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1. Kleine Staatslehre - S. 19

1909 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
§ 7. Die Reichsverwaltung. — § 8. Die Reichsfinanzen. 19 § 7. Tie Ncichsverwaltung. Die oberste Reichsverwaltung unterscheidet sich dadurch von der Ver- waltung Preußens und der meisten anderen Staaten, daß sie nicht die Form eines Ministeriums hat, dessen Mitglieder einander gleichberechtigt und für ihre Amtshandlungen verantwortlich sind, sondern daß der Reichskanzler allein die Verantwortung trägt. Ihm sind Staatssekre- täre untergeordnet, welche die Reichsämter verwalten: Die Reichsämter sind: 1. Das Auswärtige Amt. Die diplomatischen Vertreter bei auswärtigen Staaten führen entweder den Titel Botschafter (bei folgenden Mächten: Österreich- Ungarn, England, Frankreich, Rußland, Italien, Spanien, der Türkei, den Vereinigten Staaten, Japan) oder Gesandte. Die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen deutscher Reichs- angehöriger im Auslande und ihr persönlicher Schutz ist Aufgabe der Konsuln. Diese sind entweder besoldete Berufskonsuln oder unbesoldete Wahlkonsuln, d. h. Kaufleute, die nebenher die Kon- sulatsgeschäfte wahrnehmen. 2 Das Reichsamt des Inneren. Ihm fällt unter anderem die Sorge für die weitverzweigte Ar- beiterversicheruug zu. 3. Das Reichsjustizamt. 4. Das Reichsschatzamt. 5. Das Reichspostamt. 6. Das Reichseisenbahnamt. 7. Das Reichsmariueamt. 8. Das Reichskolonialamt. Die Heeresverwaltung untersteht, abgesehen von Bayern, Sachsen und Württemberg, welche eigene Kriegsminister haben, dem preußischen Kriegsministerium. 8 8 8. Tie Rcichsfiminzen. Die wichtigsten Einnahmequellen des Reichs sind folgende: 1. Indirekte Steuern: a) Die Grenzzölle. Diese sind teilweise Schutzzölle, teilweise Finanz- zölle. d) Die Verbrauchssteuern, die von Tabak, Zucker, Salz, Brannt- wein, Bier und Schaumwein erhoben^werden. 2*

2. 1870 - 1914 - S. 5

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
5 Da sich Frankreich allein zum Kampf gegen den stärkeren Nachbarn zu schwach fühlte, so versuchte es Bundesgenossen gegen Deutschland zu gewinnen. Hierfür kamen bei der Schwäche Italiens vor allem Öster- reich und Rußland in Frage. Einflußreiche Kreise Österreichs waren 1870 sranzosensreundlich gewesen, und in Rußland gab es auch eine starke deutschfeindliche Partei (siehe unter d), aber Bismarcks überlegener Staatskunst gelang es, die beiden Kaiserreiche Deutschland zu nähern und so Frankreich zu vereinzeln („isolieren"). b) Das Dreikaiserverhältnis. Weil Bismarck eine Vereinigung der Mächte Frankreich, Öster- reich, Rußland, „das Schreckgespenst der Koalition", wie sie gegen Friedrich den Großen bestanden hatte, befürchtete, suchte er womöglich ein Bündnis der drei Kaisermächte herbeizuführen. Cr wollte hierdurch Deutschland sichern und ihm Zeit lassen, sich im Innern auszubauen und durch Friedensarbeit den Vorsprung einzuholen, den andere, glücklichere Völker im Laufe der letzten 200 Jahre erlangt hatten, während Deutsch- land ohnmächtig am Boden lag. Die Anknüpfung an Rußland war leicht; denn mit Rußland stand Deutschland schon seit Jahrzehnten auf freundschaftlichem Fuß. Zar Alexander Ii. war außerdem ein Resse und Verehrer des greisen Kaisers Wilhelm, und dieser, im Zeichen russischer Freundschaft geboren und erzogen, war stets russenfreundlich. Da Bismarck Rußland gegen Polen und England möglichst unterstützte, bestanden gute Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten. Allerdings hatte infolge des Aufstiegs Deutschlands, das ja jetzt die Ostsee beherrschte, in Rußland die Partei der Panslawisten, d. h. Allslawen, immer mehr Anhänger gewonnen, die eine Vereinigung aller slawischen Völker Europas unter russischer Führung herbeiführen wollte und deutschfeindlich war — sie hat ja 1914 den Weltkrieg entfacht —, aber damals betrachtete und behandelte der Zar sie noch als Revolutionäre. Schwerer war es, Ö st e rr e i ch nach der Niederlage von 1866 für ein Zusammengehen mit Deutschland zu gewinnen. Aber die Gleichheit der Interessen, die Blutsverwandtschaft und vor allem die schonende Be- handlung des geschlagenen Gegners durch Bismarcks weit voraus- schauende Staatskunst im Frieden zu Rikolsburg 1866 — er hatte gegen den Willen seines Herrn es durchgesetzt, daß Österreich kein Land ab- zutreten und nur eine geringe Kriegsentschädigung zu zahlen brauchte — hatten ein gutes Einvernehmen vorbereitet. Es ist dies eine der größten Taten Bismarcks, die allein das spätere enge Bündnis zwischen Öster- reich und Deutschland ermöglichte, das seither den Angelpunkt unserer Politik bildet und uns im Weltkrieg Schulter an Schulter kämpfen läßt. Da Österreich einsah, daß es seine 1866 verlorene Vorherrschaft über Deutschland aufgeben müsse, so führten die Zusammenkünfte der Herr- scher, besonders seit Andrassy Ministerpräsident war, ein freundschaft- liches Verhältnis der Bruderstaaten herbei.

