Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
Geschlecht (WdK): koedukativ
15
2. Doch wenn mich einer schmeichelnd preiset,
mich immer lobt, mir nichts verweiset,
zu Fehlern gar die chände beut
und mir vergiebt, eh' ich bereut:
der ist mein Feind',
so freundlich er auch scheint.
Christ. Fürchtegott Gellert.
15. Drei Freunde.
Traue keinem Freunde, wenn du ihn nicht geprüft hast! An
der Tafel des Gastmahls giebt es ihrer mehr, als an der Thür des
Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde. Zwei derselben liebte er sehr;
der dritte war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlichsten
mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig,
aber hart verklagt war. „Wer unter euch,“ sprach er, „will mit mir
gehen und für mich zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden,
und der König zürnet.“
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, dass er
nicht mit ihm gehen könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite be-
gleitete ihn bis zur Thür des Richthauses; da wandte er sich und
ging zurück aus Furcht vor dem zornigen Richter. Der dritte, auf
den er am wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete für ihn und
zeugte von seiner Unschuld so freudig, dass der Richter ihn losliess
und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie
sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert?
Das Geld, sein bester Freund, verlässt ihn zuerst und geht nicht mit
ihm. Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des
Grabes und kehren wieder in ihre Häuser. Der dritte, den er im
Leben oft am meisten vergase, sind seine wohlthätigen Werke. Sie
allein begleiten ihn bis zum Throne des Richters; sie gehen voran,
sprechen für ihn und finden Barmherzigkeit und Gnade.
Job. Gottfr. von Herder.
16. Freundlos.
1. Arm ist, wer ohne Freunde ' 3. Am ärmsten doch ist jener,
lebt in Verlassenheit j der nie um Freundschaft icirbt,
und sich nach Freundschaft sehnet der ohne Freunde lebet
in seiner Einsamkeit. und ohne Freunde stirbt.
2. Doch ärmer ist, der Freunde,
die er besass, verlor;
denn fürder doppelt einsam
kommt ihm sein Leben vor.
4. Sein ganzes, langes Leben
lebt er in Einsamkeit,
fühlt halb nur seine Freuden
und doppelt stets das Leid.
Alb. Klingner.
17. Kameradschaft.
1. Der Sohn des Vaters geht mit schlimmen Kameraden;
der Vater fürchtet, daß sie seinen Sitten schaden.
Er mahnet wiederholt: „Mein guter Sohn, o nimm
vor ihnen dich in achtl Der Bösen Näh' ist schlimm."
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erbietig den Hut. Der Doktor fragt ihn: „Was führt dich hierher?" —
„Das Almosen, gnädiger Herr, das Sie mir geben, fo oft ich nach Prag
komme!" war die Antwort. „Aber du hast mich ja nicht zu Hause gefunden!" —
„Darum hab' ich warten wollen, bis Sie kämen." — „Du fandest ja alles
offen, hättest ja nehmen können!" — „Bewahre, gnädiger Herr, der Draht-
binder ist arm, aber ehrlich." — „Bist du schon lange hier?" — „Wohl
zwei Stunden!" — „Da hast du lange ans dein Almosen warten müssen!"
— „Hab gern gewartet; denn ich hab' derweile Wache gehalten. Es hätten
Diebe kommen können!"
„Du ehrliche Seele!" sägte da gerührt der Doktor: „Das soll dir nicht
unvergolten bleiben!" Er tritt in das Zimmer, nimmt eine der Geldrollen
vom Pult und giebt sie dem braven Burschen. Der biedere Mensch will
zuerst gar nicht zugreifen; als indessen der Arzt in ihn dringt, nimmt er 's
endlich und geht mit tausend Segenswünschen und heißem Danke gegen Gott
von dannen. Nach W. O. v. Horn.
21. bis Bürgschaft.
Der Schreiner Krug hatte sich in seinem Heimatdorfe ansässig
gemacht und sich durch Arbeitsamkeit und Sparsamkeit ein sorgen-
freies Leben geschaffen. Nun fügte es sich, dass seine älteste Tochter
einen Sägemüller heiratete, und der Meister liess sich dazu verleiten,
seine Habe zu verhauten und gemeinsam mit dem Sägemüller ein
Wasserwerk zu erwerben. Das konnte aber nach kurzer Zeit gegen
eine andere, neu errichtete Schneidemühle nicht mehr aufkommen,
und nach wenigen Jahren war Meister Krug ein armer Mann. Die
jungen Leute behielten noch so viel übrig, dass sie auswandern konnten,
und der alte Meister kehrte wieder in sein Dorf zurück. Unverdrossen
wollte er nochmals die erste Arbeit seines Lebens beginnen; aber bald
merkte er, dass er jetzt weniger als nichts hatte; denn es fehlte ihm
der Kredit. Er lief von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf und klopfte
an den Thüren an; aber überall wies man ihn ab.
