1892 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Kramer, R.
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Westfalen
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Westfalen. tf/Jw
Das Land und seine Geschichte. Neue Auflage, umgearbeitet von
R. Kram er, Kgl. Semmarlehrer in Soest.
Eine Ergänzung zu den Frrd. Hirtschen und andern Lesebüchern.
Verlag von Ferdinand Hirt in Breslau. 1892.
A. Wie es in der Provinz Westfalen aussieht.
1. Umschau im Lande.
Westfalen hat im großen und ganzen die Gestalt eines Dreiecks,
dessen Spitze nach Süden gerichtet ist. Seine größte Länge von
Anholt nahe dem Rheine bis zur Weser bei Höxter beträgt gegen
200 km, und ungefähr gleich groß ist seine Breite von Burbach,
südlich von Siegen bis Schlüsselburg, wo die Weser in die Provinz
Hannover eintritt. Wenn wir hiernach die Größe des Dreiecks
berechnen, dann stnden wir ungefähr den richtigen Flächeninhalt der
Provinz, 20,000 qkm. Daraus leben 2,4 Mill. Menschen; mithin
auf 1 qkm 120 Bewohner. Von den drei Regierungsbezirken, in
welche die Provinz eingeteilt ist: Münster, Minden und Arnsberg,
sind die letzteren am dichtesten bevölkert.
Westfalen grenzt im Norden an das Königreich der Nieder-
lande und die Provinz Hannover; im Osten an das Fürstentum
Schaumburg-Lippe, an einen Teil der Provinz Hessen-Nassan mit
Rinteln, an das Fürstentum Lippe, die Provinz Hannover und
die Provinz Hessen-Nassan; im Südosten an das Fürstentum Waldeck
und die Provinz Hessen-Nassan; im Südwesten und Westen an
die Rheinprovinz.
Könnte man wie ein Vogel über das Land hinfliegen und es
ans der Höhe überschauen, so würde es als eine große Ebene er-
scheinen, die sich vom Rheine nach der Weser hinzieht und im
Süden, im Osten und Nordosten hufeisenförmig von Bergen einge-
schlössen wird. In dieser Ebene erheben sich nur hier und da einzelne
Hügel und kleine Hügelreihen. Der durch Fruchtbarkeit ausgezeich-
nete Teil der westfälischen Ebene ist der Strich zwischen der Lippe und
dem Haarstrange, der Hellweg mit der Soester (sprich: Softer) Börde.
Südlich von diesen Fruchtauen erhebt sich an der rechten Seite der
Ruhr und Möhne der kahle Höhenzug des Haarstranges. Was
südlich von ihm liegt, ist lauter Gebirgsland, das Süderland,
Westfalen, N. A. 1
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- Regionen (OPAC): Westfalen
4 Wie es in der Provinz Westfalen aussieht.
Reichtum an Grotten und Höhlen: die Balver-, die Warsteiner-Höhle,
die Prinzenhöhle bei Sundwig, die Dechenhöhle bei Iserlohn u. a.
Noch ist als ein Nebenfluß der Ruhr auf dem linken Ufer die Volme
zu nennen, mit der Ennepe, deren Thal die gewerbreiche Enneper
Straße bildet. Endlich liegt in unserer Provinz noch das Quellen-
gebiet der Eder, Sieg und Lahn. Die Eder ergießt sich in die
Fulda nicht weit von der Vereinigung mit der Werra, welche die
Weser bildet; die Sieg und die Lahn fließen nach Westen hin
dem Rheine zu
Wie die Bestandteile Westfalens preußisch geworden sind, ist
unter L. im 9. Abschnitt dargestellt.
2. Das Münstcrland.
Von den Eisenbahnen unserer Provinz kommen hier in Betracht
die westfälische und die Köln-Mindener, welche sich bei Hamm
kreuzen. Diese verbindet Minden mit Köln am Rhein und berührt
Herford, Bielefeld und Dortmund; die andere führt durch das Pa-
derborusche an Lippstadt und Soest vorüber und tritt jenfeit Hamm
in das Münsterland ein, geht nach Münster und setzt sich von da
weiter nach der Nordsee hin sort.
