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und zuletzt vermass er sich sogar, wenn sich etwas Erkleckliches
damit verdienen liesse, wolle er eigens das ganze Kunststück
noch einmal machen.
Von dem vielen Reden und Trinken ward er endlich müde,
legte sich auf die Ofenbank und schlief ein. Als die letzten
Gäste eben das Wirtshaus verlassen wollten, bemerkten sie, dass
er allerlei ängstliche Gebärden machte und ein banges Stöhnen
ausstiefs. Er fuhr mit den Händen in der Luft herum, als ob
er sich an etwas halten wollte, dann schrak er wieder heftig
zusammen. Es war offenbar, dass er den Fall noch einmal
durchträumte, den er am Vormittag getan hatte, und die Gäste
fanden eine grosse Belustigung darin, seine seltsamen Bewegungen
anzuschauen, besonders als sie bemerkten, dass er jeden Augen-
blick von der Bank hinunterfallen müsse. Endlich machte er
wieder eine Bewegung und fiel wirklich unter schallendem Ge-
lächter der Anwesenden von der Bank herab in die Stube. Sie
erwarteten, ihn nun aufwachen zu sehen; aber er blieb liegen,
ohne ein Glied zu rühren, und als sie herzutraten und ihn an-
fassten , war er — tot. — Er hatte vergessen, dem die Ehre
zu geb.en, der ihn am Morgen unversehrt den Sturz in die Tiefe
hatte tun lassen, so hat er sich am Abend von einer Bank
herab zu Tode gefallen. Caspari.
5. Bon Kleidern.
Wenn du einen Flecken an deinem Kleide oder irgendwo einen
Riß hast, denkst du oft: Pah! das sieht man nicht, und die Leute
haben anders zu tun, als immer alles an mir auszumustern. Du
gehst dann frank und frei herum, und es kann oft sein, du hast recht,
es sieht niemand den Flecken und den Riß.
Wenn du aber etwas Schönes auf dem Leibe hast, sei es nur ein
schönes Halstuch oder ein frisches Hemd mit weißer Brust oder gar
eine goldene Nadel und dergleichen, da gehst du oft mit herausforderndem
Blicke hinaus und schlägst die Augen nieder, um nicht zu bemerken!,
wie alle Leute, was sie in den Händen haben, stehen und liegen lassen
und gar nichts tun, als deine Herrlichkeit betrachten. So meinst du;
aber das ist auch gefehlt, kein Blick wendet sich nach dir und deiner Pracht.
Das eine Mal meinst du, man sieht dich gar nicht, und das andere
Mal, die ganze Welt hat auf dich gewartet, um dich zu beschauen;
aber beides ist gefehlt.
Gerade so ist es auch mit deinen Tugenden und Lastern.
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35
hin. Der Edelmann verwunderte sich sehr, noch mehr aber, als der
Mann auch am folgenden Tage und ferner die ganze Woche und
endlich die etlichen Jahre wieder kam, die der Edelmann noch lebte,
und einen Mittag wie den andern eine volle Schüssel brachte und die
leere dagegen holte.
Es ist nicht auszusprechen, welch herzliches Verlangen der Edel-
mann hatte, seinen unbekannten Wohltäter kennen zu lernen und ihm
zu danken, so daß er endlich zu dem Diener sprach: „Sagt Euerm
Herrn, daß mein Ende nahe ist. daß ich aber nicht ruhig sterben kann,
ich habe denn zuvor meinem Wohltäter die Hand gedrückt und mich
bedankt." Da nickte der alte Diener beifällig mit dem Kopfe, und noch
denselben Abend erschien der Erzherzog Albrecht an dem Bette des
Edelmanns, der die Hand seines Wohltäters mit Dankestränen benetzte
und etliche Stunden darauf fröhlich von hinnen schied.
Uns Menschenkindern aber ist der Wohltäter nicht unbekannt,
der uns so viele Jahre her aus seiner Küche eine Schüssel um die
andere zugeschickt, vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben
und unsre Herzen erfüllet hat mit Speise und Freude. Und doch ist
es manch einem zu viel, zu einem Tischgebet seinen Kopfdeckel zu rücken.
Ahlfeld.