Die Not stieg immer höher. Krugs guter Kamerad Grundier
verbürgte sich bei einem reichen Bauern für ein Malter Korn. Meister
Krug überliess es seiner Frau, die als Tagelöhnerin arbeitete; er selber
aber zog wie ein junger Wanderbursche hinaus, um als Handwerks-
geselle Arbeit zu finden. Es gelang ihm bereits am dritten Tage, und
er arbeitete frisch drauf los; aber der alte Mann vermochte wohl die
veränderte Lebensweise nicht zu ertragen, oder er entbehrte der treuen
Fürsorge seines Weibes, oder das Heimweh plagte ihn; genug, noch
nicht zwei Monate waren um, da wurde der Alte ins Spital gebracht.
Aber bald genas er wieder; denn seine Frau war gekommen, ihn zu
pflegen, und die that es nicht anders, er musste mit ihr heim. Doch
da stand er wieder im alten Elend, und was ihn am meisten quälte,
war, dass er nicht einmal so viel erübrigt hatte, dass er dem treuen
Grundier die Bürgschaft ablösen konnte. Wieder begann er voll Ver-
zweiflung seine Wanderungen, und einmal, als er auf dem Heimweg
war, übermannte ihn das Elend. Unter einer Buche mit niederhängen-
den Zweigen blieb er stehen, knüpfte sein Halstuch los und machte
eine Schlinge um einen Ast. ,,Mach’ ein End!“ sagte er vor sich hin
und stampfte auf die Erde, in der er sich ein Grab erzwingen wollte.
2*
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20
Aber plötzlich hielt er inne und rief fast laut: „Ja, ja, aber der
Grundier, der treue Mensch, der hat sich für dich verbürgt, und der
wird um sein Geld betrogen! Kannst du als Betrüger aus der Welt
scheiden? Darfst du den guten Glauben deines Kameraden hinter-
gehen? Nein, der Grundier muss sein Geld haben, und wenn ich's
stehlen müsste!“ Und dann fiel ihm ein, dass noch jemand mehr
als Geld für ihn verbürgt hatte. Jahrzehnte lang hatte ihm sein
treues Weib Liebe erwiesen; durfte er ihm damit vergelten, dass er
ihm ein so bitteres Leid anthat? Und weiter gedachte er aller derer,
die ihm je Gutes gethan hatten, und er rief aus: „Ich bin ja der
grösste Schuldner auf der Welt!“ Indem er sein Halstuch abknüpfte,
schaute er durch die Blätter hinauf zum Himmel und sagte: „Du
bist auch noch da, und der über dir auch! Ich warte geduldig, bis
der ein Ende macht!“
Ein Wandersmann hatte nicht weit davon das seltsame Gebahren
des alten Meisters beobachtet und seine Worte vernommen. Jetzt trat
er hinzu, und seine Miene war so zutrauenerweckend, dass ihm Krug
seine traurigen Verhältnisse erzählte. Da öffnete der Fremde sein
Reisetäschlein und langte klingende Münze hervor. Krug aber fasste
seinen Arm und rief: „Ich nehme nichts geschenkt; sonst hätt’ ich
mich auf die Gemeinde gelegt!“ Der Fremde aber sagte: „Lieber
Mann, ich will Euch nichts schenken. Seht, ich bin selber nicht
reich; dieses Geld habe ich zu meiner Erholung erübrigt, und ich
will ’s Euch nur leihen. Hier auf diesem Zettel steht mein Name und
Wohnort. Ich kehre jetzt geradeswegs um und schenke Euch nur
meine Reisefreude. Aber wenn ich Euch helfen kann, so ist mir ’s
wohler als auf dem höchsten Berge. Wenn Ihr ’s einmal könnt, so be-
zahlt mir ’s wieder!“ — „Ich kann Euch aber keinen Bürgen stellen!“
entgegnete Krug, worauf der Fremde erwiderte: „Ich weiss einen
Bürgen, den wir hier gleich zur Hand haben, und der heisst Ver-
trauen. Täuscht Ihr mich und behaltet das Geld, trotzdem es Euch
gut geht, so habt Ihr mich um mehr als um mein Geld, Ihr habt
mich"um mein Menschenvertrauen betrogen und damit mir die Freude
und einem andern Notleidenden die Hilfe geraubt. Daran denkt, und
nun lebt wohl!“ Der Fremde legte 50 Gulden vor Krug hin, und
während dieser noch staunend darauf schaute, war jener bereits ver-
schwunden.
Wirklich gelang es dem braven Krug, sich wieder heraufzu-
arbeiten. Nach Jahren erhielt der edle Fremde ein amtliches Schreiben,
welches die Nachricht enthielt, dass der alte Meister gestorben sei,
und dass sich in seinem Gebetbuche eine Quittung über ein Malter
Korn und in seinem Halstuche, das in seinem Kasten lag, das ein-
liegende Geld gefunden habe und dabei die eigenhändig geschriebenen
Worte Krugs: „Dieses Geld gehört dem Herrn N. N. in N. Er soll
nur allezeit an die Menschen glauben, wenn er auch einmal betrogen
wirdl“
Du aber, lieber Leser, brauchst nicht weit zu suchen, ob du
nicht auch einmal solch eine Lustreise in die weite Welt des Wohl-
thuns machen kannst. Berthold Auerbach.
