1903 -
Leipzig
: Wachsmuth
- Autor: Weigeldt, Paul
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Georg-Eckert-Institut Bs78
1 150 31
7 3
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Bei der Schenke steht eia Birkenwäldchen
Im melonenreichen Steppensande,
Dort erbaut sein Nest das scheue Birkhuhn,
Ungestört vom Lärm der Kinderhände.
Still verborgen duftet dort das Maßlieb
Und die dunkelblaue Anemone,
Schlang' und Eidechs' vor des Mittags Hitze
Flüchten unter eines Laubdachs Krone.
Fern, wo Erd' und Himmel sich berühren,
Ragen Obstbaumwipfel aus dem Dunkel,
Und dahinter, gleich 'ner Nebelsäule,
Glänzt's wie eines Stadtturms blaß Gefunkel.
Schön bist du — mir wenigstens, o Steppe,
Meiner Wiege, meiner Jugend Stätte!
Hier sei auch mein Sarg, mein Grabeshügel,
Denn ich will, daß man in dir mich bette!
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Orients versammeln sich hier in einem wahren Füllhorn des Über-
flusses („Goldenes" Horn!). Dazu kommt, daß der Verkehr der
ausgedehnten Weltstadt großenteils zu Wasser vor sich geht, und
so beleben das Goldene Horn von Sonnenaufgang bis zu ihrem
Niedergange auch eine ungeheure Zahl kleinerer Fahrzeuge, unter
denen die zierlichen Kaiks, die vom Ruderer geschickt fortbewegt
werden, zu den Charakterfiguren gehören („die Fiaker des Bosporus").
Über das Goldene Horn führen zwei große, etwa 450 m lange
und 10 m breite Brücken; eine derselben — eine eiserne Schiffs-
brücke — zeigt unser Bild. Diese Brücke ist ausfahrbar, und es
kommt ziemlich oft vor, daß sie mitten am Tage geöffnet wird,
um ein großes Schiff in den innern Hafenteil einzulassen. Die
Vorübergehenden sind dann einfach genötigt, eine geraume Zeit,
oft stundenlang zu warten, bis die Brücke wieder geschlossen wird.
Dies ist auch öfters des Nachts der Fall, und da die Brücke sich
einer sehr spärlichen Beleuchtung erfreut, so hat es schon mehrfach
Unglück gegeben. Das Schauspiel, das uns hier Natur und Menschen
bieten, ist eines der interessantesten und großartigsten der Erde.
Vor uns breitet sich das unübersehbare Häusermeer von Stambul
aus, überragt von den zahllosen, die „sieben Hügel" krönenden
hochragenden Kuppeln und Minaretts der Moscheen, hinter uns liegt
hinter einem Walde von Masten amphitheatralisch aufsteigend
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— 38 —
•Galata und über ihm. auf den Hügeln weiter bergan ziehend, Pera
mit seinen Palästen der europäischen Botschaften; unter uns zieht
sich einem Flusse gleich die weite Fläche des Goldenen Hornes hin
¡und gewährt uns mit ihrem meist klaren, tiefblauen Wasser und
■dem bunten Gewühl der Schiffe und Boote ein reizend abwechselungs-
volles Bild; hoch über uns endlich wölbt sich der schönblaue
Himmel und übergießt alles mit einem das Auge blendenden Glanz
und Schimmer.
Und auf der Brücke selbst! „Fast möchte man glauben, es
hätten sich alle Völker des Erdkreises darüber verständigt, hier
zusammenzutreffen und sich in einen gemeinsamen Strom zu ver-
einen, dessen Quellen unerschöpflich zu sein scheinen." Die Be-
völkerung von Konstantinopel ist eine überaus bunte, wie es der
Hauptstadt eines sich über drei Erdteile erstreckenden Reiches
entspricht, das eine große Anzahl sehr verschiedenartiger Völker
umfaßt. Alle Menschengattungen des Morgen- und Abendlandes,
alle Typen, die zwischen Indus, Nil, Donau, Themse und Seine zu
finden sind, zahlreiche Vertreter der Kulturländer des westlichen
Europas wandeln hier umher und erfreuen mit ihren malerischen
Trachten unser Auge; alle möglichen Gesichtsbildungen, von den
häßlich mougolisch-tartarischen bis zu den edelsten kaukasischen,
alle Farben der Haut, von der marmorweißen, ängstlich behüteten
bis zur dunkelgelblichen, ja tiefschwarzen sind hier vertreten.
