1904 -
Leipzig
: Wachsmuth
- Autor: Weigeldt, Paul
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
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der Wellen schützte, gefallen war, konnte auch der schmale Stein-
wall nicht lange mehr widerstehen, und mit ihm mußte auch das in der
Hauptsache aus leicht angreifbarem Kalke bestehende Nieder- (oder
Verbindungs-) land dem Angriffe der heftig anstürmenden Meeres-
wogen weichen. In den letzten Jahren hat die Düne eine wenn
auch geringe, so doch stetige Zunahme erfahren, und das einmal
durch günstige Strömungsverhältnisse, zum andern durch die Bewohner,
die die hohe Bedeutung der Düne für das Seebad würdigend, für ihren
Schutz durch Aufwerfen von Hügeln und Anpflanzung von Busch-
werk Sorge getragen haben, endlich durch die preußische Regierung,
die sie durch weit in die See hinaus gebaute Buhnen in vollkommener
Weise geschützt hat. 1888 betrug die Gesamtlänge der Düne
1600 m (davon Länge der Hügel 640 m, Länge des Vorstrandes
im Norden 60 m und im Süden 900 m) und die Gesamtbreite
320 m (davon Breite der Hügel 196 m, Breite des Vorstrandes im
Osten 100 m und im Westen 24 m). So unscheinbar einem nun
auch die Düne Vorkommen mag, so ist ihr Bestand und ihre Er-
haltung doch von unberechenbarem Werte, denn sie ist so recht
der Lebensnerv Helgolands: ihre Vernichtung wäre gleichbedeutend
mit dem Aufhören des Badelebens, also mit dem Versiegen vielleicht
der wichtigsten Erwerbsquelle der Helgoländer.
Gegenwärtig wrird Helgoland im Jahre von mehr als 20000 Bade-
gästen besucht. Anfang Juli halten dieselben ihren Einzug, und
bald hat sich jeder in einem der vielen Gasthäuser oder in einer
Privatwohnung häuslich eingerichtet. Nun beginnt auf der Insel
neues munteres Leben. Morgens nach eingenommenem Frühstücke
eilt man dem Strande zu, begrüßt sich mit den frischen, blühenden
Helgoländerinnen und den stämmigen, muskelkräftigen Männern, die
man untenvegs trifft, und löst eine Badekarte, die zugleich zur
Ueberfahrt nach der Düne berechtigt.1) Fährboote nehmen die
ihnen zukommende Zahl Fahrgäste auf. Einige Schläge mit den
Rudern bringen vom Lande ab; dann wird das Boot bei Windstille
oder bei konträren Winden durch eine Dampfbarkasse geschleppt,
oder es wird das Segel aufgezogen, und ruhig schwimmt das Boot
0 Für diejenigen, denen ein Bad in der offenen See nicht zuträglich ist,
und für Zeiten, in denen stürmisches Wetter die Überfahrt zur Düne nicht ge-
stattet, ist ein geräumiges Badehaus mit hoher, luftiger Schwimmhalle, warmen
Seebädern (in Wanne) usf. an der äußersten Südseite des Unterlandes errichtet
worden; das Bild zeigt es.
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der im Sonnenglanze schneeweißen Düne zu. Auf Rädern ruhende
und in das Wasser vorgeschobene Brücken ermöglichen die Aus-
schiffung. Auf der Düne angekommen, nimmt man in einem der
zweirädrigen grünen Badekarren Platz, die als fahrbare Zellen an
dem herrlichen Badestrande mit seinem festen, stets steinfreien
Sandgrunde bereit stehen. Bald hat man sich seiner Kleider ent-
ledigt, und schon wird der Karren von kräftigen Fäusten bis knapp
ans Wasser geschoben, so daß nur wenige Schritte nötig sind, um
sich der Salzflut in die Arme zu werfen. So oft eine breite, schaum-
gekrönte Woge einherrollt, begräbt sie einen für einen Augenblick,
gleich darauf taucht man wieder empor, um Brust und Arme
gekräftigt zu regen in dem rauschenden, brausenden Gischt. Ein
solches Bad hat etwas ungemein Erfrischendes und Nervenstärkendes.