(Gekürzt nach dem Lesebuch f. Gewerbeschulen von Ahrens.)
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wein?“ „Drei Louisdor,“ sagt der Wirt. Der Bauer glaubt seinen
Ohren nicht zu trauen oder einen Scherz zu hören, bis der Wirt
ganz ernsthaft wiederholt: „Drei Louisdor; ich nehm ’s auch in Silber.
Brot, Käs’ und Schnaps waren mein, und ich kann dafür verlangen,
was ich will. Wollt Ihr nicht zahlen, so ziehe ich Euren dicken
Schimmel in meinen Stall und lasse ihn nicht eher wieder in Euren
Karren, bis Ihr bezahlt habt. Wollt Ihr das nicht, so verklagt mich
beim Amtmann!“
Schnell eilt der Bauer ins Amt und klagt. Der Wirt, der ge-
fordert und erst scharf angelassen wird, erzählt die Prellerei des
Bauern, und wie er dadurch zu seiner Forderung veranlasst worden
sei, um die Sache auf eine gute Art vor das Amt zu bringen.
„Bauer, Ihr zahlt dem Wirte die drei Louisdor!“ entscheidet der ge-
strenge Herr Amtmann, und will der Bauer nicht noch ins Loch, so
muss er zahlen. „Nun, ich danke, Herr Amtmann!“ sagt der Wirt,
„haben Sie nun auch die Güte, von dem Gelde dem Bauern zwei
Thaler zurückzugeben und das übrige dem armen Franzosen wieder
zuzustellen; für die Zehrung verlange ich nichts.“
So geschah es. Weil man aber nicht alle Tage für drei Louis-
dor Käse isst, so ward von der Geschichte noch viel gesprochen, und
so kam sie denn auch zu den Ohren des benachbarten Försters, der
bald herausbrachte, dass der Bauer das Holz gestohlen hatte. Da hatte
der doppelte Schelm noch einige doppelte Louisdor nötig, um seinen
Frevel zu hülsen. veith.
26. Der Glockenguss zu Breslau.
1. War einst ein Glockengießer
zu Breslau in der Stadt,
ein ehrenwerter Meister,
gewandt in Rat und That.
6. Wie hat der gute Meister
so treu das Werk bedacht!
Wie hat er seine Hände
gerührt bei Tag und Nacht!
2. Er hatte schon gegossen
viel Glocken, gelb und weiss,
für Kirchen und Kapellen
zu Gottes Lob und Preis.
7. Und als die Stunde kommen,
dass alles fertig war,
die Form ist eingemauert,
die Speise gut und gar —
3. Und seine Glocken klangen
so voll, so hell, so rein;
er goss auch Lieb’ und Glauben
mit in die Form hinein.
8. da ruft er seinen Buben
zur Feuerwacht herein:
„Ich lass’ auf kurze Weile
beim Kessel dich allein;
4. Doch aller Glocken Krone,
die er gegossen hat,
das ist die Sünderglocke
zu Breslau in der Stadt.
9. will mich mit einem Trünke
noch stärken zu dem Guss;
das giebt der zähen Speise
erst einen vollen Fluss.
5. Im Magdalenentürme,
da hängt das Meisterstück,
rief schon manch starres Herze
zu seinem Gott zurück.
10. Doch hüte dich und rühre
den Hahn mir nimmer an;
sonst wär' es um dein Leben,
Fürwitziger, gethan!"
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beschlich zuletzt doch sein Herz, das freilich nicht leer war von Stolz und
Dünkel. Er erschien ihm im Gewände eines Engels des Lichts und sagte:
„Du dünkest dich hoch in Gnaden bei Gott; aber du fühlest nicht, wie tief
du stehest, tiefer noch als jene, deren Sünden du meidest. Weifst du nicht,
dass einer, der in eine Sünde fällt und wieder aufsteht, vor Gott angenehmer
ist, als neunundneunzig Gerechte? Willst du also das höchste Heil erwerben,
so musst du eine schwere Sünde begehen. Ich nenne dir aber deren drei,
die von Belang sind: den Totschlag, den Diebstahl und die Trunkenheit,“
Der fromme Mann entsetzte sich über diesen Antrag und schlug ihn, so viel
er vermochte, aus dem Sinne. Aber von der Zeit an empfand er Unruhe,
und er konnte sie nicht bewältigen; denn der Gedanke, durch die Sünde zur
höchsten Gnade zu gelangen, steckte in seinem Herzen wie ein Stachel, der
ihn peinigte.