Die von der untern Lippe nördlich gelegenen Gegenden bis znr
Ems sind flach. Nach dem Rheine hin kommt man in weite Sand-
striche, zwischen denen Moore, öde Heiden, dürstiges Nadelholz und
Wacholderbüsche sich sinden. Kleine Schafe suchen aus der magern
Weide ihre spärliche Nahrung, Schwärme von Krähen und Kiebitzen
stiegen über dem niedrigen Gesträuch hiu und her. Nicht so sieht
es im Innern des Münsterlandes aus. Da erquicken fette Wiesen
mit frischem Grün das Auge; an Bächen, Flüssen und Teichen
wuchern Blumen in großer Menge. In dem feuchten Boden werden
die Eichen, Buchen, Rüstern vollsaftig und gewinnen ein frisches,
duftendes Laub. Unter Zweigen erschallt der lnstige Gesang der
Vögel; besonders lieben die Nachtigallen in dem dichten Gebüsch und
bei deu dunklen, stillen Weihern zu nisten. Ein tiefer Friede breitet
sich über die stille, grüne Landschaft aus. Auf den Brachfeldern
wird zwischen Umhegungen aus Flechtwerk das Vieh, welches wohl
genährt ist, geweidet. Sanfte Hügel, die wie Meereswogen neben-
einander aufsteigen, geben der Gegend eine angenehme Abwechselung,
und Gehölze und Hage vermehren die Lieblichkeit noch.
Wiesen, Felder und Gärten sind von hohen, zuweilen 5m breiten
Wällen umgeben, auf denen Büsche und Bäume wachsen. Außerdem
haben viele Häuser noch ihren Eichenbestand um sich her, so daß
die Häuser wie im Grün vergraben sind.
Im Münsterlande findet man wenige Dörfer, aber viele einzelne
Bauernhöfe. Auf dem Bauernhofe steht ein breites und langes,
aber niedriges Wohnhaus mit einem Strohdach; um das Strohhaus
liegen die übrigen Gebäude: Scheune, Schuppen, Backhaus u. f. w.
Zuerst kommt man auf eine gewaltige Tenne; an beiden Seiten
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Die Grafschaft Mark. >
reich. Aus letzterem Erze wird in besonderen Öfen das Zink ge--
Wonnen, welches man zum Decken flacher Dächer statt der Kupfer-
platten und zu allerlei Geräten gebraucht. Auch werden viele Tau-
send Tonnen Braun- und Thoneisenstein, auch Blackband oder
Kohleneisenstein zu Tage gefördert. In turmartigen Hohöfen, aus
denen die Flamme emporfchlägt und bei Nacht weithin einen hellen
Schein verbreitet, wird das Eisenerz geschmolzen und das so gewon-
nene Roh- und Gußeisen in Eisenhämmern, Gießereien, Walzwerken
und Stahlfabriken weiter verarbeitet.
Die Gewerbthätigkeit beschränkt sich indessen nicht auf das Kohlen-
gebiet felbst, sie dehnt sich auch über den südlichen, gebirgigen
Teil der Mark aus. In den Thälern der Lenne, der Volme,
Ennepe und vieler kleinerer Flüßchen wohnt das rührige Arbeiter-
Volk eng zusammen. Die kleinen Häuser mit ihren Gärtchen drängen
sich dicht an einander, Fabrik reiht sich an Fabrik. Hier und da
sind die Thäler wohl stundenweit so besetzt mit Hammerwerken,
Schleifmühlen, größeren und kleineren Fabrikanlagen, daß nichts
mehr dazwischen gebaut werden kann.