3. 1870 - 1914 - S. 6

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
6 Zwischen Österreich und Rußland bestanden — und bestehen — freilich tiefe Gegensätze. 1. Rußland will bekanntlich aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen Herr von Konstanlinopel werden und die Vorherrschaft über den Balkan ausüben. Es erstrebt vor allem freie Zugänge zum Meer und eisfreie Häfen, besonders nach dem Mittelländischen Meer; denn seine Hauptausfuhrgebiete (die Akraine — Getreide, Kaukasus — Petroleum) liegen am Schwarzen Meer. Daher begehrt es schon seit Jahrhunderten die Herrschaft über die Dardanellen. Dazu kommt der Glaube, es sei seine gottgewollte Aufgabe, die Türken aus Europa zu verjagen und auf der Hagm-Sophia-Moschee in Konstantinopel wie- der das Kreuz aufzurichten. Österreich-Ungarn kann es aber nicht dulden, daß eine andere Großmacht die Donaumündung und den Balkan beherrscht; sein Lebensinteresse erfordert es, daß es nicht der natürlichen Absatzwege beraubt und von drei Seiten von einer feindlichen Groß- macht eingeschlossen wird. 2. Die Polen befanden sich in Österreich in bevorzugter Stellung, in Rußland dagegen wurden sie unterdrückt; die russischen Polen er- strebten daher den Anschluß an Österreich, Rußland aber wollte das durch seine Kohlenlager, Industrie und Volksdichte reiche Polen nicht verlieren. 3. Da Österreich-Ungarn zur Hälfte eine slawische Macht ist, würde der Verlust der slawischen Gebiete, den der Panslawismus herbeiführen wollte, die Großmacht zum Kleinstaat herabsinken lassen. Der überlegenen, meisterhaften Staatskunst Bismarcks gelang es aber trotz der bestehenden tiefen Gegensätze die beiden Freunde Deutsch- lands zusammenzuführen. Im Jahre 1872 kamen die drei Kaiser von Deutschland, Rußland und Österreich in Berlin zusammen; zwar wurde hier zwischen ihnen kein Bündnis geschloffen — daher ist der Name Drei- kaiserbündnis nicht richtig —, wohl kam es nur zu einem „ D r e i - kaiserverhältnis", aber hierdurch war doch vor aller Welt das gute Einvernehmen der Kaisermächte zum Ausdruck gebracht, und Frank- reich stand ohne Bundesgenossen allein da. Weitere Besuche der Kaiser vertieften noch die friedliche Stimmung, zumal sich auch Italien an die drei Mächte anschloß. England hatte zwar Deutschland 1864 große Schwierigkeiten bereitet und war 1870/71 im Sinne schonender Behandlung Frankreichs bemüht gewesen, aber es fand sich doch mit den vollzogenen Tatsachen schnell ab, wozu der Rückhalt, den Bismarck an Rußland besaß, nicht wenig beitrug. Da Deutschland damals noch keine Flotte und keine Kolonien besaß und es noch kein wirtschaftlicher Nebenbuhler, sondern ein guter Kunde Englands war, so bestanden zwischen ihm und uns noch keine Neibungsslächen. Die Beziehungen zu Spanien und der Türkei waren freundschaft- liche; Nordamerika und Japan standen damals der europäischen Politik noch fern. Da weder Wilhelm I. noch Bismarck — ebensowenig wie später

