Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc. 401
Schwerlich würde dies Ziel im nordöstlichen Deutschland so bald
erreicht sein, wenn nicht eben damals in der Mark Brandenburg ein
Mann aufgetreten wäre, den wir mit Stolz und Freude als den Be-
gründer des später so ruhmreichen brandenburgisch-preußischen Staates
begrüßen. Markgraf Albrecht von Ballenstädt, gewöhnlich Albrecht
der Bär genannt, aus dem Hause der Askanier, war vom Kaiser
Lothar von Sachsen 1134 und dann noch förmlicher von Kaiser
Konrad Iii. 1142 mit der Markgrafschaft Brandenburg belehnt und
zwar so, daß er nicht mehr abhängig von Sachsen, sondern als selb-
ständiger Reichsfürst seine Markgrafschaft erblich besitzen solle mit allen
den Ehren und Rechten, welche sonst nur Herzögen zukommen. Er
ward Erzkämmerer des deutschen Reichs, so wie die übrigen Herzöge
Erzmarschall, Erzmundschenk, Erztruchseß u. s. w. waren. Er benutzte
den erwähnten wendischen Kreuzzug sogleich, um seine Herrschaft bis an
die Oder auszubreiten, und war entschlossen, das Heidenthum um jeden
Preis niederzukümpfen und das Christenrhum zur alleinigen Herrschaft
zu erbeben. Deshalb berief er sofort deutsche, besonders holländische
Colonisten in das entvölkerte und verödete Land, die den Boden fleißig
anbauten, Städte gründeten und zahlreiche Dörfer anlegten, lieberall
erhüben sich die schützenden Burgen mächtiger Ritter, gelehrte Mönche
und fromme Priester kamen schaarenweise herbei; die lange darnieder-
liegenden Bisthümer von Havelberg und Brandenburg wurden glänzender
als je wieder aufgerichtet und fester begründet. Auch die seit dem ersten
Kreuzzug im gelobten Lande gestifteten kriegerischen Mönchsorden der
Johanniter und Tempelherren bat ec um Ueberlassung einer
Anzahl von Brüdern und Rittern, die mit den Werken der Liebe und
mit der Kraft des Schwertes die Ueberreste des Heidenlhums völlig zu
Boden werfen sollten. Und wunderbar blühte das Land unter seiner
eignen und seiner askanischen Nachfolger kräftiger Leitung auf. Ueberall
wurden Wälder ausgerodet, Sümpfe ausgetrocknet, öde Haidestrecken
urbar gemacht, Wohlstand und rege Thütigkeit konnte man nach allen
Seiten hin mit Behagen wahrnehmen. Selbst die Wenden, die als
Besiegte das schwere Loos hatten, Leibeigene der deutschen Sieger zu
werden, wurden von der frischen und strebsamen Thätigkeit der deutschen
Ansiedler mit fortgerissen, entsagten dem trägen Brüten und sinnlichen
Nichtsthun und wetteiferten mit ihren Grundherren im Anbau des Bo-
dens und in der Erweiterung der Cultur. Die mildere Sinnesart, die
mit dem Christentyum in's Land gekommen war, verschaffte vielen
solcher wendischen Dienstleute die Freiheit und allmälig verschmolzen
sie mit ihren deutschen Ueberwindern zu einem kräftigen und lebens-
frischen Volksstamm, dem eine große Zukunft aufbehalten war.
§. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I.
und den König von England.
Hatten bisher die Päpste seit Gregor's Vii. Zeit einen Sieg
nach dem andern über die Kaiser und Könige erlangt und ihre theo-
kratische Oberherrschaft trotz alles Widerstandes immer durchführen
v. Nohden, Leitfaden. 26
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_I. Albrecht_von_Ballenstädt Albrecht Albrecht Lothar_von_Sachsen Konrad_Iii Konrad Friedrich_I. Friedrich_I.
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Brandenburg Sachsen Havelberg Brandenburg England
402 Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc.