Die märkischen Steinkohlen werden zum Teil auf der Ruhr nach
dem Rheine und auf diesem weithin den Strom hinauf und hinab
verfahren. Die Schiffbarmachung der Ruhr ist nach und nach aus-
geführt; ihre Vollendung verdankt Westfalen feinem verdienstvollen
Oberpräfidenten von Vincke. Wichtiger noch als die Wafferstraße
der Ruhr sind für den Güterverkehr und die Reisenden die Eisen-
bahnen der Mark. Die Köln-Mindener geht weiter über
Hamm, Dortmund, an Bochum vorbei, dem Rheine zu. Hamm hat
jetzt 25000 Einwohner. Das rasche Anwachsen der Bevölkerung ver-
dankt die Stadt der Eisenbahn, welche die Veranlassung zur Anlage
großer Eisenwerke geworden ist. Eine Stunde östlich von Hamm
liegt das Dorf Mark; von dem dortigen Burgsitze erhielten die
Grafen von Altena den Namen v. d. Mark. Einen noch rascheren
Aufschwung als Hamm hat seit Anlage der Bahn Dortmund ge-
nommen, dessen Einwohnerzahl von etwa 6000 auf 90000 gestiegen
ist. Dortmund war einst freie Reichsstadt. Da, wo jetzt der über
25ha große Bahnhof sich ausdehnt, das prächtige Stationsgebäude,
die großen Maschinenwerkstätten und Wagenhäuser sich erheben und
die Rauchsäulen aus den Coaksösen in die Luft steigen, stand ehe-
mals die Kaiserpfalz. Das Alte ist untergegangen; nur ein Stein-
tisch mit dem eingemeißelten Reichsadler unter einer Linde steht
noch auf kleiner Anhöhe, welche man bei Anlage des Bahnhofes
verschont hat. Es ist der Freistuhl oder die Richtftätte der Dort-
munder Freigrafschaft. — Großartig entwickelt hat sich in den letzten
Jahrzehnten die Industrie Dortmunds. Das Dortmunder Bier
hat Weltruf erlangt. An Bedeutung wird Dortmund noch mehr
gewinnen, wenn erst der Dortmund-Emshäsen-Kanal fertig gestellt
fein wird. Bei Dortmund zweigen sich mehrere Eisenbahnen ab.
Nach Osten hin geht u. a. die Dortmuud-Soester-Eisenbahn
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Das Herzogthum Westfalen oder das Süderland. 9
meistens steil ansteigenden Bergen eingeschlossen sind; auch der ganze
Raum zwischen den Ftußthälern ist mit solchen bewaldeten Bergen
bedeckt.
Daß in den engen Thälern des Herzogtums Westfalen und den
übrigen Gebirgsgegenden nur wenig vom Ackerbau die Rede sein
kann, läßt sich leicht begreisen. Zwar werden mit der größten
Anstrengung selbst die Abhänge der Berge zu Hafer- und Roggen-
seldern zugerichtet; aber aller Mühe zum Trotz reicht doch der
Ertrag noch lange nicht zu. Wenn der Hellweg nicht aushelfen
könnte, — es fähe manchmal gar übel im Sauerlande aus.
Will man das Süderland weiter kennen lernen, dann muß man
es auf seinen überall guteu Post- und Landstraßen durchreisen. Die
Hauptwege in das Bergland kommen über den Haarstrang von Soest
(Söst) und von Lippstadt her. Auf der Höhe dieses Bergrückens hat
man überall die schönste Aussicht, nordwärts über die gesegneten Fluren
des Hellweges, südwärts in das dunkele Waldland. Eine dritte
Straße sührt an der Ruhr herauf über Menden und Neheim
nach Arnsberg. Die Soester Straße führt ebendahin durch den
Arnsberger Wald, welcher sich 8 Stunden lang und 3 Stunden breit
zwischen Ruhr und Mohne ausdehnt. Arnsberg ist eine hübsch ge-
baute Stadt von 7500 Einwohnern, der Sitz der Regierung und
eines Landgerichts und mit Recht viel gerühmt wegen seiner schönen
Lage. Von dem Schloßberge mit den Ruiueu der Burg der alten
Grafen von Arnsberg und von mehreren anderen Höhen hat man
herrliche Aussichten in das Ruhrthal. Die Ruhrstraße geht
weiter im Flußthale aufwärts. Sie berührt Meschede mit schöner
Umgegend. Hier wird sie durchschnitten von der großen Straße,
welche von Lippstadt (Minden) nach dem Rheine geht.
5. Das Siegensche.
Das Fürstentum (Kreis) Siegen ist zwar auch ein hoch-
gelegenes, mit Waldbergen bedecktes Land, aber es ist reich durch seine
Mineralien, seine Industrie und den überaus sorgfältigen Anbau des
Bodens. Der Siegener Wiesenbau ist weit berühmt. Wo in den
meistens engen Thälern ein Stückchen Grasboden so gelegen ist, daß
das Wasser eines Flusses oder Baches darauf geleitet werden kann,
da werden eine Menge Gräben fo gezogen, daß das Wasser über die
ganze Grasstäche hinfließt. Bei aller Sorgfalt der Bodenbenutzuug
reichen aber dessen Erzengnisse bei weitem nicht aus zur Unterhaltung
der zahlreichen Einwohner; die Hauptquelle des Siegenschen Wohlstan-
des ist der Bergbau und Hüttenbetrieb. Es werden Zink-,
Kupfer-, Blei- und Silbererze gewonnen, besonders aber Eisenerze.