41. Der kleine Friedensbote.
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die gelbe
und weiße Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Gerber ein
Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und wenn der
Bäcker in seinem großen Obstgarten an Stelle eines ausgedienten
Invaliden eines Rekruten bedurfte, ging der Gerber in seine schöne
Baumschule und hob den schönsten Mann aus, den er darin hatte,
eine Pflaume oder einen Apfel oder eine Birne oder eine Kirsche, je
nachdem er auf diesen oder auf jenen Posten, auf einen fetten oder
magern Platz gestellt werden sollte. — An Ostern, an Martini und
am heiligen Abend kam die Bäckerin, welche keine Kinder hatte, immer
mit einem großen Korb unter dem Arme zu den Nachbarsleuten hinüber
und teilte unter die kleinen Paten aus, was ihr der Hase oder das
Christkindlein selbst unter die schneeweiße Serviette gelegt hatten. Je
mehr sich die Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher
rückten sich die Herzen der beiden Weiber, und man brauchte keine
Zigeunerin zu sein, um zu prophezeien, daß sie einander immer gut
bleiben würden.
Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber
als Jagdliebhaber einen großen, braunen Feldmann und der Bäcker
3*
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Extrahierte Personennamen: Albrecht Albrecht Ahlfeld Martini Feldmann
7
meinethalben geh in die Kirche, soviel du willst. Aber eins beding
ich mir aus: wenn viel zu tun ist, mußt du auch am Sonntage
auf dem Platze sein." — Wer war froher als unser Gesell! Am nächsten
Sonntag zieht er seinen blauen Rock an, nimmt das Gesangbuch unter
den Arm und geht in die Kirche. Solch einen schönen Tag hat er
lange nicht gehabt; ihn hat die Predigt und der Gesang ganz auf-
geweckt, und unser Grobschmied war so munter wie ein Vogel. Nun
vergeht die Woche; und wie der Sonntag kommt, sagt der Meister:
„Gesell, es ist viel zu tun; heute mußt du in der Werkstatt sein." —
„Gut," sagt der Gesell, „Wenns nicht anders sein kann." — Den nächsten
Sonntag sagt der Meister wiederum: „Es ist viel zu tun," und so auch
den dritten.
Als aber nach dem dritten Sonntage der Gesell den Wochenlohn
bekam, fünf Taler und fünfundzwanzig Silbergroschen, wie es ihm
zukam, da spricht er: „Das ist zu viel!" und schiebt die fünfundzwanzig
Silbergroschen zurück. „Warum?" sagt der Meister, „es ist für die sieben
Tage." — Aber der Gesell spricht: „Nein, ich Habs mir bedacht, und
für den Sonntag nehme ich kein Geld mehr; denn der Sonntag ist
nicht zum Geldverdienen, und wenn ich am Sonntag arbeite, so ge-
schiehts Euch zuliebe, und Geld will ich nicht." Da sah der Meister
den Gesellen groß an; und seit dem Tage war die Schmiede jeden
Sonntag verschlossen und kein Hammer noch Blasebalg mehr zu hören.
Merke: Man soll unserm Hergott nicht sein drittes Gebot stehlen;
und wer in die Kirche will, findet den Weg schon.
Blätter aus dem Rauhen Hause.
11. Das Gewitter.
1. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
in dumpfer Stube beisammen sind.
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
sitzt hinter dem Ofen im Pfühl. —
Wie wehen die Lüfte so schwül!
2. Das Kind spricht: „Morgen ists Feiertag.
Wie will ich spielen im grünen Hag,
wie will ich springen durch Tal und Höhn,
wie will ich pflücken viel Blumen schön!
Dem Anger, dem bin ich hold." —
Hört ihrs, wie der Donner grollt?
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38
4. Der Lahme hängt mit seinen Krücken sich auf des Blinden
breiten Rücken. Vereint wirkt also dieses Paar, was einzeln keinem
möglich war. Gellert.
43. Eine Ohrfeige zur rechten Zeit.
In einer Handelsstadt Norddeutschlands lebte ein Kaufmann,
namens Müller, dem in letzter Zeit oft ein wohlgekleideter, junger
Mensch begegnete, der ihn sehr freundlich, ja fast zutraulich grüßte.
Herr Müller erwiderte den Gruß zwar gern; da er sich aber nicht
erinnerte, den jungen Menschen je zuvor gesehen zu haben, so glaubte
er, dieser verwechsele ihn mit jemand, dem er vielleicht ähnlich sei.
