1. Bd. 2
- S. VII
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
Vii
Seite
b. Central-Afrika.
*362. Die Sahara (Defor, Laukhard)........................................................457
*363. Die Tebu (Tibbo) in der östlichen Sahara (Behm)......................4h 1
361. Die Tuareg in der Mittlern Sahara (Barth)................................463
c. West-Afrika.
366. Das Negerreich Dahomey (Fordes)................................................465
d. Süd-Afrika.
366. Die Hottentotten und die Buschmänner (Pefchel)............................466
*367. Die Cap-Colonie (Schmarda, Ritter)..............................................468
*368. Die Kaffern (Fr. Müller)...............................................470
*369. Die beiden südafrikanischen Republiken (Schmarda, Jeppe)............474
*370. Zanzibar (K. Andree)......................................................................476
371. Madagascar (Petermann, Crayon)................................................478
I>. Amerika.
372. Allgemeine Charakteristik der neuen Welt (Douai)........................480
373. Die Gebirgs- und Stromsysteme Amerika's (K. Andree, Wagner) 485
Nordamerika.
*374. Grönland (v. Etzel)..........................................................................489
*375. Die Eskimos (Hartwig, Helms)......................................................491
376. Das germanische Amerika im Vergleich mit dem romanischen
(Mendelssohn)....................................................................................495
*377. Canada und seine Seengruppe (K. Andree)....................................496
*378. Ottawa, die neue Hauptstadt von Canada (Kohl)..........................498
*379. Montreal (Kohl)................................................................................500
*380. Die nordamerikanische Union (Uhde, v. Löher) ..............................502
*381. Neu-England und die Iankees (Douai)........................................505
*382. Boston (Ratzel, Schmarda)....................................509
*383. Die mittleren und nordwestlichen Staaten der Union (Douai)... 511
*384. New-Aork (Glisson, Hosfmann, v. Hübner)......................................513
* 385. Buffalo (Kohl, Wagner, Scherzer)....................................................518
386. Philadelphia (Ratzel, Löher)................................519
*387. Baltimore (Ziegler, Bremer Handelsblatt) ....................................523
*388. Washington (Ziegler, Wagner, Scherzer)......................................524
*389. Cincinnati (Busch, Kohl)..................................................................525
*390. Chicago (Kohl u. A.)........................................................................527
*391. St. Louis (Münch, Löher)..................................................528
392. New-Orleans (Ratzel)........................................................................530
393. Die Mormonen (K. Andree, Neumann)..........................................533
*394. Californien (K. Andree)....................................................................536
*395. San Francisco (Hoffmann, v. Hübner)..........................................538
*396. Die Territorien der Vereinigten Staaten (Neumann)....................542
b. Mittelamerika.
397. Das Hochland von Mexico (Mühlenpfordt)......................................544
*398. Die Hauptstadt Mexico (Hoffmann)................................................547
399. Die Weltlage Central-Amerika's (Andree-Squier)..........................549
*400. Die fünf Republiken Central-Amerika's (Andree-Squier, Scherzer) 552
*401. Westindien (Jegor, v. Sievers, Ziegler u. A.).....................557
2. Bd. 2
- S. VIII
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Viii
Seite
c. Südamerika.
*402. Südamerika im Vergleich mit Afrika (Deutsche Vierteljahresschrift,
Alex. v. Humboldt)..............................................................564
*403. Die Anden im Vergleich mit den Alpen (Pöppig)..........................567
*404. Der Amazonenstrom (o. Spix, v. Martius, Ave-Lallemant) ... 569
405. Die Urwälder Brasiliens (Adalbert von Preußen, v. Spix,
v. Martius)........................................................................................574
*406. Pernambuco (Ave-Lallemant)..........................................................577
*407. Bahia (Ave-Lallemant).........................................580
*408. Rio de Janeiro (v. Spix, v. Martius)..........................581
*409. Das Stromgebiet des La Plata (Neumann)................................583
410. Die Pampas (Head)............................................585
*41j. Die Republik Paraguay (Kerst).................. ................587
*412. Die Republik Banda oriental (Burmeister)....................................589
*413. Buenos Ayres (Burmeister) .......................................591
*414. Patagonien (Pöppig, K. Andree).................... ..........593
*415. Die Republik Chile (v. Scherzer, Neumann, Pöppig) ....,............596
*416. Valparaiso (Schmarda, v. Scherzer)..............................................598
*417. Lima, (Burmeister, Rosenthal, v. Scherzer)....................................600
*418. Die Republik Bolivia (v. Scherzer, Reck)................................602