Das Siegensche Eisen gehört zu dem bestem, das auf der Erde
vorkommt. Schon seit Jahrhunderten wird es in die Städte der
Grafschaft Mark ausgeführt, wo man es auf die mannigfachste
Weise weiter verarbeitet. Auch die Lohgerberei wird in der Stadt
Siegen (18000 Einw.) und an verschiedenen Orten des Kreises
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10 Wie es in der Provinz Westfalen aussieht.
z.b. in Hilchenbach in großerausdehnung betrieben. Andere Gewerbs-
thätigkeit erstreckt sich auf Gewebe und Gespinste.
6. Das Paderdornsche,
Wir durchreisen das Paderbornsche auf der Eisenbahn, die von
Thüringen herkommt und über Kassel, Warburg und Pa-
derborn nach Hamm führt. Die Eisenbahn geht von Kassel
nordwärts und zieht sich im Thale der Diemel herauf, welche
zwischen Westfalen und der Provinz Hessen>Nassau die Grenze
bildet. Eine hohe, aus Quadersteinen gebaute Brücke führt bei
Liebenau über das Thal des Flusses. Warburg an der Diemel
ist der erste Anhaltepunkt in unserer Provinz; obgleich von da an
die Berge beginnen, so breitet sich doch um die Stadt her noch
eine der fruchtbarsten Gegenden aus, die dem Hellwege bei Dort-
mund und Unna und den Weizenfeldern bei Soest (Söst) an die
Seite zu stellen ist; sie heißt die Warburger Börde und ist für
die Gebirgsgegenden eine wahre Kornkammer. Von hier an schlängelt
sich die Bahn in allmählicher Steigung an der Ostseite des Egge-
gebirges oder des südlichen Teutoburger Waldes iu diehöhe.
Der Teutoburger Wald hat wohl die schönsten Buchen im ganzen
dentschen Lande; schlank erheben sich die weißgrauen Stämme mit
ihrem breiten, frischgrünen Laubdache. Wir gelangen auf der
Schienenbahn immer weiter hinauf über mächtige Überbrückungen
von Schluchten an Willebadessen vorüber, wo wir uns bereits
über 300 m hoch über der Nordsee befinden, bis wir bei Neuen-
heerse, einem alten adeligen Damenstift, eine der höchsten Höhen er-
reichen, welche überhaupt eine Eisenbahn im Königreiche Preußen über-
steigt. Sie beträgt fast 400in. An manchen Stellen wurde die Bahn
durch Felsen gesprengt, an anderen wurden hohe Dämme ausgeschüttet,
riesige Brücken gebaut, oder ein schwindelnder Weg an steilen Berg-
abhängen hin geleitet. Von den Höhen aus hat man einen freien
Blick auf das schöne Land, welches sich von dem Eggegebirge bis
an die Weser hin ausbreitet. Bei Altenbeken, wo die Bahn aus
der Ostseite des Gebirges nach Paderborn hin abzufallen beginnt,
geht ein anderer, 1865 eröffneter Schienenweg ostwärts über Dri-
bürg, einem Badeorte in freundlicher Berggegend. Die Heilquelle
ist von fcharfem, säuerlichem Geschmack, wohlschmeckend und enthält
viel Kohlenstoff, Salz- und Eisenteile; weiter führt die Bahn über
Höxter, Holzminden, Kreiensen nach Magdeburg und Ber-
lin. Von Holzminden zweigt sich eine Bahn ab, welche diese braun-
schweigische Stadt mit Warburg, Meschede, Arnsberg verbindet
und sich bei Schwerte mit der von Soest kommenden und nach
Elberfeld, Barmen, Cöln, Düsseldorf führenden bergisch-
märkischen Bahn vereinigt. Eine schöne hohe Kastanienallee
sührt von Höxter nach dem alten, ehrwürdigen Kloster Corvei.
Die alte Abtei von Corvei bildet mit der Kirche ein großes,
aus Bruchsteinen gebautes Quadrat; in dem Gange sind die
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12 Wie es in der Provinz Westfalen aussieht.
