1910 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: Heinze, Heinrich, Eggert, Erwin, Lorch, J.
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
— 28 —
Beim Heraussteigen vom 21. Dezember bis zum 21. Juni ist der Weg die so-
geuauute linke Schraube (Fig. 19a), beim Hinabsteigen vom 21. Juni bis
21. Dezember die sogenannte rechte Schraube (Fig. 19 b). Daraus folgt, daß
uusere bisherigen Beobachtungen über die Tagkreise der Sonne nicht ganz genau
sind, denn:
1. Die Tagkreise der Sonne können mit dem Äquator nicht genau parallel sein.
2. Morgen- und Abeudweite desselbeu Tages sind uicht genau einander gleich.
Außerdem ergibt sich:
3. Die Sonne durchläuft uicht zweimal genau denselben Tagkreis.
6. Präzession der Tag- und Nachtgleichen. Auch die Äquinoktial-
punkte behalten ihre Lage nicht genau. Der Frühlingspunkt schreitet vielmehr
langsam uach Westen, nämlich etwa 50 x/4 Sekunden in einem Jahre, also l°m
ca. 72 Jahren; die ganze Ekliptik
würde er in so viel Jahren durchlaufen,
als 501/4" in 360° enthalten sind,
d. i. in rund 25 800 Jahren. Diese Ver-
schiebuug der Äquinoktialpunkte nennt
man die Präzession der Äquinoktien,
d. h. Vorrücken der Nachtgleichen(lat.).
Sie hat natürlich im Laufe der Zeiten
die Zeichen wesentlich gegen die ent-
sprechenden Tierbilder verschoben, so
daß jetzt der Anfang vom Zeichen des
Widders im Sternbilde der Fische steht. In diesem Sternbilde also erscheint
die Sonne am 21. März. Vor mehr als 2000 Jahren, als der Alexandriner
Hipparch die Sternbilder benannte, lag der Frühlingspunkt noch ca. 30° weiter
östlich, d. i. wirklich im Sternbilde des Widders.
§ 11.
Ortsbestimmungen am Himmel mittels des Äquators
oder der Ekliptik.
1. Rektaszension und Deklination; Stundenwinkel. Aus § 2 wissen
wir, daß man mit Hilfe von Horizont und Höhenkreis den augenblicklichen
Ort eines Sternes bestimmen kann.
Weil der Äqnator die scheinbare tägliche Rotation der Himmelskugel um die
Weltachse mitmacht, ändern die Sterne ihre Lage zu ihm nicht, und eine Be-
stimmnng dieser Lage würde also unveränderliche Größen liefern, eine absolute
Ortsbestimmung am Himmelsgewölbe sein.
Wie die Ebene eines durch Zenit und Nadir gelegten Kreises aus der Ebene
des Horizontes senkrecht steht, so steht die Ebene eines durch die Pole der Welt-
achse gelegten Kreises auf der Ebene des Äquators fenkrecht. Solche Kreise heißen
Deklinations- oder Stuudenkreise. Man legt nun durch den Stern, dessen
Ort bestimmt werden soll, den Stundenkreis und mißt zunächst im Äquator den
Bogen vom Frühlingspunkt nach Osten herum bis zum Schnittpunkt des Äquators
mit dem Stundenkreise; dieser Bogen heißt die Rektaszension (lateinisch —gerade
Fig. 19.
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demselben Himmelsmeridian liegen, der Polarstern zuerst im Horizont und steigt
dann immer höher, so daß also die Polhöhe fortwährend zunimmt und der
Pol sich dem Zenit nähert. Der Sternhimmel wird überhaupt ein anderer.