Beim Betreten der Brücke fallen uns sofort einige Zöllner in
weißen, hemdartigen, taschenlosen Kitteln auf. Sie sind eifrig be-
müht, den Brückenzoll einzunehmen, den mit Ausnahme der Soldaten,
„Bettler und Straßenliunde" — so steht es im Tarif! — jeder
Vorübergehende entrichten muß. Unmittelbar hinter diesen Zoll-
einnehmern werden wir gleich allen anderen von einem Haufen
aufdringlicher Bettler, sowie von Verkäufern von Spielkarten, Zünd-
hölzchen, Schuhbändern u. s. w. belästigt. Männer, Frauen, Kinder,
zerfetzt, halb nackt, oder in zerrissenen, aus allen Farben zusammen-
gesetzten Kleidungsstücken, oft auch krüppelhaft, lahm, verstümmelt,
so treten sie uns entgegen und suchen, indem sie ihre Gebrechen
klagend zeigen, sie unser Mitleid zu erregen. Abweisen lassen sie
sich so leicht nicht; ihre Keckheit und Unverschämtheit ist meist
ohne Grenzen. Klappert endlich das Zehnparastück (etwa 5 Pfennig),
auf ihrem Almosenteller, so antworten sie mit allen erdenklichen
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— 40 —
dungsstücke unserer Art; bei jedem Ausgange aber werfen sie über
ihre (Haus-) Kleidung einen weiten ärmellosen Überwurf aus Seide
mit schillernden Farben, der den ganzen Körper, den Kopf inbe-
griffen, bedeckt. Die Füße stecken in eleganten Damenstiefeletten
mit hohen Absätzen. Das Gesicht ist tief verschleiert, um die
Stirn herum geht ein breiter Streifen, wie bei einer Nonne, und
von unten her deckt ein Tuch das Antlitz über den Mund bis her-
auf zur Nase. Somit bleiben nur die Augen mit ihren tiefschwarz
gefärbten Brauen frei, wenn nicht die Verhüllung — wie wir es
bei einer der Damen beobachten können — von durchscheinender
Feinheit ist. Gegen das wenige Sichtbare schützt auch noch ein
(bei jeglichem Wetter aufgespanntes und) klug gerichtetes grell-
farbiges Sonnenschirmchen. Auffallend still und offenbar in der
Absicht, möglichst wenig bemerkt zu werden, gehen die Frauen
ihren Weg.
Da taucht plötzlich ein mißgestalteter, schwarzer Eunuche
auf; laut: guarda („Platz!") rufend, eilt er einer mit Blumen und
Vögel ein bemalten türkischen Equipage vorauf, auf der ein reich-
gekleideter Kutscher und ein Bedienter sitzen, und aus deren
Innerem durch kleine, rundliche Öffnungen, die die Stelle der Fenster
vertreten, vornehme Türkinnen in buntfarbigen seidenen Mänteln
und weißen Schleiern verstohlen hervorlugen. Abendländische
Frauen würden sich bei allem Glanz für die Ehre bedanken, gleich
gekleidet in solchem Kasten spazieren zu fahren. Dicht hinter der
„Equipage" tragen armenische Lastträger an langen Stangen eine
mit Perlmutter und Elfenbein ausgelegte Sänfte, auf deren seidenen
Kissen eine mit Brillanten behängte Dame ruht; zu beiden Seiten
gehen Beduinen, in lang herabfallende weiße Mäntel gehüllt.
Jetzt fesselt ein türkischer Priester unsern Blick. Würdevoll
schreitet er dahin. Über seinem dunkelgelben Leibrock hängt ein
langer hellgelber Talar; schwefelgelbe Pantoffeln, weiße Strümpfe
und ein blendendweißer Turban, in dessen Mitte ein kleiner roter
Fes liegt, vollenden seinen prächtigen Anzug. Um den Turban
hat er noch ein grünes Tuch geschlagen; es ist dies das Zeichen,
daß er die heilige Fahrt nach Mekka schon gemacht hat. An
diesem Türkenpriester in seiner farbenreichen Kleidung eilt jetzt
gerade ein griechisch-orthodoxer Pope mit schwarzem Talar und
hohem schwarzem Barett vorbei, und etliche katholische Nonnen
gehen langsam mit gesenkten Blicken einher. Mit heiserer Stimme
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— 6 —
Den ganzen Raum des jetzigen Marschlandes nahm ursprüng-
lich ein weites Haff ein, in das Rhein, Maas und Scheide, sowie
die kleineren Flüsse mündeten. Sobald das Flusswasser in dieses
Becken eintrat und sich über dessen Spiegel ausbreitete, nahm seine
Geschwindigkeit ab, und die mitgeführten Schlammmassen mussten
zu Boden fallen. So wurde das Mündungsbecken seichter und
seichter, bis endlich die Ablagerungen über den Wasserspiegel
emporwuchsen. Durch die Ueberströmungen derselben bei Hoch-
wasser und den darauf erfolgenden Niederschlag der mitgeführten
Sinkstoffe wurden diese Landstriche höher und höher. Dazwischen
strömten die Flüsse, ein- und mehrarmig, bald links, bald rechts
ausweichend, und erhöhten nach und nach nicht nur ihr Bett,
sondern bei jedem bedeutenderen Steigen ihres Wassers auch ihre
ganze Umgebung, die sich immer mehr zusammenschloss.