— Dann geht es wieder in die stille Klause mit den zwei Rädern,
man klingelt, und der Karren setzt sich abermals in Bewegung
Wieder angekleidet wendet man seine Schritte einer der beiden
Gastwirtschaften zu und läßt sich das zweite Frühstück munden.
Dann pilgert man hinüber aut die andere, südöstliche Seite der
Insel, sitzt in den wunderlichen geflochtenen Strandkörben, vor
Wind und Sonne gedeckt, oder streckt sich in den weißen, von der
Sonne erwärmten Sand hin und beobachtet das Spiel der Wellen.
Doch darf man die Rückfahrt nicht vergessen; denn um zwei Uhr
geht das letzte Boot von der Düne ab. Bald danach sind alle
Badegäste wieder auf der Hauptinsel versammelt, um die Ankunft
der Dampfer zu erwarten und die „Lästerallee“ zu beiden Seiten
der Landungsbrücke bilden zu helfen, die die Ankommenden zu
passieren haben. Kurze Zeit darauf findet die stets ungeduldig
erwartete Ausgabe von Briefen und Zeitungen statt. Später spielt
die Badekapelle am Strande, und abends ist wieder Konzert im
Konversationshause und spielt eine Schauspielertruppe in dem kleinen
Theater. —
Helgoland, früher zu Schleswig gehörend, 1807 bis 1890 in
englischem Besitze, jetzt preußisch1), umfaßt insgesamt einen Flächen-
9 Kann man auch die Besitzergreifung dieses alten deutschen Eilandes
(vergl. S. 71) aus nationalen Gründen mit Freude begrüßen, so darf man doch
nicht vergessen, wie teuer sie erkauft worden ist. Der deutsch-englische
Vertrag vom 1. Juli 1890 bildet für alle Zeiten einen dunklen Punkt in
in unserer Kolonialgeschichte, und sein Endergebnis läßt sich dahin zusammen-
fassen, daß wir nichts Wesentliches gewonnen, wohl aber sehr viel verloren haben:
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raum von 0,62 qkm und wird von etwa 2500 protestantischen
Friesen bewohnt, einem kernigen, kräftigen Menschenschläge mit
sturmdurchwetterten Zügen. Inseiner Abgeschlossenheit vom Festlande
hat der Helgoländer den alten Friesengeist trotz aller politischen
Wandlungen treu in sich bewahrt: er ist verschlossen und miß-
trauisch, selten zu heiteren Scherzen geneigt; aus seinem durch-
wetterten Gesichte sprechen Entschlossenheit, Willenskraft und
trotzige Kühnheit, und seine phlegmatische Ruhe läßt ihn auch
mitten in den stürmischen Wogen des Meeres kaltblütig und gelassen
bleiben. Am Althergebrachten hält er unwandelbar fest, so auch an der
friesischen Mundart, die die Kinder dort schon sprechen, bevor sie
in der Schule deutsch reden lernen.1) Die schöne Nationaltracht
der Helgoländerinnen ist leider mit der Zeit der modernen Kleidung
gewichen und wird heutzutage nur noch bei besonderen festlichen
Gelegenheiten angelegt.