4. 1870 - 1914 - S. 9

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
9 tober 1879 den Bund „des Friedens und der gegenseitigen Verteidi- gung" zum Schuh gegen Rußland. Kaiser Wilhelm hat den Bünd- nisvertrag nur widerstrebend vollzogen. In seinem echt ritterlichen Sinn bestand er auf sofortiger vertraulicher Bekanntgabe desselben an den Zaren. Die Mitteilung verfehlte nicht die von Bismarck erhoffte dämpfende Wirkung aus die russische Politik. Die Hauptbestimmungen des Zweibundes sind folgende: 1. Bei einem Angriff Rußlands auf einen der beiden Staaten stehen sich beide mit ganzer Kraft bei und schließen nur gemeinsam Frieden. 2. Beim Angriff einer anderen Macht (z. V. Frankreich) verhalten sie sich wohlwollend neutral; Hilst aber Rußland dieser Macht, dann stehen sich die Verbündeten mit ganzer Kraft bei. Dieser Zweibund ist eine der festesten Bürgschaften des europäischen Friedens geworden. Bismarck wollte auch Italien heranziehen, um eine weitere Deckung gegen Frankreich zu haben; aber es konnte sich damals noch nicht zum Bündnis entschließen, um nicht unnötigerweise in Gegen- satz zu Frankreich zu geraten. Erst die nachteiligen Folgen seiner Ver- einzelung trieben es 1882 dazu. e) Der Dreibund 1882. Frankreich hatte sich schon auf dem Berliner Kongreß die Zustim- mung Englands und Deutschlands zur Besetzung von Tunis gesichert und nahm daher 1881 das Land in Besitz. Dies rief aber in I t a l i e n einen Sturm der Entrüstung hervor. Tunis war nämlich schon seit langer Zeit von Italienern besiedelt, und diese erhoben auf das gegenüber- liegende Land Anspruch, weil es eine alte römische Provinz war. Ob- gleich die Italiener Frankreich freundlich gesinnt waren, da beide roma- nische und katholische Völker sind und Italien nur durch Frankreichs Hilfe seine Einheit im Kampf gegen Österreich errungen hatte, suchten sie in ihrer Erregung Anschluß an Deutschland. Da sie österreichfeindlich waren: 1. weil Österreich früher ihr Zwingherr war, 2. weil es ihr Nebenbuhler am Adriatischen Meer war, 3. weil weite Kreise Italiens die italienisch sprechenden Teile Öster- reichs um Triest und Trient für sich begehrten (die Irredentisten), wollte Italien zunächst nur ein Bündnis mit Deutschland schließen, aber Bismarck hatte verlangt, daß es sich auch mit Österreich freundlich stellte. „Der Weg nach Berlin geht nur über Wien." So kam im Mai 1882 der Dreibund zustande. Bismarck wußte wohl, daß dieses Bündnis „die kälteste aller politischen Vernunstehen" war, aber er hoffte doch dadurch zweierlei zu erreichen: 1. daß Italien Österreich im Fall eines Krieges mit Rußland nicht „ins Bein beiße", 2. daß es im Fall eines Krieges Deutschlands mit Frankreich „Trommler in die Alpen" stellen würde.