*419. Die Republik Ecuador (K. Andree).........................604
* 420. Der Isthmus von Panama (v. Scherzer)........... ............605
*421. Die Vereinigten Staaten von Venezuela (K. Andree) ..........607
E. Australien.
a. Das Festland.
*422. Neuholland im Allgemeinen (Unger, Gerstäcker)........ ... 609
*423. Die Australier (Fr. Müller)..........................................................611
*424. Die australischen Colonieen (Minicke) ............................................613
*425. Melbourne (A. Petermann)............................................................615
*426. Sydney (Schmarda)................................• • • • 616
b. Die Änjeln.
*427. Neu-Seeland (v. Hochstetter)..........................................................618
428. Die Südsee-Jnseln oder Oceanien (Schouw, v. Hochstetter)..........621
-429. Neu-Caledonien (Revue de 1'Orient).................... 624
*430. Die Vitt- oder Fidji-Jnseln (Petermann, Neuniann)......................625
*431. Die Marquesas-Jnseln (Vincendon-Dumoulin)..............................626
*432. Tahiti (Th. v. B.)................................ v ... 628
*433. Die Hawaii-Gruppe oder die Sandwich-Inseln (Mermcke, Heme). 631
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Iii. Länder- und Völkerkunde.
A. Europa.
c. Nord-Europa.
aa. Großbritannien und Irland.
202. Weltstellung Großbritanniens.
(Nach Th. B. Macanlay's Geschichte Englands und Ernst Kapp, Vergleichende
allgemeine Erdkunde.)
Großbritannien, der einzige Inselstaat Europa's, ist das größte und
wundervollste Reich- der Welt, welches von einem kleinen Gebiete aus uner-
meßliche Länder beherrscht, welches den Machtkreis der Macedonier und der
Römer mit allen Künsten moderner Civilisation vereinigt, welches in Macht,
Reichthum, Staatskunst, in kriegerischem Ruhme und den friedlichen Künsten
des Landbaues, der Gewerbsamkeit und des Handels, in Dichtung und
Wissenschaft, in häuslicher Sitte, iu von lauterer Vaterlandsliebe getragenem
Gemeinsinn hervorragt, das Land vor Allem, welches das größte Maß per-
sönlicher Freiheit mit gesetzlicher Ordnung, mit Heiligkeit des Rechts, der
Sitte und der Religion, mit echt staatsmännischer Behandlung der Geschäfte
zu vereinigen gewußt hat. Aus keinem Lande ist ein, wenn gleich unmerk-
barer, doch nachhaltigerer Einfluß auf Deutschland herübergedru^igen, als aus
England. Die neue Entwickelung der Industrie, die richtigeren Grundsätze
der Verwaltung, der Gewinn gesetzlicher constitutioneller Freiheit führen nach
England zurück, wenn auch Frankreich bisweilen als Vermittler erscheint.
Auch für uns hat dieses wunderbar energische germanische Jnselland die
neue Welt colonisirt, Indien und China zugänglich gemacht; auch für uns
hat es durch die Kämpfe vieler Jahrhunderte in seiner Westminsterhalle die
Grundzüge constitutioneller Verfassungen erstritten.
Großbritannien, bestehend aus den unter Einem Scepter und zu Einem
Pütz, Vergl. Erd- und Völkerkunde. Ii. 2. Auflage. 1
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2
Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
Parlament vereinigten Königreichen England, Irland und Schottland,
noch einige hundert Geviertmeilen kleiner als die preußische Monarchie, mit
einer Bevölkerung von 32 Millionen Einwohnern, beherrscht in allen Erd-
theilen und unter allen Zonen Länder, welche mit Einschluß auch der öden
Strecken des nordischen Amerika's zusammen über 375,000 Geviertmeilen mit
ungefähr 203 Millionen Bewohnern ausmachen, also ein das seinige mehr
als um das Sechszigfache übertreffendes Ländergebiet und eine mehr als
sechsmal größere Menschenmenge, als die eigene beträgt.