können, so mochte man sagen, es sei das nur durch die eigne Schuld
der Fürsten möglich gemacht, durch ihre Unsittlichkeit, ihre Frevel,
ihre Unklugheit, ihre Untüchtigkeit, durch die Gunst der Zeitumstände,
die Unmündigkeit der Herrschern, s. w. Jetzt aber sollte sich's zeigen,
daß die Idee, für welche die Päpste kämpften, die geistliche Welt-
monarchie, wirklich so tiefe Wurzeln in der Zeitentwicklung und in den
Völkern habe, daß es selbst einer Reihe der gewaltigsten, consequen-
testen, ruhmreichsten Kaiser, die je auf dem deutschen Thron gesessen
haben, nicht gelingen konnte, sich mit den Waffen weltlicher Macht
und Klugheit den Päpsten gegenüber zu behaupten. Wir sind einge-
treten in die wunderbar herrliche Zeit der höchsten Entfaltung des
deutsch-mittelalterlichen Volkslebens, in die Zeit der hochgepriesenen
hohenstaufischen Kaiser. Alles, was von dem Wohlstand, der Bildung,
dem künstlerischen Schaffen und allgemeinen Lebensgenuß, den pracht-
vollen Bauten, den schwelgerischen Hofhaltungen, den glänzenden Tur-
nieren und aller sonstigen Pracht des Ritterwesens und der Lieblichkeit
des Minnesanges uns erzählt wird oder noch heute erhalten ist,
drängt sich vorzugsweise in dies Jahrhundert zusammen, wo die drei
großen Hohenstaufen Friedrich I. und Ii. und zwischen ihnen Hein-
rich Vi. auf dem deutschen Kaiserthron saßen. Alle drei bekämpften
sie nach einem festen Plane, mit unermüdeter Beharrlichkeit, mit
eben so viel Klugheit als Kühnheit die päpstliche Macht, die sich
über sie erheben wollte und erhoben hatte. Aber sie unterlagen —
unterlagen so vollständig, so jammervoll, daß nie ein großartigeres
Trauerspiel einen thränenreichern Ausgang genommen hat. Schon
gleich Friedrich I. Barbarossa (1132 — 80), der hochbegabte,
fromme und mannhafte Kaiser, voll hochstrebender Plane und un-
überwindlicher Tapferkeit, mußte nach langwierigem harten Streit sich
demüthigen vor den Päpsten. Mit kriegerischem Glanz und großen
Entwürfen zog Friedrich I. zum ersten Male 1154 über die Alpen
nach Italien. Dort in der Lombardei, wo man die Herrschaft und
die Gerechtsame der deutschen Kaiser schon fast vergessen hatte oder
verachtete, wo die Unzahl reicher und mächtiger Städte, voll Ueber-
fluß und Wohllebens, die kaiserlichen Befehle und Beamten hoffartig
verwarfen, sollte die Kaiserhoheit in neuem Glanz erstehen, alle Wi-
derspenstige unterdrückt und ein sicheres und gehorsames Reich ge-
gründet werden. War doch des Kaisers Friedrich Wort und Ent-
scheidung von den Königen in Dänemark wie in Ungarn, von den
Herzogen in Polen und den Erzgrafen in Burgund gefürchtet, ehrten
ihn doch die Könige von England und Frankreich durch höfliche
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Xxi. §. 8. Die Zeiten des vierten Kreuzzuges. 407
des Papstes Werk war ja die Gründung des jerusalemischen König-
reichs gewesen, seine Heere waren zu solchem Unternehmen ausgezogen,
seinen segnenden Verheißungen hatten Fürsten und Völker vertraut,
seine Fürsorge und Oberleitung sollte das Gewonnene befestigen und
erweitern helfen. Statt dessen, so klagte man nun, hatte er mit dem
Kaiser gehadert und darüber die schönste Perle der gesainmten Christen-
heit schmählich verloren gehen lassen. Aber Kaiser Friedrich hatte
kaum die Trauerkunde vernommen, als er selber sich an die Spitze der
neubegeisterten Christenschaaren stellte, um im Greisenalter noch als
Dank für so viele und große Wohlthaten dem Herrn sich selbst mit
dem ganzen Rest seiner Kraft zum freudigen Werkzeug für solch heili-
ges Unternehmen darzubringen. Wie wetteiferten da die Fürsten,
geistliche und weltliche, dem großen Kaiser mit ihren Vasallen zu
folgen. Unter dieser Führung schien jede Furcht vor Gefahr und
Mißlingen beseitigt; Jedermann war des Gelingens sicher, man sah mit
mitleidigen Augen auf die, welche zu Hause bleiben mußten. Und
wirklich, nie ist ein Zug mit mehr Umsicht, Nachdruck und Erfolg ge-
leitet. Alle Jammerscenen .früherer Kreuzzüge wurden vermieden.
Schon war man fast an den Grenzen Syriens angelangt, der Ruhm
des Kaisers erscholl durch ganz Europa und Asien, erfüllte die Sa-
racenen mit Furcht und Schrecken, erhub die Herzen der Christenheit
zur freudigsten Zuversicht, da (verlasset euch nicht auf Menschen!) mitten
im glücklichen Fortgang des gepriesenen Unternehmens, auf dem Gipfel
seines Ruhms und seiner Siege, holte der Herr den theuren Helden
heim zu dem schönen, himmlischen Jerusalem. Er ertrank beim Ueber-
setzen über den Fluß, sein Heer zerstreute sich oder erlag pestartigen
Krankheiten. Jerusalem blieb in den Händen der Saracenen.