Eines Tages nun war Herr Müller zu einem Freunde eingeladen,
und als er zur bestimmten Zeit in dessen Hause eintraf, fand er den-
selben jungen Menschen mit dem Hausherrn im eifrigen Gespräche.
Der Wirt wollte nun seine beiden Freunde miteinander bekannt
machen, aber der jüngere sagte: „Das ist nicht nötig, wir kennen uns
schon viele Jahre." — „Ich glaube, Sie sind im Irrtume," erwiderte
Herr Müller; „ich habe allerdings seit einiger Zeit manchen
freundlichen Gruß von Ihnen bekommen, aber sonst sind Sie mir
völlig fremd." — „Und doch bleibt es dabei: ich kenne Sie lange und
habe mich sehr gefreut, Sie heute hier zu sehen und eine Gelegenheit
zu haben, Ihnen meinen herzlichen Dank auszudrücken." — „Wofür
wollen Sie mir danken?" fragte Herr Müller. — „Das ist allerdings
eine alte Geschichte," versetzte jener; „aber wenn Sie mir einige
Augenblicke zuhören wollen, so werden Sie sich vielleicht meiner doch
noch erinnern."
„Es sind jetzt 17 Jahr her — ich war damals ein Knabe von
9 Jahren, — als ich eines Tages aus meinem Schulwege darüber
nachdachte, wie angenehm es sein würde, wenn ich zu dem Brote, das
mir die Mutter zum Frühstücke mitgegeben, auch einen Apfel hätte;
meine Kameraden hatten oft so schone, große Äpfel, und ich bekam
nur selten Obst. Mit solchen Gedanken beschäftigt, kam ich auf den
Marktplatz, über den mein Weg führte. Da waren viele Körbe voll
der schönsten Äpfel, die mich so recht anlachten. Ich blieb unwillkürlich
stehen, um sie zu betrachten. Die Eigentümerin hatte ihrer Ware den
Rücken zugekehrt und sprach mit einer Nachbarin. Da kam mir der
Gedanke: sie wird es kaum bemerken, wenn du einen Apfel nimmst;
sie behält ja noch eine große Menge. Leise streckte ich meine Hand
aus und wollte eben ganz vorsichtig meine Beute in die Tasche stecken,
als ich plötzlich eine derbe Ohrfeige bekam, so daß ich vor Schrecken
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40
besser feiern als feiern, sagt das Sprichwort. Ich snche mir also eine
Partie Wolle ans und gehe hin, um mein Geld zu holen. Da sagt
mir der alte Frege, es sei gnt, daß ich komme, er habe nicht gemusst,
wo ich wohne. Ich hatte das gern nicht gesagt, da ich wieder wie einst
als Handwerksbnrsche in der Herberge wohnte. „Nun," sagte der Herr
Frege, „essen Sie morgen mittag bei mir, Sie werden da noch große
Gesellschaft sinden." Ich konnte nichts Rechtes daranf erwidern und
ging weg.
Ich erknndigte mich nnn, was man bei einer solchen Einladnng
zu tnn hat und was dabei herauskommt. Man sagte mir, daß es
Sitte sei, daß jedes große Handlungshaus seine Empfohlenen dnrch eine
Einladung, wie man sagt, abfüttert, daß nicht viel dabei heranskommt,
als daß man das Essen teuer bezahlen mnß, indem es mindestens
1^/2 Taler Trinkgeld an die Bedienten kostet. Das war mir nnn gar
nicht lieb. Ich rechnete ans, daß mir von 1000 Talern nur noch
998*/.; blieben, und für ein Mittagessen konnte ich nicht soviel auf-
wenden. Anderen Mittags war ich knrz entschlossen. Ich kaufe mir
für 2 Groschen Gelbwurst, für sechs Pfennig Brot, stecke es zu mir
und gehe hinans vor das Tor in das sogenannte Rosental. Mein
Tisch war schnell gedeckt. Ich setze mich ans eine Bank und wickele
meine Sachen herans, ich zerschneide die Gelbwurst in sechs Teile und
lege sie neben mich hin. Das, sage ich, ist meine Suppe, das ist
mein Fleisch, das mein Gemüse mit Beilage, das mein Fisch und das
mein Braten und Salat. Ich glaube nicht, daß sie drinnen in der
Stadt bei Frege mehr hatten und daß es ihnen besser schmeckt.