5. 1870 - 1914 - S. 12

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
12 machte aber die Ostmächte damals zu Herren der Lage. Allerdings hatte es einerseits wegen der bestehenden Gegensätze zwischen Österreich und Nußland ebenso wie das Dreikaiserverhältnis keinen längeren Bestand, und andererseits verhinderte die sranzosensreundliche Partei in Ruß- land auch ein näheres Verhältnis zu Deutschland. 6) Erwerb deutscher Kolonien 1884/85. Indessen benutzte Bismarcks meisterhafte Staatskunst die un- gewöhnlich günstige Weltlage, um Deutschland „Schutzgebiete" zu erwerben. In den siebziger Jahren war in Europa eine allgemeine Kolonialmüdigkeit. Da man die Schätze des „schwarzen Erdteils" noch nicht kannte, so begehrte niemand seine Länder. Daher hielt auch Bis- marck den von einigen Vaterlandssreunden angeregten Gedanken, eigne Kolonien zu erwerben, für verfrüht; er glaubte, sie seien unnötig und brächten uns nur in Streit mit andern Mächten; er aber wollte vor allem den Weltfrieden erhalten. Erst der Aufschwung unseres Handels und unserer Industrie sowie die große Auswanderung der Deutschen (siehe S. 16), ließ allmählich die Erkenntnis aufdämmern, daß wir über See Landerwerb haben mußten zum Bezug von Rohstoffen und als Absatzgebiet für die Industrieerzeugnisse. Cs ist das Verdienst Bremer und Hamburger Kaufleute, daß sie zuerst in kühnem Hanseaten- geist Kolonialland erwarben. Als der Bremer Kaufmann Lüderitz 1884 für seine Riederlasiungen in Südwestafrika den Schutz des Reiches be- gehrte, fragte Bismarck bei England an, ob es dort Eigentumsrechte habe. Als aber dieses den Anspruch erhob, alles noch herrenlose Land gehöre von Gottes und Rechts wegen ihm — denn es ist der Überzeugung, es sei das auserwählte Volk, das Gott für die Weltherrschaft bestimmt habe — und die Hand aus diese Gebiete legen wollte, da ließ er in Südwestafrika, Togo und Kamerun die deutsche Flagge hissen. Alle diese Erwerbungen setzte er erst gegen nachhaltigen Widerstand Englands und Frankreichs durch. Auch der Erwerb der Südsee-Inseln und von Deutsch- Ostafrika durch Dr. Peters und Gras Pfeil setzte zu gleicher Zeit ein. Bei allen Erwerbungen aber wünschte Bismarck das Reich auf die Aus- übung der staatlichen „Schutzgewalt" zu beschränken — daher reden wir auch von „Schutztruppen" — und alles weitere den privaten Handels- gesellschaften zu überlasten. Erst nach seiner Amtszeit haben an die Stelle der von unzulänglichen Gesellschaften verwalteten „Schutzgebiete" staat- liche „Kolonien" treten müsten, und erst 1890 wurde eine besondere Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt errichtet. ünter dem Gesichtspunkt, das zukunftreiche gewaltige Kongobecken, das England begehrte, der Allgemeinheit offen zu halten, setzte Bismarck auf der Kongokonferenz in Berlin die Schaffung des belgischen Kongostaates durch. Diese verhältnismäßig schnellen und großen Erfolge in der so spät aufgenommenen Kolonialpolitik erscheinen um so erstaunlicher, als Deutschland nur über eine minderwertige Flotte verfügte, und erklären sich lediglich aus der geschickten Ausnutzung der politischen Spannungen,