Sie ist eine der alten Bistumsstiftungen Karls des Großen.
Ein stattliches und ehrwürdiges Gebünde ist der Dom; zwar kleiner
als der zu Münster und Paderborn, hat er doch drei Schiffe
nebeneinander, mit hoch strebenden Pfeilern, von denen die schönen
Kreuzgewölbe getragen werden. Die breiten Fenster nehmen beinahe
die ganze Höhe der Mauer ein; sie reichen von unten bis in die
Nähe des Daches und sind etwa 20m hoch.
Die Eisenbahn geht nicht bei der Stadt über die Weser, son-
dern bleibt auf der rechten Seite und läuft an derselben ein Stück
stromaufwärts. Etwa eine Stunde oberhalb der Stadt führt sie
durch einen Engpaß, in welchem sich die Weser zwischen 'hohen
Bergen einen Durchbruch gebahnt hat. Die Bahn felbst zwängt
sich zwischen dem Fluffe und dem Bergabhange hindurch, aber dennoch
eilen die Züge über die gefährliche Stelle rafch und sicher dahin.
Westfälische Pforte heißt diese Durchbruchstelle des Stromes
durch das Wesergebirge. Die Gegend hat einen großen und an-
mutigen Reiz. Auf dem jenseitigen, linken Ufer erhebt sich der über
280m hohe Wittekindsberg mit dem füdlich vorliegenden Gute
Wedigenstein; er trägt zur besseren Umschau einen Turm; seine
Abhänge sind bis zum Fuße mit schönen Waldbäumen bekleidet.
Die Stände der Provinz haben diese Höhe sür das Kaifer-Wilhelms-
denkmal ausersehen. Und so wird das Denkmal prangen auf dem
waldbekränzten Gipfel desselben Weserberglandes, wo das erste
Denkmal deutscher Einheit mächtig in die deutschen Lande leuchtet.
Auf dem rechten Ufer liegt der Jakobsberg; der schiebt seinen
Fuß bis an den Strom heran. An demselben liegen im Grün
zerstreut die Häuser von Hausberge. Dort führt die Bahn vor-
über; eine kleine Strecke verläßt sie den Fluß; bei Rehme aber
geht sie auf einer großen Brücke über denselben hinweg. Das kleine
Rehme ist ein ganz unbedeutendes Dorf, das an der Mündung
der Werre in die Weser liegt. Aber in den letzten Jahren hat
es einen Namen durch das in der Nähe liegende Bad Oeynhausen,
dessen Ruf immer mehr steigt, bekommen. Dies ist etwa 20 Mi-
nuten von Rehme entfernt und liegt bei der königlichen Saline,
die Neusalzwerk heißt. Dort ist man mit dem Erdbohrer mehr
als 700m in die Erde eingedrungen und hat dadurch eine ergiebige
Solquelle zu Tage gefördert; bei der auffallenden Heilkräftigkeit,
welche die Wasfer zeigten, beschloß die Regierung im Jahre 1845
die Anlage eines Bades. Seinen Namen verdankt es dem ver-
dienten Mineralogen, dem Berghauptmann von Oeynhausen, der
die Bohrabeiten geleitet hatte.
Südlich von Rehme kommt man nach Herford. Die türmereiche
Stadt macht einen sehr freundlichen Eindruck; sie ist von Wiesen,
die von der Werre durchflössen werden, umgeben. Früher hieß
sie das „heilige" Herford, wegen der großen Anzahl ihrer Kirchen.
Ehemals war die Stadt Hanse- und freie Reichsstadt. Jetzt zeichnet
sie sich durch Leinwandweberei aus. Es wird vielfach noch aus
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B. Blicke in die Vergangenheit Westfalens.
1. Die Hermannsschlacht.
(9 nach Christo.)
1. Zu der Zeit, als unser Herr und Heiland geboren wurde,
herrschte in dem weiten römischen Weltreiche der mächtige Kaiser
Augustus. Sein Seepter reichte über sast alle damals bekannten
Teile der Erde, aber das war den Römern immer noch nicht genug-
sie wollten auch das Land auf unserer Seite des Rheinstromes
unter ihre Botmäßigkeit bringen. Hier wohnten unsere alren
deutschen Vorfahren.