Großbritannien verdankt diesen Vorzug zunächst seiner Weltstellung,
welche ihm gestattet, sich ganz nach Belieben gegen die übrige Welt abzu-
schließen oder mit ihr in Verbindung zu treten, und ihm zugleich auf dem
ununterbrochensten und schnellsten Wege der oceanischen Straßen die that-
kräftige Ueberwachung auch der fernsten Kolonie und überhaupt die unge-
hemmte Wendung nach allen Seiten möglich macht.
In England sind alle Erscheinungen grandioser Natur, von dem Um-
fange und der Volkszahl der Hauptstadt, von den Schöpfungen in der Ma-
terie an bis hinauf in die geistigen Verhältnisse. Die Weltausstellungen,
der Themsetunnel, die atmosphärische Eisenbahn, das atlantische Kabel, das
alle bedeutendere Städte des Landes in die vielfachste Verbindung setzende
Canal- und Eisenbahnsystem mit der Zugabe elektrischer Telegraphen, Berg-
werke, welche Meilen weit unter dem Meeresgrunde hin sich erstrecken,
Schiffe, deren Größe und Schnelligkeit alles bis dahin Gesehene übertrifft,
einzelne Fabrikanlagen mit Tausenden von Arbeitern, eine zum Schutz der
ausgedehntesten Eolonieen hinreichende Marine, eine.schuldenmajse als
Zeugniß für das Vorhandensein eines unerschöpflichen National-Vermögens,
Anhäufung massenhaften Grundbesitzes in den Händen Weniger, ein Prole-
tariat, welches die Hälfte der Bevölkerung umfaßt, Expeditionen zur Ent-
hüllung des Erdkreises, für die es keine Unmöglichkeit zu geben scheint,
Associationen, unter denen andere Staaten zusammenbrechen würden, Peti-
tionen mit so viel Unterschriften, daß sie auf Wagen gefahren werden müssen
— dies alles sind Erscheinungen, zu deren Erklärung das oceanische Leben
der britischen Nation den Schlüssel gibt.
Kein anderes Volk hat so viele und so vortheilhafte oceanische Welt-
fahrten unternommen. Von dem britischen Jnselreiche aus wurde die zer-
streute Inselwelt der Oceane in die Erdkunde eingeführt. Dazu reichten nicht
wenige Hin- und Herfahrten aus, wie sie die Spanier in ewigem Einerlei
nach dem einmal gefundenen Amerika machten, dazu gehörte Geduld, uner-
müdlicher Eifer und ein innerer Drang, wie er nur einem Jnfelvolke, welches
allseitig auf's Meer gewiesen ist, eigen sein kann; denn was jene gleichsam
mit Einem Male gefunden hatten, mußten die Engländer in hundert zer-
splitterten Unternehmungen suchen und finden. Und als dann die tausend
insularen Bruchstücke des Oceans zusammengelesen waren, traten die wissen-
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202. Weltstellung Großbritanniens.
3
schaftlichen Ansprüche hinzu. Neue Wege sollten gefunden, Strömungen
untersucht, Forschungen nach verschlagenen Expeditionen angestellt, astrono-
mische Beobachtungen und Ortsbestimmungen getroffen, die Abweichuugen
der Magnetnadel angegeben, die Tiefen der Meere und die Höhen der Berge
gemessen und naturhistorische Aufklärungen gewonnen werden.
Kein Volk ist von Natur mit einer gleichen oceanischen Spürkraft aus-
gestattet, wie die Engländer. Inseln und Felsen sind vorhanden, Tausende
sind an ihnen vorübergesegelt; ihnen war die Insel ein Stück Land im
Wasser, der Felsen eine Steinmasse. Des Briten Blick aber haftet an
ihnen, mißt ihre Dimensionen, ihre Entfernungen gegeneinander, prüft ihre
Sicherheit und ermißt, was sie ihm werden und bedeuten können als Blei-
kugeln des großen Handelsnetzes, welches er über die Erde ausgespannt hat.