Während im Äquator der Erde im Laufe eiuer Nacht die Sterne beider Himmels-
kugeln sichtbar sind oder werden, verschwinden bei der Reise nach Norden all-
mählich immer mehr Sterne der südlichen Himmelshalbkugel unter dem Horizont,
d. h. ihr Tagkreis erreicht den Horizont nicht mehr. Ähnlich wächst die Polhöhe
des Südpols des Himmels, und die Sterne seiner nördlichen Halbkugel verschwur-
den unter dem Horizont bei einer Reise vom Äquator der Erde nach Süden.
b) Wäre die Erde eine Scheibe, so müßte für alle ihre Orte die Sonne
gleichzeitig ausgehen. Reisen wir aber beispielsweise von Dresden nach Saratow
in Rußland, d. i. ziemlich genau von Westen nach Osten, und stellen unsere Uhr
genau nach der Sonne, so werden wir in Saratow finden, daß sie gegen eine
dort nach der Sonne gestellte Uhr etwa 2 Stunden nachgeht. Umgekehrt ist es,
wenn wir von Osten nach Westen reisen. Es folgt daraus, daß den östlichen
Orten die Sonne früher aufgeht, als den westlichen, und zwar um so
früher, je weiter jene nach Osten liegen. Demnach ist die Erde auch von
Westen nach Osten zu gekrümmt.
C. Beobachtungen, die beweisen, daß die Erde nahezu Kugel-
geftalt hat. a) Man hat nicht nur festgestellt, daß die Polhöhe fortwährend
wächst, wenn man vom Äquator nach den Polen reist. Vielmehr ist durch ge-
naue trigonometrische Messungen an verschiedenen Stellen der Erde nachgewiesen,
daß die Polhöhe jedesmal um einen nahezu gleichen Betrag zunimmt, wenn man
um ein gleiches Stück vom Äquator der Erde nach Norden oder Süden reist.
Daher muß die Krümmung der Erdoberfläche von Norden nach Süden nahezu
gleichmäßig sein.
b) Ebenso hat man mit Hilfe der besten Uhren (Chronometer) bei Reisen von
Westen nach Osten gefunden, daß jedesmal gleiche Unterschiede in der Zeit des
Sonnenaufgangs sich ergeben, wenn man immer wieder ein gleiches Stück genau
nach Osten reist. Die Erdoberfläche ist also nicht nur, wie wir sahen, von Norden
nach Süden, sondern auch von Osten nach Westen gleichmäßig gekrümmt, d. h.
die Erde ist (nahezu) eine Kugel.
§ 13.
Einteilung der Erdoberfläche und Ortsbestimmungen auf derselben.
1. Die Meridiane. Aus § 9 kennen wir schon die Erdachse mit den
beiden Polen und den Äquator der Erde nebst ihren Beziehungen zu der Himmels-
achse, den Himmelspolen und dem Himmelsäquator. Auf dem Globus (lat. — Kugel),
dem Modell der Erdkugel, ist der Äquator eingezeichnet; ebenso sind die Pole
gekennzeichnet. Außerdem finden wir aber noch zwei Gruppen Kreislinien darauf.
Die eine besteht aus lauter größten Kreisen, die sämtlich durch die beiden Pole
gehen, also auf dem Äquator senkrecht stehen; die andere Gruppe besteht aus
lauter Kreisen, die parallel zum Äquator verlaufen, also von diesem aus nach
Norden und Süden zu immer kleiner werden und, wie der Äquator, von den
Kreisen der ersten Gruppe rechtwinklig geschnitten werden. Zur Erklärung dieser
Kreise gehen wir auf die Betrachtung des Himmels zurück. Auch auf der
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Himmelskugel dachten wir uns Kreise durch die Pole verlaufend, nämlich die
Stundenkreise; natürlich schneiden die Ebenen derselben die Erdoberfläche in Kreisen
der ersten Gruppe, die durch die Pole der Erde gehen. Für alle Bewohner eines
solchen Kreises der Erde geht demnach ein und derselbe Stundenkreis dnrch ihren
Zenit, d. h. er ist ihr gemeinsamer Himmelsmeridian. und ihre Mittagslinien
liegen alle in der Ebene desselben. Offenbar haben also alle Punkte der
einen Hälfte eines solchen Kreises vom Nordpol bis zum Südpol zu
derselben Zeit Mittag und alle Punkte der anderen Hälfte 12 Stunden
später. Aus diesem Grunde nennt man die Linien auf der Erde auch Meridiane
oder Mittagskreise. Sie verlaufen nach den vorhergehenden Ausführungen
genau von Norden nach Süden. Ihre Zahl wird durch die Gradeiuteiluug des
Kreises bestimmt. Man teilt nämlich den Äquator der Erde in 360 Grad und
legt durch den 0 ten (360 fien) Teilpunkt den ersten Kreis, der natürlich zugleich
durch den 180sten Teilpuukt geht; der zweite geht dnrch den ersten und 181steu
Teilpunkt. So erhält man 180 Meridiane, die die Erdoberfläche in 360 Kugel-
zweiecke teilen. Natürlich kann man diese Einteilung noch weiter führen, indem
man auch durch die Minuten- und Sekundenteilpnnkte des Äquators Meridiaue
legt. Stücke von solchen Meridianen finden wir auf Spezialwandkarten, d. h.
