1904 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Pahde, Adolf, Seydlitz, Ernst von
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Rheinland
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Landeskunde der preußischen Rheinprovinz.
sich nach N. senkenden Landrücken des Ardey (der Jsenberg, 125 m hoch),
des westlichen Ausläufers der Haar. — Auch die äußerste Südwestecke des
dreieckigen Beckens von Münster ist mit in die Grenzen der Rheinprovinz
hineingezogen.
Üppige Sumpfwaldungen Schuppenbäume, Siegelbäume, Schachtelhalme, Farne und
Nadelhölzer, die zur mittleren Primärzeit die damalige Meeresküste vor dem Schiefer-
gebirge bedeckten, sind in dem sie einhüllenden Meeresschlamm allmählich verkohlt; die
mächtige Ablagerung der Steinkohlenschichten ist später noch mehrfachen Faltungen
unterworfen gewesen, so daß deren Ergebnis sich in einer vierfachen muldenförmigen An-
ordnung der Kohlenflöze darstellt. Die Müustersche Bucht (vgl. S 6} ist großenteils
mit Kreideschichten bedeckt (f. Fig. 2, S. 43), als große Landscholle in der 'Tertiärzeit
eingesunken und schließlich zur Eiszeit noch vom nordischen Inlandeise überdeckt, auf
dessen Dasein die jetzigen sandigen Striche und erratische Blöcke hindeuten.
Durchschnitt durch das Ruhrkohlengebiet (nach ö. Dechen).
1. Horst-Recklinghausener Mulde, Ii. Essener Mulde, Iii. Bochnmer Mulde, Iv. Wittener Mulde; 1. Devon,
2. Kulm u. flözleeres Kohleugebirge, 3. produktives Kohlengebirge (Flözzüge punktiert u. gestrichelt), I. Kreide.
^Auch die Oberfläche der Niederrheinischen Tiefebene weist noch müßige
Höhenrücken (und einzelne Hügel) auf, so in der Kölner Tieflandsbncht die
Bille oder das „Vorgebirge" (zwischen Rhein nud Erst), so auch weiter uach
N.w. zu die niedrigen Hügelrücken, diezwischen Erst und Niers, zwischen
Niers und Maas („Süchtelner Höhen"), zwischen Rhein und Niers (im N.w.
der prächtige „ Reichswald ") die Wasserscheiden bilden, meist bloß 50m, nur
au den höchsten Stelleu etwa 80 m über d. M. (der „Klever Berg" im
Reichswald sogar 106 m). Der Niederrhein hat in seinen eigenen Ab-
lagerungen (f. e) zu verschiedenen Zeiten seinen Lauf verändert, wovon
zahllose alte Stromarme, die z.t. noch ausgedehnte Wasserflächen bilden,
und sumpfreiche Bruchgegeuden deutliche Kunde geben. Je weniger hoch
die Laudfläche über dem Spiegel des Stromes liegt, um so mehr ist sie Über-
schwemmungen und stets neuen Absätzen vou Geröll und Saud ausgesetzt;
das zeigt der Boden besonders dort, wo der Strom unsere Provinz verläßt.
Nur in einigen Höhenzügen, besonders in der Ville, treten tertiäre Schichten
meist mit Brauukohleu-Eiuschlüsseu) hervor; die Oberfläche der Tiefebene ist großen-
teils quartäreu Ursprungs, und zwar — mit Ausnahme des Alluviums der Uber-
schwemmuugen aus der geschichtlichen Zeit — diluvial. Dieses Diluvium rührt in den
nördlichen Strichen hier und da von der zweiten Vergletscherung, der Eiszeit Herl, ist
aber im übrigen vom Wasser abgesetzt. Sowohl in der Tertiärzelt (vgl. S. 8/9) als auch
in der Diluvialzeit drang das Meer über unsere jetzige Tiefebene weit nach ©.£)._ hin
vor und hinterließ, als es sich wieder zurückzog, große, nach N.w. zu immer mächtigere
Geröll- und Sandschichten; und dabei hat der Rhein so viel Sinkstoffe in diesen Gegenden
seiner damaligen Mündung abgesetzt, daß sein Bett nunmehr von seiner eigenen Anf-
schüttnngsmasse gebildet wird (vgl. S. 9. Indessen findet sich in der von^dem Strome
ausgewaschenen, breiten Lücke zwischen den Höhen bei Düsseldorf und bei Süchteln auch
au einer oberflächlichen Stelle n. von Krefeld noch marines Tertiär, wahrscheinlich von
dem bis hierher reichenden Inlandeise der zweiten nordischen Vereisung aufgestaucht-.
1 Vgl. Dr. A. Pahde, Erdkunde für höhere Lehranstalten, Iv. Teil Glogan 1902),
S. 85, 120.
2 Vgl. Dr. E. Königs in den Jahresberichten des Naturwissenschaftlichen Vereins zu
Krefeld 1894/95 und 1901/02 (vgl. auch Verhandlungen des Naturhist. Vereins der
preußischen Rheinlande, Westfalens u. d. R.-B. Osnabrück, 1894).
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Ort N. 2h'. ' Ö. L. Meeres- Januar Durch sch April rtittlicf)el V Juli uflwcirme Oktober Jahr
Krefeld . . . 51° 20' i 6° 35' Köln .... 50° 55' 6° 57' Boppard . . 50° 14' 7° 34' Kreuznach . . j 49° 50' 7° 51' Trier .... 49° 46' 6° 38' sür die Zeit von 1851 bis 1890 45 m 60 m 99 m 114 m 150 m für Köln 0,8° 1,6° 1,1° 0,8° 1,1° bis 190 8,7° 9,7° 9,1° 9,7° 9,5° 0 ergebe 18,2° 18,7° 17,9° 19,0° 18,5° n sich di 9,8° 10,8° 10,0° 10,2° 10,1° Werte: 9,3° 10,1° 9,4° 9,8° 9,7°
Ort N Br. Ö. L. Meeres- höhe Januar April Juli Oktober Jahr
Aachen . . . Köln .... 50° 47' 50° 56' 6° 5' | 177 2,8° 6° 57' i 60 || 2,0° 9,3° 9,6° 18,1° 18,5" 10,5° 10,5° 10,0° 10,1° c
Aus den warmen Tälern aber erheben sich die weiten Hochflächen
als rauhe und unfreundliche klimatische Inseln, deren ziemlich hohe mittlere
Luftwärme mehr auf milden Wintern als anf den — nicht hinreichend
warmön — Sommern beruht und in ihrer Wirkung durch die heftigen
Winde, die kühlen Nächte und die kalten Niederschläge sviel Schnee)
größtenteils vernichtet wird. In besonderem Maße leidet unter diesem naß-
kalten Seeklima die Eisel.