§. 8. Die Zeiten des vierten Kreuzzuges.
Wem es durch den plötzlichen Tod des großen Barbarossa
noch nicht klar geworden wäre, daß der Herr selbst die Wiederher-
stellung des Christenreichs zu Jerusalem mit starker Hand und auö-
gerecktem Arm verhinderte, dem mußte der mit dem dritten Kreuzzug
in Verbindung stehende und fast gleichzeitig unternommene vierte
Kreuzzug vollends die Augen öffnen. Auf die Schreckenskunde von
der Eroberung Jcrusalem's durch Saladin hatten sich außer dem
Kaiser auch die Könige von Frankreich und von England an die Spitze
ihrer Schaaren gestellt und waren mit großem Glanz, Geräusch und
Pomp ein Jahr später als Friedrich ausgebrochen und zu Schiffe
hinübergefahren nach der Küste von Palästina. Es waren Philipp
August von Frankreich (1180 —1223), der schöne, eitle, ränkevolle,
herrsch- und habsüchtige Sohn Ludwig's Vii., des unglücklichen
Kreuzfahrers, den wir schon kennen gelernt, und Richard „Löwen-
herz" von England, der tollkühne, grausame und grobsinnliche Sohn
jenes Heinrich Ii., der wegen der Ermordung des Erzbischofs Tho-
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Barbarossa Barbarossa Friedrich Friedrich Palästina Philipp Philipp August Richard_„Löwen- Heinrich_Ii Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Syriens Europa Asien Jerusalem Frankreich England Frankreich England
Xxi. §. 8. Die Zeiten des vierten Kreuzzuges. 409
Rückkehr vorüber, so hielt auch der Herr das widerchristliche Reich
nicht mehr aufrecht, sondern übergab es in das Verderben seiner
eignen Sündenschuld. Und als in Folge des Todes Saladin's
noch einmal im Abendland sich die Hoffnung auf bessere Erfolge
regte, als der gewaltige Hohenstaufe Heinrich Vi., Friedrich's
Sohn (1190 — 97), noch einmal einen großen Kreuzzug vorbereitete,
da griff die Hand Gottes wiederum sichtbarlich und wunderbar ein
und legte den kühnsten und mächtigsten der deutschen Kaiser in seiner
frischesten Jugendkraft — in dem Augenblick in den Staub, als seine
Heere begannen, sich nach dem Morgenlande in Bewegung zu setzen.
Schon bei der salischen Kaiserfamilie machten wir darauf auf-
merksam, wie sehr ähnlich ihre Geschichte der des ersten großen Kö-
nigs- und Kaiserhauses, des sächsischen, verlaufen sei. Noch viel auf-
fallender tritt diese Ähnlichkeit bei dem großen Hohenstaufengeschlecht
hervor. So wie Konrad Iii. uns wieder an den vorbereitenden
Heinrich I. und Friedrich I. an die lange, ruhmvolle und von
großen Erfolgen gekrönte Regierung Otto's des Großen erinnert, so
sehen wir in Friedrich's Sohne H einrich Vi. ein genaues Ab-
bild Otto's Ii. Dieselben jugendlichen Jahre, dieselben hochstreben-
den Gedanken, dieselbe geistvolle, obwohl irrende Politik, dieselbe
Richtung ihres Strebens nach Unter-Italien, dasselbe unvermuthete
Hinweggerafftwerden in der Mitte der stolzesten Entwürfe, dieselbe Un-
mündigkeit des hinterlassenen gekrönten Sohnes und der unheilvolle
Streit der langen Vormundschaft. Nur ist bei Heinrich Vi. Alles
noch stolzer, kühner, großartiger, schwunghafter und erfolgreicher, als
bei Otto. Nachdem es Heinrich gelungen war, das Erbreich seiner
Gemahlin Constanze, das schöne Neapel und Sicilien, an sich zu
bringen und somit Italien von einem Ende bis zum andern seiner
Herrschaft zu unterwerfen, fürchtete er sich auch vor keinem Papst
mehr. Denn jetzt war ja den Päpsten ihr bisheriger wichtigster Rück-
halt gegen alle kaiserlichen Angriffe, das Normannenreich in Süd-Jta-
lien, verloren und sogar in die Hände ihrer Gegner übergegangen. So
stand es jetzt zwischen Kaiser und Papst. Freunde und Helfer konnten
sie sich nicht mehr sein, sie waren nur noch eifersüchtige Nebenbuhler
und kämpften mit einander um die Weltherrschaft. So lange die Kreuz-
züge noch dauerten, lag die Weltherrschaft unbestritten in der päpst-
lichen Hand. Als Kaiser Friedrich und die Könige von Frankreich
und England nach Jerusalem aufbrachen, da erwies sich die gesammte
abendländische Christenheit noch einmal als ein großes einiges Ganze
unter der obersten Leitung des römischen Bischofs. Wie die Regimen-
ter eines gewaltigen Heeres strömten die Völker alle nach dem gleichen
angewiesenen Punkte hin, um nach dem Willen ihres Kriegsherrn, des
Papstes, wider die Feinde der Kirche zu kämpfen. Aber als die
Kampfeslust gebüßt war, da zeigte sich bald, daß auch der begeisterte
Gehorsam gegen den Papst vorüber war. Er mochte immer neue Auf-
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Vi Heinrich Konrad_Iii Konrad Heinrich_I. Heinrich_I. Friedrich_I. Friedrich_I. Heinrich_Vi Heinrich Otto Heinrich Heinrich Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Neapel Sicilien Süd-Jta- Frankreich England Jerusalem