Wandkarten von ziemlich kleinen Teilen der Erdoberfläche. Um die Meridiane
ein für allemal festzulegen, hat man den 0 ten Meridian durch einen bestimmteil
Punkt der Erde gelegt. Früher wählte man dazu ziemlich allgemein den Meri-
dian, der 30' östlich von Ferro verläuft, einer von den Kanarischen Inseln an
der westafrikanischen Küste; jetzt legen die meisten Landkarten und Globen den
0 ten Meridian durch Greeuwich bei London (17 l/2° östlich von Ferro), andere
auch wohl durch Paris (20" östlich von Ferro). In diesem Buche wird stets
unter dem 0 ten Meridian der von Greenwich verstanden werden. Jede Meri-
dianebene teilt offenbar die Erde in zwei Halbkugeln; die Halbkugel östlich vom
Meridian von Ferro nennt man die östliche, die andere die westliche Halbkugel.
Offenbar ist ferner die Mittagslinie eines Punktes der Erdoberfläche ein Stück seines
Meridians oder genauer die durch den Punkt an seineu Meridian gelegte Tangente.
2. Die Parallelkreise. Alle Kreise der zweiteu Gruppe verlausen parallel
zueinander und zum Äquator; deshalb heißen sie Parallelkreise. Da sie alle
auf den Meridianen senkrecht stehen, verlaufen sie genau von Osten nach
Westen. Auch ihre Zahl wird durch die Gradeinteilung des Kreises bestimmt.
Man teilt irgendeinen Viertelmeridian der Erde vom Äquator aus bis zum Nord-
pol in 90 Grade und ebenso den Viertelmeridian vom Äqnator bis zum Südpol.
Die äußersten Teilpunkte fallen mit den Polen zusammen; dnrch alle übrigen legt
man dann parallel zum Äquator je einen Kreis. So erhält man nördlich und
südlich vom Äquator je 89 Parallelkreise, die vom Äquator aus nach Norden und
uach Süden_ immer kleiner werden, und je einen Puukt, deu Pol.
Natürlich kann auch diese Einteilung noch weitergeführt werden, indem man
durch die Minuten- und Sekundenteilpnnkte des Meridians Parallelkreise legt.
Durch das Ausgehen vom Äquator sind auch die Parallelkreise festgelegt. Selbst-
verständlich teilen die Meridiane nicht nur den Äquator, sondern auch jeden
Parallelkreis und umgekehrt diese jeden Meridian in 360 Grade. Die Meridian-
grade sind alle gleichlang (s. aber § 14). nämlich 111 km, ebensolang ist ein
Gradbogen des Äquators. Dagegen werden die Grade der Parallelkreise immer
(Lorch-) Egg ert, Mathem. Geographie. S. Aufl. 3
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kürzer, je weiter diese Kreise vom Äquator liegen. Man kann aber die Längen dieser
Grade berechnen, wenn man weiß, wie viel Grad sie vom Äquator entfernt sind. In
Fig. 23 sei M der Mittelpunkt der
Erde, Halbkreis A B Q der halbe
Äquator, Halbkreis Cde ein halber
Parallelkreis, Ab und Cd seien
je ein Gradbogen dieser beiden
Kreise, der Erdradius (Ma, Mb,
Mc, Md) sei = R, der Radius
des Parallelkreises (Co, Doj = r
und «£: C M A (= M C 0) --- cp°.
Tann ist
Bogen Cd: Bogen Ab — r:R
r = R cos rp,
also
Bogen C D : Bogen Ab = cos qr: 1
oder
Bogen Cd — Bogen A B• cosy
= 111 cos cp km.
Für den Parallelkreis von
Berlin ist rp = 52 x/2 °. Es ergibt
sich als Länge eines Gradbogens auf diesem Kreise 67,5 km.