Von den Winden treten die aus W. und S.w. kommenden besonders
hervor als die, welche hauptsächlich deu Niederschlag bringen.
Da. die barometrischen Minima nieist tt.tr. von unserer Provinz in n.ö. Richtung
vorüberziehen, so gilt für uns auch meistens die Dovesche Wetterregel, wonach der Wind
sich von O. über S. nach W. dreht und manchmal durch N. nach O. zurückspringt. Eine
eigentümliche Luftdruckverteilung im Frühling niedriger Luftdruck in Ungarn, hoher Luft-
druck im n.w. von Europa bringt die „drei gestrengen Herren" 11. bis 13. Mai
hervor, und mit Nordwinden verbreitet sich im Frühjahr der Moorrauch oder Hohen-
rauch von den friesischen nttd niedersächsischen Hochmooren über das Rheinland weit nach
S. hin. —
Maßgebend für den Psianzenwuchs sind Klima und Bodenbeschaffenheit.
Es ist daher als eiue große Gunst der geographischen Verhältnisse aufzufassen,
daß die vott dem milden Klima bevorzugten Striche unserer Provinz im
großen und ganzen auch gerade diejenigen sind, deren Oberfläche von den
für Landbau besonders geeigneten jüngeren Bodenschichten gebildet wird.
Auf der Lothringer Platte wechseln Getreidefelder und anderes Ackerland mit
kleinen Wäldern ab. Im Pfälzer Berglande bekleidet der Wald die Berghöhen,
während in deu Tälern der Ackerbau blüht. Geschlossener Waldbestand findet sich aus
den Hunsrückhöhen, deren Rauheit dem Landbau aber wenig günstig ist, so daß hier
nur Kartoffeln und Flachs reichlich gedeihen. Weit ungünstiger noch sieht es auf der
Eifel aus, wo nur vereinzelt größere Waldflächen sich ausdehnen, ohne aber auch die
Erhebungen zu bedeckeu. Nicht einmal der fünfte Teil des ganzen Gebietes ist hier be-
baut; ebensoviel aber ist 'besonders im N.w. von Hochmooren bedeckt, ltnb ein großer
Teil des ackerbanfähigen Bodens liegt meist brach. Auf der rechten Rheinseite da-
gegen tritt in den bergigen Teilen unserer Provinz Moor- und Weideland mehr in den
Hintergrund, von dem anbaufähigen Lande sind zwei Drittel in Benutzung, obzwar auf
der Höhe des Westerwedes die Verhältnisse recht ungünstig sind, und der Wald erfüllt
ungefähr die Hälfte der Hochflächen. Die warmen obstreichen Täler des Rheins und
i In Kreuznach z. B. zeigt das Thermometer als höchste Temperatur über-
Haupt im Jahre etwa 33°, als niedrigste durchschnittlich — 1entsprechend ttt
Köln 35,1° (25. Juni 1863 und — 22,8° C (26. Dez. 1853; — 22,5" C am 8. Dez. 1871 .
Vgl. I. Hann, Klimatologie, und Festschrift zur Begrüßung des 14. Deutschen Geographen-
tages, Köln 1903.
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Die Kelten haben vermutlich die großen Ringwälle angelegt (f. S. 21), während die
„Hünengräber" (§. B- bei Duisburg und am Errensberge vgl. S. 6 ' vielleicht germanischen
Ursprungs sind.
Die Römer unterwarfen die Kelten staatlich und sprachlich (Trier als Hauptstadt! :
aber die Versuche, über deu Rheiu in germanisches Land einzudringen und auch dort
festen Fuß zu fasse« (Cäsar, 55 u. 53 v. Chr., Drusus, Tiberius, Narus, Germanicns,
scheiterten auf die Dauer nicht bloß am deutschen Widerstande, sondern auch an der Iii,
zugänglichkeit des waldigen Schiefergebirges. Schon damals aber drängten germanische
Völker uach W.: die Ubier siedelten sich unter Augustus auf dem linken Rheinufer au
und sahen später (50 n. Chr.) ihre Stadt zur Colonia Agrippinensis (Köln werden ^
und auch die Sigambrer blieben nicht auf das rechte Ufer beschränkt. Die schon
10 V. Chr. und später am Rheine angelegten römischen Standlag er und Festung en
«Bingen, Boppard, Koblenz, Andernach, Sinzig, Remagen, Bonn, Köln [Altebitrg:
Station der »Classis germanica«!, Worringen |Buruncum], Neuß icastra nova ober
Novaesiuml, Gellep [Gelduba , Asberg [Asciburgiumi, Tanten [Castra vetera]2 u. n.,,
von denen aus sich der römische Heeresdienst, Handel und Laudbail Weinbau unter
Kaiser Probus um 280 n. Chr.) unter den Westgermanen verbreitete, vermochten aber beim
Verfall des Römerreiches dem erneuten Vordringen der Deutschen nicht mehr Einhalt zu tun.
Als die Germanen selbst zum Angriff übergingen, erhielten auch das
linksrheinische Schiefergebirge und das Pfälzer Bergland unter Vernichtung
der römisch gewordenen Bewohner eine neue, rein deutsche Bevölkerung und
haben diese seitdem behalten, so daß die Bewohner der jetzigen Rhein-
Provinz insgesamt deutschen Stammes sind — mit Ausnahme der
Zugewanderten und der 10 000 Wallonen (Nachkommen der romani-
sierten Velgen), deren Verbreitung von Belgien her in unsere Provinz hineinreicht.