Die Erwerbsquellen der Helgoländer sind das Seebad, der
Fischfang (besonders Schellfisch-, Hummer- und Austerfang) und
der Lotsendienst. Sie gewähren dem Erwachsenen eine jährliche
Einnahme von ungefähr 800 Mark. Armut kommt trotz dieses
wir haben, wie Stanley sehr richtig bemerkte, für einen alten Knopf eine neue
Hose hingegeben. Außer in Helgoland gewannen wir Landzuwachs streng ge-
nommen nur im Südwesten Deutsch-Ostafrikas; denn der Besitz des Gebietes
vom Indischen Ozean bis zu den großen Seen und vom Kuvuma bis zum Kili-
mandscharo war uns schon 1886 zugesprochen, und die Küste hatten wir eben
erst wieder erobert. Für diese „völlig minderwei tige Gegenleistung“ überließen
wir den Engländern das von Peters erworbene Königreich Uganda, „das nicht
bloß der Schlüssel zu den Ländern des westlichen Sudan ist, sondern als wasser-
reichstes, fruchtbarstes, bestbebautes und dichtest bevölkertes Land Innerafrikas
in wohltuendem Gegensätze zu den dürren, menschenarmen Steppen des be-
nachbarten deutschen Gebietes steht“, das Schutzgebiet Witu, wo die deutsche
Herrschaft befestigt und beliebt war, und wo auch wirtschaftliche Unternehmungen
bereits begonnen hatten, die Somaliküste und die Inseln Sansibar und Pemba,
von denen die erstere 3co0 mal größer als Helgoland ist, vortrefflichen Plautagen-
bau aufweist (Gewürznelkenkultur), und in ihrer gleichnamigen Hauptstadt den
vielhundertjährigen Mittelpunkt für den ostafrikanischen Auslandshandel birgt.
Die Muttersprache der Helgoländer ist eine rein niederdeutsche (dem
Holländischen verwandte Mundart, gelegentlich mit dänischen und englischen
Ausdrücken vermischt (Warum?). Die Namen beispielsweise der Tage sind
Söndai, Mondai, Teisdai, Medweken, Thönnersdai, Freidai und Sonninn. Die Vor-
namen sind echt friesisch. An Männernamen finden wii z. B. Bad, Nan, Nummel
und Rördt,; gebräuchliche Frauennamen sind Dulke, Meike, Pontje, Tütje,
Wibke u. a.
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geringen Verdienstes — der Helgoländer lebt überaus einfach
(Kartoffeln und Fische!) — auf der Insel kaum vor, und Bettler
sind unbekannt. Dabei sind die Bewohner mit einer Liebe zu ihrer
Heimat erfüllt, wie sie bei keinem anderen Volke stärker ausgeprägt
sein kann. Und wäre es ihnen nicht um das Geld, das die Fremden
auf ihrer Insel lassen, und das ihnen gestattet, häufiger als sonst
zum Tanze, „ihrem höchsten aller irdischen Genüsse“, zu gehen, sie
wären es wohl zufrieden, wenn ihr heimatlicher Felsen wieder in
die Vergessenheit zurücksänke, aus der ihn Siemens durch die
Eröffnung des Seebades im Jahre 1826 gezogen hat.
Helgoland ist eine ursprüngliche Insel; denn es ist auf dem
Meeresgründe entstanden und niemals mit dem Festlande verbunden
gewesen. Die Düne ähnelt bezüglich ihrer Entstehung gewisser-
maßen den festländischen oder Kontinentalinseln; denn sie
ist durch oberflächliche Abtrennung (freilich nicht von der Küste)
entstanden. Weiter veranschaulichen die beiden Inseln recht schön
die zwei Hauptformen der Küste (Flach- und Steilküste) und
bietet Helgoland Veranlassung, der Küstenzerstörung, die Düne
aber, der Küsten Vergrößerung zu gedenken.
In welcher Weise vermag nun aber das Meer eine Küste zu
verändern? Jede Küste befindet sich nach Pfaffs trefflichem Alls-
spruche im Belagerungszustände, aber trotzdem finden wir überall
Küstenstellen, die vorwiegend unter Zerstörung leiden, neben
anderen, deren Veränderung hauptsächlich durch Anschwemmung
erfolgt. Unter den zerstörenden Kräften ist die Brandung jeden-
falls die mächtigste. Indem die brandende Woge an eine steil
ins Meer abfallende Felsenwand schlägt, preßt sie die in den
Spalten befindliche Luft zusammen und lockert dadurch das Gefüge.