Nun geschah es eines Tages, dass bei finsterer Nacht, während es
draussen stürmte und regnete, ein Wanderer zu der einsamen Zelle kam und
um Obdach bat. Es war ein Kaufherr, der sich in dem Walde verirrt hatte
und mit seinem ermüdeten Pferde nicht mehr des Weges weiter konnte. Der
Einsiedler öffnete, und der fremde Mann trug Sack und Pack in die Stube,
nachdem er das Ross versorgt hatte. Indem nun beide einander gegenüber
sassen, langte der Kaufherr ein paar Flaschen guten, alten Weines hervor
und lud den Einsiedler ein, an dem köstlichen Labsal teilzunehmen. Der
Waldbruder weigerte sich anfangs; als aber der Kaufherr weiter in ihn drang,
nahm er ein Gläslein an, das ihm wohl schmeckte. Der Kaufherr erzählte
nun von seinen Reisen und den Abenteuern, die er bestanden, und schenkte
dem Einsiedler von Zeit zu Zeit wieder ein, was sich dieser gefallen liess.
Allgemach merkte jedoch der fromme Bruder, dass ihm der Wein zu
Kopfe stieg, und er wollte sich noch zu rechter Zeit zurückziehen. Er hatte
aber so viel Wohlgefallen an den Geschichten und Schwänken seines Gastes,
dass er sich von seiner Gesellschaft nicht zu trennen vermochte. Indem ihm
nun der Kaufherr immer zusetzte, er sollte als guter Wirt Bescheid thun, da
fiel ihm jener Gedanke und der Rat ein, durch eine böse That Gott zu ver-
suchen, und er dachte bei sich: ein Räuschlein sei doch unter allem Schul-
digen das Unschuldigste. Er trank und trank, bis er schier von Sinnen kam.
Dann legte er sich auf sein Lager; aber er konnte nicht schlafen; denn die
Geister des Weins regten seinen Geist auf. Es traten die Freuden der Welt
vor sein Auge, und die sinnlichen Gelüste, die bisher geruht, wachten auf in
seinem Herzen, und es überkam ihn ein unaussprechlicher Ekel an seinem
von Welt und Menschen entfernten, lieb- und freudlosen Leben in der Ein-
samkeit, und er fasste den Entschluss, mit dem Kaufherrn des andern Tags
wegzuziehen und zur menschlichen Gesellschaft zurückzukehren. Aber indem
er nun in Traurigkeit seiner Armut und seines Ungeschickes gedachte, in der
Welt fortkommen zu können, da fiel ihm ein Gedanke ein, der ihn zu jeder
andern Zeit mit Entsetzen erfüllt hätte, jetzt aber mit Hoffnung und Freude
erfüllte. Er führte ihn auch sogleich aus; denn er erschlug den Mann und
raubte ihm sein Geld und Gut. Also ward er aus einem Trunkenbold zugleich
ein Räuber und ein Mörder. Nach Ludw. Aurbacher.
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einen Bedienten gar als Dieb bezeichneten, so wnrde mit einer Klage gedroht,
der sich Kaspar nnr dnrch eine nicht nnbedentende Gabe entzog. Die Zechen selbst
wnrden mit jedem Monate in dem Maße größer, als sein Essen und Trinken
und sein Appetit geringer wnrden. Endlich, am Ende des elften Monats, da
er sah, daß es mit seinem Gelde ans die Neige gehe, beschloß er, Wien zu
verlassen und mit dem kleinen Reste seines Vermögens gemächlich und auf
Umwegen in die Heimat znrückzukehren. Aber an dem Morgen, der zur
Abreise bestimmt war, wurden ihm noch von seinem Kutscher, der ein Spitz-
bub' war, und der 's mit den übrigen gehalten hatte, eine Menge Scheine von
angeblich nicht bezahlten Trinkgelagen außer dem Hanse und falsche Rech-
nungen von Sattlern, Schmieden, Schneidern, Schustern und Kaufleuten
gebracht, so daß er, um diese Schulden zu tilgen, und um nicht, womit mau
ihm drohte, in Unannehmlichkeiten zu kommen, Wagen und Rosse verkaufen
mußte. Der Erlös war so gering, daß er kaum so viel Gulden übrig behielt,
als er Tausende gehabt hatte. Also trat er zu Fuß seine Rückreise an.