Zur Zeit jenes erfolgreichen Vordringens gegen das Römerreich (3. Jahrhundert
waren die früher auf beiden Rheinseiten ansässigen kleineren Stämme zu dem Völkerbunde
der Franken verschmolzen, der sich immer weiter links vom Rheine ausbreitete, während
der große Stamm der Sachsen seine Sitze bis fast ans rechte Rheinufer vorschob. Wie
überhaupt in der Mitteldeutschen Gebirgsschwelle, so hat sich auch im Schiefergebirge die
Grenze zwischen beiden Stämmen (zum Teil mit der N.o.-Grenze der Rheinprovinz zu-
sammenfallend) ziemlich nnverrückt bis in unsere Tage erhalten. Das zeigt die Verbreitung
der Plattdeutscheu (sächsischen) Mundart ■— und die des sächsischen Bauernhauses gegenüber
den fränkischen Gehöften, soweit die industrielle Neuzeit auf unserem Gebiete derartige
Eigentümlichkeiten uoch nicht verwischt hat. Auch an alten Ortsnamen läßt sich auf der
rechten Rheiuseite oft die ehemalige Grenze erkennen, indem Orten mit der fränkischen
.Endung „heim" solche mit der sächsischen „Hansen" gegenüberstehen (z.b. Mülheim
an der Ruhr und ganz in der Nähe Holthausen).
Als der Frankenkönig Chlodovech (496) die Alemannen zur Unterwerfung zwang
(ob bei Zülpich, ist fraglich und der römisch-katholischen Kirche beitrat, durfte
diese deu einzig dauerhaften Staat der Völkerwanderung als feste Stütze gegenüber den
anderen Richtungen des Christentums betrachten. Wenn schon iu der römischen Kaiserzeit
die christliche Lehre in den Rheinlanden Eingang gefunden hatte (z. B. Maternus, Kaiser
Konstantin und seine Mntter Helena), so war jetzt dem römischen Bekenntnis der Weg
gebahnt (Castor, Goar n. ct.), die Glanbensboten der nächsten Jahrhunderte Willibrord
im Rheindelta, Suitbert im Bergischen, Ludger an der unteren Ruhr und vor allen
Bonifatins) stießen im fränkischen Rheingebiete weniger ailf Widerstand als ander-
wärts, und Klöster und Bischofssitze faudeu daraufhin gerade hier günstigsten Boden.
Sehr viel hat das Rheinland Karl dem Großen 768—814) zu verdanken; war
doch die Pfalz zu Aachen sein Lieblingsaufenthalt, der auch seine Todesstätte wurde;
hat er doch durch seine Kapelle (vgl. Abbild. S. 51) den Gruud zum Aachener Dome
gelegt, Bistümer und Klöster mit Volksschulen gegründet, Pfalzen (Königsburgen):i
1 Hier wurde nämlich Agrippina geboren, die spätere Mutter Neros. — Die alte
Römermauer ist noch zu verfolgen, vgl. Progr. d. Ober-Realschule zu Köln, 1883.
2 Noch heute ist die „Römerstraße" Köln-Nenß-Tanten wiederzuerkennen.
^ Eiue solche war schon vor Karl dem Großen das jetzige Duisburg sspr. Düs-
lntrg], dessen Name so oft ganz falsch gedeutet wird. Im dritten Jahrhundert it. Chr.
schon findet sich der Name Deuso für die Siedeluug in der Ecke zwischen Rhein und
Ruhr; aus dem Merowinger-Sitz „Densobnrg" wurde „Dinsbnrg" wie auf den Münzen
des 11. Jahrhunderts zu lesen ist), erst später verdreht in „Dmsbnrg". Vgl. H, Aver-
dunk, Führer durch die Duisburger Altertumssammlung (1902 .
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Als der jülich-klevische Erbfolgestreit (1609—1614) beigelegt und — außer
westfälischen Gebieten — das Herzogtum Kleve Brandenburg zuge-
sprachen war, gelang es nach dem großen Kriege dem Großen Kurfürsten,
diese nördlichste Landschaft unserer Provinz anch innerlich mit seinen östlicheren
Gebietsteilen zu einem Staate zu verbinden In den übrigen Landschaften
aber fehlte eine folche feste Hand; wiederholt suchten die Frauzoseu das
Rheinland heim, und ihr Ansturm vernichtete vorübergehend auch die preußische
Herrschaft am Rhein. Es war 1702 auch die Grafschaft Mörs sowie
Stadt und „Herrlichkeit" Krefeld * und 1713 der Ostteil des Herzog-
tums Geldern (mit Viersen und Geldern) an Preußen gefallen; aber das
ganze linke Rheinufer kam 1794 bezw. 1801 in französische Hände^
die deutschen Fürsten ließen sich dafür ablohnen im Reichsdeputationshaupt-
schluß 1803, der die geistlichen Herrschaften (außer Kur-Mainz) von der Karte
Deutschlands tilgte und Preußen n. a. in den Besitz der Abteien Essen
und Werden brachte. Erst nach den Befreiungskriegen konnte Preußeu
seinen alten Besitz am Rheine wieder antreten; ■—> durch den Wiener Kongreß
1815 wurde das Rheinland, das der Franzosenzeit wenigstens den ersten
Anflug von Einheitlichkeit (anch im Rechtswesen) verdankte, sast in der jetzigen
Ausdehnung preußisch.
Später kam nur noch das kleine kobnrgische Fürstentum Lichtenderg ^1834 durch
Kauf) und 1866 der ehemals hessen-homburgische Kreis Meisenheim ls. S, 22) zu der
— seit 1824 so genannten — Rheinprovinz 3.
Seit 1821 unterscheidet man die fünf Regierungsbezirke Düffel-
dorf, Köln, Aachen, Trier und Koblenz, die i. I. 1900 in 61 Land-
und 14 Stadtkreise zerfielen (s. Vi, Zahlennachweise).
Wie durch die Ereignisse des Jahres 1866 die große Lücke zwischen Rheinland und
Westfalen einerseits und den altpreußischen Provinzen anderseits ausgefüllt worden ist,
so haben die unvergeßlichen Kriegstaten von 1870/71 die deutsch-französische Grenze von
der Saarlinie bis über die Mosel hinaus vorgeschoben. —
Die Großmachtstellung Preußens und des Deutschen Reiches hat auch aus
die Bedeutung des Rheinlandes segensreiche Rückwirkungen ausgeübt; der
mächtige Aufschwung, seit dem 19. Jahrhundert besonders die Industrie
auf Grund der Ausnutzung der reichen Bodenschätze des Landes genommen hat,
steht dabei iu erster Linie, und damit hängt zusammen eine beträchtliche Zu-
nähme der Bevölkerung, insbesondere der städtischen4.