Zieht sie sich zurück, so wird die Luft nachgesogen und kleine
Gesteinsteilchen werden dadurch herausgeführt. Durch den Stoß
der Brandungswelle werden auch kleine und größere, durch die
Einwirkung des Wassers mechanisch gelöste oder chemisch zer-
setzte Teile vom Felsen losgelöst. Die feineren Zerstörungsprodukte
dienen der brandenden Woge nun gleichsam als Feile, um durch
wirksamere Reibung auch das feste Gestein innerhalb seiner Bahn
abzuschleifen, die gröberen werden als Wurfsgeschosse gegen die
Felswand geschleudert („Artillerie des Meeres“) und äußern auf
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diese Weise einen gewaltigen Einfluß. Auf diese Weise entsteht
an der Steilküste in der Brandungsebene eine hohlkehlenartige
Vertiefung. Durch sie wird die über ihr befindliche Felswand ihrer
Stütze beraubt und stürzt endlich in einzelnen Teilen nach. So
tritt auch oberhalb der Zerstörungszone die Küste immer weiter
zurück, und es entsteht bei positiver (d. h. vom Erdmittelpunkte
sich entfernender) Verschiebung der Strandlinie eine schief von der
Küste gegen das Inland ansteigende Abrasionsfläche.
Diese durch die anstürmende Brandungswelle verursachte Zer-
störung schreitet freilich nicht überall auf gleiche Weise fort,
sondern erfolgt mehr oder minder schnell nach der Stärke der
Brandung und der Widerstandsfähigkeit und Lagerung des Ge-
steins. Am augenfälligsten ist die Wirkung dort, wo feste Schichten
(Granit, Gneis, Syenit, Basalt u. s. w.) von einzelnen Streifen
weicheren, nachgiebigen Gesteines (Kalkstein, Mergel, Sandstein
u. s. w.) unterbrochen werden oder wo weiche Gesteine vorherrschen
und nur hin und wieder ein härterer Gesteinsgang besseren Wider-
stand zu leisten vermag. Dann werden Höhlen und Tore geschaften
und bleiben Türme und Pfeiler übrig, wie wir sie auf unserem
Bilde an Helgolands Westküste sehen. Uber kurz oder lang
freilich siegt das Meer über jedes Hindernis, nur werden recht
spät gestürzte Inselpfeiler sehr oft als blinde Klippen den Schiffen
nur noch gefährlicher.
Auch Flachküsten fallen der Meereserosion zum Opfer (Nord-
seestrand!); aber nicht unablässig wirkt hier die Brandung zer-
störend, sondern hauptsächlich nur bei Windstau, wenn das Meer
weite Gebiete überschwemmt. Zerstörung und Neubildung gehen
an der Küste Hand in Hand. Die auf erosivem Wege losgetrennten
Festlandsteile verwendet das Meer dazu, anderwärts Landbildungen
vorzunehmen. Nachdem es dieselben zu Sand zerrieben hat, lagert
es diesen auf dem Meeresboden ab, der dann mitunter durch Wachs-
tum überseeisch wird, oder auf dem Strande selbst und liefert so
Material zur Dünenbildung.
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Der Hamburger Hafen.
Sind wir in Neustadt-Süderteil, dem südwestlichen Stadtteile
der inneren Stadt Hamburg-, etwa am Baumwalle, in einem der
vielstöckigen Häuser zum obersten Stockwerke hinaufgestiegen und
lassen wir unsern Blick nach Osten und Südosten schweifen, so über-
blicken wir den größten Teil des Hamburger Hafens, so, wie ihn
uns das folgende Bild wiedergibt.