3. Nachdem er in der Stadt angekommen war, wo sein Herr, der Graf,
wohnte, ging er gleich des andern Tages zu ihm, fröhlichen Mutes und in
der sichern Hoffnung, er werde bei ihm wieder eintreten dürfen. „Da bin
ich wieder, Ew. Gnaden," sagte er beim Eintritt ins Zimmer, „Kaspar, der
Kutscher, und ich bitte nun, daß mich Ew. Gnaden wiederum in Dienst auf-
nehmen. Der Graf lächelte und sagte: „Nun, Kaspar, weil Er Wort ge-
halten, so will ich das meine auch halten. Nun aber sage Er mir vorerst,
wie ist 's Ihm ergangen, und wie hat Ihm das Herrenleben gefallen?" Kaspar
antwortete: „Das Herrenleben ist eben kein herrliches Leben. Ich hab 's nun
auch probiert, und es reut mich just nicht; aber zum zweitenmal möcht' ich
es nicht mehr versuchen; denn was kriegt man zuletzt davon, als Finnen im
Gesicht, Säure im Magen und einen halben Schalk im Herzen? Das wird
sich aber alles wieder machen, wenn ich erst wieder in die Ordnung komme
und zu den Rossen und auf den Bock." Der Graf lachte und sagte, er solle
nur an seine Arbeit gehen, wie vordem, und seine Sache gut verrichten.
Das that er denn auch, und er blieb bis an sein hohes Alter, wo ihm sein
Herr eine gute Versorgung auswarf, Kaspar der Kutscher. Nach r-udw. Aurba-her.
*52. Als ob! — Ja wohl!
Es sind wunderliche Redensarten, welche die zwei Nachbarn, der Schmied
und der Wagner, im Brauch haben, und die Leute, welche nicht wissen, was
die Männer vorher miteinander gesprochen, können keinen Sinn darin finden,
wenn zuletzt der eine spöttisch ausruft: „Als ob!“ und der andere draus
lachend versetzt: „Ja wohl!“ Aber die Nachbarn wissen gar gut, was sie
damit meinen.
Meister Wagner erzählt z. B. und fragt den Nachbar: „Hast du schon
von dem Brauthandel gehört, den der Nachbar Bäcker abgeschlossen? Du
kennst ja die Rosine, seine Tochter; sie ist ein sauberes Mädel, dabei häus-
lich, sittsam und fromm. Die hat er nun, wie ich gehört, dem Müllerssohn
zur Ehe versprochen. Nun wissen wir aber alle, dass der Bursche nichts
taugt, und dass er, statt sich um das Mahlwerk zu kümmern, seine Zeit und
sein Geld im Wirtshaus verthut. Der Nachbar Bäcker aber rechnet und
denkt: „Er ist der einzige Sohn und Erbe seines Vaters, des reichen Müllers;
es könne nicht fehlen; es sei ein gar grosses Glück für die Rosine. — —“
„Als ob!“ — „Ja wohl!“
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50
Er hatte seinem Kameraden die volle Wahrheit nicht gesagt. Er hatte
es nicht über sich gebracht, ihm anzudeuten, dass die Wurzel alles häuslichen
Gedeihens, die Grundlage alles häuslichen Behagens die Frau ist, und seine
Frau war alles, was die Frau eines Arbeiters sein muss. Es kann keine Spar-
samkeit, keine Wirtschaftlichkeit, kein Behagen im Hause vorhanden sein, wenn
die Frau sie nicht zu schaffen vermag, und das gilt von der Frau des Arbeiters
mehr als von irgend einer andern Hausfrau; denn sie ist Verwalterin und
Dienstmagd und überhaupt alles in einer Person. Wenn sie nicht sparsam ist,
so giesst man Wasser in ein Sieb, indem man Geld in ihre Hände legt. Wenn
sie genügsam ist, so wird sie ihr Haus zu einem Orte der Behaglichkeit machen,
das Leben ihres Mannes beglücken und ihren Kindern eine frohe Jugend be-
reiten. Sie wird ein Grundstein für das Vorwärtskommen ihres Mannes und
vielleicht für dessen Wohlhabenheit und Reichtum werden. Nach Sam. smiies.
*55, Achte das Geringe!
1. Dem Klempnermeister Thaddäus Jordan ging es gar kümmerlich.
Es fehlte ihm nicht an Fleiß und Ehrlichkeit, aber an Arbeit und Bestellungen.
Er verstand sein Handwerk ziemlich; aber andere verstanden es besser, und
das war schlimm; aber noch schlimmer war 's, daß die Frau Meisterin sich
gern putzte und damit viel Geld verputzte. Sie liebte gute Kost und Lecker-
bissen, doch nicht rühriges Schaffen im Hanse, und war lieber bei ihren
Kaffeeschwestern als in Küche und Keller. So gingen mit der Zeit Gewerbe
und Wirtschaft zu Grunde. Als die Frau starb, hinterließ sie ihrem Mann
ein Söhnlein, Namens Jonas, und Schulden dazu. Um sie zu bezahlen,
mußte Thaddäus seinen Vorrat an Blech und Messing um einen Spottpreis
verkaufen. Nun arbeitete er ein paar Jahre als Geselle, hatte aber für sich
und sein Kind kaum das Salz auf das liebe Brot.
Als er sich nicht mehr zu raten wußte, kam ihm einmal über Nacht
ein guter Gedanke. Sein Nachbar, der Gürtlermeister Fenchel, war ein guter
Mann; nur sah er abends und auch am Tage zu gern ins Branntweinglas.