Am 1. Dezbr. 1900 zählte man in der Rheinprovinz 5759 798 (da-
von 5001 467 im Rheinlande geborene) Menschen (25 Jahre vorher 3805431),
das macht (vgl. oben S. 1) durchschnittlich 213,4 Einwohner ans 1 cikm (ohne
Hohenzollern)^. Danach steht die Rheinprovinz, sowohl was die Bevölkeruugs-
zahl an sich als auch die Volksdichte angeht, allen übrigen preußischen Pro-
vinzen weit voran. Ende 1900 gab es im Deutschen Reiche 473 Gemeinden
von mehr als 10 000 Einwohnern; davon gehörten 74 der Rheinprovinz an,
und zwar vereinigten sich in diesen 74 Gemeinden mehr als 24/5 Mill. Seelen
1 Vgl. Dr. W. Mushacke, Krefeld zur Zeit der preußischen Besitzergreifung lkre-
feld 1902).
2 Wie schon hundert Jahre vorher die Südspitze der Rheinprovinz, btc man sogar
im ersten Pariser Frieden 1814 noch bei Frankreich ließ.
3 Neuerdings auch „Provinz Rheinland" genannt.
4 Die Volkszählung vom 1. ®ez. 1900 weist 132 Städte und 3151 Landgemeinden aus.
5 Unter den 5759 798 Bewohnern waren 2899421 männlichen ( Rechts
2860377 weiblichen ( ] J J "
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Ortskunde. 19
Altersversicherung für die arbeitenden Klassen, womit schon seit längeren Jahren
Orts- und Betriebskassen und Privatwohltätigkeit Hand in Hand gehen*.
Nicht minder aber findet das geistige Leben in der Rheinprovinz volle
Berücksichtigung; neben Juristen und Ärzten^ sind die Vertreter des Kirchen-
und Unterriqtswesetts und der Künste in mannigfachster Weise tätig.
Das evangelische Kirchenwesen ist der Aufsicht des Generalsuperinteudeuteu
(in Koblenz) unterstellt; in die Leitung des römisch-katholischen Kirchenwesens
teilen sich der Erzbischof von Köln und die Bischöfe von Trier und Münster; der Bischof
der Altkatholiken hat seinen Sitz in Bonn.
Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, verbunden mit der (and-
wirtschaftlichen Akademie zu Poppelsdorf, und die Technische Hochschule zu Aachen stehen
unmittelbar unter dem Ministerium, die 103 höheren Schulen (42 Gymnasien nebst
23 Progymnasien, 12 Realgymnasien und 3 Realprogymnasien, 10 Ober-Realschulen und
13 Realschulen) mit etwa 1300 Oberlehrern unter dem Provinzial-Schul-Kollegium (zu
Koblenz), die 50 höheren Mädchen-, die Mittel- und Volksschulen^, uuter der „Regierung"
ihres Regierungsbezirks. Dazu kommen an Fachschulen: die Handelshochschulen zu Köln
und Aachen, die „Preußische höhere Fachschule für Textil-Jndustrie" (Webeschute, Färberei-
und Appreturschute) zu Krefeld, die Webeschule und die Färberschule zu Mülheim a. Rh.,
die Webeschule zu Aachen, die Landwirtschaftsschuten zu Bitburg und Klebe, die gewerb-
liche Fachschule zu Köln und die gewerblichen Schulen zu Krefeld, die Königliche Bau-
gewerkschule Barmen-Elberfeld, die Hüttenschute zu Duisburg, zahlreiche kaufmännische,
ländliche und gewerbliche Fortbildung^- und Handwerkerschulen usw. Mau zählt 5 evan-
gelische und il katholische Lehrer-Seminare nebst 2 katholischen und 1 paritätischen
Lehrerinnen-Semiuar, 8 Taubstummen- und eine Blinden-Anstalt. Die Kunstakademie
und die Kunstgewerbeschule zu Düsseldorf, die Provinzial-Museen zu Bonn und Trier,
städtische Museen zu Köln, Düsseldorf, Krefeld usw. dienen der Knustpslege.
In bezng auf die Verwaltung leitet jeden Stadtkreis der Bürgermeister (dem. ge-
wöhnlich der Titel Oberbürgermeister verliehen wird), jeden Landkreis der Landrat. Über
diesen steht die Behörde des betr. Regierungsbezirks mit dem Regierungspräsidenten
an der Spitze. Die oberste Behörde.der Provinz ist der Königliche Oberpräsident
(Koblenz); dabei sind mancherlei innere Angelegenheiten der Selbstverwaltung dnrch
den Prov inziallandtag (mit Proviuzialausschuß und Laudeshauptmauu) anheimgegeben.
Dem Herrenhause gehöre» aus dem Rheinlande neben den persönlich oder sonst
Berechtigten und den vom Könige berufenen Mitgliedern die Vertreter von 16 größeren
Städten an, dem Abgeordnetenhause 64 Mitglieder. Außer diesen Mitgliedern des
preußischen Landtags werden von unserer Provinz 35 Abgeordnete in den deutscheu
Reichstag entsendet, um in Gemeinschaft mit dem Bundesrat an ihrem Teile zu wirken
für Kaiser und Reich.
V. Ortskunde
(nach den Flußgebieten).
1. Das Rheintal von der Nahe- bis zur Moselmündung.
Nach dem Rheine führt mit Recht unsere Provinz ihren Namen; hat
sie doch anch am meisten Teil an seinem herrlichen Durchbruchstales das
— wie kein zweites der Erde — stets aufs neue Dichter und Sänger zu den
duftigsten und fröhlichsten Liedern begeistert!
Aus dem sonnigen „Rheingau" tritt der Strom zwischen Rochusberg
(Großherzogtum Hessen) und Niederwald (Provinz Hessen-Nassau) in das
* Es gab 1901 allein an Krankenkassen stark 2000 mit fast 1 Mill. Mitglieder.
2 Im Jahre 1902 zählte man im Rheinland 2768 „approbierte Ärzte" 134 5zahn-
ärzte und 536 Apotheken. ° ;
3 Im Jahre 1901 gab es im Rheiulaude 4930 öffentliche und 22 Privat-Volks-
schulen mit insgesamt etwa 15 500 Lehrkräften und beinahe 965000 Schülern; von den
27 460 Rekruten (ohne die Einjahrig-Freiwilligen) waren nur 5 ohue Schulbildung, d. h.
nur 0,02x (in Preußen durchschnittlich 0,07^) konnten weder lesen noch ihren Namen
schreiben.
4 S. Umschau in Heimat und Fremde, I. Band, M. Schwann, Die Rheinlande von
Mainz bis Koblenz, Kerp, Am Rhein, sowie Baedekers Rheinlande.