Ich war eben an der süßen Schüssel, sie war sehr gut zubereitet,
da seh ich einen Mann auf einem schönen Braunen daherreiten. Er, denke
ich, macht sich noch ein bißchen Bewegung vor dem Essen, daß es ihm
besser schmeckt. Ich wünsche ihm meinen gesunden Magen, ich brauchte
kein Pferd müde zu reiten, um tüchtig einhauen zu können. Schneller,
als ich dies sage und denke, ist der Reiter bei mir, und zu meinem
Schrecken sehe ich, es ist der Herr Frege selber! In meiner Angst
fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise ans der Hand,
und der voransspringende Hund schnupperts gleich auf; ich wickle schnell
mein Papier zusammen und weiß mir gar nicht zu helfen. „Ei Herr
Keller!" sagte der Herr Frege, „was machen Sie da? Glauben Sie,
Sie bekommen bei mir nicht genug zu essen?"
Was soll ich daranf sagen? Ich denke, du bleibst bei der Wahrheit.
Ich sag ihm nun, daß es sich bei mir sucht austragen will, gegen zwei
Taler Trinkgeld für ein einziges Mittagessen zu geben, und so und so,.
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16
nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
30 und tut, als hätt ers nicht gehört.
Der Herr nach seiner Langmut drauf
hebt selber das Hufeisen auf
und tut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
35 geht er vor eines Schmiedes Tür,
niinmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
kauft ihrer so wenig oder so viel,
40 als man für einen Dreier geben will,
die er sodann nach seiner Art
ruhig im Ärmel aufbewahrt.
Nun gings zum andern Tor hinaus,
durch Wies und Felder ohne Haus;
45 auch war der Weg von Bäumen bloß;
die Sonne schien, die Hitz war groß,
so daß man viel an solcher Stätt
für einen Trunk Wasser gegeben hätt.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
50 läßt unversehens eine Kirsche fallen.
Sankt Peter war gleich dahinter her,
als wenns ein goldner Apfel wär;
das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr nach einem kleinen Raum
55 ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
wonach Sankt Peter schnell sich bückt.
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
60 Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
„Tätst du zur rechten Zeit dich regeil,
hättst du's bequemer haben mögen.
Wer geringe Dinge wenig achft,
sich um geringere Mühe macht."
Goethe.
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46
lieber Freund, der Schneider; der verließ ihn nicht in seiner Not. Er
war Tag und Nacht um den Kranken und pflegte und erquickte ihn.
Er wußte die wohlhabenden Bäuerinnen so mitleiderweckend anzugehen,
daß er bald da, bald dort eine Schüssel kräftiger Suppe herausbrachte,
und wo die bittenden Blicke und sein erlerntes Polnisch nicht zureichten,
da legte er ein Stück seiner Habschaft dafür hin, ein Stück nach dem
andern. Dafür hatte er aber auch die herzliche Freude, seinen Kameraden
nach einiger Zeit wiederhergestellt zu sehen. Dieser wußte ihm für die
erwiesene Liebe und Treue nicht genug zu danken und weinte oft aus
Liebe und Dankbarkeit und aus Bekümmernis, daß er ihm seine Sachen
nicht wieder ersetzen könne. Der Schneider aber tröstete ihn dann und
sprach: „Was ich dir getan habe, das habe ich dem Herrn Jesus
getan, der ist reich genug, alles wieder zu bezahlen; aber es verlohnt
sich nicht der Mühe."
Die guten Freunde zogen nun in Warschau, der Hauptstadt Polens,
ein; da bekam der Schmied Arbeit, der Schneider hingegen nicht.
Darum mußten sie sich trennen. Es tat beiden im Herzen wehe, wie
sie einander zum letzten Male die Hände drückten. — Dem Schneider
ging es von da an übel; er wanderte beinahe zehn Jahr kreuz und
quer durch die verschiedensten Länder und hatte zuletzt keinen Strumpf
mehr an den Füßen und keine Sohle mehr an den Schuhen. Am
Ende geriet er gar noch unter die Werber, die ihn als Rekruten nach
Wien lieferten. Sie ließen ihn jedoch bald wieder laufen, da sie
merkten, daß er den Feinden nichts weniger als gefährlich werden
dürfte; denn er war sehr schwächlich und fast immer krank. Halb-
nackend kam er nunmehr nach Sachsen hinein, und weil er in seinem
armseligen Anzuge nirgends Arbeit fand, mußte er endlich betteln.