Ist Besitz ergriffen, so wird die natürliche Festigkeit des Punktes durch alle
Mittel der Kunst erhöht. Gibraltar und Malta sind Schutz- und Sammel-
Plätze der Flotten Englands im Mittelmeere und Stützpunkte seines Ver-
kehres über den Isthmus von Suez nach Indien. Zur weitern Sicherung
desselben wurde zwischen Suez und Bombay unter dem Vorwande eines Er-
satzes für ein gestrandetes britisches Schiff Aden genommen und stark be-
festigt. Die Bermudas schienen den Briten von so großer Wichtigkeit, daß
jährlich Tausende auf ihre Befestigung verwendet wurden. So ist denn kein
Meer und, mit Ausnahme der Ostsee und des Schwarzen Meeres, auch kein
Meerbusen von irgend einiger Bedeutung zu finden, auf dem die Briten
nicht durch irgend eine feste Stellung ihre Herrschaft zusichern gewußt hätten.
Auch der geringste Vortheil wird wahrgenommen, selbst Helgoland war ihnen
nicht zu klein. Singapore auf der gleichnamigen Insel an der Südspitze von
Malakka beherrscht den Eingang aus dem Indischen in das Chinesische Meer
und macht so die gelegenste Station sür die Fahrt von Kalkutta nach Kanton.
Was England aus den Felsen zu machen weiß, die es in Beschlag nimmt,
hat St. Helena gezeigt. Welche Umsicht, welche rastlose Thätigkeit, welche
Kosten erfordert die Überwachung dieser in allen Meeren vereinzelten Posten!
Und doch ist England unablässig bemüht, seine oceanischen Radien immer
weiter, nicht nur bis nach China und Japan, sondern auch bis ist das Innere
von Afrika zu verlängern.
Großes, ja sich selbst, verdankt Britannien dem Ocean. Aber die Größe
verdeckt nicht die Mängel, Schwächen und Gefahren. Die insulare Lage und
der Bau des Landes sind von der Art, daß das oceanische Moment einseitig
vorherrscht. Mit diesem Vorherrschen der oceanischen Richtung hängt es
zusammen, daß in England vom Interesse des Handels alle übrigen ver-
schlungen werden. Religion, Wissenschaft und Kunst nahmen nur damals
die ihnen gebührende Stellung ein, als England noch nicht über der Sucht
nach den Schätzen der Erde die continentale Wiege seiner Geistescultur ver-
gessen hatte und als sein Drang nach oceanischer Thätigkeit der Anhänglich-
1*
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203. Die Bodengestaltung Großbritanniens. 5
des bretagnischen, und die Durchbrochenheit der Bergzüge gibt sich hier wie
dort durch die möglich gewordene Anlage mehrerer Canäle kund.
So wie im französischen Tieflande bedeutende Terrainstrecken von höbe-
rein Niveau aufsteigen, die vermöge ihrer Oberflächengestalt kaum noch der
Ebene zuzurechnen sind, so auch im englischen. Sie durchziehen hier die
Ebene in verschiedenen Richtungen als niedrige Fortsetzungen des cornischen
Berglandes. Einer zieht im Süden des Canals von Bristol ostwärts bis
zu den Küsten des Pas de Calais und gibt den Südgestaden der Insel
dieselben steilen Felsränder, welche den gegenüberliegenden französischen
Küsten eigenthümlich sind. Diese Hügelzüge steigen 200 — 300 Meter ans,
aber ihre Abfälle sind nicht selten scharf geformt, felsig, fast gebirgsartig an-
zusehen, wenngleich ihr ebenerer Scheitel beinahe durchgängig bebaut und
bewohnt ist.
Diese Höhen haben wenig Einfluß auf die Richtung der Fluß laufe; sie
bilden keinesweges immer die Wasserscheide. Die Themse, der Trent u. m. a.