6. 1870 - 1914 - S. 14

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
14 veröffentlicht ist. Aber soviel kann doch schon gesagt werden, daß ein Verstoß gegen den Dreibund in ihm nicht enthalten ist. Der Vertrag sollte wahrscheinlich Rußland den Rücken decken im Fall eines englischen Angriffs und den Frieden zwischen Rußland und Österreich sichern, da jeder wissen sollte, daß der Angreifer nicht von Deutschland unter- stützt würde. In F r a n k r e i ch war 1885 der deutschfreundliche Minister Ferry gestürzt und ein revanchebegieriges Ministerium mit dem Kriegsminister Boulanger an seine Stelle getreten. Als Rußland sich trotz des Geheim- vertrags Frankreich näherte und der Zweifrontenkrieg drohte, veröffent- lichte Bismarck die Bestimmungen des Zweibundes von 1879 und hielt am 6. Februar 1888 seine denkwürdige Rede, die mit den stolzen Worten schloß: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt". Beides wirkte wie ein kalter Wasserstrahl, und der Krieg ging vorüber. Aber schon 24 Stunden später fand in Paris eine Besprechung statt, in der sich Frankreich und Rußland über einen Zusammenschluß einigten. Da Bismarck den deutschen Banken, als der Krieg auszubrechen drohte, geraten hatte, Rußland kein Geld zu leihen, so benutzte das reiche Frankreich diese Gelegenheit sehr geschickt, um das geldbedürftige Ruß- land für den Ausbau seines Heeres und seiner Eisenbahnen mit Geld zu unterstützen. Durch diese „goldene Kette" sind die beiden Staaten aneinander geschmiedet worden; die wirtschaftliche Annäherung hat das politische Bündnis vorbereitet. Das französische Rache- und das russische Geldbedürfnis führten einige Fahre später zum französisch - russischen Bündnis. • i! Fm Fahre 1890 erfolgte Bismarcks Rücktritt. Die Lage Deutsch- lands um diese Zeit war folgende. Cs war mit 50 Millionen Ein- wohnern mit Österreich-Ungarn (41 Mill.) und Ftalien (31 Mill.) im Dreibund vereint und stand mit Rußland (85 Mill.) in geheimer Rückendeckung. England mit seinen 37 Mill. europäischen Einwohnern mußte sich um die Gunst Deutschlands bemühen; Frankreich (38 Mill.) stand in verhaltener Feindschaft abseits. Freilich darf man nicht über- sehen, daß im Dreibund die italienischen Frredentisten gegen Österreich hetzten und daß auch Bismarck die zunehmenden deutschfeindlichen pan- slawistischen Strömungen in Rußland nicht hatte unterdrücken können. Die Stellung Deutschlands hatte sich in den letzten Fahren, besonders seit es auch Kolonialpolitik trieb, offenbar verschlechtert?) Aber als Bismarck 1890 sein Amt niederlegen mußte, wurde sein Ausscheiden von Deutsch- land und seinen Freunden mit Sorge, von Deutschlands Feinden mit Freude aufgenommen. Cr hatte doch durch seine geschickte Staatskunst die einander widerstrebenden Großmächte beherrscht und so nicht nur Deutschland, sondern auch Europa den Frieden erhalten. Cr hatte Deutschland die Vormachtstellung in Europa gegeben, obwohl er Fest- landspolitik trieb. Darum kann man ohne Übertreibung seine Amtszeit eine Zeit deutscher Vormachtstellung in Europa unter Bismarck oder das Zeitalter Bismarcks nennen. *) *) Siehe Anm. 3 S. 70.