Da traf es sich, daß er eines Abends in einem Dorfe bei einem
Schmiede um einen Zehrpfennig ansprach. Dem Meister, welcher mit
vier Gesellen arbeitete, fuhr die Stimme durch alle Glieder. Er sprang
an die Tür, hielt dem Bettler das Licht ins Gesicht und — „Je,
Bruder, bist düs, oder bist düs nicht?" — rief er und erkannte
in ihm mit unbeschreiblichem Vergnügen seinen alten Freund. Da
flössen nun süßere Tränen als vor Warschau, dort im Polenlande.
Der Schmied, welcher in diesem Dorfe eine reiche Witwe geheiratet
hatte, brachte den matten Pilgrim in die Stube, legte ihm feine
Sonntagskleider an, setzte ihn in den Lehnstuhl am warmen Ofen, rief
alle seine Leute zusammen und sagte ihnen, das sei er, das sei der
liebe Bruder Schneider, von dem er ihnen soviel erzählt und dem er
es nächst Gott zu danken habe, daß er nicht schon lange in einem
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Magd sich ihrer an und vertrat mehr als Mutterstelle bei ihnen; denn
sie erwarb als Tagelöhnerin erst, was sie zum Unterhalte sür ihre
Pfleglinge gebrauchte. In jenem Hause, das einst Eigentum ihrer
Herrschaft war, mietete sie sich ein Stübchen, zog mit den Kindern
hinein und versah das freiwillige Erzieheramt fort und fort in Liebe
und Treue.
Da kam das Jahr 1870 und mit ihm der 6. August, an welchem
die Schlacht an den Spicherer Höhen geschlagen wurde. Die Geschichte
erzählt uns, wie schwer, wie blutig jener Tag war, wie unsere Soldaten
Wunder von Tapferkeit und Heldenmut verrichteten, — galt es ja, im
heißen Ringen den Feind von den Grenzen Deutschlands zu weisen.
Wo Männer kämpfen und Wunden schlagen, da ist es der Frauen
Amt, zu helfen und zu heilen. Katharine gab an diesem Tage den
Frauen Deutschlands ein leuchtendes Beispiel. Mit einer großen*Wasser-
bütte auf dem Kopfe trat sie ohne Furcht in die Gefechtslinie, und
während rings die Kugeln sausten und der Tod reiche Ernte hielt,
stärkte sie die Kämpfenden und labte die am Boden liegenden Ver-
wundeten mit frischem Tranke.
Ein höherer Offizier bemerkte diese Samariterarbeit. Er sprengte
auf die mutige Magd zu und rief warnend: „Weib, sieht Sie denn
nicht, wie gefahrvoll es hier ist? Mache Sie sich fort, hier wird ja
geschossen!"
Da richtete sich Katharine empor, — sie war sehr groß, „eine
Hünengestalt", sagt man, und antwortete ruhig: „Das sehe ich wohl,
Herr Leutnant; aber ich bin ja kein Soldat und schieße auch nicht!"
Ohne sich um die Kugeln zu kümmern, setzte sie ihr Werk fort und
trug manchen Verwundeten auf ihren starken Armen aus dem Gefechte
zu den Verbandplätzen an einen sicheren Ort. Immer wieder kehrte
sie dann mit gefüllter Bütte zurück, — und wie wohl mögen jene Becher
Wasser, die sie reichte, den Durstigen getan haben!
Die Offiziere hatten dem Könige Wilhelm berichtet, was jene Magd
getan hatte, und als Anerkennung für ihre unerschrockene, liebevolle
und selbstlose Tat verlieh ihr der gütige Herrscher das Ehrenkreuz und
die Kriegsdenkmünze. Durch diese Auszeichnung wurde die Achtung,
die sich Katharine bereits durch ihre frühere Handlungsweise in ihrer
Vaterstadt erworben hatte, noch erhöht.