Neben den Sinkstoffen der Flüsse war es — wie in allen
Deltagebieten — vegetabilische Tätigkeit, die den Landgewinn
förderte. An den zwischen den Stromarmen sich gelegentlich er-
haltenden Wasserspiegeln stellte sich das Rohr ein, durchzog mit seinen
dicken, kriechenden, schnellwachsenden Wurzeln in tausend Schlangen-
windungen den Boden, füllte die muldenartigen Vertiefungen all-
mählich mit einem dichten Filze von Wurzelwerk und Moderstoffen
aus und machte schliesslich, wenn nicht jedes Hochwasser mehr
überströmte, einem üppigen Wiesenwuchse Platz. In sumpfigen
Gegenden siedelten sich torfbildende Pflanzen an und wuchsen bald,
immer neue Schichten abgestorbener Pflanzenteile unter sich be-
grabend, in das Niveau ihrer Umgebung-. So entstanden die aus-
gedehnten Grünlandsmoore, die fast das ganze Marschengebiet land-
einwärts umgeben, sich aber auch mitten in dem fruchtbaren Schlamm-
boden finden.
Auch das Meer hat viel zur Entstehung der Marschen bei-
getragen. Vor dem festen Lande schlickt es bei seiner geringen
Tiefe am Rande und der täglich mehrmals wiederkehrenden ausser-
artig gestalteten Blumen. Zum Veilchen muss man sich herablassen, man muss
mit ihm intimen Umgang pflegen, um es ganz würdigen zu können. Die nieder-
ländische Natur darf man ebensowenig bloss beschauen, man muss in ihr längere
Zeit gelebt haben, man muss womöglich in ihr geboren und aufgewachsen sein,
um ganz mit ihr vertraut zu werden und die versteckten Eeize an ihr zu ent-
decken. Sie ist keine imposante Schönheit, die jedermanns Beifall heischt, sie
ist wie die Geliebte, die Graf Egmont in irgend einem Winkel der Vorstadt
aufsucht."
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_ 42 —
Hier auf dieser wunderbaren Landzunge, die gleichsam wie
ein Arm Europas hinüberreicht nach dem schimmernden Asien, da
wo zwei Weltteile einander grüßen, steht das alte Serail, der
Kaiserpalast, das Schloß der osmanischen Sultane.1) Das Ganze
bildet eine Stadt für sich und wird von 6—7000 Einwohnern be-
wohnt. Es ist von einer mit Zinnen und viereckigen Türmen ver-
sehenen Mauer umgeben, die eine Stunde lang ist und 12 Tore hat.
Beim Bahnhofe beginnend, steigt sie allmählich bis zur Sophien-
moschee empor, senkt sich dann auf der anderen Seite wieder zum
Marmarameer und schließt weiter die ganze Landspitze von Stambul
ein. Von der teilweise noch aus der Zeit Konstantin des Großen
stammenden Mauer der Seeseite wurde viel beim Bau der Eisen-
bahn niedergerissen. Aus vielen Gebäuden und Gartenanlagen be-
stehend, mit seinem Wechsel von phantastischen Kiosken, von ver-
goldeten Dächern und Kuppeln und den emporragenden Cypressen
bietet das Serail nach der Seeseite hin einen großartigen Anblick
dar. Im Innern sieht es freilich anders aus; der Park z. B. hat
„seine Reize in einem Grade verloren, daß er bei seiner Verwahr-
losung, seinen Schutthaufen und grasüberwucherten Pfaden kaum
mehr daran zu mahnen vermag, welchen märchenhaften Zauber er
einst hütete. Keine sorgsame Hand rettet hier das Andenken an
einstigen Glanz und verschollene Größe."
