Zweiter Abschnitt.
Klima.
$ 28. Allgemeines. Klima, wörtlich: Neigung, Abdachung, war
ursprünglich ein Begriff der mathematischen Geographie und bezeichnete
etwa das, was wir geographische Breite eines Ortes nennen. Da
diese nun von der größten Bedeutung für die Witterungserscheinungen
ist und im innigsten Zusammenhang mit ihr auch alles Leben der
Pflanzen, Tiere und Menschen steht, so versteht man jetzt allgemein
unter Kliina den Inbegriff aller atmosphärischen Erscheinungen
eines Landes oder Ortes, wie sie innerhalb eines gewissen Zeitraumes
im Mittel gefunden werden, also sozusagen das Durchschnittswetter
einer Gegend. In Betracht kommen dabei hauptsächlich: Wärme-
Verhältnisse, Luftdruck, Luftbewegung, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und
Niederschläge.
$ 29. Wärmeverhältnisse. An Bedeutung stehen die Temperatur-
Verhältnisse obenan, denn das Maß der Wärmeverteilung ist auch
der erste Grund aller anderen klimatischen Erscheinungen, oder mit anderen
Worten: die (Sonne, dieser Urquell alles Lebens, ist für jede Gegend
die nächste Ursache der Witterungszustände. Je senkrechter nämlich
und je länger ihre Strahlen uns treffen, eine um so wärmere Luft-
hülle umgibt uns; je schräger ihre Strahlen fallen und je kürzer die
Dauer ihrer Einwirkung ist, um so kühler ist die Witterung. Erwärmung
oder Abkühlung der Luft beeinflußt nun weiter die Luftdruckverteilung,
diese wieder die Windbewegung usf.
Görlitz liegt, zuuächst allgemein gesprochen, in der gemäßigten
Zone, die zwar gegenüber der heißen große Unbeständigkeit in allen
atmosphärischen Erscheinungen zeigt, dafür aber auch die erschlaffende
Wirkung der heißen wie der kalten Zone vermeidet und mit ihrem
steten Wechsel innerhalb erträglicher Grenzen dem Menschen in körperlicher
und namentlich auch in geistiger Hinsicht gedeihlich und förderlich ist.
Deutlicher gesagt gehört der Görlitzer Bezirk, wie die ganze Laufitz,
Görlitzer Heimatkunde, 9
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18 2. Abschnitt. Klima. § 29.
zu einem klimatischen Übergangsgebiete, das die Gegensätze des
binnenländischen und des ozeanischen Klimas verschmilzt. So genießen
wir einerseits die Wohltat, daß die größere Winterkälte meerferner
Landmassen bei uns durch milde Seewinde fast vermieden wird, und
daß wiederum zur Sommerszeit der Übelstand stärkerer Bewölkung und
verhältnismäßiger Kühle, den seenahe Gebiete.zeigen, durch Luft-
strömungen aus Osten oft genug aufgehoben ist.
Jedermann kennt den Wechsel der Luftwärme im Laufe der vier
Jahreszeiten; jeder weiß auch, wie die Wärme täglich unter dein Einfluß
der Sonnenstrahlen im allgemeinen gegen Mittag zu- und gegen Abend
wieder abnimmt, daß, wie die größte Tageswärme durchaus nicht mit
dem täglichen Höchststand der Sonne zusammenfällt, sondern gemeinhin
erst ein paar Stunden später, ebenso auch erst im Juli und August
die größte Jahreswärme eintritt, und wie endlich das Dunkel der
Nacht die größte Abkühlung des Erdbodens und der darüber schwebenden
Lufthülle bringt: jedes Kind kennt auch wohl das Thermometer, mit
dem man solche Wärmezustände der Luft nach Graden mißt.
Das Jahresmittel der Temperatur beträgt für Görlitz -|-80c.
Der Januar weist — 1,8°, der April -f- 7,5°, der Juli -)- 18°, der
Oktober —|— 9 0 C auf. Diese Werte sind aus etwa 50 Jahre lang
fortgesetzten, täglich dreimal angestellten Beobachtungen herausgerechnet,
sie wollen aber durchaus nicht sagen, daß jedes Jahr, jeder Monat,
jeder Tag auch die angegebenen Temperaturoerhältnisse zeigen müsse;
ebenso würden sie erst ihre rechte Beleuchtung erhalten, wenn man sie
mit den andernorts gefundenen Mitteln vergliche, z. B. mit denen
von Posen, Königsberg, Berlin, Cöln, Mainz.
Für die Wärmezustände eines Ortes kommen außer der geographischen
Breite und der Seenähe oder -serite noch die Lage im Hoch- oder
Tieslande, die Bodenart und vor allem mich die Höhenlage in Betracht.
Mit je 100 in senkrechter Erhebung sinkt das Thermometer durch*
schnitlich um V20 c- Weil nun die Pflanzenwelt am unmittelbarsten
von der Wärme beeinflußt wird, so sehen wir die interessante Erscheinung,
daß in Görlitz die Baumblüte etwa um sieben Tage später fällt als
iit Breslau, das fast 100 m niedriger liegt. In Wigandsthal blühen
die Kirschen schon durchschnittlich 11 Tage später als in Breslau, und
in demselben Orte kann die Ernte fast regelmäßig erst 14 Tage jpäter
beginnen als in der Laubaner Gegend; ja in dem langgestreckten
Gebirgsdorfe Schwerta bei Marklissa erntet das Niederdorf den Roggen
fast stets ein paar Tage eher als das Oberdorf.