412 Xxi. §. 9. Innocenz Hi. oder die vollste Entfaltung rc.
senden hohenstaufischen Friedrich Ii., aus Sicilien über die Alpen
führen und auf den Kaiserthron zu Aachen setzen konnte. Nicht min-
der hatte der Herr in allen übrigen europäischen Staaten die Ver-
hältniffe so geordnet, und solche Fürsten bestellt, daß des Papstes
Obergewalt sich überall volle Geltung verschaffen konnte. Die Kö-
nige von Portugal, von Aragon, von England geriethen in die tiefste
Abhängigkeit von Rom und mußten Zins zahlen; die Könige von
Castilien (Leon) und Frankreich mußten ihre Ehen trennen oder wie-
derherstellen nach seiner Entscheidung, in Norwegen und Schweden,
in Polen und Ungarn entschied der Papst die Thronstreitigkeiten nach
seinem Willen; die Fürsten von Dalmatien und Bulgarien empfingen
ihre Kronen, der Erzbischof von Armenien das Pallium aus seinen
Händen. Das ganze griechische Reich ward dem päpstlichen Einfluß
geöffnet, und die bisher noch heidnischen Ostseeprovinzen dem christli-
chen Scepter des Papstes unterworfen (vgl. d. folg. §.).
Fragen wir nun, wie hat denn dieser Innocenz seine unver-
gleichliche Macht, seine Gott vertretende Würde benutzt, was hat er
gewirkt und ausgerichtet, so müssen wir anerkennen, daß er nicht bloß
überall ein edles Streben, zu bessern, zu helfen, zu beruhigen und in
die rechte Bahn zu lenken, an den Tag gelegt hat, sondern daß ihm
auch Vieles und Großes gelungen ist. Wie billig, hat er den Anfang
gemacht am eignen Hofe, in seiner unmittelbaren Umgebung. Wie
viel Uebelstände, wie viel Erpressungen, wie viel Bestechung und Unge-
rechtigkeit, wie viel Lurus und schwelgerische Ueppigkeit, wie viel Ueber-
muth hatte sich am Hofe St. Peter's eingeschlichen! Unnachsichtig
fegte Innocenz, so weit sein Auge reichte, allen diesen lang verjährten
Schmutz aus und stellte Einfachheit, Gerechtigkeit, Zucht und Ord-
nung in Rom wieder her. Und so that er durch alle Länder unter
der ganzen Geistlichkeit. Es ist unglaublich, welches Heer von Klagen
über den Weltsinn, die Ungerechtigkeit, die Sittenlosigkeit, ja die Laster
und Verbrechen der Geistlichkeit aus fast allen Ländern erhoben wur-
den. Ruhig und milde, aber mit unbeugsamem Nachdruck wußte auch
da Innocenz überall durchzugreifen, und wo irgend eine begründete
Klage zu seinen Ohren kam, hat es gewiß nicht an ihm gefehlt, wenn
sie nicht abgestellt wurde. Er sorgte für gehörige Beaufsichtigung der
niedern Geistlichkeit und der Mönche, für Unterricht des Volkes,
wirkte dem immer weiter um sich greifenden Aberglauben und Reli-
quiendienst entgegen und traf zweckmäßige Maßregeln gegen die Her-
umtreiber, welche unter dem Vorwand großer Heiligkeit sich den La-
sten und Pflichten des bürgerlichen Standes entzogen. Auch das muß
man anerkennen, daß er die wilden Lüste und ungeordneten Leiden-
schaften der Könige von Frankreich und England (in Frankreich hatte
Philipp August seine rechtmäßige Gemahlin schmählich verstoßen,
in England wüthete Richard's Nachfolger, der launenhafte Jo Hann,
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Extrahierte Personennamen: Innocenz_Hi Innocenz Friedrich_Ii Friedrich Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Philipp Philipp August
Extrahierte Ortsnamen: Sicilien Aachen Portugal Aragon England Rom Frankreich Norwegen Schweden Polen Ungarn Dalmatien Bulgarien Armenien Rom Frankreich England Frankreich England