Mit List und Gewalt suchten die Römer ihre Herrschaft in
unfern heimatlichen Gegenden zwischen Rhein und Weser auszn-
richten. Schon hatten sie eine feste Burg, Aliso genannt, an der
Lippe erbaut und sie mit römischen Soldaten belegt. Hier und da
im Lande that sich ein römischer Markt auf, und die um-
wohnenden Deutschen kauften dort römische Hausgeräte, Kleider und
Waffen; die Fremden wurden ihnen nach und nach fast nnentbehr-
lich. Die kriegslustige Jugend der edleu deutschen Geschlechter
diente gern im Römerheere, erhielt Ehrenzeichen und Beute und
pries bei ihrer Rückkehr in die heimatlichen Wälder der Römer
Freundlichkeit und gutes Leben. So geschah es, daß diese meinten,
ihre Herrschaft über die gutmütigen, nichts Arges ahnenden Deutschen
sei so sicher, daß sie nun anfangen könnten, die freiheitsliebenden,
kräftigen Männer wie Unterjochte zu behandeln. So that besonders
der Statthalter Varus. Er trieb Steuern ein und hielt Gericht
nach römischer Weise. Aber mit tiefer Entrüstung sahen die
Deutschen, wie sie nach fremden Gesetzen von fremden Richtern in
fremder Sprache verurteilt, wie sie mißhandelt, ja mit Todesstrafe
belegt wurden. Am meisten empört über die Herrschaft fremden
Rechts und fremder Sitte waren die Cherusker und unter ihnen
vorzüglich Arminins (Hermann), der Sohn Segimers, eines Cherusker-
fürsten. Er war in römischen Kriegsdiensten gewesen und von den
Römern hochgeehrt worden. Er hatte aber sein deutsches Herz da-
rüber nicht verloren, wie manche von seinesgleichen. Ihn empörte
das Benehmen der Römer, und er beschloß, die Freiheit seines
Volkes zu retten. Hin und her in den Wäldern und Schluchten
versammelte er die Häupter desselben und schloß im geheimen mit
ihnen einen Bund zur Vertreibung der Römer. Gegen Varus
stellten sich die Verschworenen aber immer freundlicher. Um die
römische Militärmacht zu zerstreuen, erbaten sich auf ihr Anstiften
deutsche Gemeinden römische Soldaten als Schutzmannschaften, ja
Varus ließ sich selbst verleiten, seine Feste zu verlassen und an der
Weser ein Sommerlager mit drei Heerhaufen (Legionen) zu beziehen.
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Die Hermannsschlacht. ^'
mancher vornehme Römer mußte als leibeigner Hausknecht oder
Viehhüter eines deutschen Bauern seine übrige Lebenszeit in den
deutschen Wäldern hinbringen. Jetzt machten sich die Sieger an
die Zerstörung aller römischen Befestigungen zwischen Weser und
Rhein; die Römer fürchteten, sie würden weiter in das römische
Reich eindringen; ihr Kaiser Augustus zerriß bei der traurigen
Nachricht sein Gewand und rief in übergroßem Schmerze aus:
Varus, Varus, gieb mir meine Legionen wieder! — dem obersten
Gotte Jupiter wurden neue Spiele gelobt, wenn der Staat errettet
würde: aber die Deutschen dachten an keine Eroberung; sie kehrten,
nachdem sie die Freiheit errungen hatten, ruhig au ihren häuslichen
Herd zurück.
2. Held Wittekind und die Sachscnkricge Karls des Großen,
oder:
Ulie die Sachsen zum Christentum! bekehrt Wurden.