Anch deu Parallelkreisen auf der Erdoberfläche entsprechen Kreise auf der
Himmelskugel, nämlich die zum
Himmelsäquator parallelen Tagkreise
der Gestirue, die also Parallelkreise
des Himmels sind. Aus den Be-
trachtungen des § 9 ergibt sich noch
folgendes: Die Erdhalbmesser, die
durch Verschiedeue Punkte eines und
desselben Parallelkreises gehen, treffen
verlängert auf lauter Punkte eiues
und desselben Parallelkreises der
Himmelskugel, und dieser ist um
ebensoviel Grade vom Himmels-
äquator entfernt, als der Parallel-
kreis der Erde vom Äquator. Da
der getroffene Punkt der Himmels-
kugel zugleich der Zenit des ent-
sprechenden Punktes der Erde ist, so
ergibt sich: Der Zenit eines jeden
Punktes der Erde liegt ebensoviel
Bogengrade vom Himmelsäquator entfernt, als der Punkt selbst vom Erdäquator.
Fig. 24 bringt diese Verhältnisse zur Anschauung: Der große Kreis ist die
Himmelskngel, der kleine die Erdkugel. Rr'--Himmelsachse, R = Nordpol,
Fig. 24.
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zu abgeplattet, d. h. erscheint sie dorthin weniger gekrümmt, als am Äquator, so
kann man den Meridian ansehen als zusammengesetzt aus lauter Gradbogen, deren
Radien vom Äquator nach den Polen zu beständig wachsen. Die Länge eines Grad-
Vogens auf einer Kreislinie hängt nun ab von der Länge des Halbmessers; denn da die
Peripherie oder ein Bogen von 360° — 2 ttt ist, so ist ein Bogen von =
Der Bogen ist also um so länger, je länger der Radins ist. Daraus ergibt sich
sofort: Ist die Erde an den Polen abgeplattet, so muß die Länge eines Meridian-
grades vom Äquator nach den Polen zu wachsen. Das ist in der Tat der Fall.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts haben französische Gelehrte in Peru, Frank-
reich und Lappland Gradmefsnngen angestellt und fanden die Länge eines
Meridiangrades in Peru 110,608 km, in Frankreich 111,212 km, in Lappland
111,949 km. Damit war die Abplattung direkt bewiesen.*)
2. Die wahre Gestalt der Erde. Während also alle Breitengrade Kreise
sind, sind die Meridiane keine Kreise; sie sind vielmehr Ellipsen. (Eine Ellipse
ist eine geschlossene, krumme Linie, innerhalb deren, ebenso wie innerhalb eines
Kreises sich ein Punkt befindet, der alle geraden Linien halbiert, die man durch
ihn von einem Punkte der krummen Linie zum anderen zieht. Wie beim Kreise
nennt man jenen Punkt Mittelpunkt, die geraden Linien Durchmesser. Diese sind
aber nicht untereinander gleich, wie im Kreise; es gibt einen größten und einen
kleinsten Durchmesser; dieselben stehen senkrecht aufeinander und heißen große und
kleine Achse der Ellipse. In der großen Achse liegen zwei besondere Punkte in
gleicher Entfernung vom Mittelpunkte; zieht man von diesen beiden nach irgend
einem Punkte der Ellipse die beiden Verbindungslinien, so ist ihre Summe für alle
Punkte dieselbe, nämlich gleich der großen Achse. Diese beiden Punkte in der
Hauptachse heißen Brennpunkte. Ihr
Abstand vom Mittelpunkt heißt Exzen-
trizität, ihr kürzester Abstand von der
Peripherie der Ellipse heißt Brenn-
weite. Fig. 25 ist eine Ellipse, 0
ist ihr Mittelpunkt, Ab, Eg, Cd
sind Durchmesser, Ab ist die große,
Cd die kleine Achse, F und Fx
sind die Brennpunkte, F C -f C Fx =
Fg + Gf1 = Ab, Fo ist die
Exzentrizität, F A die Brennweite.