7. 1870 - 1914 - S. 17

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
17 1. Das Deutsche Reich mußte hinaus in die Welt, wenn es leben wollte — unsere Zutunst liegt aus dem Wasser —, aber es wollte keine kriegerischen Eroberungen machen; es erstrebte nur den freien Wettbewerb unter den Kulturvölkern, es forderte nur freie Betätigung im Schutz der Handelsinteressen, den Grundsatz der „offenen Türe", d. h. es wollte in allen Gebieten, die noch nicht von europäischen Mächten beseht waren (z. B. in China, Persien, Marokko) ungestört Handel treiben. Zur Sicherung desselben brauchte es eine deutsche Flotte. Selbstverständlich sollte auch fernerhin der Dreibund die Grundlage der deutschen Auslandspolitik sein; denn der Kern der deutschen Kraft lag nach wie vor in Europa. Ins- besondere wurde die Notwendigkeit des festen Zusammenhaltens mit Österreich-Ungarn betont. 2. Daneben aber hielt Wilhelm Ii. auch die Schaffung eines Landwegs nach Asien für notwendig, damit Deutschland im Falle eines Krieges nicht vollständig abgeschlossen werden könnte. Er hatte deshalb schon 1889 durch einen Besuch in Konstantinopel Beziehungen mit dem Sultan angeknüpft, die allmählich immer herzlicher wurden. 3. Dabei war Wilhelm Ii., ebenso wie Wilhelm I. und Bis- marck, eifrig bestrebt, den Frieden zu erhalten, solange es die Sicherheit des Reiches irgend gestattete, unter Voraussicht der ungeheuren Opfer an Blut und Gut, die neuzeitliche Kriege fordern. Von 1890—1914 hat Deutschland auch keinen Krieg geführt, obwohl ihm die Gunst der Verhältniße einen solchen oft nahegelegt hätte. Da Deutschland erst in seine neuen Aufgaben hineinwachsen mußte und noch keine Erfahrungen in der Weltpolitik hatte, da es außerdem infolge seiner ungünstigen Lage immer auf seine Nachbarn Rücksicht nehmen und seine Ziele und Pläne nicht so offen aussprechen konnte, wie z. V. England, so hatte es einen schweren Stand; seine Politik ging nicht ohne Schwanken vonstatten und hatte dadurch vielfach etwas Un- sicheres und Unberechenbares; *) hierdurch kam Deutschland mit Unrecht beim Auslande in den Verdacht, es strebe nach der Weltherrschaft. Infolge der Neuheit der Ziele wurde Kaiser Wilhelm von seinem Volk zunächst nicht verstanden, und es gehört auch zur Tragik seines Lebens, wie schwer ihm seine Aufgabe durch seine eigenen Untertanen gemacht wurde. Daß er mißverstanden wurde, bewirkten freilich zum Teil die ersten Handlungen des „neuen Kurses", vor allem der Helgo- land-Sansibar-Vertrag und seine Folgen. Vor Eintritt in die Besprechung der Regierungszeit Kaiser Wil- helms Ii. sei bemerkt, daß die richtige Einschätzung und Würdigung zahlreicher Ereignisse heute noch schwer ist, da der beherrschende Über- blick — das Urteil der Geschichte — fehlt, um mit Sicherheit Richtiges und Falsches zu sondern. Sie ist auch vielfach eingeschränkt durch staat- liche Pflichten und Rücksichten aus lebende Personen. *) „Zick-Zaä-Kurs". Ehringhaus, 1870 — 1914. 2

8. 1870 - 1914 - S. 18

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
18 2. Die englisch-deutsche Annäherung durch den Helgoland-Sansibar- Vertrag 1890. Die erste folgenschwere Amtshandlung des neuen Reichskanzlers Caprivi war das Abkommen über afrikanische Kolonien und Helgoland am 17. Juni 1890, der sogenann.e Helgoland-Sansibar - Vertrag. Für den Verzicht aus das Sultanat Witu, die Somaliküste samt Inseln und Anrechten auf Sansibar in Ostasrika sowie die Gebiete im Vetschuana- land in Südafrika erhielt Deutschland neben der Anerkennung von Deutsch-Ostafrika bis zu den großen Seen und dem Caprivizipfel in Deutsch-Südwestafrika nur die kleine Insel Helgoland. Die damalige Aufnahme des Vertrags in England war allgemeine Zufriedenheit. Der Weltreisende Stanley sagte, man habe einen ganzen Anzug für einen Hosenknopf umgetauscht; aber in Deutschland entstand ein Sturm der Entrüstung. In England erkannte man damals den Wert von Helgo- land nicht und überschätzte Sansibar, wie fast allgemein auch bei uns. Heute erkennen wir alle den Besitz Helgolands als eine Lebensfrage für Deutschland an und sind unserem Kaiser dafür dankbar, daß er uns diese Insel, die die Nordsee beschützt, erworben und zu einer starken See- festung umgewandelt hat. Trotzdem darf man behaupten, daß wir da- mals nicht so große Opfer hätten zu zahlen brauchen. Caprivi war aber weder ein Kolonialfreund noch ein großer Staatsmann, und er wollte sich England nähern. Das Abkommen ist die erste Offenbarung des neuen Kurses, der Anschluß an England suchte und damit in der Politik einen jähen Wechsel eintreten ließ. Bismarck hatte England vereinzelt und sich an Rußland angelehnt, Wilhelm Ii. war persönlich sehr eng- landfreundlich — seine Mutter war eine Engländerin — und hielt eine Verbindung der größten Landmacht mit der größten Seemacht für das beste. Bei der Unsicherheit der damaligen russischen Politik suchte er daher engeren Anschluß an das uns auch kulturell näher stehende Eng- land, wodurch freilich das Verhältnis Deutschlands zu Rußland ge- lockert und eine Annäherung Rußlands an Frankreich ermöglicht wurde. 3. Die russisch-französische Annäherung 1891. Rußland war schon durch den Helgoland-Sansibar-Vertrag recht beunruhigt worden; als dann im Herbst 1890 der Rückversicherungs- vertrag nicht erneuert wurde, war es von der abgeschlossenen deutsch- emglischen Annäherung überzeugt und leistete dem Liebeswerben Frank- reichs nicht länger Widerstand. Warum dieser nicht erneuert wurde, ist noch nicht geklärt. Schon unter Bismarck waren die Beziehungen zu Rußland — was nicht immer gebührend gewürdigt wird — immer mehr erkaltet, und die Erhaltung eng-sreundlicher Beziehungen war ihm nur durch seinen persönlichen Einfluß auf den Zaren gelungen. Ein Bünd- nis, das nur auf zwei Augen stand, verbot dem Deutschen Reich jede Betätigung auf Gebieten, die für die Zukunft Deutschlands und Oster- reich-Ilngarns von entscheidender Wichtigkeit werden mußten. Die heutige enge Freundschaft zwischen Österreich und Deutschland war nie-