In unmittelbarer Nähe sehen wir den Baumwall mit seinen
beiden Zollabfertigungsstellen. Von ihm aus führt die Niederbaum-
(Dreh-)Brücke hinüber zur Kehrwiederspitze. Östlich von beiden
.erstreckt sich der Binnenhafen, und an diesen schließt sich der
Zollkanal an. Er ist mit jenem und dem noch weiter stromab-
wärts liegenden Niederhafen dazu bestimmt, mit dem stromauf-
wärts liegenden Oberhafen und dem bis zum oberen Anschlüsse
an die Norderelbe reichenden Oberhafen-Kanale die Verbindung
der zollinländischen Ober- und Unterelbe untereinander und mit
der Wohnstadt1) jederzeit zu ermöglichen. Das Nordufer des
Binnenhafens und des 45 m breiten Zollkanales wird von einer
neuen sturmflutfreien Straße gebildet, die dem Ringstraßen verkehre
um die Wohnstadt dient und teilweise von einem tieferliegenden
Landungsquai bekleidet ist. Belebt sind die langen, die Straßen
*) Die Elbhäfen sind mit der Stadt von jeher durch ein System von Ka-
nälen verbunden gewesen; es sind das die Fleete, die von den die Stadt durch-
ziehenden Alsterarmen gebildet oder bei der Entwässerung der niedrigergelegenen
Stadtteile als Abzugskanäle angelegt wurden. Auf ihnen gelangt der Wasser-
verkehr bis in das Herz der Stadt und ist der Warentransport bis unmittelbar
an die Kaufhäuser und Warenspeicher, mit denen ihre Ränder fast ausnahms-
los besetzt sind, ermöglicht. An diesen Fleeten allein ist eigentlich noch ein
Stück des alten Hamburg zu finden: schmale und dabei außerordentlich hohe,
oft krumme und verdrückte Giebelhäuser, weit vorragende Kranbalken, über-
dachte holländische Winden, Vorgesetzte tief eingerammte und vom Zahn der
Zeit arg benagte Pfähle, einfache Holzbrücken u. s. w.
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stützenden Quaimauern durch Kasematten, Kräne und Landungs-
treppen. Nach Norden zu erblicken wir die Stadt selbst, und
über den ragenden Häusermassen erscheinen einzelne Türme, von
denen besonders der gewaltige Katharinenkirchturm mit seiner
zweimal durchbrochenen Spitze und der hohen kupfernen Krone das
Auge fesselt. Das Südufer des Binnenhafens und des Zollkanals
bildet ebenfalls eine neue breite Straße. Sie zieht sich auf dem
schmalen Inselstreifen hin, der zwischen dem Zollkanaie und dem
nächstgelegenen Elbhafen, dem Sandtorhafen, hinzieht und wird
an der Südseite von großartigen Speicherbauten begrenzt. Das
Siidufer bildet zugleich die Grenze des Zollgebiets gegen das Frei-
hafengebiet; sie geht (durch schwimmende Schranken bezeichnet)
bei St. Pauli quer über die Elbe und läuft an der Stadt entlang
bis zu den großen Elbbrücken, etwa 7 km.
Bis zum 15. Oktober 1888 bildete Hamburg mit den Städten
Altona und Wandsbeck ein gemeinsames zollfreies Gebiet; dann aber
wurde es an das deutsche Zollgebiet angeschlossen, und als
Freihafengebiet, in dem die zur Wiederausfuhr bestimmten
Waren den landesüblichen Zöllen nicht unterliegen1),
verblieb eine Fläche von 984 ha oder rund 10 qkm. 120 Millio-
nen Mark hat die erforderliche bauliche Umwälzung, die Expro-
priierung großer Wohnquartiere * 2), die Anlegung neuer Häfen, die
Erbauung der Quais, Speicher und festen Lagerschuppen gekostet.
Hamburg unter den deutschen Seehandelsstädten sowieso fast in
jeder Beziehung am meisten begünstigt, hat dadurch noch auch
einen mit allen modernen technischen Errungenschaften ausgestatteten
0 In den Freihafen fahren alle die Seeschiffe ein, deren mitgebrachte Waren
entweder ins Ausland befördert oder zu späterem Gebrauche im Inlande, also als
Vorrat in den Warenspeichern auf bewahrt werden sollen. In den im Zollgebiete
belegenen Häfen landen alle die Seeschiffe, deren Waren sofort dem Deutschen
Reiche zugeführt werden sollen, und die Schiffe, die Waren aus dem Freihafen
in die Stadt Hamburg und deren Hinterland einführen wollen Alle diese
Schiffe müssen die Zollgrenze passieren und da ihre Waren verzollen.