Gewässer entquellen nicht auf, sondern neben jenen Hügelreihen. Daraus
erklärt sich der geringe Fall, der ruhige Lauf und (unter Mitwirkung klima-
tischer Ursachen) der große Wasserreichthum, die frühe Schiffbarkeit der eng-
lischen Flüsse. Und was vorzugsweise wichtig ist, ihr schwaches Gefälle be-
fördert Ansandungen, Verflachungen des Bettes nur in geringem Grade und
gestattet der oceanischen Flut den Eintritt auf weite Strecken. Diese hat
aber, wie bei der Elbe, die Mündungen busenartig erweitert, die Betten tief
ausgehöhlt und Deltabildungen verhindert, indem sie die abgelagerten Schutt-
Massen beim lebhafteren Abflüsse der Gewässer zur Zeit der Ebbe mit ins
Meer hinausgeführt hat. Daher ungeachtet der Kürze des Laufs, der Klein-
heit des Gebiets die große Tiefe der Mündungen, vermöge welcher die
Themse (bis London), die Severn, der Humber, der Mersey, Clyde :c. See-
schiffen, theilweife den größten, zugänglich geworden sind. Die britischen
Flüsse spielen daher eine ganz andere Rolle, als die der süd-europäischen
Halbinseln; wenn diese wenig oder nichts zur Verbindung der einzelnen,
durch Gebirgsschranken ohnehin getrennten Landestheile gethan haben, so
fördern jene hier, wo alle Naturverhältnisse zur Einheit hinstreben, die Ver-
bindung, den Verkehr des Innern auf eine unvergleichliche Weise. Gesteigerte
Culturverhältnisse haben auf den britischen Inseln außerdem eine Menge von
künstlichen Wasserwegen geschaffen, die zusammengenommen die stau-
nenerregende Länge von 1800 Meilen erreichen sollen.
2. Das Hochland von Wales. Wie eine Gebirgsinsel steigt das
wälsche Hochland auf drei Seiten aus den Fluten des Meeres, auf der vierten aus
den grünen Gefilden des Severn-Thales empor. Kein Gegensatz ist schnei-
dender, als die üppige, reichgeschmückte Natur dieses Thales und die Un-
wirthbarkeit und Oede der nackten, waldlosen Felshöhen des Hochlandes.
3. N ord-e ng lisch es Ge b irg sla nd. Aus den flachen Küstengegenden
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6 Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
von Liverpool gelangt man ostwärts an ein kleines Bergland, welches die Wasser-
scheide zwischen Mersey und Trent bildet, ein Gewirre von Felshöhen und
Tiefen, höhlenreich, schroffgeformt, welches mit seinen kegelförmigen Piks fast
die Höhe von 600 Meter erreicht. Es bildet nur das Süd-Ende eines ähnlich
gestalteten, nordwärts auf der Hanpiwafserscheide bis zum Parallel des
Solway-Bufens hinstreichenden Bergzuges, desseu zahlreiche Spitzen (Peaks)
noch höher (im Croßfell 700 Meter) aufsteigen.
4. Das schottische Greuzgebirge erhebt sich im Norden der charak-
teristischen Bodensenkung, welche vom Solway-Busen bis zur Ostküste reicht und
einst durch den von Küste zu Küste reichenden sogenannten Piktenwall gegen
Norden abgeschlossen war, — breiter, massiger, nicht höher als das nord-
englische Bergland. Es' bildet, besonders auf der Südseite, plateauartige,
einförmige Massen, die im östlichen Theile, im sogenannten Cheviot-Gebirge,
800, in der Mitte, im Hartfell, fast 1000 Meter absoluter Höhe erreichen.
Seine niedrigere, minder steile, zugänglichere Seite ist dem Norden, dem
schottischen Niederlande zugekehrt.