2*
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Ortskunde. 21
Koblenz mit der auf einem Felsvorsprunge des Westerwaldes (176 m über d. M.)^
von Preußen neu erbauten Feste Ehrenbreitstein und etlichen Forts ans
den umliegenden Höhen einen wichtigen befestigten Punkt, der aber durch die
Vorschiebung der deutschen Grenze nach Lothringen in zweite Linie rückte.
Tie Festungswerke der Stadt selbst wurden daher seit 1890 niedergelegt und
in eine Ringstraße umgewandelt; seit 1903 werden die Befestigungen ganz
„aufgelassen". Aber Koblenz hat in anderer Weise sehr an Bedeutung ge-
Wonnen, seit das Moseltal zur Herstellung des Verbindungsweges zwischen
der gewaltigen neuen Grenzseftnng Metz und dem Mittelpunkte des Reiches
ausgenutzt worden ist.
Dieser Schienenweg überschreitet den Rhein oberhalb der Koblenzer „Rhein-
anlagen"1 auf einer vortrefflich gebauten Brücke mit zwei Hauptbogeu, während unter-
halb, durch eine beim Schloß in drei Bogen ts. Abbildung) nach Pfaffendorf >2500 E.)
hinüberführende Brücke, die rechtsrheinische und die linksrheinische Eisenbahn verbunden
sind; für die letztere Linie ist auch die Mosel überbrückt. Außerdem sind Lützel-Koblenz
'auf dem linken Moselufer) durch eine alte feste Brücke von 14 Bogen und die Stadt
Tal-Ehrenbreitstein (5300 E.) durch eine Schiffbrücke -'s. Abbildung) mit Koblenz
verbunden. — Bemerkenswert ist noch der alte Stadtteil an der Mosel, die vor mehr
als 1900 Jahren s. S. 14 gegründete Castorkirche, die Denkmäler von Max von
Schenkendorf (+ 1817 und General August von Göbcn -f 1884;, zumeist aber das mächtige,
von der Provinz gestiftete Denkmal Kaiser Wilhelms I. am „deutschen Eck".
Den günstigen Verbindungen zu Wasser und zu Laude entspricht die Tat-
sache, daß von den 46000 E. der Stadt Koblenz sast ein Viertel Handel und
Verkehr treibt (u. a. Weinhandel und Schaumweinbereitung). Andrerseits er-
scheint Koblenz aber als echte Beamten- und Militärstadt; denn es ist (seit 1822)
nicht nur der Hauptort eines Regierungsbezirks, sondern auch der Sitz der
obersten Behörden der ganzen Provinz (vgl. oben S. 18—19) und hat mehr
als 4500 Mann Besatzung .dazu Ehrenbreitstein fast 2500).
2. Der Nahegau.
Nach dem Anfangs- und dem Schlußpunkte der beschriebenen Rhein-
strecke hin vereinigen sich — wenn man von kleinen, dazwischen mündenden
Bächen absieht — die sämtlichen Gewässer des ganzen Südens der
Rheinprovinz.
Die Nahe entspringt am Südabhange des Hochwaldes auf dem Ge-
biete des oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld2, desseu gleichnamiger Hanpt-
ort (382 m über d. M., 2500 E.) abseits vom linken Ufer des Flusses liegt.
Auf der Strecke, wo die Nahe mehrfach die Südostgrenze des genannten Fürsten-
tums bildet, treten die Felswände Melaphyr, s. oben S. 5) oft so nahe an den Fluß
heran, daß die das Saarbecken mit dem Rheine verbindende Eisenbahn sich bald auf
diesem, bald anf jenem Ufer unter Benutzung von etwa 20 Brücken und 10 Tunneln
hindurchwinden muß.
Nahe bei dem preußischen Grenzorte Otzenhausen liegt der sogen. Hunnenring
von fast 2 1cm Umfang; solcher vorgeschichtlichen Befestigungsringe siehe oben S. 14) gibt
es in jenen Hunsrückgegenden mehrere, z. B. weiter n.ö. einen kleineren, vollständig
erhaltenen auf dem Pfannenfels.
Am großartigsten ist das Tal bei Ob er st ein (265 in über d. M, 5900 E.);
hier und am Jdarbach aufwärts bis Idar (4200 E.) finden sich mehr als
50 Schleifmühlen für Achate und andere Halbedelsteine.
Diese werden nicht mehr aus den Felsen der Umgebung, sondern größer und billiger
aus Südamerika beschafft; in mehr als 100 Werkstätten werden die geschliffenen, oft auch
1 Die Entstehung derselben verdankt Koblenz wesentlich der Kaiserin Angusta (i 1890 ,
der m den Aulagen ein Denkmal gesetzt ist.
2 Vgl. Landeskunde des Großherzogtums Oldenburg von Dr. G. Rüthning.
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Krtskuude.
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5. Das Mosel-Flußgebiet in der Eifel.
Die Wasseradern des größten Teils der Eifel, namentlich die der ganzen
^vulkanischen) Vorder-Eisel sind der Mosel zinspflichtig. Die Eifelbahn
Köln-Trier durchzieht das ganze Gebiet in N.-S.-Richtung, während die 1895
eröffnete Strecke Mayen-Gerolstein eine ost-westliche Linie hergestellt hat, die
von Andernach a. Rhein nach der von Aachen aus südwärts ziehenden Bahn
hinüberführt; andere Bahnlinien reichen nur in die Ränder der Eisel hinein.
Nördlich von der Schneifel (s. S. 6) entspringt ein kleiner Bach, die Ur, die von
der N.o.-Ecke des Großherzogtnms Luxemburg au fast immer die Ostgreuze dieses Landes
bildet, bis sie bei ihrer Einmündung in die Sauer von letzterer darin abgelöst wird
(vgl. S. 23). Unterhalb des luxemburgischen Grenzstädtchens Echternach nimmt die Sauer
noch die Prüm auf, die sich an der S.o.-Seite der Schneifel entwickelt und gleich im
Oberlauf an der Kreisstadt Prüm (mit den Gebäuden einer früheren Benediktinerabtei,
2700 E.) vorbeifließt. Vom Kylltale ^Gerolstein! aus führt über Prüm die Eisenbahn
nach dem gewerbreichen Städtchen St. Vith 2000 E.z jenseit der Ur und setzt sich als
Hohe-Venmbahn nördlich fort (f. o.). Zwischen Prüm und Kyll liegt die kleine Kreis-
stadt Bitburg (Bedae vicus, 2800 E.) an der alteu Römerstraße Trier-Köln, so daß in
der Nähe — ähnlich wie an der Mosel — noch mancherlei römische Altertümer ge-
funden sind.