2) „Da in dem Freihafengebiete nur solche Wohnungen zulässig sind, die
für die Inhaber oder für das Aufsichtspersonal der daselbst verbliebenen indu-
striellen Großbetriebe oder im öffentlichen Interesse als dringend erforderlich an-
erkannt worden sind, so war die Umwandlung des als Freihafen hergerichteten
Gebietes mit einer beträchtlichen Verschiebung der Bevölkerung und dem Ab-
bruche einer großen Zahl von Wohnhäusern verbunden. Die Zahl der zum Um-
zuge genötigt gewesenen früheren Bewohner des jetzigen Freihafengebietes hat
mehr als 20c0o betragen.“ (Dilling.)
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Hafen erhalten, wie ihn ausgedehnter und großartiger wohl keine
Stadt der Welt besitzt. Durch die Einbeziehung der Wohnstadt
Hamburg in das deutsche Zollgebiet ist der Verkehr mit dem durch
Land- und Wasserwege vorzüglich verbundenen reich bevölkerten
Hinterlande stetig gewachsen und Hamburg mehr und mehr der
Mittelpunkt für Deutschlands Welthandel geworden. „Ein gesundes
lebenskräftiges Glied in dem jugendstarken Organismus des neu
geeinten Deutschen Reiches wuchs und erstarkte es mit diesem zu
einer in seiner Jahrhunderte alten, reichen Vergangenheit unge-
ahnten Blüte.“ a)
Die im Zollgebiete belegenen Häfen, soweit sie für Seeschiffe
bestimmt sind, umfassen den nördlichen Streifen der Norderelbe
Der Hamburger Hafen.
*) In welcher Weise sich Hamburgs Verkehr mit dem Auslande im Geben
und Nehmen entfaltet hat, erhellt daraus, daß von 1873 bis 1898 also seit der
Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches,
die Wareneinfuhr zur See
von 2138 Millionen Kilogramm und 953 Millionen Mark
auf 8895 n „ „ 2014
die Warenausfuhr seewärts
von 621 Millionen Kilogramm und 516 Millionen Mark
auf 3961 „ „ 149^
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von der Niederbaumbrücke stromabwärts bis zum Johannisbollwerke
und den an St. Pauli angrenzenden Teil des Stromes. Dieser wird
in seiner westlichen Hälfte namentlich als Löschplatz für Kohlen-
dampfer und Fischerfahrzeuge benutzt, während östlich davon die
Landungsbrücken für die mit der Unterelbe verkehrenden Dampf-
schiffe sich befinden; jener begreift die inneren Teile des Nieder-
hafens in sich, aus dem durch die Niederbaumbrücke die Einfahrt
in den Binnenhafen und den Zollkanal stattfindet.
Der Grenzschutz des Freihafengebiets wird je nach örtlichen
Verhältnissen verschieden bewerkstelligt, am Lande durch hohe
eiserne Gitter bezw. Planken, in der Elbe durch schwimmende
Palisadenreihen („spanische Reiter“) und an den Eingängen nach
dem Zollinlande zu Wasser und zu Lande mit Zollabfertigungsstellen.
Die durch die Stadt längs der Südseite des Zollkanals führende
Grenzstrecke ist auf ihrer ganzen Länge mit Zollstellen, sowie mit
landfesten und schwimmenden Abfertigungsschuppen besetzt und
wird samt dem angrenzenden Zollkanale während der ganzen Nacht
durch elektrische Bogenlampen taghell erleuchtet.
Das Freihafengebiet mißt etwa 5 km von Westen nach Osten
und nicht ganz 3 km von Norden nach Süden. Es gewährt gegen-
gestiegen ist. Die Massen und Werte der Ein- und Ausfuhr seewärts haben
sich also in dem Zeiträume der letzten 25 Jahre ganz außerordentlich vermehrt,
die Massen um das Vier- bis Fünffache, die Geldwerte um das Doppelte und
Dreifache, und es ist besonders bezeichnend, daß die Ausfuhr über See die
relativ stärkste Zunahme (537,8 und 189,3% gegen 311,3 und 100,3% zeigt.