Die Meridiane sind natürlich alle
kongruente Ellipsen, die große Achse
ist ein Äquatordurchmesser, die kleine
die Erdachse. Denkt man sich eine
halbe Ellipse, etwa Cad in Fig. 25 um ihre kleine Achse gedreht bis zur ursprüng-
lichen Lage, so beschreibt die halbe Ellipsenlinie eine solche Fläche, wie es die Oberfläche
der Erde ist. Jeder Punkt der Ellipse, z. B. A, E, beschreibt dabei einen Kreis,
entsprechend einem Parallelkreis der Erde, der Endpunkt der halben großen Achse (A)
den größten, entsprechend dem Äquator. Alle Schnitte längs der Drehachse schneiden
*) Über das Verfahren bei solcher schwierigen und mühevollen Messung f. Heinze,
a. a. O. 8 ^ Anm.
Fig. 25.
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— 4l —
§ 15.
Rotation der Erde.
1. Möglichkeit der Rotation. a) Sitzt man in einem Eisenbahnzuge
und richtet den Blick aufs Fenster, so scheint es. als ob der Zug stillstände und
die überblickten Felder und Telegraphenstangen vorbeiflögen. Diese scheinbare Be-
wegnng geschieht in einer Richtung, die der Richtung der wirklichen Bewegung
des Zuges entgegengesetzt ist. Ähnliche Beobachtungen kann man noch in großer
Zahl machen. So glaubt man sich selber zu drehen, wenn man unter der sich
langsam herumdrehenden Kuppel einer Sternwarte steht. Immer erfolgt bei
solchen Beobachtungen die scheinbare Bewegung in einer Richtung, die der Richtung
der wirklichen Bewegung entgegengesetzt ist. Unsere Beobachtung kann uns also
täuschen. Wir beobachten nun, daß scheinbar die ganze Himmelskugel mit der
Sonne und all ihren Sternen sich täglich von Osten nach Westen um die Erde
herumschwingt. Das könnte wirklich so sein; es kann aber auch nach dem, was
wir eben fanden, seinen Grund darin haben, daß sich die Erde täglich um eine
Achse dreht; diese Achse müßte natürlich mit der Achse der scheinbaren Drehung
des Himmelsgewölbes zusammenfallen, d. h. es müßte die Erdachse sein. Auch
müßte die Bewegung der scheinbaren Bewegung entgegengesetzt, also von Westen
nach Osten erfolgen. Weil man früher wegen Mangels guter Instrumente über
die Entfernung der einzelnen Sterne von der Erde ganz im unklaren war, so
nahm man ohne weiteres an, daß die Bewegung der Himmelskugel eine wirkliche
sei; man setzte also alle Fixsterne in gleicher Entfernung von der Erde an die
Fläche eines kristallenen Gewölbes und ließ sie mit diesem durch eine unbekannte
Kraft um die Erde herumgeführt werden. Nach Entdeckung des Fernrohres im
Anfang des 17. Jahrhuuderts erkauute man bald, daß die Entfernungen der Sterne
von der Erde sehr verschieden seien und daß sie daher mit sehr verschiedenen Ge-
schwindigkeiten sie umkreisen müßten. Dann aber wäre es doch kaum zu begreifen,
daß trotzdem alle genau in derselben Zeit diese Umkreisung ausführen sollten.
b) Wenn die Sonne und die Sterne um die Erde herumliefen, so müßte
die Geschwindigkeit der meisten umlaufenden Sterne ganz ungeheuer sein.
Die Sonne ist, wie man aus gewissen Fernrohrbeobachtungen berechnet hat,
rund 150 000 000 km von der Erde entfernt; sie müßte also, wenn sie den
Äquator durchläuft (21. März, 23. September), in 24 Stunden einen Weg von
2 Tt • 150 000 000 km, demnach in 1 Sekunde 11000 km durchlaufen. Der
Fixstern Sirius ist 1000000mal so weit von uns entfernt als die Sonne, und
da die Umfänge der Kreise sich wie die Radien verhalten, so müßte der Sirius
bei der Umkreisung der Erde in 24 Stunden und demnach auch in einer Sekunde
eine Bahn beschreiben, die loooooomal so groß wäre als die entsprechende Bahn
der Sonne, d. h. seine Geschwindigkeit betrüge rund 11000 000 000 km in der
Sekunde, also eiue Strecke, gegen welche die riesige Geschwindigkeit des Lichtes
(300 000 km in der Sekunde) ganz verschwindet! Das ist gar nicht denkbar.