452 Xxü. §. 9. Gleichzeitige Schwächung Frankreichs und des Papstthums.
hat freilich sein roher und träger Sohn Wenzel wieder umgestürzt
oder verfallen lassen. Doch blieb Böhmen noch immer eines der
am meisten vorgeschrittenen deutschen Länder. Schwerer mußten es die
Marken empfinden, daß die feste und weise Hand Kaiser Karl's
nicht ntehr die Regierung führte. Sie kamen in die Hände Sieg-
ln und's, der aber viel zu sehr mit der Erwerbung der ungarischen Krone
beschäftigt war (er hatte die Erbtochter von Ungarn geheirathet) und seine
deutschen Länder schmählich aussaugen und verkommen ließ. Aber dieser
jammervolle Zustand sollte für die Mark Brandenburg nur Einleitung
und Uebergang sein für eine desto schönere und bedeutungsvolle Zu-
kunft, die mit dem Eintritt des glorreichen und gesegneten hohenzoller-
schen Hauses begann. Unfähig, die Marken selber zu verwalten, in be-
ständiger Geldverlegenheit und dem Burggrafen Friedrich mannig-
fach verpflichtet, übergab Siegmund dem Hohenzoller Friedrich,
Burggraf von Nürnberg, die Mark Brandenburg, erst nur pfandweise,
dann 1415 als eignes Kurfürstenthum, ihm und seinen Erben mit allen
Rechten eines deutschen Reichsfürsten und Erzkämmerers. Damals
ahnte Siegmund schwerlich, wie schnell sein eigner Stamm ver-
löschen und wie hehr und gewaltig der königliche Baum erwachsen
werde, dessen erstes Reis er damals in den brandenburgifchen Boden
senkte.
§. 9. Gleichzeitige Schwächung Frankreichs und des
Pap st th ums.
Schwerlich würde Deutschland den großen Umschwung seiner
Verfassung, da es aus einem Lebenstaat zu einer Fürsten- und Stüdte-
republik sich umgestaltete, so ungestört haben vollziehen können, wären
nicht seine beiden alten Widersacher, Frankreich und die Päpste, voll-
ständig nach einer andern Seite in Anspruch genommen und selbst
in einem bedenklichen Rückgang ihrer Macht begriffen gewesen. Frank-
reich war in einen schweren Krieg mit England verwickelt; denn
der König Eduard Iii. behauptete nach dem Aussterben der
Hauptlinie der Capetinger (1328), ein näheres ^Anrecht auf
den französischen Thron zu haben als die Seitenlinie der Valois, und
da nun König Philipp Vi. von Valois die englischen Besi-
tzungen in Frankreich angriff (fast das ganze südwestliche Frank-
reich gehörte damals dem englischen Könige), so entspann sich
ein blutiger und langwieriger Krieg, der hauptsächlich auf fran-
zösischem Boden ausgefochten wurde und das französische Reich
mehr als ein Mal an den Rand des Verderbens brachte. In
der furchtbaren Schlacht von Cressy 1346 sollen elf französische
Prinzen und 1200 Ritter umgekommen sein. In der Schlacht von
Poitierö 1356 wurde König Johann, der seinem Vater Philipp
TM Hauptwörter (50): [T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr]]
TM Hauptwörter (100): [T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T20: [König Sohn Maria Heinrich Tochter Karl Herzog England Haus Gemahlin], T7: [König Kaiser Rudolf Friedrich Sohn Böhmen Haus Karl Ludwig Albrecht], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_mannig- Friedrich Siegmund_dem_Hohenzoller_Friedrich Friedrich Burggraf_von_Nürnberg Siegmund Eduard Philipp_Vi Philipp Cressy König_Johann Johann
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Ungarn Brandenburg Brandenburg Frankreichs Deutschland Frankreich England Frankreich Frank-
454 Xxii. §. 9. Gleichzeitige Schwächung Frankreichs und des Papstthumö.
berufen, so bekam es auch zu fühlen, was es heißt, ein Volk ohne
Treu und Glauben und eine zur Gewalt gelangte Masse zu re-
gieren.
In früheren Zeiten würde ein solcher Kampf zwischen zwei Köni-
gen um die Krone Frankreichs sofort von dem Papst vor seinen Rich-
terstuhl gezogen und in päpstlicher Machtvollkommenheit entschieden
sein. Wieweit lag solche Möglichkeit jetzt schon dahinten. Umgekehrt
stritten sich soeben zwei Päpste um die dreifache Krone und die ganze
Christenheit fragte verwirrt und verlegen, welcher höhere Richter hier
zu entscheiden habe über zwei Männer, deren jeder sich selber für den
einigen höchsten Richter auf Erden erklärte und Gottes Stellvertreter.