Dieser Zunahme der Ein- und Ausfuhr entsprechend, hat auch der Schiffsverkehr
sowohl nach der Zahl, als auch nach der Ladefähigkeit der Schiffe beständig
sich gesteigert. Für das Jahr 1895 ist er aus folgender Übersicht zu ersehen:
Europäische Häfen Außereuropäische Häfen Zahl der
Segelschiffe Dampfschiffe Segelschiffe Dampfschiffe Schiffe insge- samt
Zahl Reg.-Tons Zahl Reg.-Tons Zahl Reg.-Tons Zahl Reg.-Tons
an 2151 278571 5906 3648486 446 416 325 940 1911111 9443
ab 2244 371348 5913 3746158 368 322352 921 1839 849 9446
Außerdem sind im Jahre 1901 von der Oberelbe angekommen
18299 beladene Frachtschiffe, 47 Holzflöße und 8235 unbeladene
Frachtschiffe, insgesamt 26581 Fahrzeuge
und nach der Oberelbe abgegangen
15589 beladene Frachtschiffe und 7482 unbeladene Frachtschiffe,
zusammen 23071 Fahrzeuge.
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wärtig in seinen künstlichen Hafenbecken eine Wasserfläche von
165 ha (= 1,65 qkm1), eine Quailänge von 16500 m, 10125 m ver-
fügbare Länge zu Liegeplätzen an Dukdalben im freien Wasser
und eine Schuppenlänge von über 5000 m mit einer bedeckten
Lagerfläche von über 100000 qm. Rechnet man die Durchschnitts-
länge der neueren Dampf- und Segelschiffe zu 80 m, so können
also über 300 große Seeschiffe gleichzeitig im Hafen liegen und
ihre Geschäfte abwickeln.
Den nördlichsten Teil des Freihafengebietes nehmen die
Speicherbauten ein. Durch ihre Anlage ist „die Warenlagerung
mehr, als das vor dem Zollanschlusse der Fall war, den Häfen
nahe gerückt und zugleich in der Nachbarschaft der Geschäftsstadt
erhalten worden. Auch ist durch die Unterbringung von Kontoren
im Freihafengebiete, welche für die gedeihliche Fortentwickelung
mancher Handelszweige unerläßlich war, dafür gesorgt worden, daß
die für die Überwachung und sorgsame Behandlung der Ware not-
wendige Verbindung zwischen Lager und Kontor aufrecht erhalten
geblieben ist.“ Die neuen Speicher erheben sich auf dem schon
erwähnten Inselstreifen, der sich zwischen dem Binnenhafen und
dem Zollkanale einerseits und dem Sandtorhafen anderseits etwa
1000 m lang hinzieht. Sie bedecken eine Grundfläche von mehr
als 40 000 qm, enthalten im Keller und in fünf bis sieben Geschossen
im ganzen etwa 250 000 qm Lagerfläche und dienen hauptsächlich
der zollfreien Lagerung der Waren. Jener Inselstreifen wird in
seiner ganzen Länge von einem 25 m breiten Fleetzuge —
Kehrwieder-, Brooks- und St. Annenfleet* 2) — durchschnitten, dessen
Sohle wie die des Zollkanals reichlich 2 m unter mittlerem Niedrig-
wasser der Elbe liegt, und dessen Mündung sowohl mit der zoll-
freien Elbe, wie auch mit dem zollinländischen Binnenhafen und
dem Zollkanale in Verbindung stehen (Westmündung auf dem Bilde!).
Durch ihn wurde es möglich, zwei Speicherreihen zu errichten,
deren Gebäude je eine Straßenfront und eine Wasserfront haben.
Das aber war nötig, weil in Hamburg der Warentransport nach
und von den Speichern vorwiegend zu Wasser, mit sogenannten
0 Unter Hinzurechnung der Zollhäfen ergibt sich für die sämtlichen Ham-
burger Häfen eine Wasserfläche von etwa 2,80 qkm.
2) Den Namen Fleet hat dieser Kanal in Erinnerung an den hier vordem
gelegenen, von über 16c0 Menschen bewohnten alten Stadtteil und dessen alte
Fleete erhalten.
6*