Als Katharine im nennundsechzigsten Lebensjahre von einer Krank-
heit befallen wurde, kämpfte ihre kräftige Natur mit dem Leiden. In
einem Sessel sitzend, starb sie am 6. August, sechzehn Jahr nach jenein
B. Iv. R. j.
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Extrahierte Personennamen: August Wilhelm Katharine August
50
Schlachttage. „Ich lege mich in kein Bett," sagte sie, „die Kathrin will
sitzend sterben!"
Auf dem Militärfriedhofe im Ehrentale, an der Stätte, wo sie
damals im heißen Kugelregen in barmherziger Liebe tätig gewesen war,
wurde sie bestattet. Ihr Leben war Mühe und Arbeit. Was anders
kann sie zu solcher Treue und solchem Mute getrieben haben als opfer-
willige Nächsten- und Vaterlandsliebe?
Die Bürger ihrer Vaterstadt Saarbrücken haben der Entschlafenen
einen Grabstein gesetzt, damit ihr Name nicht vergessen werde.
Bert. Ev. Sonntagsblatt.
52. Das Mittagessen im Hofe.
Man klagt känfig darüber, wie schwer und unmöglich es
sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich
auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht
schlimm, sondern nur wunderlich , und wenn man sie inwendig
und auswendig nur immer recht kennte und recht mit ihnen
umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig und nie zu nachgehend,
so wäre mancher wohl leicht zur Besinnung zu bringen. Das
ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem
konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles
entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam
einmal der Herr sehr verdriesslich nach Hause und setzte sich
zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt
oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich.
Er fasste daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und
warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab.
Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch,
welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir
nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann
den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf
war. „Verwegener, was soll das sein?“ fragte der Herr und
fuhr mit drohendem Zorne von dem Sessel auf. Aber der Be-
diente erwiderte kalt und ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich
Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders,
als Sie wollten heute auf dem Hofe speisen. Die Luft ist so
heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der
Apfelbaum blüht und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag
halten!" — Diesmal die Suppe hinabgeworfen und nimmer!
Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich beim Anblicke
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52
Während der Offizier seine Zeche bezahlte, schaute der Wirt ihm
aus den Rock und dachte: Das ist ein sonderbarer Verdienstorden, den
der Herr da anhängen hat. Der muß sich im Kampfe mit einer Krebs-
suppe hervorgetan haben, daß er zum Ehrenzeichen einen silbernen
Löffel bekommen hat, oder ists gar einer von meinen eigenen? Als
der Offizier dem Wirte die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter
Miene: „Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist
teuer genug dazu." Der Wirt sagte: „So etwas ist mir noch nicht
vorgekommen. Wenn Ihr daheim keinen Löffel habt, so will ich Euch
einen Blechlöffel schenken; aber meinen silbernen laßt mir da!" Da
stand der Offizier auf, klopfte dem Wirte auf die Achsel und lächelte:
„Wir haben nur Spaß gemacht," sagte er, „ich und der Herr dort in
dem grünen Rocke. Gebt Ihr Euren Löffel wieder aus dem Ärmel
heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben." Als
der Löffelschütz merkte, daß er verraten sei und daß ein ehrliches Auge
auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spaß als
Ernst! und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder
zu seinem Eigentnme, und der Löffeldieb lachte auch, — aber nicht
lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten sie den verratenen
Dieb mit Schimpf und Schande zur Tür hinaus, und der Wirt schickte
ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den
wackeren Offizier aber lud er noch zu einer Flasche Ungarwein ein
auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute. Hebel.
55. Untreue schlägt den eigenen Herrn.
Als in dem Kriege zwischen Frankreich und Preußen (1806) ein
Teil der französischen Armee in Schlesien einrückte, waren auch Truppen
vom rheinischen Bundesheere dabei, und ein deutscher Offizier wurde
bei einem Edelmanne einquartiert und bekam eine Stube zur Wohnung,
wo viele sehr schöne und kostbare Gemälde hingen. Der Offizier schien
recht große Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem
Manne gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er
einmal von seinem Hauswirte, daß er ihm eins von diesen Gemälden
zum Andenken schenken möchte. Der Hauswirt sagte, daß er das mit
Vergnügen tun wolle, und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber
zu wählen, welches ihm die größte Freude machen könnte.
Nun wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand
auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht gerade
das vornehmste und kostbarste wegnehme. Daran schien dieser Mann
auch zu denken, denn er wählte unter allen Gemälden das schlechteste.
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