Der bedeutendste n. Zufluß der Mosel ist die Kyll, die nördlich vou
der Schneifel entsteht ^vgl. S. 6); ihrem Tale folgt die Eifelbahn.
Sie fließt am N.o.-Ende jenes Höhenrückens vorbei, durchschneidet die Vulkanreihe ^
der Vorder-Eifel (f. S. 6) und erreicht hinter der Kasselburg (aus 100 m hoher Berg-
kuppe) den Ort Gerolstein (396 m), der wegen seiner vulkanischen Umgebung viel besucht
wird. Viel häufiger als bisher wechselt nun die Eifelbahn zwischen dem rechten und
linken Kyllufer ab (44 Brücken und Viadukte, im Unterlauf 10 Tunnel); auf dem rechten
Ufer quillt oberhalb des Dorfes Birresborn ein kräftiger Sauerbrunnen hervor; an
Stelle der oft kahlen Ufer treten (auf dem Buutsaudsteiu der Trierer Bucht — s. Fig. 2
S. 43 und S. 7) bald waldige Umgebungen, und so gelangt man nach dem Glanzpunkte
des Tals, dem von einer Flußwindung fast ganz umgebenen Orte Kyllburg auch Kilburg
geschrieben).
Auch die Lieser, die westlich vom Hohen Kelberg (s. S. 6) entspringt, zieht quer
durch die Vulkaureihe der Vorder-Eifel hindurch; gleich bei dem Kreisorte Daun (an der
Bahn Gerolstein-Mayen, 375 m hat sie sogar einen Lavastrom durchnagt, auf dessen
abgetrenntem Teile sich die Überreste der alten gräflichen Burg2 erheben. Sie fließt dann
hart an der N.w.-Seite der Sand- und Tuffmasse der Dauner Maare vorbei (s. S. 7 und
Abbildung S. 49 ; ihr anfangs breiteres Tal verengt sich in dem Tonschiefer mehr und mehr
und zeigt sich höchst malerisch bei Manderscheid, wo in der gewundenen tiefen Tal-
furche zwei von der Lieser umrauschte, zackige Schieferfelsen von Burgtrümmern gekrönt sind.
Eine^ Wandruug auf der Landstraße von Gerolstein nach Dauu und Gillenfeld
lehrt die Kahlheit und die merkwürdigen vulkanischen Formen dieser Gegenden kennen,
gewährt aber auch mehrfache Einblicke in die armseligen Verhältnisse ihrer Bewohner. —
Die Alf nimmt den Abfluß des Schalkenmehreuer Maares auf, begleitet dann über
Gillenfeld (407 m) die Südwestseite des Vulkanzuges, wird aber schließlich durch die
Berge zu einer großen Biegung gezwungen (Moselbahn), so daß sie sich erst bei Alf
(s. vor. S.) in die Mosel ergießt. Der Ußbach, den die Alf kurz vor ihrer Mündung
aufnimmt, entsteht aus einem früheren Maar an der Südseite des Hohen Kelbergs; sein
windungsreiches Tal erweitert sich etwas bei dem Badeorte Bertrich (160 m, etwa 400 E.
und jährlich meist 1000 Kurgäste. Etwas oberhalb von Bertrich, dessen Quellen 32*/»° C.
haben, sind die Basaltgrotte des „Käskellers" und die Falkenlei (s. S. 6) die äußersten
Zengen der vorgeschichtlichen vulkanischen Tätigkeit.
In der Umgebung des Hohen Kelbergs liegt noch die Quelle des Elzbaches (siehe
vor. S.); er ist das letzte der Eifelflüßchen, welche die aus dem Trierer Talkessel kommende,
immer weit links von der Mosel nach Lützel-Koblenz führende Landstraße kreuzt.
1 Der Bodeu besteht hier sonst aus Buutsaudsteiu s. Fig. 2, S. 43.
2 Heimat des österreichischen Feldmarschalls Daun.
1904 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Pahde, Adolf, Seydlitz, Ernst von
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Ortskunde, 27
Nördlich von dieser Stelle bezeichnen die Zinkerzberg werke und -Hütten der
Gesellschaft »Vieille Montagne« das neutrale Grenzgebiet von Moresnet.
Der Hauptpunkt des ganzen Jndustriebezirks im deutschen Maasgebiete
und darum auch die Hauptstadt des westlichen preußischen Regierungsbezirks
ist Aachen (180 m über d. M,, 136 000 E.)1. Als Lieblingsplatz Karls des
Großen, vou dem noch der achteckige Kuppelbau des Domes herrührt
Abbildung S. 51), und als Krönungsstadt vieler deutscheu Kaiser hat Aachen
zwar eine bedeutende geschichtliche Vergangenheit (vgl. oben S. 14), die
bis iu die Römerzeit zurückreicht (»Aquisgranum«); zwar bildet die fleißige
Benutzung der warmen kochsalz-, schwefel- (und eisen-) haltigen Heil-
quellen von 45 bis 55" C. (»urbs Aquensis«; in der Vorstadt Burtscheid
sogar bis zu 77,5" 0.) das stetige Bindeglied zwischen der neuen und jener
alten Zeit — aber sowohl in bezng auf das Badeleben wie besonders als Sitz
einer großen Gewerbtätigkeit (namentlich Tuch-, Nadel- und Papierfabriken)
macht Aachen durchweg den Eindruck eiuer lebensvollen Stadt der Neuzeit,
die seit 1897 mit der s.ö. Nachbarstadt Burtscheid (Tuchweberei) vereinigt ist
und sich so um 16 000 Einwohner vermehrt hat
Das Rathaus fußt auf einigen Überresten der alten Kaiserpfalz, Als Aachen 1815
an Preußen fiel, hatte es kaum 30006 E. Die Technische Hochschule für Rheinland
und Westfalen wird von etwa 400 Studierenden besucht. Aachen ist auch Eisenbahn-
knotenpnnkt; zu den schon genannten Linien ls. vor, S,I kommen, die Verbindungen mit
Moresnet, Maastricht, M.-Gladbach und Jülich hinzu; zudem besteht ein ganzes Netz
elektrischer Kleinbahnen,
In Aachens Umgebung entsteht der Wormbach, dessen waldiges Tal gleich n, von
der Stadt Kohlenzechen aufweist. Ihm folgt, zum Teil an der holländischen Grenze, die
von Aachen kommende Eisenbahn bis zu dem Kreisstädtchen Geilenkirchen (4200 E,), um
darauf durch hügeliges Ackerland und die Niederung der Rur hindurch auf deren rechtem
llfer nach der Kreisstadt Erkelenz (4700 E) und weiter nach dem niederrheinischen
Baumwoll- und Seidenbezirke hinzulenken. Die Worm oder Wurm) mündet in die Rur
unterhalb des Städtchens Heinsberg (2300 E,), dessen Kreise die Westspitze der Provinz
ls. oben S. 2) angehört.