5. Die schottischen Hochlande, die das wälsche an Höhe und Wild-
heit übertreffen und sich durch ihre malerischen Seespiegel von ihm unter-
scheiden, gleichen demselben durch die beiden Gebirgsmassen eigentümliche
diagonale Richtung, durch die Kahlheit der Kämme, durch moorige Thäler,
den Mangel an Waldung, Vegetation und Anbau. Deuu die Höhen sind
hier wie dort der dichten Forsten, welche sie einst bekleideten, fast ganz be-
raubt; statt ihrer bilden Haidekraut und Gestrüpp eine dürftige Pflanzendecke,
und nur hier und da, an den Gehängen, spiegeln sich noch Reste jener Hoch-
walduugen in den schönen Gebirgsseen. (Näheres s. Nr. 223.)
201. Die Bevölkerung Großbritanniens.
(Nach Albr. v. Roon, Grundzüge der Erd-, Völker- und Staatenkunde, nut
Zusätzen vom Herausgeber.)
Die heutigeu Bewohuer der vereinigten Königreiche sind theils germani-
schen, theils celtischen Stammes; der letztere ist der ältere, ureiugeborene,
der erstere der numerisch und politisch herrschende. Nachdem die Groß-
britanniens ebenen Süden umfassende Römerherrschaft zusammengebrochen,
bildeten die deutschen Stämme der Angeln und Sachsen den Keim der nach-
maligen germanischen Bevölkerung. Dänische und uormännische Abenteurer
verstärkten das germanische Element, ungeachtet sie das Sachsenthum be-
drängten. Nichtsdestoweniger erscheint dieses letztere, durch zahlreiche Nach-
sahrer aus der Heimat verstärkt, als der Haupt-Typus der germanischen Bevöl-
kerung Britanniens. Diesen hat die nachfolgende Ueberflutung durch die
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204. Die Bevölkerung Großbritanniens,
7
uormänttisch-französische Völkerwelle nicht verwischt, vielmehr ausgefrischt, denn
sie war ebenfalls ihrem Urwesen nach germannisch. Die in ihren Wurzeln
und Formen dem Niederdeutschen noch immer sehr ähnliche englische Sprache
hat durch die als Sieger und mit überlegener Bildung über den Canal ge-
kommenen französirten Normannen eine unverkennbar fremdartige Beimischung
erhalten.
Diese Sprache ist gegenwärtig in beiden Königreichen die entschieden
vorwaltende, so daß es nur noch wenige abgelegene Grafschaften in West-
Irland, Hoch-Schottland, Wales und Cumberland gibt, wo ihr die Herrschaft
von den der celtischen Urbevölkerung eigenthümlichen kymrischen und ersischen
Mundarten bis jetzt streitig gemacht wird. Die celtische oder gälische Bevöl-
keruug besteht nämlich aus den beiden einander nahe verwandten Stämmen
der Briten oder Kymren und der Gälen oder Ersen. Beide theilen sich
wieder in zwei dialektlich verschiedene Völkerschaften. Zu den ersteren gehören die
Wälschen oder Walliser, welche in dem größten Theile von Wales aus-
schließlich die ländliche Bevölkerung bilden, und die Cambrier oder die cam-
brischen Briten in den Gebirgsgegenden der Grafschaften Cumberland und West-
moreland. Zu den gälischen oder ersischen Völkerschaften gehören die Scoten oder
Schotten, die man auch vorzugsweise „Gälen" genannt hat, und die Iren
(Jrländer) oder Ersen im engeren Sinne. Jene, wie die britischen Bewohner
Englands, in die rauheren, öderen Gegenden ihres Landes zurückgedrängt/
bevölkern gegenwärtig — soweit das Fortdauern ihrer Sprache es erkennen
läßt — nur noch das schottische Hochland, die benachbarten hebridischen und
orkadischen Inselgruppen, so wie einen großen Theil von Mittel-Schottland,
die Insel Man und die irischen Küsten des Nord-Canals. Die Bewohner
Süd-Schottlands und ein großer Theil der Städte-Bewohner des mittleren
und nördlichen sind dagegen so vollständig anglisirt, daß ihre fremdartige
Abstammung kaum noch an der eigenthümlichen Aussprache und der unger-
manischen Körperbildung einigermaßen zu erkennen ist. Aber auch in den
erstgenannten Gegenden gewinnen englische Sprache und Sitte täglich größere
Ausbreitung, so daß die Zahl der galisch sprechenden Bevölkerung höchstens
noch auf eine Million geschätzt werden kann. Selbst in Irland hat die eng-
lische Sprache das Ersische mehr und mehr, ja, in noch höherem Grade als
in Hoch-Schottland verdrängt.