Das machte ihm oft den Kopf schwer, aber den Beutel leer und täglich der
Sorgen mehr, und Thaddäus Jordan merkte, daß es auch mit Fenchels Ge-
schäft den Krebsgang ging. Deshalb suchte er eines Tages den Nachbar auf
und sagte zu ihm: „Meister, Ihr habt schöne Ware vollauf, aber Käufer und
Kunden zu wenig. Es will heutigen Tages mit den Handwerkern nicht mehr
recht vorwärts; denn die Fabriken verkümmern uns unsern Verdienst, und
Krämer und Handlungsreisende streichen in der ganzen Welt umher. Ich
denke also: Wurst wieder Wurst, kaufe mir einen Hausierschein, ziehe landauf,
landab mit meinen letzten Lampen und Löffeln, Kannen und Becken und,
wenn Ihr wollt, auch mit Euren Knöpfen und Schnallen, wofern Ihr mir
einen kleinen Profit zukommen laßt. Au Absatz fehlt 's nicht, wenn man 's
den Leuten ins Haus bringt und sie einen weiten Weg sparen können. So
wird Euch geholfen und mir."
Der Vorschlag leuchtete dem Gürtlermeister ein, und beide wurden
handelseinig. Nach wenigen Tagen schob Thaddäus Jordan einen hoch
bepackten Karren zum Stadtthor hinaus und von Dorf zu Dorf, und neben
ihm trabte barfuß und lustig sein kleiner Jonas. Die Waren fanden Lieb-
haber; denn an gutem Mundwerk fehlte es Thaddäus nicht, sie anzupreisen,
wenn sie sich nicht selber lobten. Die Bauernsräuen gahen dem Hausierer
auch Geschirr aller Art zu flicken und zu löten; denn niemand war geschickter,
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Extrahierte Personennamen: Thaddäus_Jordan Namens_Jonas Thaddäus_Jordan Thaddäus_Jordan Jonas
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53
Ein Fehlerchen trägt man mit Geduld;
ein Thälerchen macht noch keine Schuld.
Ein Gläschen noch ist ja nie zu viel,
und ein Spielchen ist noch kein Spiel.
Ein Spässchen, das nimmt noch keiner krumm,
und ein Räuschchen bringt noch nicht um.
Und eh’ du dich noch versiehst des Falls,
fällst über ein Sternchen und brichst den Hals.
Joh. Trojan.
58. Sparsamkeit und Uumäßigkeit.
1. Der Hausierer Thaddäus Jordan hatte seinen Sohn Jonas, weil
er mutterlos war, mehrere Jahre mit sich auf den Hausierhandel genommen.
Um ihn aber nicht an die herumziehende Lebensart zu gewöhnen, wollte er
ihn nun ein Handwerk lernen lassen. Er besprach sich mit seinem Freunde,
dem Gürtlermeister Fenchel, der sich willig zeigte, den Knaben in die Lehre
zu nehmen. Ja, Fenchel schlug es in dankbarer Erinnerung an die Dienste
die ihm Thaddäus geleistet hatte, sogar aus, ein billiges Lehrgeld anzmrehmen.
Aber daraus wurde nichts. Thaddäus zahlte und machte Lebens und Sterbens
halber die Sache schriftlich ab. Nachdem dies abgethan war, mußte ihn sein
Sohn zum letzten Male auf einem Hausiererzng begleiten.
Ja wohl zum letzten Mal! Denn Thaddäus wurde unterwegs sterbens-
krank. Da er sich nicht weiter schleppen konnte, so wurde er auf einem
Karren nach Altenheim gebracht und ins Spital der Stadt geführt, wo er
manchen Tag still und gottergeben auf dem Schmerzensbett lag. Doch war
es ihm erquickend, von kindlichen Händen gepflegt zu werden.
Als er am Ende fühlte, daß der Todesengel sich mit leisen Schritten
seinem Bette nähere, ließ er seinen Jonas zu sich rufen und gab ihm mit
dem Lebewohl seinen väterlichen Segen. Dabei überreichte er ihm eine kleine
versiegelte Büchse und sprach: „Sieh', Jonas, das ist in Sommerglut und
Winterfrost sauer erworbenes, ehrliches Gut. Es ist dein Erbteil. Ein
zusammengerolltes, leichtes Papier liegt in der Büchse; aber ich sage dir, es
ist schöne tausend Gulden schwer, die ich auf der Sparkasse angelegt habe.
Darum hüte dich, von dieser Büchse zu reden, und zeige sie niemand! Erst
nach vollendeten Lehrjahren — früher nicht — darfst du das Siegel erbrechen
und auch dann nicht, wenn du dir anders zu helfen weißt!" Jonas nahm
die leichte, blecherne Büchse, küßte bitterlich schluchzend die väterliche Hand
und gelobte, das Geheißene zu erfüllen.
