringen. Als nun auch Schwarzenberg mit dem
Hauptheere links ab in die Ebenen Sachsens rückt, muß Napoleon, um nicht von
Frankreich abgeschnitten zu werden, seinen Stützpunkt Dresden verlassen und sich
nach Leipzig begeben, wohin ihm der König von Sachsen folgen muß.
6?. Die Völkerschlacht bei Leipzig und der Uebergang des
Vundesheercs über den Rhein. (Nach Varnhagen.)
Den Rückmarsch Napoleons von der Elbe gegen Leipzig hatte Blücher schleu-
nig in das große Hauptquartier gemeldet, und seine schon früher gethane Zusage