9. 1870 - 1914 - S. 20

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
20 immer mehr zu trennen, und das Deutsche Reich war bestrebt, sich dem Zweibund zu nähern. Das geschah nach dem Rücktritt Caprivis unter dem russenfreundlichen Reichskanzler Hohenlohe, besonders seit dem Re- gierungsantritt des Zaren Nikolaus Ii. (1894), der eine deutsche Prin- zessin geheiratet hatte (Alice von Hessen, die Schwester des Großherzogs von Hessen-Darmstadt). Ii. Abschnitt. Das Erwachen des Ostens; der Eintritt Japans uncl Nordamerikas in die weltpolitik. Die wachsende Spannung zwischen Deutschland und England und die Annäherung Deutschlands an den Zweibund. 1894-1898. 1. Der Chinesisch-japanische Krieg (Schimonoseki) 1894/95. Das Jahr 1894 bedeutet einen weltgeschichtlichen Wendepunkt; denn mit ihm beginnt nicht nur eine neue Gruppierung der Mächte um England und Deutschland, sondern in ihm tritt vor allem zum erstenmal die gelbe Rasse tätig in die Weltgeschichte ein. Vis daher hatten die Großmächte Europas die Welt beherrscht, 1894 trat plötzlich Japan dem russischen Eroberer in den Weg. Zn nur 30 Zähren hatte sich dies Znselreich überraschend schnell in einen neuzeitlichen Staat verwandelt. Wegen seiner starken Übervölkerung suchte es sich im gegenüberliegen- den Korea, das von China abhängig war, festzusetzen. Da stieß es auf den Widerstand Rußlands, das ebenfalls auf dieses Land die Hand legen wollte, um einen eisfreien Hafen zu gewinnen. Rach den Miß- erfolgen auf dem Balkan hatte es nämlich versucht, sich in Ostasien zu entschädigen. Cs hatte Sibirien immer mehr kolonisiert und den Hafen Wladiwostok (d. h. beherrsche den Osten) angelegt; seit 1891 hatte es den Vau der großen sibirischen Eisenbahn begonnen. Da aber der neue Hafen 4—5 Monate zufriert, suchte es südlichere Gebiete mit eisfreien Häfen zu erlangen. Dadurch wurden Rußland und Zapan Neben- buhler. Letzteres suchte möglichst schnell eine Entscheidung der korea- nischen Frage mit China herbeizuführen und begann 1894 den Krieg, um sich die Vormachtstellung in Korea zu sichern. Ein glänzender Siegeszug zu Wasser und zu Land offenbarte aller Welt die in wenigen Zähren und unbeobachtet geschaffene militärische Stärke — preußische Offiziere waren die Lehrer der Japaner — und sicherten ihm im Frieden von Schimonoseki (in Zapan) im April 1895 die Halbinsel Liau- tung mit Port-Arthur, die Znsel Formosa und die Unabhängigkeit Koreas. Da erhoben die europäischen Mächte Rußland, Frankreich und Deutschland gegen die Festsetzung auf dem asiatischen Festlande Einspruch. Warum? Rußlands Pläne wären durch die Herrschaft Zapans über die Straße von Korea vernichtet worden, Frankreich tat es wegen seiner Besitzungen in Hinterindien und des Handels mit China.