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20
2. Abschnitt. Klima.
häufigste Windrichtung ist nun für Görlitz Sw. W. oder Nw.,
und so ist es kein Wunder, daß hier einerseits durchschnittlich während
zwei Dritteilen des Jahres der Himmel bewölkt, anderseits aber auch
der Winter wärmer ist, als nach der geographischen Breite von Görlitz
zu erwarten steht.
$ 32. Niederschläge. Alle Luft, die den Lebensbedingungen
des Menschen entsprechen soll, muß auch Wassergas enthalten? die
Größe des Wasserdampfgehaltes, oder kurz die Feuchtigkeit, hängt von
der Temperatur ab; je höher die Wärme, um so größer auch die
Aufnahmefähigkeit der Luft für Wassergas. Den Feuchtigkeitsgehalt
der Luft inißt das Hygrometer (siehe das Wetterhäuschen am Postplatz).
Durch Abkühlung warmer, feuchter Luft entstehen Niederschläge, deren
Stärke und Häufigkeit von der Windrichtung, von der Nähe oder
Ferne des Meeres und von der Höhenlage des Ortes in erster Linie
abhängen. Ob große Waldgebiete, wie sie die weiten lausitzischen
Heiden aufweisen, die Niederschläge befördern, steht noch nicht hin-
länglich fest.
Die jährliche Niederschlagsmenge von Görlitz beträgt rund
650 mm, d. h. wenn aller im Laufe eines Jahres gefallene Regen
und (geschmolzene) Schnee in einem Gefäß aufgefangen werden, so
erreicht diese Wassersäule durchschnittlich die Höhe von 650 mm.
Bemerkenswert ist, daß nach Beobachtungen in den Jahren 1887—92
die Königshainer Berge 130 mm mehr an Niederschlägen auf-
wiesen als die Stadt Görlitz, die also im „Regenschalten" jenes
kleinen Gebirges, im Lee der regenreichen Nordwestwinde zu liegen
scheint. Die meisten Niederschläge bringen die Sommermonate
Juni, Juli und August, die geringsten der Winter (Dezember bis
Februar); die überhaupt niederschlagärmsten Monate sind hier Februar
und September; der Sommer mit 235 mm hat fast das Doppelte
des Winters (etwas über 120 mm); Frühling und Herbst zeigen fast
die gleichen Werte (145 bzw. 141 mm).
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§ 30. 31.
Klima.
19
tz 30. Luftdruck. Von den Temperaturverhältnissen hängt der
Luftdruck ab; denn die Luft, ein Gasgemenge von etwa 79 Raumteilen
Stickstoff und 21 Teilen Sauerstoff (unter denen noch ein ganz kleiner
Bestandteil an Kohlensäure zu nennen wäre), ist nur höchst selten in
vollkommener Ruhe; erwärmte Luftschichten dehnen sich aus, steigen
nach oben und fließen gleichzeitig seitwärts ab; dafür streben nun von
Gebieten kühlerer, schwerer Luft Strömungen nach jenen, wo die Luft
wärmer, leichter, „aufgelockerter" geworden ist.
Die atmosphärische Luft hat auch ein Gewicht; ihre jedesmalige
Schwere mißt das Barometer. Die unteren Luftschichten sind nach
physikalischen Gesetzen schwerer als die oberen, und je höher man steigt,
um so dünner, leichter ist die Luft. Am Meere ist der Luftdruck am
höchsten, landeinwärts und besonders auf Bergen niedriger. An der
Ostsee ist der mittlere Barometerstand 760 mm, in Görlitz aber,
das 200 m über dem Meere liegt, nur 742 mm; das will sagen: die
Schwere der über Görlitz int Jahresdurchschnitt lagernden Luftmassen
hält einer Quecksilbersäule von 742 mm das Gleichgewicht.
Fast täglich sehen wir, wie das Barometer (z. B. am Wetter-
häuschen auf dem Postplatz) als Wetterprophet gilt; nicht so ganz
mit Unrecht. Je höher nämlich das Barometer steht, je schwerer also
der Luftdruck über uns lastet, um so weniger droht Gefahr, daß von
anderwärts störende Luftströmungen herbeiziehen, die den äugen-
blicklichen Witterungszustand ändern könnten; fällt aber das Barometer,
wird also die Luft über uns leichter, aufgelockerter, dann darf auch eine
Wendung des Wetters befürchtet werden, weil von Gebieten höheren
Luftdrucks Luftströmungen zu uns kommen werden, die unsere Luft-
hülle in Aufruhr bringen können.
§ 31. Windrichtung. Hauptsächlich zwei Luftströme streiten in
der Görlitzer Gegend um die Herrschaft: bald überwiegen die Luft-
strömungen aus äquatorialen, bald die aus polaren Gebieten,
jene in der Form von Sw.- oder W.-Winden, diese als No.- oder
O Winde. Da nun Luftströmungen aus O. bzw. No. über große
Festlandmassen ziehen, so bringen sie gemeiniglich Trockenheit und
helle, sonnige Tage, im Sommer wärmeres, im Winter kälteres Wetter;
umgekehrt, führen die Westwinde, die vom Atlantischen Ozean und
somit auch von dem warmen Golfstrom her durch die norddeutsche
Tiefebene zu uns herüberwehen, wie durch eiu offenes Tor Feuchtigkeit
und Regen reichlich herbei. So erniedrigen sie im Sommer die
Temperatur, im Winter aber breitet sich oft der herbeigeführte Wolken-
Ichleier schützend über die Gegend, zu große Kälte verhütend. Die
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