Bis zum Jahr 1367 hatten die Päpste unbeweglich verharrt zu Avig-
non unter französischer Botmäßigkeit. Da aber inzwischen Frank-
reich, durch die englischen Kriege geschwächt, ihnen die Kette etwas löste
und in Italien das ganze päpstliche Gebiet in fremde Hände zu gera-
then drohte, so versuchte zuerst Urban V. nach der heiligen Stadt,
nach Rom zurückzukehren. Aber da erhob sich Widerspruch von einer
Seite, von der man es am wenigsten hätte denken sollen. Die Cardi-
näle wollten nicht wieder nach Rom. Sie waren meistens Franzosen
und hatten die weichlichen Genüsse und die schlaffe Sicherheit des süd-
lichen Frankreich so lieb gewonnen, daß sie es mit dem gefährlichen
Rom und Italien nicht vertauschen mochten. Auch Urban selber
fand es am Ende wohnlicher in Avignon und kehrte 1370 dahin zu-
rück. Aber er starb noch in demselben Jahre und sein Nachfolger
Gregor Xi. (1370—78) machte nun doch wirklich Ernst mit der
Rückkehr nach Rom. Eine neue größere Noth entstand aber mit sei-
nem Lode. Es wurde ein Papst gewählt, Urban Vi. (1378—91),
ein geborener Italiener, von dem man die Zuversicht haben konnte, daß
er nicht wieder nach Frankreich entweichen werde. Aber eine große
Partei, auch unter den Cardinäleu, war mit dieser Wahl unzufrieden
und ging hin und wählte einen andern Papst, der sich Clemens Vii.
nannte und alsbald wieder seinen Sitz in Avignon aufschlug. So
entstand die jämmerliche Papstspaltung, das päpstliche Schisma, wel-
ches länger als ein ganzes Menschenalter fortdauerte und die christliche
Welt in zwei Hälften zerriß. Der ganze Westen außer England er-
klärte sich nämlich für den französischen Papst, dagegen Deutschland
und alle übrigen Länder hielten zu dem römischen Papst Urban. Ein
jeder dieser beiden Päpste bannte und verstuchte den andern sammt
seinem ganzen Anhang. Die nächste Wirkung war, daß der Bann
alle seine Schrecken verlor. Die gesammte Christenheit lag ja jetzt
unter dem Bann, mochte sie nun von dieser oder jener Seite her ge-
bannt sein. Jeder Papst erklärte den Bann sowie alle Amtshand-
lungen des Gegenpapstes für wirkungslos. Die Fürsten und Könige
stritten über die Rechtmäßigkeit des einen oder des andern Papstes.
Die Gelehrten, besonders die Universitätslehrer in Paris, stellten Un-
tersuchungen an, wie solchem Uebel des Doppelpapstthums abzuhelfen
sei. Das Volk aber sammt der ganzen Geistlichkeit seufzte und weh-
TM Hauptwörter (50): [T42: [Papst Kaiser König Rom Heinrich Italien Karl Kirche Bischof Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T56: [Papst Kaiser Rom Heinrich König Kirche Gregor Bischof Italien Papste], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
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Extrahierte Personennamen: Urban_V. Urban Gregor_Xi Gregor Ernst Urban Clemens_Vii Urban
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Frankreichs Gottes Italien Rom Rom Frankreich Rom Italien Avignon Rom Frankreich Avignon England Deutschland Paris
4*26 Xxi. §. 14. Untergang der Hohenstaufen und unverständiger Triumph ic.
sogar vor Manfred wieder aus Neapel entweichen. Da wandte
dieser sich, wie auch sein Vorgänger schon gethan hatte, an fremde
Fürsten in Frankreich und England, daß sie mit Geld und Truppen
ihm zu Hülfe kämen, ihm hülfen Unter-Italien und Sicilien wieder
zu gewinnen und von ihm zu Lehen zu nehmen. Allein der Papst
starb über diesen Bemühungen, während dagegen Manfred's Macht
sich täglich weiter über ganz Italien ausbreitete, und seine Hofhaltung
so sehr der Sitz der Freude, des heitern Lebensgenusses, der Kunst,
Kraft und Tüchtigkeit ward, daß die glücklichen Zeiten Friedrich's Ii.