In all den Landstrichen am Unterlaufe der Rur und ihrer Zuflüsse,
wo fruchtbare Äcker und fette Wiesen den teils sanft gewellten, teils ebenen
Boden bedecken, tritt die industrielle Tätigkeit hinter der landwirtschaftlichen
zurück. Das gilt auch von der alten Kreisstadt Jülich (5500 E.), dem Mittel-
Punkt des früheren gleichnamigen Herzogtums (s. oben S. 16); bis zum Jahre
1860 war sie noch eine Festung; Bahnen von Düren, Stolberg und Aachen
treffen hier zusammen. — Die friedliche Ruhe des Landlebens — namentlich
auf dem rechten Ufer der Rur — grenzt naturgemäß den Aachener Regiernngs-
bezirk ab gegen die industrielle Lebhaftigkeit des Reg.-Bez. Düsseldorf (an der
Niers und am Rhein).
7. Das Rheingebiet von Koblenz bis zum Siebengebirge.
Von dem Eifellande bleibt nach der Besprechung des Mosel- und Maas-
gebietes noch das kleinere Ostdreieck übrig, als dessen Eckpunkte die Ahrquelle,
die Moselmüudung und der Rolandsfel'sen anzusehen sind; seine Flußadern
eilen dem Rheine selbst zu.
Die Umgebungen der Hohen Acht ls, oben S. 6), zwischen Elz und Ahr, find die
^uellgegend der Nette, die das vulkanische Gebiet des Laacher Sees ls> oben S. 7) auf
der Südseite umfließt. Bereits bei der Kreisstadt Mayen (238m über d, M., 12000 E.),
der Hauptstation an der Bahn Andernach-Gerolstein, gewahrt man eine fleißige Aus-
beutung der Lavamassen, die dereinst den n, Vulkanen entquollen sind.
1 Vgl, Schjerning, Aachen und seine Umgebuug.
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Ortskunde. 33
Drahtseile usw. allein 6000 Arbeiter beschäftigt; Station für mehrere rechtsrheinische
Schienenwege, steht Mülheim auch mit der sich ostwärts an Deutz anschließenden Stadt Kalk
21000 E , chemische Fabrik iu Bahnverbindung. Unterhalb, in Leverkusen, dehnen sich
die Elberfelder Farbenfabriken 'vorm. Bayer & Eie.) aus. Nach N. zu geht es ins
„Bergische Land".
10. Der Wupper- und Nuhrgau.
Der älteste rheinische Jndustriebezirk wird durchflössen von der Wupper,
deren Quellgebiet sich in bezng auf Lage und Eisenerzgehalt an die obere
Agger anschließt.
Nördlich von Gummersbach (f. oben S. 30 liegt die Quelle der 105 km langen
Wupper, die in waldiger Berggegend zwischen der Kreisstadt Wipperfürth (5500 E.)
und dem Städtchen Hückeswagen 4000 E., Tuchfabriken, in den Regierungsbezirk
Düsseldorf eintritt. Dessen Ostecke bildet der Kreis Lennep, in ihm ist rechts von der
Wupper Rade vorm Wald (11000 E.) durch seine Eisenwaren und Tuche bekannt.
Die von Wipperfürth herkommende Eisenbahn aber zieht von Hückeswagen an weit links
von der Wupper nach N. und sendet einen Zweig über Wermelskirchen 16000 (£ .,
Herstellung von Stiefelfchäften nach den Bezirken der unteren Wupper, in denen bei
Burscheid 6300 E. und Opladen 4200 E., Eisenbahnknotenpunkt) neben der Webe-
Industrie der Obstbau blüht.
Die Bewohnbarkeit des gesamten Berglandes, die Triebkraft
seiner Gewässer und seine Metallschätze haben bereits iu früheren Jahrhnn-
derten gewerbliche Tätigkeit der Bewohner hervorgerufen, zumal deren Zahl dort
vom Landbau allein nicht ernährt werden konnte; im neunzehnten Jahrhundert
hat die Nachbarschaft der Ruhrkohlen auch Maschinenbetrieb ermöglicht, und
elektrische Kleinbahnen helfen neuerdings über die Steigungen hinweg. So
häufeu sich jetzt im Wnppergebiet die Industriestädte. Lennep (320 m über
d. M., 10000 E.), vor 600 Jahren Hauptstadt der Grasen von Berg, jetzt
Kreisstadt, sendet seine Tuchfabrikate bis nach Amerika; eine Eisenbahn ver-
bindet es mit der höchstgelegenen bergischen Stadt, die mit den umliegenden
Gemeinden jetzt einen eigenen Stadtkreis bildet, Remscheid (59000 E.). Die
„Remscheider Waren", hunderte Arten von Werkzeugen und anderen Arbeiten
aus Stahl und Eisen (Haus-, Acker- und Handwerksgeräte, Schlittschuhe usw.
— die Hälfte der Bevölkerung besaßt sich mit ihrer Herstellung •—), werden
von bedeutenden Firmen (z. B. I. B. Hasenclever n. Söhne) aus die fernsten
Weltmärkte gebracht.
Innerhalb des Hufeisenbogens der Wupper, der gerade in der Remscheider Gegend
auch landschaftliche Reize bietet, z. B. an der Talsperre (von 1 Mill. cbra, vgl. S. 26)
und bei dem von dem wiederhergestellten Schlosse überragten Städtchen Burg (1500 E.,
wollene Decken und „Burger Brezel"), folgen an der Eifenbahn n. von Lennep Lüttring-
Hausen (12000 E.) und Ronsdorf (14000 E.), teils in Eisen- und Stahlwaren, teils
bei der Nähe von Barmen) in Bandweberei tätig, während (n.w. von Remscheid) in
Kronenberg 1l000 E.) große Hausindustrie in Eisengeräten vorwiegt.