Der eigentliche Engländer zeichnet sich noch heute durch seine hohe,
oft schlanke germanische Leibesgestalt, so wie durch das standhafte, männlich-
ernste, entschlossene, besonnene und verständige Wesen, durch jene Freiheits-
liebe und Gesetzlichkeit aus, welche an seinen angelsächsischen und normänni-
schen Urvätern gerühmt werden. Eben so sind die Kymren, obgleich manches
Angelsächsische unter sie gekommen, noch immer ganz wesentlich von jenen
unterschieden. Sie sind, in kürzeren, gedrungeneren, gewandteren Gestalten,
mit dunklerem Auge und Haar und ausgeprägterer Gesichtsbildung, lebendiger,
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8
Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
leichter und reizbarer, als die Abkömmlinge ihrer Ueberwinder. In den
schottischen, ja, zum Theil (wie auch der Dialekt beweist) schon in den
northumberländischen Germanen scheint sich das sächsische Blut mehr mit
skandinavischem gemischt zu haben. Der Schotte ist biegsamer, beweglicher,
mittheilender als der Engländer; er ist minder abgeschlossen, doch zugleich
minder selbständig, faßt und begreift aber darum auch Fremdes mit größerer
Leichtigkeit aus, als dieser, der ihm, dieser größeren Fügsamkeit wegen,
Hinterlist, Habsucht und Unredlichkeit zur Last legt. — Ganz anders, ja,
theilweise ganz entgegengesetzt stellt sich die, dem wälschen Typus ähnliche,
Eigentümlichkeit der Ersen dar. Neben der schweren, kalten, besonnenen
Art und Weise der germanischen Briten fällt ihr bewegliches, phantasiereiches,
munteres, heißblütiges Wesen um so merklicher auf. Verschiedenheit der
heimatlichen Natur und des historischen Geschicks haben indeß auch hier
wieder eine deutliche Schattirung in den Charakteren der schottischen und der
irischen Gälen bewirkt. Der Hoch-Schotte hat in seinen rauhen, schneeigen
Bergen, an seinen stürmischen Felsgestaden ein festeres, selbständigeres
Wesen, eine härtere Tapferkeit, kühneren Unternehmungsgeist, beständigere
Neigungen gewonnen, als der Ire, dem von jeher Festigkeit, Beharrlichkeit,
innere wie äußere Selbständigkeit und, ungeachtet seines lebhaften Ver-
standes, die Klarheit und Besonnenheit gefehlt hat, welche zur vernünftigen
Leitung der eigenen Angelegenheiten unerläßlich ist; dein Jrländer fehlt die
starke Selbstbeherrschung, der unerschütterliche Gleichmuth, die besonnene, un-
ermüdliche, stets verständige Thätigkeit und Tüchtigkeit, wodurch der Eng-
länder zu seinem und der Meere Herrn geworden.
Der Engländer hat wohl ein Recht, mit stolzem Bewußtsein um sich zu
blicken. Die ganze Größe seines Namens, die Weltbedeutung seines Landes
ist eine Frucht seiner Tüchtigkeit. Weil er sich seiner Festigkeit und Würdig-
keit vollkommen bewußt ist, weil er das Seinige und das Heimische mit
tüchtigem, klarem Verstände faßt und versteht, aber aus feiner insularischen
Einseitigkeit nicht wohl herauskann, weil er das Fremde und Entlegene weniger
kennt und nicht richtig zu schätzen vermag, so schließt er sich mit schroffer,
hochmüthiger Kälte gegen alles ab, was nicht er selbst ist, und nicht bloß
gegen den Ausländer, sondern sogar gegen das Nachbarliche und Nächste,
sofern sein Interesse dabei nicht im Spiele ist. Dies führt den Einzelnen
oft zu dem krassesten Egoismus, während in der Gesammtheit kein Volk
einen größeren, lebendigeren und aufopfernderen Gemeingeist offenbart. Ihre
Gebräuche und Belustigungen (Wettrennen, Jagden, Hahnenkämpfe :c.), ihre
Gedanken und Empfindungen sind sämmtlich männlicher, tüchtiger Art, aber
sie bewegen sich in einem gewissen Kreise, über den sie nicht hinaus können;
innerhalb dieser selbstgezogenen nationellen Schranken erscheinen sie bewun-
derungswürdig verständig, im höchsten Grade anstellig, beharrlich und conse-
quent bis zur eigensinnigsten Wunderlichkeit: aber alles, was nicht in den
10. Bd. 2
- S. 9
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
•204. Die Bevölkerung Großbritanniens.