10. 1870 - 1914 - S. 22

1918 - Halle (Saale) : Gesenius
22 schon 1895 eine wilde Pressehetze gegen Deutschland. Als nun im Dezember 1895 ein Engländer Dr. Fameson im Einverständnis mit dem Minister von Kapland Lecil Rhodes, dem eifrigsten Vorkämpfer und Begründer des englischen südafrikanischen Kolonialreiches, sich durch einen Überfall der Hauptstadt Pretoria bemächtigen wollte, wurde er von den Buren gefangen genommen. Die deutsche Regierung erhob gegen die Gewalttat Vorstellungen in London und sandte am 3. Januar 1906 ein Telegramm an den Vurenpräsidenten Krüger, in dem sie ihn be- glückwünschte, daß es ihm gelungen sei, den Friedensstörer festzunehmen und die ünabhängigkeit des Landes zu wahren. Diese Depesche erweckte in ganz Deutschland Helle Begeisterung, zumal der „neue Kurs" bisher vielfach sehr enttäuscht hatte. Sie entsprach eben dem Gerechtigkeits- gefühl des Volkes und macht ihm alle Ehre; aber politisch betrachtet, war sie doch ein Fehler. Denn da Deutschland keine leistungsfähige Flotte hatte und ohne Rückhalt an Rußland war, konnnte es dem see- beherrschenden England nicht entgegentreten. Deutschland trieb damals — wie so oft — Gefühls-, nicht Realpolitik, wie Bismarck, d. h. es fragte nicht, ob sein Verhalten ihm nützte oder schadete. Das unfehlbare Vis- marcksche Augenmaß für die nackte Machtlage der Dinge hatte gefehlt, sonst würde man sich weniger vorgewagt haben. In England aber erhob sich ein furchtbarer Cntrüstungssturm, der sich in den wütendsten Be- schimpfungen des Deutschen Kaisers und Reiches entlud und uns um so mehr überraschte, als wir uns über die weitschauenden Pläne Eng- lands — Schaffung eines großen südafrikanischen Kolonialreichs — nicht klar waren. Die englische Regierung hinderte den Zeitungssturm in keiner Weise und beeilte sich nun erst recht, den freien Vurenstaaten ein Ende zu machen. Deutschland aber blieb gar keine andere Wahl, als vor dem tatkräftigen Auftreten Englands zurückzuweichen; seitdem hielt es sich zurück, aber England war verstimmt. Die Krügerdepesche hat zwar noch nicht, wie vielfach geglaubt wird, den Bruch mit England herbeigeführt, aber sie bedeutet doch einen Wendepunkt im Verhältnis der beiden Staaten. Es entstand eine Mißstimmung, die nie wieder ganz gehoben ist, zumal damals die englische Lügenpresse des Schrift- stellers Harmsworth, des späteren Lord Rorthcliffe, gegründet wurde, die gegen uns hetzte.*) Dieses Gift hat immer weiter schamlos um sich gefressen und den gesunden Sinn des englischen Volks und der anderen Staaten zersetzt, was uns erst während des Weltkrieges klar wurde. Die Krügerdepesche war also ein Schlag ins Wasser, zumal auch Frankreich uns damals nicht unterstützte, sondern offen erklärte, daß Deutschland sein Feind sei, solange es Elsaß-Lothringen besitze. Da- durch war auch ein engerer Anschluß Deutschlands an den Zweibund unmöglich. Das Telegramm brachte zwar nicht den Bruch mit Eng- land — der erfolgte erst 1901 durch das Jangtse-Abkommen (S. 30) —, aber es gab England zuerst Veranlassung, seinem Handelsneid Ausdruck zu geben; denn der eigentliche innere Grund zu dem Benehmen Cng- *) Die Zeitung „Daily Mail".
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