wiedergekehrt, ja noch überboten schienen. Auch Urban Iv. (1261
—64), obwohl eben so unversöhnlich und voll Hasses gegen Manfred
wie Innocenz, vermochte nichts gegen ihn auszurichten. Wohl aber
hatte er durch die Einladung Karl's von Anjou, des Bruders von
Ludwig dem Heiligen, König von Frankreich, den großen Wendepunkt
vorbereitet, an dem der Glanz des hohenstaufischen Hauses für immer
zu Grunde gehen sollte. Im Jahre 1265 bald nach der Thronbestei-
gung El emenö'iv. kam dieser finstere, tyrannische, geld-und herrsch-
gierige Mensch mit seinen leichtsinnigen, hochfahrenden und zuchtlosen
Franzosen nach Italien, und schon im Anfang 1266 ward durch die
eine Schlacht bei Benevent ganz Neapel für Karl gewonnen und
Manfred mit seinem ganzen Hause unter entsetzlichen Grausamkei-
ten vernichtet *). Nun war nur noch der zarte Jüngling Conrad in
von Schwaben übrig. Als er vernahm, mit welcher unerhörten Härte,
Blutdurst und Frevelmuth der fremde König in dem schönen Erbgut
seiner Väter herrschte, wie selbst der Papst voller Entsetzen über solche
Greuel sei, als er gar viele Einladungen und Zusprachen von den
Ghibellinen aus Italien empfing, da wagte er hochherzig den kühnen
Schritt, verließ die zärtliche Mutter im Schwabenland und zog mit
geringer kriegerischer Begleitung nach Italien. Wohl fand er Unter-
stützung bei den Ghibellinen, wohl schien ihm einen Augenblick das
Glück zu lächeln, aber auch nur einen Augenblick. In der Schlacht
*) Wir wollen bei diesem greulichen Anfang deö Haufcs Anjou sogleich daran
erinnern, daß sein späterer Fortgang und namentlich sein Ende nichts Anderes
ist, als ein fortgchendcs schreckliches Gericht des Herrn, sowohl in Italien,
als auch in Ungarn, wohin es sich später verzweigte. Durch Gatten- und
Brudermord und blutige Greuel aller Art hat sich dieses Geschlecht selber
aufgeriebeu, ja man kann sagen, es ist in einem Meere von Blut erstickt.
Nicht minder wußte der Herr die übermüthigen und heillosen Franzosen zu
finden, welche in Neapel und Sicilien prahlten und frevelten, noch ärger als
ihr Herr. In der schrecklichen sicilianischcn Vesper fanden sie alle in einer
Nacht ihren Tod (.1282).
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Extrahierte Personennamen: Manfred Urban Manfred Innocenz Innocenz Karl's_von_Anjou Ludwig_dem_Heiligen Ludwig Karl Karl Manfred Conrad Haufcs_Anjou
Extrahierte Ortsnamen: Neapel Frankreich England Sicilien Italien Frankreich Italien Neapel Schwaben Italien Schwabenland Italien Italien Ungarn Neapel Sicilien
Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England. 503
auf den Thron David's in dem neuen Zion, und beanspruchte nichts
Geringeres als die Herrschaft über die gesammte Welt. Man sieht, wie
die Ertreme sich berühren. Dasselbe, was die Päpste alle die Jahrhun-
derte angestrebt, was Niemand eifriger als diese Wiedertäufer bekämpften,
das entwickelte sich jetzt aus ihrer eignen Mitte, eine sinnliche Nach-
bildung und Verzerrung der geistlichen Weltmonarchie unsers Herrn
und Heilandes. Wie hätte solch' ein Greuel lange Bestand haben sol-
len? Diese Propheten und ihre Helfershelfer und ihre Weiber, alle
mit Blut und Wollust und unflätigen Lastern besudelt, erlitten allesammt
die Strafe ihrer Frevel. Das Heer des Bischofs und seiner Bundes-
genossen brach in die Stadt. Da wurde Alles niedergeschlagen, abge-
schlachtet, hingerichtet. Auch in anderen Gegenden Deutschlands, in der
Schweiz, in den Niederlanden sehen wir die Scheiterhaufen flammen und
die Richtschwerter in Bewegung, um der heillosen Wiedertäuferei zu
steuern. Da sind manche fromme und gottselige Männer und Frauen,
die zum Theil unschuldig in den Jrrthum verstrickt waren, jämmerlich
umgebracht. Aber die Bluttaufe wirkte auch hier etwas Aehnliches, wie
bei den Hussiten. Viele wurden nüchtern aus des Teufels Strick,
und aus den Resten erbaute sich die ehrwürdige Gemeinschaft der Tauf-
gesinnten oder Mennoniten. Andere, die nach England, nach Nord-
Amerika geflüchtet waren, haben dort geraume Zeit ebenfalls in demü-
thiger Stille sich selbst erbauend zugebracht. Erst neuerdings, in diesen
Jahren kirchlicher und politischer Gährung, kehren etliche jener unruhi-
gen Geister von dort wieder, um in Deutschland und anderswo ihren
alten Kampf gegen die bestehenden Ordnungen der Christenheit auf's
Neue zu beginnen.
§. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und
in England.
Da der ruhige Fortschritt des Reformationswerkes in unserm
Vaterland für die nächsten 10 Jahre nach dem augsburger Reichstag
(1530) unsere Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nimmt, so wird
hier der Ort sein, einen Augenblick hinüberzuschauen nach den Nach-
barländern, wo die Reformation von eigenthümlichen Anfängen aus-
ging und eine besondere Gestalt annahm. Die lutherische Refor-
mation hatte sich in sämmtliche katholische Länder des Nordens und
Ostens Bahn gemacht. Die griechische Kirche und das Osma-
nenreich blieben von dieser Bewegung unberührt. In Italien und
Spanien waren wohl Anfänge, aber keine Entwicklung. Frankreich
aber und England gingen ihren eignen Gang. In England
finden wir eine doppelte Reformation, die eine von oben her, vom Kö-
nig, die andere von unten her, aus dem Volk. Die königliche Re-
formation beschränkte sich ursprünglich darauf, daß der König sich
an die Stelle des Papstes setzte, Klöster einzog, die Geistlichkeit zum
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Extrahierte Ortsnamen: England Deutschlands Schweiz Niederlanden Jrrthum England Amerika Deutschland England Italien Spanien Frankreich England England
504 Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England.
Gehorsam zwang, übrigens bis auf geringe Aenderungen den ganzen
äußern Bestand der katholischen Kirche sammt ihrer Lehre unange-
tastet ließ. Später wurde zwar auch die Lehre geändert und der
evangelischen gleichförmig gemacht, aber die äußere Erscheinung, der
Gottesdienst und die Verfassung der Kirche blieb nach wie vor. Die
andere Reformation aber, die vom Volke ausging, hat keineswegs
ihre eigenthümliche Q-uelle in England, auch nicht in Schottland, son-
dern nach beiden Ländern wie auch nach Frankreich wurde sie hinüber-
geleitet aus dem neuen Ursprungs- und Mittelpunkt der Reformation,
den Gott der Herr soeben für die westlichen Völker in Gens auf-
gerichtet hatte. Nämlich die züricher oder die zwing lische Refor-
mation beschränkte sich doch eigentlich nur auf die deutsch redenden
Cantone der Schweiz und übte zugleich einen sehr anregenden, er-
frischenden und belebenden Einfluß auf die südwestlichen Kreise Deutsch-
lands, so weit diese auf die evangelische Seite bereits hinübergetre-
ten waren. Dagegen für die französische Schweiz, für alles fran-
zösisch redende Volk mußte die zwinglische Reformation gleichsam erst
in's Französische übersetzt werden, nicht bloß in die französische Sprache,
sondern auch in französische Auffassung, Begriff und Wesen. Dazu
hatte sich der Herr ein besonderes und ausgezeichnetes Werkzeug aus-
ersehen, den gewaltigen Calvin. Es war im Jahre 1536, als er
nach Genf kam und dort von dem zwinglischenprediger Farel, sei-
nem gleichfalls aus Frankreich entflohenen Landsmann, feftgehalten
wurde. Er hatte schon unter den Erstlingen der Reformation in
Frankreich durch Predigt und Schrift vielfach gearbeitet, und hatte
auch bereits sein berühmtes Werk, seine Institutionen oder Glaubens-
lehre, herausgegeben. Dieser Calvin bietet uns das vollständigste
Bild eines von der Hand Gottes erfaßten Franzosen. Nicht der er-
quickliche Strom einer seligen Herzensfreude in der freien Hingebung
an den Herrn, sondern der eiserne Zwang einer strengen Furcht, eines
völligen sich selbst zum Opfer bringenden Gehorsams ist es, was diese
Seele erfüllt. Während der Deutsche, insonderheit der Norddeutsche,
bei Luther, zum Theil auch noch bei Zwingli die heitere, gemüthliche,
tiefsinnige und doch so herzerquickliche Sprache und Weise eines deut-
schen Gemüthes mit inniger Befriedigung währnimmt, fühlt er sich
durch die unerschütterliche Strenge, durch den starren Eifer des Calvin
bisweilen wie mit steinernen Händen angefaßt —da bleibt nichts übrig als
stumme, sich selbst preisgebende Unterwerfung. Es mag ja sein, daß
das leichtsinnige flüchtige französische Gemüth nicht anders in die
Wege Gottes geleitet und darin festgehalten werden kann, als durch
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Extrahierte Personennamen: Luther Zwingli
Extrahierte Ortsnamen: England England Schottland Frankreich Genf Frankreich Frankreich Gottes