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nationellen oder individuellen Formalismus paßt, was ihren Ansichten und
Meinungen nicht zusagt, verachten sie ohne Weiteres mit dem ihnen eigen-
thümlichen kaltblütigen Gleichmuth.
Dieselbe Erscheinung wiederholt sich auch in den wissenschaftlichen und
künstlerischen Bestrebungen und Leistungen dieseß merkwürdigen Volkes. Fast
in allen Zweigen des Wissens und Könnens hat es große und leuchtende
Namen aufzuweisen, aber fast überall ist die Art und Weise der Bestrebung
mehr eine praktische und concrete als eine theoretische und abstracte. Darum
beschäftigt sich die englische Gelehrsamkeit mehr mit der Beobachtung und
Erklärung der Thatsacheu, als mit der Ergründung der obwaltenden Gesetze,
und, im Gegensatze zu der tieferen, fpeculativeren Geistesthätigkeit der Deut-
schen, mehr mit der realen als mit der idealen Seite der Dinge. Darum
hat sich die englische Wissenschaftlichkeit vorzugsweise denjenigen Gegenständen
zugewandt, die eine unmittelbare Nutzanwendung versprachen. Für den Zweck
ihrer Weltherrschaft und Weltschifffahrt, ihrer Weltindustrie und ihres Welt-
Handels war daher den Engländern vorzugsweise die Erforschung der mathe-
matischen und Naturwissenschaften eine Lebensaufgabe, und sie haben sie auf
bewundernswürdige Weise gelöst; noch, täglich und mit wachsendem Erfolge
erweitern sie diese Gebiete mit einer Unermüdlichkeit, welche alle Länder, alle
Meere durchforscht und die Geheimnisse aller Zonen und Fernen aufschließt.
Wo wir uns nur umschauen auf den Sternwarten, in den Erzgruben, bei
Mühlen und Webstühlen, auf den von Rauch dampfenden Strömen, Meeren
und Landstraßen, da erblicken wir diesen englischen Sinn, diese englische
tapfere Arbeit und ihren Sieg über die blinden und willenlosen Naturkräfte.
Vornehmlich in dieser Richtung sind auch die Erfolge zu suchen, welche die
Engländer in den Künsten gehabt. Sie sind groß in den „Künsten der un-
teren Ordnung", welche der Mechanik, der Technik angehören und die Ver-
vollkommnung und Veredlung der materiellen, aber verfeinerten Lebensbe-
dürfnisse und Lebensgenüsse (Eomsorts) beabsichtigen, deren Besitz und Werth
sie offenbar zu hoch anschlagen. In den schönen Künsten, der Bildhauerei,
Malerei und Musik, habeu sie dagegen bisher nur Mittelmäßiges, mehr in
der Baukunst geleistet. Sie sind kein Volk voll lebhafter, warmer Phantasie;
aber Humor, Witz, kaustische Schärfe, Lebendigkeit und Klarheit der Gedanken,
das ist ihre Sache, das zeichnet ihre großen Dichter, ihre Redner aus, und
kein Volk der Erde hat seit den großen Zeiten der Griechen und Römer seine
Sprache besser zu gebrauchen gewußt und in der Beredsamkeit so Großes ge-
leistet, als dies Volk, welches auf den ersten Anblick zum Schweigen und
höchstens für unartikulirte Laute geschaffen zu sein scheint.