(772 — 803)
1. In den Zeiten der Hermannsschlacht zerfiel das große Volk
der Germanen, unserer deutscheu Vorsahren, in eine Menge
einzelner Volksstämme. Als Bewohner unsers Westfalenlandes sind
besonders die Brnkterer im heutigen Münsterlande, die Sigam-
brer im Sauerlande und die Marsen im östlichen Teile des Landes
zu nennen. Diese Völker finden sich aber später unter ihren be-
sonderen Namen nicht mehr; es erscheinen dagegen im dritten Jahr-
hundert nach Christi Geburt unsere deutschen Vorfahren in großen
Völkervereinen. Am ganzen Rheinnfer entlang wohnt das mächtige
und bewegliche Frankenvolk, neben ihm nach Osten der tapfere und
tüchtige Völkerbund der Sachsen und zwar von der Lippe bis zur
Weser die Westfalen, zu beiden Seiten der Weser die Engern und
weiter gen Osten bis zur Elbe die Ostsalen. Während die meisten
deutschen Völker in der Zeit vom vierten Jahrhundert an bis in
das sechste hinein in der großen Völkerwanderung ihre Wohnsitze
verließen und meist nach Südwesten in das große Römerreich
eindrangen und es nach und nach auflösten, behielten die Sachsen
ihre Wohnsitze. Sie bewahrten auch getreulich Sprache, Sitte
und Lebensweise der Väter, wogegen die wandernden deutschen
Völker mit Fremden sich vermischten und dadurch neue Völker mit
besonderer Sprache bildeten. Namentlich war es der Stamm der
Franken, welcher sich im heutigen Frankreich ein mächtiges Reich
gegründet hatte. Dreihundert Jahre waren verflossen, seit diese
Franken das Evangelium angenommen hatten. Seitdem hatten
sich auch die übrigen deutschen Stämme dem Kreuze unterworfen.
Nur die mächtigen Sachsen wollten von dem Glauben der Väter
nimmer lassen. Darum haßten sie alles, was ihnen von andern
Völkern kam, und so verwarfen sie mit dem Böfen auch das Gute
und wurden Feinde des Christentums, das sie noch nicht kannten.
Westfalen. N. A. 2
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Wie die Sachsen zum Christenthum bekehrt wurden. 19
Da fielen alle vom Christentums ab; die Sachsen drangen bis
Koblenz am Rheine vor, verwüsteten die Felder, verbrannten die
Kirchen und erschlugen die Priester. Da kam ein großer Schrecken
über die Franken; der Kaiser zog mit einem mächtigen Heere herbei
und ließ Festungen bauen, um das wilde Volk im Zaume zu halten.
Als aber die Sachsen am Ostsüntel ein Frankenheer verräterisch
überfielen und den Franken eine neue Hermannsschlacht bereiteten,
da wurde Karl zornig und drohte das Volk auszurotten, das immer
nur auf Abfall sinne. In seinem grausamen Zorne ließ er 4500
gefangene Sachsen bei Verden an der Aller enthaupten. Das er-
bitterte die Sachsen aufs äußerste, und unter Wieking und Albion
machten sie eine letzte verzweifelte Anstrengung gegen Karl, den
„Aisken Slachtern" (bösen Schlächter), wie sie ihn nannten. Aber
ihr Gott Wodan, so sehr sie ihn anflehten, konnte ihnen uicht
helfen. Sie schlugen wohl die blutige Schlacht zu Thietmelle (Det-
mold), ihre Macht aber wurde an der Hase im Osnabrückschen
völlig gebrochen. Sie baten um Frieden.
3. Kaiser Karl erkannte nun auch, daß nimmer das Christen-
tum festen Fuß im Sachsenlande fassen könnte, bevor er nicht Wie-
kings eisernes Herz bezwungen habe. Er beschloß, ihn durch Milde
zu gewinnen. Also sandte er Boten aus und ließ ihm sagen, er
solle nicht länger wider den Stachel löcken, sondern das Evange-
lium annehmen, er möge nicht selbst sein Volk ins Verderben führen,
der Kaiser wolle ihn halten und ehren, wie es einem tapfern Manne
gezieme. Und Wieking bedachte, wie viele der Seinen schon gefallen
waren und die Welt ringsum eine andere geworden war. Als da-
her der Kaiser einen andern Boten sandte und ihm gelobte, daß er
nimmer an Rache denke, und daß Wieking seinem kaiserlichen Worte
vertrauen möge, da glaubte er ihm und verließ das Sachsenland
und mit ihm Albion. Der Kaiser beschied sie nach der Stadt
Attigny (Attinjy) in Frankreich. Da trat der Sachsenheld vor den
mächtigen Frankenkaiser, und beide tapfere Männer sahen sich von
Angesicht zu Angesicht, verziehen einander alles, was sie sich Böses
gethan hatten, und Wieking und Albion empfingen die Taufe in
der Kirche zu Attigny im Jahre 785. Also hatten die Sachsen
ihre besten Führer verloren, und ihre Kraft war seitdem gebrochen.