Seit 1897 ist Remscheid durch einen großartigen Bahn- und Brückenbau
mit dem auf einer Anhöhe w. von der Wupper gelegenen Solingen ver-
bnnden. Die Kaiser-Wilhelm-Brücke (491 m lang) bei Müngsten über-
spannt die Wupper iu einem 107 m hohen Bogen von 170 m Spannweite;
zum Bau dieser höchsten deutschen Brücke sind mehr als 5 Mill. kg Eisen
verbraucht worden (Baukosten: 2 700000 Mark). Solingen (Stadtkreis von
47 000 E. — seit 1889 ist Dorp an der Wupper mit ihm vereinigt —)
ist der Mittelpunkt der deutschen Massen- und Schneidewarenfabrikation, das
„deutsche Sheffield", aber in manchen Beziehungen der englischen Großstadt
überlegen; Soliuger Klingen finden sich sogar auf den Märkten Jnuer-Asrikas.
Zum Teil durch Hand-, zum Teil durch Maschinenarbeit werden die einzelnen Teile
von Messern, Scheren, Bajonetten und namentlich Degenklingen („der Schmied von
Pah de, Landeskunde der preußischen Rheinprovmz. 4. Aufl. 3
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Ortskunde. 35
Speldorf (mit der großen Hauptwerkstätte der rechtsrheinischen Eisenbahn, wie Nippes
[f. S. 32: und Oppum bei Krefeld linksrheinisch , Saarn und Styrum haben sich jetzt
mit Mülheim vereinigt.
Seit dem 1. Jan. 1904 bildet Mülheim a. d. Ruhr^ einen Stadt-
kreis von 90000 Einw., der mit Duisburg zusammen zu den dichtbevölkerten
Teilen der Provinz gehört. Er weist mannigfache Industrie auf (Friedrich-
Wilhelms-Hütte, Walzwerk und andere Eisenwerke, wohl an 70gerbereien usw.);
die Lage am Eingange zu den Kohlenschätzen des Ardey bedingt daneben einen
bedeutenden Kohlenhandel, dessen Schiffe neben denen von Ruhrort und Dnis-
bürg von Rotterdam bis Mannheim gehen. — Gleich in der nächsten Um-
gebung begiuut die Reihe der Kohlenzechen2, die besonders am Nordabhange
des Gebirges bis weit nach Westfalen hineinreicht. Hier kreuzen sich die
Linien der früheren Köln-Mindener, Bergisch-Märkischen und Rheinischen Eisen-
bahn mehrfach, und besondere Seitenlinien schließen die industriellen Werke
und die Zechen an (s. S. 18); elektrische Straßenbahnen gibt es in dem ganzen
Ruhrkohlengebiete von Jahr zu Jahr mehr. Den Mittelpunkt des Kohlen-
beckens, spweit es unserer Provinz angehört, bildet der Stadtkreis Essen.
Trotz 1000jähriger Geschichte — die prächtige Münsterkirche weist noch aus die
Zeiten des Franenstists zurück (). S. 16) — hat Essen erst in der Neuzeit
durch Kohle und Eisen seine Größe erlangt, während es noch als Ackerstädtchen
von noch nicht 4000 Einw. preußisch geworden war.
Erst als an die Stelle des unbedeutenden wagerechten Tagebaues der nur durch
Dampfmaschinen mögliche Bergwerksbetrieb in die Tiefe trat, der die Stadt selbst unter-
wühlt, als dann mit Hilfe der so gewonnenen Steinkohlen die Eisenerze (jetzt meist von
Sieg und Lahn und fremden Ländern verhüttet und nnn Gußeisen, Schmiedeeisen und
Stahl verarbeitet wurden, begann der Aufschwuug; für die Stadt Essen schließt er sich an
den Namen Krnpp an.
Aus den unscheinbarsten Ansängen ist durch die rastlose Tatkraft des
„Kanonenkönigs" Alfred Krnpp, des Vaters seiner Arbeiter (f 1887), die
größte Fabrik der Erde entstanden, die an der Westseite von Essen ungefähr
4 qkm bedeckt. > Näheres s. Abbildung S. 55.) Durch Eingemeindung des z. T.
von Krupps Arbeiterkolonien erfüllten Vororts Altendorf, jetzt Essen-West, hat
es der Stadtkreis Essen auf mehr als 180000 Seelen gebracht.
Steinkohlenzechen finden sich dort in Menge, ebenfo z. B. in Alten essen (30000 E.)
und in Borbeck, der größten preußischen Landgemeinde ,50000 E.v. An den Schacht-
gebäuden und Eisenwerken ragen Schornsteine in die Lnft, und den Nachthimmel beleuchten
die Hohöfeu und Kokereien (vgl. S. 22).
Wie Kohlen- und Eisenindustrie umgestaltend wirken können, das lehrt am auf-
fallendsten das Beispiel des aus dem Nichts der Heide in 5 Jahrzehnten emporgewachsenen
Eisenbahnknotenpunktes Oberhausen (jetzt etwa 45000 E.); für diese Stadt ist die jenseit
der Emscher nach Sterkrade (16 000 E.) ausgedehnte „Gnte-Hoffnungs-Hütte"
besonders wichtig.
11. Der Gau des Niederrheines und der Niers.
Wenn die früher betrachteten größeren Rheinstädte wegen ihres römischen
Ursprungs aus dem linken Ufer lagen, folgen jetzt solche auf dem rechten Ufer
als Häfen für die Jndnstriebezirke. Da, wo nach Aufnahme der Erft (stehe
S. 31) der Rhein eine fo scharfe Biegung macht, daß sein Bett (an einer
1 Geburtsort des Dichters der Jobsiade, Dr. A. Kortnm, und des Schinan-Forschers
Prof. Dr. Karl von den Steinen.
2 Ms 8 Zechen der Mülheimer Umgebung förderten 5000 Bergleute im Jahre 1883
o nn6~ Milliarden kg Kohlen. — Am 29. Nov. 1897 wurden im Rnhrkohlengebiet
302o800 Ztr. Kohlen und Koks auf 15129 Eisenbahnwagen (zu 10 Tonnen) zur Ber-
sendnng gebracht! (Zum erstenmal mehr als 15000 Wagen an einem Tage.)