„Ich sterbe zufrieden," fuhr der Alte fort, „wie ich zufrieden gelebt
habe. Leb und stirb du auch so, mein Kind! Ich will dir dazu das beste
Mittel an die Hand geben: Bete und arbeite! — Beten und arbeiten ver-
schafft in dieser und jener Welt einen guten Platz. Doch merke dir: mit
aller Arbeit ist 's nur halbes Werk. Die andere und schwerste, aber beste
Hälfte der Arbeit heißt Sparen.. Was hilft 's den Leuten, wenn sie vom
Morgen bis zum Abend ein durchlöchertes Faß füllen, das unten ausläuft?
Zuerst spare dir einen Notpfennig; denn die Not kehrt früh oder spät
in jedermanns Haus ein. Darum entbehre standhaft alles Entbehrliche! Ob
Wein und Braten, oder Wasser und Brot — es sieht uns niemand in den
Magen, und man wird doch satt. Hast du nun den Notpfennig gewonnen
und geborgen, dann spare einen Hilfspfennig für andere zusammen! Gott
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Extrahierte Personennamen: Thaddäus_Jordan Jonas Thaddäus Jonas Jonas Jonas
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Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
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einst den Kindern zu gute kommen. Kaiser Heinrich V. (1106—1125) hob
nun das Budteil zunächst in den Städten Speier und Worms ans.
Bei dem raschen Aufschwung der Städte, und seitdem die Fesseln des
Hofrechts sich zu lösen begannen, kam es häufig vor, daß Hörige ihren Herren
entliefen und sich heimlich in einer andern Stadt häuslich niederließen; denn
die Städte fragten nicht nach der Herkunft der Ankömmlinge. Kam aber ein
Herr seinem früheren Hörigen, vielleicht nach Jahren, auf die Spur, so konnte
er ihn als sein Eigentum zurückfordern. Der Kaiser setzte nun fest, daß
wenigstens keine Ehe mehr auf solche Weise getrennt werden bürste; dem
Herrn blieb es aber überlassen, sich mit dem früheren Hörigen abzufinden,
wozu dieser gern die Hand bot, da ihm die Mittel dazu nicht fehlten. All-
mählich bildete es sich als ein Stadtrecht aus, daß ein Höriger, der Jahr
und Tag „unbesprochen" geblieben war, d. h. den sein früherer Herr binnen
Jahresfrist nicht zur Rückkehr in seinen Dienst aufgefordert hatte, nicht zurück-
verlangt werden dürfe; es galt als förmlicher Rechtssatz, daß die Luft in der
Stadt frei mache.
Die Aufhebung der hofrechtlichen Lasten war der erste, die später nach-
folgende Bildung von Zünften oder Gewerbsgenossenschaften der zweite
Schritt zur Selbständigkeit des Handwerks. Nach Wilhelm Arnold.
*108. Eine Gesellen-Einfahrt.
1. „Blauer Montag, und in jedem Vierteljahr nur einer! Der mußte
ausgenutzt werden; denn man soll die Feste feiern, wie siefallen!" so dachten
heute die Schuhmachergesellen von Lüneburg. In alten Zeiten hielten alle
Handwerksknechte die blauen Montage gemeinschaftlich; das aber hatte so oft
zu Reibereien und Schlägereien geführt, daß der wohlweise Rat der Stadt
eine bestimmte Ordnung in dieses Feiern brachte. Sämtliche Montage des
Jahres wurden unter die Gilden*) verteilt, so daß immer nur wenige ihre
Blauen zusammen hatten. Heute waren die Handwerker, die in Leder arbeiteten,
an der Reihe: die Schuhmacher, die Gerber, die Beutler**) und die Sattler und
Riemenschneider. Am blauesten aber schien dieser Montag bei den Schuhmachern
zu werden; denn heute sollte der zugereiste Geselle Timotheus Schneck aus
Darmstadt in die Brüderschaft der Schusterknechte „eingeehrt" werden. Am
Samstag war der Ladeschlüssel der Schusterknechte von einer Werkstatt in die
andere getragen worden mit dem jubelnd aufgenommenen Gebot des Alt-
schaffers, daß am nächsten Montag Krngtag sein sollte.
Nun war der lustige Tag da. Nachmittags um 5 Uhr erschienen an
60 Schusterknechte in der Herberge. Timmo wurde, mit einem Blumenstrauß
geschmückt, vom Altschaffer und Jungschaffer feierlich zur Herberge geleitet
und von den Versammelten mit jubelndem Zuruf empfangen. Die Gesellen
drängten und schoben sich durcheinander, tauschten Witze aus oder erzählten
sich haarsträubende Dinge von ihren Meistern und Meisterinnen. Nach und
nach gelang es den Schaffern, sie alle zum Sitzen zu bringen. Oben quervor
am Gelage nahm der Altschaffer Platz, und rechts und links neben ihm die
beiden Bierschaffer, welche Aufsicht zu führen und bei Verstößen die Straf-
gelder einzuziehen hatten. Neben dem Bierschaffer rechts saß Timmo als
einzuehrender Schenkgesell. Jetzt klopfte der Altschaffer mit einem hölzernen
*) Bedeutet in manchen Städten links von der Elbe so viel wie Zunft.
