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1. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 399

1913 - Wittenberg : Herrosé
390 kunstlos, nur auf das Bedürfnis berechnet, war der Hausrat. Mann und Frau aßen von einem und demselben Teller. Ein oder zwei Becher reichten aus für die ganze Familie. Messer und Gabel dienten für mehrere Tischgenossen zugleich. Die Glasur irdener Gefäße kam erst jetzt auf. Kerzen hatte man noch nicht, sondern nach fröhlichem Schmause ließen sich die Gäste mit Fackeln oder Laternen nach Hause leuchten. Selbst in wohlhabendern Familien hatte der Sohn keine eigne Wirtschaft, sondern wohnte mit seiner jungen Frau in einem Hinterstübchen des elterlichen Hauses. Da- bei fehlte es aber in jenen düstern Räumen durchaus nicht an Heiterkeit und Frohsinn. Sang und Klang war überall, und in mancher deutschen Stadt gab es eine unglaubliche Menge von Spielleuten, die ihre Harfen. Fiedeln. Pfeifen und Zinken er- tönen ließen. C. Wernicke. 229. Gudruns Klage. 1. Nun geht in grauer Frühe der scharfe Märzenwind, und meiner Qual und Mühe ein neuer Tag beginnt. Ich wall' hinab zum Strande durch Reif und Dornen hin, zu waschen die Gewände der grimmen Königin. 2. Das Meer ist tief und herbe, doch tiefer ist die Pein, von Freund und Heimaterde allzeit geschieden sein. Doch herber ist's, zu dienen in fremder Mägde Schar, und hat mir einst geschienen die güldne Krön' im Haar. 3. Mir ward kein guter Morgen, seit ich dem Feind verfiel; mein' Speis' und Trank sind Sor- und Kummer mein Gespiel, sgen, doch berg' ich meine Tränen in stolzer Einsamkeit; am Strand den wilden Schwänen allein sing' ich mein Leid. 4. Kein Dräuen soll mirbeugen den hochgemuten Sinn; ausduldend will ich zeugen, von welchem Stamm ich bin. Und so sie hold gebaren, wie Spinnweb acht' ich's nur; ich will getreu bewahren mein Herz und meinen Schwur. 5. O Ortwin, trauter Bruder, o Herwig, Buhle wert, was rauscht nicht euer Ruder, was klingt nicht euer Schwert! Umsonst zur Meereswüste hin späh' ich jede Stund'; doch naht sich dieser Küste kein Wimpel, das mir kund. 6. Ich weiß es: nicht vergessen habt ihr der armen Maid; doch ist nur kurz gemessen dem steten Gram die Zeit. Wohl kommt ihr einst, zu sühnen; zu retten, ach, zu spät, wenn schon der Sand der Dünen um meinen Hügel weht. 7. Es dröhnt mit dumpfem Schlage die Brandung in mein Wort; der Sturm zerreißt die Klage und trägt beschwingt sie fort. O möcht' er brausend schweben und geben euch Bericht: „Wohl laß ich hier das Leben, die Treue laß ich nicht!" E. Geibel.

2. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 433

1913 - Wittenberg : Herrosé
433 hin. Man sah ihm an. wie ihm die Musterung einer nie be- sessenen Fülle ein Wohlbehagen machte, für jedes dachte er sich schon offenbar die Bestimmung aus. Seine arme Frau freute sich mit rührender Dankbarkeit über die Geschenke. Sehr wichtig ist es ihr. schrieb sie. datz sie nun das „Schweinchen, das ja noch ihr lieber Mann gekauft hatte, nicht aus Armut verkaufen mühte. Wie wollten sie nun alle das Schweinchen pflegen, damit es groß und fett werde, bis ihr Mann heimkommen dürfte und sich davon vollends Kraft und Gesund- heit essen könnte. Sie habe leider eine kleinere Wohnung nehmen müssen. Es sei natürlich für sie und ihre Kinder dabei das aller- wichtigste gewesen, ob sich auch das Tierchen in seinem neuen Stalle gewöhnen und mit Lust fressen werde. Angstvoll hätten sie hinter der Türe gewartet und — Gott sei Dank, es hatte ge- fressen." — Wie kennzeichnete dieser kleine Zug die große Armut dieser Leute! — Ach, dem so sehnlich erwarteten Hausvater sollte das Glück, am eignen Herd bei Frau und Kind ein Eenesungs- mahl zu feiern, nie mehr zuteil werden. — Als ich am nächsten Morgen wiederkam, lag er bereits in der Totenkammer. Still und ruhig war er in den letzten Schlummer gesunken. Auf seine Brust gepreßt hielt er noch die letzten Zeilen von seines treuen Weibes Hand. Mit großem Glanz und Pomp wurde er begraben, wir konnten den Sarg reich mit Blumen und Lorbeerkränzen schmücken. Alles fühlte den Drang, dem Sieger und Kämpfer für das Vater- land Dank und Verehrung darzubringen. Die halbe Stadt und Umgebung gab dem norddeutschen Bruder das Geleite zu seiner letzten Ruhestätte. Es war ein herrlicher Sonntagnachmittag; mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen zogen sie dahin, die berittene Bürgerwehr, die Feuerwehr mit glänzendem Helmschmuck, die Turner, die Sängerkränze und die Schulen. Kurz, was sich irgend gruppieren konnte, folgte dem Sarge des fremden Reitersmannes. Mit besondrer Wehmut erfüllte es uns. den bleichen, mühsam an Krücken und Freundesarmen dahinschwankenden Halbgenesenen unsrer Pfleglinge nachzusehen, die es sich nicht nehmen lassen wollten, den Kriegskameraden und Leidensgefährten auf seinem letzten Lebenswege zu begleiten. — So schloß eine der vielen Schicksalstragödien, die ich dort erlebte. Doch wurde auch manchen ein glückliches Los zuteil. Wie durch ein Wunder gerettet wurde Z. B. Nr. 40, ein äußerst geduldiger junger Leineweber aus Biele- feld. Mitrailleusenkugeln hatten seine Augen gestreift. Zunge und Kiefer verletzt, eine war dicht unter dem Auge in die Wange ge- gangen und durch das Ohr wieder herausgedrungen. Der Ärmste wußte unsäglich leiden, bis er endlich so ziemlich geheilt entlassen werden konnte. Der Abschied von ihm wurde uns allen schwer. Seinen Dank drückte er mit seiner sinnigen Herzensbildung rührend aus. Er sagte: „Dreierlei Engel in Menschengestalt gibt Kutsche, Lesebuch. -

3. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 403

1913 - Wittenberg : Herrosé
403 Klaus geschickt habe und den wir in nächster Woche erwarten können, eine neue Silber- oder Kobaltstufe." „Lieber Herr," erwiderte der erfahrene Bergmann trübe, „ich habe zu der Hilfe, die uns die gelahrten Herren bringen sollen, wenig Zutrauen! Die Schrecken- und Schottenberggruben wollen nichts mehr hergeben, mit dem bißchen Ernte wird's in diesem Jahre traurig werden, und über das Vieh kommt die Seuche." Welchen Nachhall diese Worte erweckten, das zeigten die trau- rigsten Mienen ringsum. Frau Barbara bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen, und Herr Christoph sprach mit zitternder Stimme: „Hoffen wir. daß der zweite aus Dresden neue Stufen entdecken wird." Aber die andern schüttelten in bangem Zweifel die Häupter. Denn fürwahr, es war eine traurige Zeit und gewiß kein Wunder, daß die braven Annaberger den Mut tiefer und immer tiefer sinken ließen. Was sollte aus ihnen werden, wenn die Gruben wirklich „ausgebraucht" waren? Sie mutzten dann ver- hungern: denn sie hatten da oben im Gebirge keinen andern Er- werb. — Und in der nächsten Woche kam Klaus mit dem zweiten Herrn Studierten aus Dresden an. Der fuhr bald in diesen, bald in jenen Schacht, der beklopfte alle Wände und sprach dazu nur Lateinisch, der nahm Messungen nach rechts und links, in die Höhe und Tiefe vor: aber er fand auch nichts. Schließlich schüttelte er dann sein weises Haupt und ging mit einer Rolle Silbergulden aus dem Säckel des Bergherrn wieder von dannen. Nun gab es keine Hoffnung mehr für die armen Leute. Ihre Hämmer und Eisen rosteten, in den Ställen ward es leerer und stiller, und obendrein brach noch ein grausiges Hagelwetter los. Da sank denn auch unserm Herrn Christoph zuletzt aller Mut. und die heitere Miene, die er bisher der Umgebung willen zur Schau getragen hatte, verschwand gänzlich. 2. Da geschah es eines Tages, daß ein armes Weib mit drei hungernden Kindern an die Türe von Herrn Uttmanns Hause pochte. Sie war eine Fremde, kam weit daher und bat um Gottes willen, ihnen ein Stück Brot und für kurze Zeit eine Ruhe- statt zu geben. Frau Barbara empfing die Arme nach ihrer Ge- wohnheit mit gütigen Worten, lud sie ins Haus herein und er- quickte sie aufs beste mit Speis' und Trank. Sie wies den hilf- losen Wanderern ein gar behaglich Kämmerlein an. und sie freute sich herzlich der Ruhe, die die Müden darin fanden. Sie hatte die Fremde nicht gefragt, woher sie komme, noch wohin sie wolle: sie war arm und ihrer Hilfe bedürftig, — das war ihr genug. Aber kurze Zeit danach, so trat aus dem Kämmer- lein die fremde Frau wieder zu ihr herein, setzte sich auf Barbaras Einladung zu ihr an den Tisch und begann nun unaufgefordert, von ihrer Heimat, Flucht und Wanderung zu erzählen. Dabei 26*

4. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 435

1913 - Wittenberg : Herrosé
435 245. Kaiser Friedrich Iii. Letzte Fahrt. 6. Juni 1888. „Ich sähe wohl gern (er sprach es stumm) noch einmal die Plätze hier herum, am liebsten auf Alt Geltow zu. — und Ihr kommt mit, die Kinder und Du." Das Dorf. es lag im Sonnenschein, in die stille Kirche tritt er ein. die Wände weiß. die Fenster blank, zu beiden Seiten nur Bank an Bank, und auf der letzten — er blickt empor auf Orgel und auf Orgelchor und wendet sich und spricht: „Wie gern vernähm' ich noch einmal ,Lobe den Herrip; den Lehrer im Feld, ich mag ihn nicht stören, Bicky, latz Du das Lied mich hören." Und durch die Kirche, klein und kahl. als sprächen die Himmel, erbraust der Choral, und wie die Töne sein Herz bewegen, eine Lichtgestalt tritt ihm entgegen, eine Lichtgestalt, an den Händen beiden erkennt er die Male: „Dein Los war leiden. Du lerntest dulden und entsagen. drum sollst Du die Krone des Lebens tragen. Du siegtest, nichts soll dich fürder beschweren: Lobe den mächtigen König der Ehren ..." Die Hände gefaltet, den Kopf geneigt, so lauscht er der Stimme. Die Orgel schweigt. Theodor Fonlane. 246. Kaiserin Auguste Viktoria. Ruhig und still zieht das Leben der Landesherrin an unserm geistigen Auge vorüber. Aus goldenen Fäden ist es gewebt, aber den Einschlag bilden Liebe und Herzensgüte und werktätiges Schaffen abseits vom Lärm der Welt. Als die kleine Prinzessin am 22. Oktober 1858 auf dem Ritter- gut Dölzig bei Sommerfeld das Licht der Welt erblickte, da winkte ihr keine Krone; denn ihr Vater, der Herzog Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. hatte in den Wirren der Zeit die Regentschaft verloren. Bei ihrer Taufe aber ging bereits ein strahlender Schein an ihrem Lebenshimmel auf: zwei nachmalige Kaiserinnen. Augusta und Viktoria, waren ihre 28*

5. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 436

1913 - Wittenberg : Herrosé
436 Patinnen, von denen sie die Namen erhielt. Sechs Jahre lang lebte das blonde, blauäugige Mädchen in der ländlichen Stille, die liebevollste Gesellschafterin ihrer jüngern Schwester, der Prinzessin Karoline Mathilde. Die Prinzessinnen, die einander in herzlicher Liebe zugetan waren, siedelten nach Primkenau über. dem stattlichen Herrschafts- sitz ihres Vaters. Hier begann die Zeit der ernsten Arbeit, die mit Ausflügen in die Umgegend und heiterm Spiel abwechselt. „Liebe Plätze haben die Prinzessinnen daheim. Hinter dem Schlosse, am Anfange des Parkes liegt an zwei Teichen, auf denen Schwäne stolz einherziehen, der Spielplatz. Groß und klein, oft sind auch Gäste dabei, vereinigt sich hier zu fröhlichem Spiel, und helles Kinderlachen erschallt, wenn die Krocketkugel des Vaters ihr Ziel verfehlt. — Doch das Paradies der Kinder liegt tiefer im Parke. Aus dunklem Tannengrün lugt ein kleines Häuschen hervor, im Schweizerstil gebaut; sein Dach ist überwuchert von wildem Wein. Vor ihm befindet sich ein Gärtchen, in dem jedes Kind sein Beet hat. Hier graben, pflanzen, gießen und jäten die Prinzessinnen mit rastlosem Eifer, und stolze Freude empfin- den die kleinen Gärtnerinnen, wenn sie selbstgezogenes Gemüse zur herzoglichen Küche tragen können, das dann bei Tafel auch gebührend gewürdigt werden muß. — Und was birgt das Schweizerhäuschen im Innern? Alles, was ein Mädchenherz sich träumt. Ein niedlich ausgestattetes Zimmer ist Wohnstube für die Prinzessinnen und ihre Lieblinge, die Puppen; daneben liegt eine kleine Küche mit offenem, aus roten Ziegeln gemauertem Herde und einer vollständigen Kücheneinrichtung. Hier schalten und walten die Prinzessinnen als deutsche Hausmütterchen." Die Eltern bleiben nicht immer in Primkenau. Im Winter lebt die herzogliche Familie in Gotha. Auch auf Reisen ins Riesengebirge, nach Frankreich und Schweden werden die Prin- zessinnen mitgenommen. Den ernsten Abschluß ihres glücklichen Mädchenlebens bildet der Konfirmationstag. Es ist der 22. Mai des Jahres 1875, kein Feiertag, und doch sieht's im Städtchen so feierlich aus. Der Landmann ist nicht zur gewohnten Zeit aufs Feld gezogen, in den Werkstätten ruht die Arbeit, und schon früh sind die Kinder in ihren Sonntagsstaat gesteckt worden. Da läuten die Glocken vom Turm, und bald ist das festlich geschmückte Gotteshaus gefüllt. Auguste Viktoria und Karoline Mathilde treten in die Kirche ein. geleitet von ihren Eltern, von Ver- wandten und lieben Freunden des Hauses. „Unsre lieben Prin- zessinnen", sagt ein altes Mütterlein, und ihre Augen werden feucht. Hinter den für sie bestimmten Stühlen vor dem Altar bleiben sie stehen. Alter Sitte gemäß hält der ehrwürdige Geist- liche. Pastor Meißner, mit ihnen eine Prüfung ab. Erfüllt von dem heiligen Ernst dieser Stunde, legen die beiden Konfirman- dinnen vor der versammelten Gemeinde Zeugnis ab von ihrem Glauben und Hoffen. Mit der Verheißung; „Sei getreu bis in

6. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 438

1913 - Wittenberg : Herrosé
438 besitzt nicht den Ehrgeiz mancher Herrscherinnen, in die Geschicke der Völker einzugreifen. Desto mehr weiß ihre Familie von ihr zu erzählen, desto besser kennen sie die Kirchen, die Krankenhäuser, die Hospitäler und Waisenanstalten. Wie ein stiller Engel er- scheint sie in deren Räumen, um ihrem frommen und guten Herzen genugzutun. Richt rauschende Hymnen begleiten ihre Liebeswerke, aber die Dankesworte und Segenswünsche der Armen und Leidenden, denen sie Helferin und Trösterin ist. Nach A. Willenberg. 247. Deutsche Worte. Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an. das halte fest mit deinem ganzen Herzen, hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft; dort in der fremden Welt stehst du allein, ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt. Schiller. Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt. Fürst von Bismarck. Deutsch der Rhein und deutsch der Wein, deutsche Sprach' und deutsche Sitte von dem Throne bis zur Hütte. Alois Schreiber. Treue Liebe bis zum Grabe schwör' ich dir mit Herz und Hand, was ich bin und was ich habe. dank' ich dir, mein Vaterland! £ offmann von Fallersleben. 248. Die Auswanderer. 1. Ich kann den Blick nicht von euch wenden, ich muß euch anschaun immerdar; wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen dem Schiffer eure Habe dar! 2. Ihr Männer, die ihr von dem Nacken die Körbe langt, mit Brot be- schwert, das ihr aus deutschem Korn ge- backen, geröstet habt auf deutschem Herd. 3. Und ihr im Schmuck der langen Zöpfe, ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank, wie sorgsam stellt ihr Krüg' und Töpfe auf der Schaluppe grüne Bank! 4. Das sind dieselben Töpf' und Krüge, oft an der Heimat Born gefüllt! wenn am Missouri alles schwiege, sie malten euch der Heimat Bild:

7. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 408

1913 - Wittenberg : Herrosé
408 über das frische Kind eine große Freude. Niemand ahnte aber damals, welche Bedeutung das Mädchen für die ganze deutsche Nation, ja für die gesamte gebildete Welt haben sollte. Im Alter von siebzehn Jahren vermählte sich die Jungfrau Katharina Eli- sabeth mit dem wohlhabenden kaiserlichen Rate Johann Kaspar Goethe und wurde die Mutter von Deutschlands größtem Dichter. Als „Frau Rat" war sie schon zu Lebzeiten ihres Sohnes der gefeierte Mittelpunkt eines ausgedehnten Bekanntenkreises, sie wurde eine Lieblingsgestalt des deutschen Volkes und ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Frohnatur! Goethe hat eigens für die geliebte Mutter dieses Wort erfunden und damit den Charakter dieser herrlichen Frau auf das trefflichste bezeichnet. Ihr sonniges Gemüt, ihre harm- lose. alles beglückende Heiterkeit, ihre kostbare Natürlichkeit und die bis zum Tode bewahrte jugendliche Frische vereinigten sich in ihr zu einem Zauber, der jeden, der in ihre Nähe kam. vom ersten Augenblicke an gefangen hielt. Wer damals von berühmten und hochgestellten Personen nur immer Frankfurt berührte, der stattete auch „Frau Aja", wie sie in Freundeskreisen genannt wurde, einen Besuch ab. Wenn der Besuch das gastliche Haus ver- ließ. da hatte Frau Rat einen Freund und Bewunderer mehr. Der Dichter Wieland nennt sie die Königin aller Weiber, die Krone ihres Geschlechts. Prinz Georg von Mecklenburg und die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar schließen innige Freundschaft mit ihr. die sie bis zum Tode bewahren. Die beiden Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz verkehren während ihres Aufenthalts in Frankfurt nirgend lieber als bei der Frau Rat. Munter plätschern sie an dem Hausbrunnen, tollen in Haus und Hof umher, und nichts schmeckt ihnen dann besser, als der von Frau Rat eigenhändig zubereitete Kartoffelsalat. Einer dieser Prinzessinnen hat das Schicksal später ein Königsdiadem um die Stirne gewunden. Es war die Königin Luise, die zeitlebens ihrer mütterlichen Freundin in herzlicher Zuneigung verbunden blieb. Frau Rat besaß die beneidenswerte Kunst, an allen Dingen die gute Seite herauszufinden. „Es gibt doch viele Freuden." schreibt sie einmal an ihren Sohn, „in unsers lieben Herrgotts seiner Welt! Rur muß man sich aufs Suchen verstehen, sie finden sich gewiß." Ewiger Frühling und heller Sonnenschein waren allezeit um sie verbreitet. „Mir geht's." lesen wir in einem andern Briefe von ihr, „wie dem Hund in der Fabel — abwehren kann ich's nicht — zerzausen mag ich mich nicht lassen — gerade wie der Hund, ich-------esse mit. Das ist verdolmetscht — ich freue mich des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht — suche keine Dornen — hasche die kleinen Freuden — sind die Türen niedrig, so bücke ich mich — kann ich den Stein aus dem Wege tun. so tue ich's — ist er schwer, so gehe ich herum — und so finde ich alle Tage etwas, das mich freut — und der Schlußstein — der Glaube an Gott! Der macht mein Herz froh und mein Angesicht fröhlich —

8. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 440

1913 - Wittenberg : Herrosé
440 4. Sie schütteln ihr lang', durchnähtes Haar und grüßen wie fremde Boten: sie reichen einen Ring mir dar und Grüße von einem Toten. von dir. von dir — ich erwach' und wein' und schlafe die Nacht nicht wieder ein. 5. Es lechzt vielleicht dein heißer Mund, und ich kann dich nicht laben: du liegst vielleicht im Meeresgrund, sorglos und unbegraben. Ach, daß ich selbst den Trost verlier', im Frieden einst zu ruhn bei dir!" Hermann erngg. 250. Deutsches Frauenleben in fernen Landen. Es ist ein weiter Weg, zu dem deine Phantasie, liebens- würdige Leserin, dich in diesem Augenblick beflügeln soll: über das Rätselland Ägypten hinweg, über die Wundergefilde Indiens, durch die schwerlastende Hitze der Tropen hindurch, mitten unter die bezopften Söhne des himmlischen Reichs, sei es nun in Hongkong, an der nördlichen Grenze der Tropenzone, oder Kanton, Schanghai, das etwa auf der Höhe von Sizilien liegt, oder gar Peking, die Hauptstadt Chinas, des Reiches der Blumen: überall findest du deutsche Frauen, die. mit Aufopferung aller der Vorteile und Genüsse des europäischen Lebens, dem Manne ihrer Wahl in das Ausland gefolgt sind, und die Euro- päern und Fremden in fernen Landen das Bild einer deutschen Häuslichkeit, alle die Anziehungen des deutschen Familienlebens hervorzaubern. Freilich sind im allgemeinen die Ansichten über das Leben in jenen Ländern noch recht verkehrte, und eine, wenn auch nur kurze Darstellung wird lehren, dah es sich auch dort zu- weilen recht angenehm leben läßt. Die junge Frau, die gewöhnlich in zartem Lebensalter dem Manne ihrer Wahl in das Ausland folgt, wird freilich beim ersten Betreten dieses nach langer Seereise nicht wenig bestürzt sein und aller der guten, im deutschen Hause gewonnenen Er- fahrungen und Lehren bedürfen, um in dem Gewirr des Fremden, das von allen Seiten auf sie einstürmt, sich zurecht zu finden und auf der fremden Erde festen Fuß zu fassen. Zunächst gilt es ja, den eignen Haushalt einzurichten, vor allen Dingen sich ein be- hagliches Heim zu schaffen. Die äußern Bedürfnisse sind hierfür in den meisten Fällen bereits alle vorhanden: ein geräumiges, luftiges Haus, durchweg mit hohen, saalartigen Zimmern, meist vollkommen ausmöbliert und wenig von europäischeni Luxus vermissen lassend, empfängt die Ankommende. Das Haus wird belebt von einer gewöhnlich recht zahlreichen Dienerschaft, deren Anblick und Entgegenkommen fremd und im ersten Augenblick

9. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 411

1913 - Wittenberg : Herrosé
411 hat etwas Rührendes und Beneidenswertes, zu sehen, wie sie in Gefahr und Sorge ruhig und heiter zu Gott wie zu ihrem Vater aufschaut, der ja nur das Veste für sein Kind wollen kann. Man kann sich die Freude dieses Mutterherzens vorstellen, als der geliebte Sohn zu immer höhern Ehren aufsteigt, in jungen Jahren erster Minister eines Herzogtums, der Freund von Fürsten und großen Männern wird und als Dichter einen Ruhm erwirbt, der ganz Europa erfüllt. Wenn der Sohn in der freien Zeit, die ihm übrigbleibt, zum Besuche nach Frankfurt kommt, dann ist sein Aufenthalt für die Mutter ein einziger großer Festtag. Eine be- sondre Freude erlebt Frau Rat, als ihr ältester Enkel sie besucht, mit dem sie wieder jung wird. Rach seiner Abreise unterhält sie mit ihm einen regen Briefwechsel. Da schreibt sie ihm einmal: ..Es ist Deine Pflicht. Deinen lieben Eltern gehorsam zu sein und ihnen vor die viele Mühe. die sie sich geben. Deinen Verstand zu bilden, recht viele, viele Freude zu machen ... Ich weiß aus Er- fahrung. was es heißt, Freude an seinem Kinde zu erleben — Dein lieber Vater hat mir nie. nie Kummer und Verdruß verursacht — darum hat ihn auch der liebe Gott gesegnet, daß er über viele, viele emporgekommen ist — und hat ihm einen großen, aus- gebreiteten Ruhm gemacht." Im steten Verkehr mit den Freunden des Hauses und des Sohnes verlebte sie einen heitern Lebensabend. Am 13. Sep- tember 1808 erlosch dieses merkwürdige Frauenleben, das in seiner Umgebung so lichten Schein verbreitet hatte. Die Trauerbotschaft erschütterte den Sohn aufs tiefste. „Er war ganz hin." berichtet darüber einer seiner Freunde. Auch er ist längst zur Ruhe ge- gangen. Wenn aber sein Riesengeist vor unsern Augen erscheint, dann begleitet ihn stets das ewig heitere Antlitz seiner unvergeß- lichen Mutter, der Frau Rat. 234. Ein Brief der Königin Luise an ihren Vater. Jeder Brief, den ein bedeutender Mensch geschrieben hat. ist geeignet, uns den Verfasser persönlich nahezubringen: durch die eigentümliche Sprache, die uns ihm gegenüberstellt, uns gewisser- maßen zum Adressaten macht, und durch die Intimität jedes mit dem Gedanken an nur einen oder wenige Leser verfaßten Schrift- stücks — die Intimität nicht der Mitteilung der privaten, persön- lichen Verhältnisse, sondern die Intimität der Form, der Sprache, des ganzen Seelenzustandes, in dem ein Brief geschrieben wird. Es ist der Alltagsmensch, der aus Briefen lebendig wird: oft be- leuchten Briefe, wie aus den: rein Persönlichen, einer höhern Er- scheinung gleich, das Allgemeine für Momente aufsteigt; Durch- brüche eines tiefer als in e i n e m Menschen und seinen Lebens- umständen wurzelnden Gefühls stehen zwischen trockenen Mit- teilungen. Das Unregelmäßige, Anregende. Ernüchternde und zum Widerspruch Reizende, aber auch das menschliche Anteilnahme

10. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 413

1913 - Wittenberg : Herrosé
413 werden ewig Freude haben, weil wir sie verdienen. Wie be- ruhigend dieser Gedanke ist. läßt sich nicht sagen. Ich ertrage alles mit einer solchen Ruhe und Gelassenheit, die nur der innere Friede des Gewissens und reine Zuversicht geben kann. Deswegen seien Sie überzeugt, bester Vater, daß wir nie ganz unglücklich sein können, und daß mancher, mit einer glänzenden Krone geschmückt und vom Glücke umgeben, nicht so froh ist. als wir. mein Mann. unsre gesunden Kinder und ich, es sind. Gott schenke allen guten Menschen den Frieden der Brust! Noch immer wird dann auch der Unglücklichste Ursachen und verborgene, stille Quellen der Freude haben. Noch eins zu Ihrem Troste: daß nie etwas von unsrer Seite geschehen wird, was nicht mit der strengsten Ehre verträglich ist und was nicht mit dem Ganzen geht. Denken Sie nicht an einzelne Erbärmlichkeiten. Der König steht mitten im Unglücke ehrwürdig und charaktergroß da. Das wird auch Sie trösten: das weiß ich. so wie alle. die mir angehören. Ich bin auf ewig Ihre treue, gehorsame, Sie innig liebende Tochter, und gott- lob. daß ich es sagen kann. da Ihre Gnade mich dazu berechtigt. Ihre Freundin Luise. 235. Luise Scheppler. Barmherzigkeit, du lichter Engel des Menschenlebens! Wo du über die Erde wandelst, da steigt das verlorene Paradies zu deinen Füßen auf. Aber nie sind deine Strahlen reiner und glänzender, als wenn du aus dem Herzen des Armen hervor- brichst. der sich in unendlicher Liebe zu seinem noch ärmern Mit- menschen hinneigt, ihn unter der Last des Lebens aufrichtet und dann demütig nach den Worten der Schrift bekennt: „Wir sind unnütze Knechte: wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." An der Grenze zwischen Elsaß und Lothringen erhebt sich ein hoher Gebirgsrücken, dessen westlicher Abhang das sogenannte Steintal (lian de la roche) bildet. Dieses Steintal war in Wirklichkeit eine Steinwüste und gehörte um die Mitte des acht- zehnten Jahrhunderts zu den unwirtlichsten Gegenden des Landes. Die fünf Orte des Tales zählten zusammen nur hundert Familien, die im Elend dahinbrüteten und keine andre Nahrung als Holz- äpfel, wilde Birnen und in Milch gekochtes Gras kannten. Von Schulen und geistiger Bildung waren in diesem Jammertal kaum einige Spuren vorhanden. Da erging das Wort des Herrn an zwei edle Prediger. Stü- der und O b e r l i n . die nacheinander mit unermüdlicher Treue in dieser unwirtlichen Einsamkeit wirkten, das unfruchtbare Land in eine wohlangebaute, wohlhabende Gegend verwandelten und die verkommenen Bewohner zur lichten Höhe der Menschheit er- hoben. Namentlich war die Arbeit des letztern von großen Er-
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