^o) Wo eine Wirkung ist, da muß auch eine Ursache sein, und zwar muß die Ursache
der Wirkung entsprechen. Woher sollte nun die ungeheure bewegeude Kraft kommen? Sie
müßte doch von der Erde als dem Mittelpunkte des ganzen Weltsystems kommen. Aber
wie klein ist die Erde im Vergleich zu den Mafien, auf die sie so gewaltige Wirkungen
ausüben müßte! Ist ja doch die Souue an Masse 324000 mal so groß wie die Erde!
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— 43 —
Scheibe im Mittelpunkte errichteten Senkrechten, der Drehachse der ganzen Vor-
richtung getroffen wird. Von diesem Punkte hängt ein Pendel nach dem Mittel-
punkte der Scheibe zu herab. Auf dem Gruudbrette steht ueben der Scheibe senk-
recht auswärts ein Stift. Hebt man das Pendel nach diesem Stifte hin und läßt
es los, fo schwingt es über den Mittelpunkt der Scheibe hinaus und zurück in
einer durch den Stift, den Scheibeumittelpuukt und den Aufhängepunkt bezeichneten
Vertikalebene. In dieser schwingt es nun unverändert weiter, wenn man auch die
Scheibe samt dem Bügel um ihre Achse im Kreise herumdreht. Dabei wird es
natürlich nach und nach über allen Scheibendurchmessern schwingen. Verschiebt man
die ganze Vorrichtung samt dem Grundbrette nur seitlich, so wird die Schwiugungs-
ebene ihre Richtung nicht ändern, also nur parallel zu ihrer früheren Lage liegen.
b) Denken wir uns nun den Versuch noch etwas anders eingerichtet. Die
Scheibe sei der Fußboden eines geschlossenen Raumes (Zimmers), der Aushäuge-
puukt liege in der Zimmerdecke, der Bügel ist dann überflüssig. Das ganze
Zimmer sei in derselben Weise drehbar wie das Gestell, und diese Bewegung er-
folge sanft, ohne alle Erschütterungen und Schwankungen; dann wird natürlich
jemand, der im Zimmer ist, von der Drehung, an der er teilnimmt, nichts merken,
sondern den Eindruck gewinnen, daß sich die Schwingungsebene des Pendels in
dem scheinbar ruhenden Räume fortwährend herumdreht, und zwar in einer der
wirklichen Drehnng des Zimmers entgegengesetzten Richtung.
Ii. Rotiert nun die Erde wirklich in rnnd 24 Stunden um ihre Achse, so
würden für eine solche Pendel-
Vorrichtung, die genau über dem
Nordpol stände, genau dieselben
Bedingungen vorliegen, wie in
dem beschriebenen Versuche. Das
Pendel würde über den Pol hin
zunächst über einem bestimmten
Meridian schwingen; aber schon
nach 4 Minuten würden die Punkte
des Meridians sich um 4° ge-
dreht haben, und das Pendel
schwänge jetzt über dem nächsten
Meridian hin. Schwänge es lange
genug, so würdeu sich alle360 Halb-
meridiane unter ihm herumdrehen;
ein Beobachter aber, der ja, ohne
es zu bemerkeu, diese Bewegung
mitmachte, würde, wie jener Be-
obachter des Versuches im Zimmer,
den Eindruck haben, daß dieschwin-
gungsebene des Pendels um die
Erdachse in einer der wirklichen
Rotation der Erde entgegengesetzten
Richtung rotierte und erst nach 24 Stunden wieder ihre alte Lage einnähme.
Iii. Daß auch an anderen Stellen der Erdoberfläche eine scheinbare Drehung
der Schwingungsebene zu bemerken sein müßte, zeigt Fig. 26, in der Pp' die Achse,
Fig. 26.
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Mathematische Geographie
für
Lehrerbildungsanstalten.
Herausgegeben von
L. Cggert,
Königl. Seminar-Direktor zu Kottbus.
Gänzliche Umsrbeitnng von
Lvrch-Eggerts Mathematischer Geographie.
9. (4.) Auflage.
Mit 47 Holzschnitten.
Leipzig.
Verlag der Dürrschen Buchhandlung.
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