**) Verfertiger von ledernen Beuteln, Taschen u. dgl.
8*
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_V. Heinrich_V. Wilhelm Riemenschneider Timotheus_Schneck Timmo
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Hammer, dem Zeichen seiner Würde, und alle erhoben sich. Der Altschaffer
sprach ein kurzes Gebet und öffnete dann die vor ihm stehende Lade, in der
sich die Siegel und Briefe der Bruderschaft befanden. Darauf setzten sich die
andern nieder; er aber blieb stehen, stellte den Daumen seiner geschlossenen
rechten Hand steif ans den Tisch und sprach: „Seid willkommen, liebe Brüder
und Gelaggesellen! Ist einer unter euch, der auf den Altschaffer oder die
Bierschafser oder den Jnngschaffer etwas zu sagen hat, der spreche jetzt und
schweige nachmals, auf daß wir unser Bruderbier in Frieden trinken l Was
deucht euch, Gesellen, ist Friede nicht das Beste?" Die Gesellen antworteten
mit ja.. „So sollt ihr wissen, liebe Gesellen," fuhr der Altschaffer fort, „wer
bei diesem Bruderbier Hader anfängt, der soll geben, was zwischen Staff
und Band verfaßt ist, an Bier und kein Wasser; Wein kann auch nicht
schaden. Ein jeder soll den andern beim rechten Namen nennen und kein
Beiwort gebrauchen, kein Messer ziehen oder was sonst ungebührliche Dinge
mehr sind, so lieb ihm ein Pfund Pfennige ist. Und nun, liebe Brüder,
ziehet den Beutel!"
Die Gesellen antworteten: „Dank für dein Wort!" Dann griff jeder
in seine Tasche und legte sein Auflagegeld vor sich auf den Tisch, das von
den Bierschaffern eingesammelt wurde. Darauf sprach der Vorsitzende:
„Schaffer, seid so gut und stecht die Tonne an!"
Bald brachten die beiden Schenkjungen jedem Gesellen einen Krug Bier,
und nachdem etwa eine halbe Stunde unter nachbarlichen Gesprächen ver-
gangen war, begann das umständliche, feierliche Trinken mit den Ehrenbechern
der Brüderschaft. Sie waren aus Zinn und von verschiedener Form und
Größe und hatten ihre besonderen Namen. Nicht jeder durfte aus jedem
Becher trinken; sondern es ging alles nach Brauch und Ordnung, und jeder
dabei gemachte Fehler wurde gerügt und bestraft. Auf einen Wink des Alt-
schaffers brachte ihm der Jungschaffer den ersten Becher, der „das große
Glück" genannt wurde. Stehend trank ihn der Altschaffer zur Hälfte leer
und sagte dann: „Hilf Gott, Gesellen, „das große Glück" hat mich getroffen;
ein andrer Gutgesell wird mir Bescheid thun. Hilf Gott, wen 's Glück
trifft!" Die Gesellen antworteten: „Hilf Gott, daß es mich trifft!" Nun
schüttelte der Altgesell drei Würfel in der Hand und warf sie auf den Tisch.
So viel Augen sie zeigten, so viel Gesellen wurden nach rechts hin abgezählt,
um denjenigen zu bezeichnen, der den nächsten Trunk aus dem stattlichen
Geschirr thun durfte. Der Altschaffer nannte diesen bei Namen: „Dich hat
das Glück getroffen; nimm es hin!" Der Gesell antwortete: „Glück ist besser
als Erbgut." Dann grüßte er den Becher mit denselben Worten an und ab
wie der Altschaffer, trank ihn aus und würfelte dann auch, während der
Becher neu gefüllt wurde. So ging das „große Glück" eine Viertelstunde
lang nach der an der Wand befindlichen Sanduhr im Gelage herum.
2. Nachdem die „Jungfernkanne" sechsmal von je vier Gesellen geleert war,
wurde Timmo mit dem nächsten Becher eingeehrt. Der Jungschaffer stellte
den gefüllten „großen Willkomm", einen rundbauchigen Humpen mit einem
Deckel, vor den Altschaffer hin; dieser klopfte mit dem Hammer, worauf sich
alle erhoben, und begann: „Hilf Gott, liebe Brüder und Gelaggesellen! Es
ist ein fremder Schusterknecht gekommen, der Aufnahme in unsere ehrbare
Brüderschaft begehrt. Er hat das Handwerk bewiesen, ist echt, recht und
deutsch geboren, niemandes eigen und hat uns von ehrbaren Meistern und
Gesellen viele freundliche Grüße bestellt. Ist einer unter euch, der etwas auf
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