Auch erkannte Karl, daß Härte und Zwang ihn nicht zum Ziele
führten. Er hörte auf die Stimme der Kirche und gab den Sachsen
mildere Gesetze. So kam es 803 zu dem Frieden zu Selz. Er
endete den 31 jährigen Krieg zwischen Karl dem Großen und den
Sachsen; für diese ehrenvoll, denn sie behielten ihre alten Gesetze
und Gleichheit mit den Franken. Fortan duldeten sie die christlichen
Bistümer und Klöster, welche der Frankenkönig in ihrem Lande
gründete und wurden so allmählich aus wilden Feinden treue Söhne
der christlichen Kirche.
2*
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Dortmund und die heilige Feme. 21
4. Dortmund und die heilige Feme.
1. Dortmund war ehemals nicht nur eine freie Reichsstadt,
sondern auch ein, Glied des mächtigen Städtebundes, der Hansa ge-
nannt wurde. Öfter weilten die deutschen Kaiser in der altehr-
würdigen Stadt. Besonders festlich ging es her, als im Jahre
1377 Karl Iv. drei Tage lang hier Hof hielt. An der Grenze
des Stadtgebietes empfing ihn der Magistrat mit den Reitern und
Armbrustschützen der Stadt; an einem weißen Stabe wurden die
Schlüssel der Thore vorgetragen und dem Kaiser überreicht. Als
Karl unter Glockenklang, unter Zinken-, Kesseltrommeln-, Geigen-
und Pfeifenspiel in die Stadt einritt, führten die zwei Bürger-
meister in voller Rüstung sein Roß am Zügel; vier Ratsherren
trugen den Baldachin über ihm. Voran ritt der Herzog von Sachsen-
Lüneburg als Marschall mit dem Schwerte; im langen Zuge wurde
der silberne Schrein mit den Gebeinen des heiligen Reinhold ge-
tragen, umringt von Schülern mit grünen Kränzen. Auf der Haupt-
straße, „die rein gefegt war", standen rechts die Männer, links die
Weiber der Stadt in ihren besten Kleidern. Der Kaiser wohnte
im Hofe Johanns von Wickede, des Patriziers (Angehöriger eines
vornehmen Geschlechtes), der mit dem Rechte begnadet wurde, kaiser-
licher Majestät den Steigbügel zu halten. Die Ehre so hohen
Besuchs hätte die Stadt aber bald teuer büßen müßen; denn
es begab sich, daß des Reiches Marschall vor dem Einzüge des
Kaisers das Stadtthor nicht hoch und breit, die Straßen nicht weit
genug.fand, um feine Lanze querdurch zu führen. Schon wollte
er alles niederreißen lassen, so wie ihm in solchem Falle zukomme,
und nur für eiue bedeutende Geldsumme hielt er den Befehl zurück.
Auf der Nordseite der Stadt Dortmund, in der Nähe des
Bahnhofes steht die Femlinde, unter welcher sich ein alter Steintisch
mit dem Reichsadler befindet. Hier war zur Zeit des Mittelalters
eine der bedeutendsten Gerichtsstätten der Feme. Das Wort „Feme"
ist uralt; es bedeutet Genossenschaft und kommt als Bezeichnung
des Gerichtes im Jahre 1227 vor. Die Feme, welche ihre
höchste Blüte im 15. Jahrhundert erreicht haben mag, richtete
über Raub, Mord, Zauberei und Ketzerei. Das Gericht hieß Frei-
gericht, der Gerichtssprengel Freigrafschaft, der Vorsitzende Freigraf,
die Beisitzenden Freischöffen oder Wissende. Der angesehenste Frei-
stuhl oder Gerichtsort war eben in Dortmund. Alle Freistühle
eines Landes standen unter dem Stuhlherrn, der gewöhnlich der
Landesherr selbst war. Oberster Stuhlherr nächst dem Kaiser
war der Erzbischof von Köln als Herzog von Westfalen; denn
in Westfalen auf „roter Erde," war der Ursprung und Haupt-
sitz der Femgerichte. Der Freigraf wurde von dem Stuhlherrn,
die Wissenden (d. i. die das Urteil Weisenden, Sprechenden) oder
Freischöffen von den Femgenossen selbst gewählt. Freischöffe (Richter)
konnte später jeder freie deutsche Manu vou gutem Rufe werden.