Das Innere des Serails ist in zwei große Vorhöfe und den eigent-
lichen Palast geteilt. Der Besuch des äußeren Serailhofes ist jedem
gestattet, aber zur Besichtigung der inneren Höfe und des Palastes
selbst ist ein Erlaubnisschein vom Oberceremoniennieister des Sultans
erforderlich, und dieser wird nur ganz bevorzugten Fremden erteilt.
Geht man durch das Kaisertor, so heißt der Haupteingang, in das
Innere des Serails, so gelangt man in den ersten Hof. Ei' ist etwa
Die ersten Sultane Konstantinopels wohnten im E ski-Serail (alten
Palast), das am heutigen Seraskierat-Platz (westlich vom Südende der Brücke,
also außerhalb des Bildes) stand und jetzt verschwunden ist. Später diente
der Palast der Serailspitze, das Jeni-Serail (neuer Palastj als Residenz, während
die Haremsfrauen das Eski-Serail bewohnten. Nachdem nun die Sultane in
den Palast von Dolma-Bagtsche (am europäischen Ufer des Bosporus un-
weit Galata) übersiedelten, wurde der Palast an der Serailspitze auch Eski-
Serail genannt und den Sultaninnen als Wohnung angewiesen. Der gegen-
wärtige Sultan residiert in Yildis-Kiosk, das hoch über Dolma-Bagtsche auf
einem Uferberge thront; Dolma-Bagtsche selbst dient den kaiserlichen Prinzen
als Wohnung.
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— 43 —
500 Schritt lang und enthält außer einem herrlich beschatteten Spring-
brunnen und einem Rasenplätze Kasernen, Wachen, eine Münze, ein
Zeughaus, ein Krankenhaus, Bäckereien und einen Marstall. Eine
kleine Allee verfolgend, gelangt man endlich zu der eigentlichen, von
Soldaten und Eunuchen bewachten Serail-Eingangspforte, dem
Mitteltor. Es ist ein Doppeltor; äußerlich zwar mit farbenreichen
Verzierungen und vergoldeten Inschriften geschmückt, birgt es in
seinem Innern die berüchtigte Henkerstube, in der früher die
Großen des Reiches hingerichtet wurden, wenn sie in Ungnade
gefallen waren. Hier mußten auch die fremden Gesandten ver-
weilen, bis sie zur Audienz beim Sultan gemeldet und zugelassen
wurden. Hinter dem Tore öffnet sich der zweite Serailhof. In
ihm befinden sich u. a. 9 Küchen und die Speisekammern des
Sultans, sowie das Gebäude des Thronsaales (oder Saal des Diwans),
in dessen einem Saale der Sultan den fremden Gesandten, durch
ein Gitter von ihnen getrennt, Audienz erteilte, während im an-
deren der Großvezier den Reichsrat (Diwan) abhielt. In den dritten
Hof gelangt man durch das „Tor der Glückseligkeit." Auch in
ihm tritt uns das Bild der Verwüstung entgegen und doch birgt
er überaus Wertvolles, Unschätzbares in Menge. In ihm befinden
sich neben mehreren Kiosken, Moscheen, Bädern u s. w. die
Bibliothek des Sultans, die kaiserliche Schatzkammer und — das
Gemach des heiligen Mantels. In dieses Zimmer begibt sich der
Sultan alljährlich einmal, um die heiligen Reliquien (es sind außer
dem Mantel des Propheten noch andere heilige Reste hier aufbe-
wahrt) des Islam zu verehren.
Gehen wir nun, nachdem wir das Serail wieder verlassen haben,
vom Kaisertore nach dem Hafen zu weiter an der Mauer fort, so
treffen wir auf ein langes, von einem Vorhofe umgebenes Gebäude,
(S. Bild!) das außer der Mauer an einem vorspringenden Winkel
derselben liegt. Es heißt die Hohe Pforte, obgleich sich bei
ihm kein Tor befindet, durch das man in das Serail gehen könnte.
In ihm wohnt der Großvezier; zugleich befinden sich aber auch
die Kanzleien aller Ministerien in diesem Gebäude, und es werden
in ihm gegenwärtig die Ministerberatungen oder Diwans abgehalten.
Nach der anderen Seite wandernd, führt uns der Weg an der
Mauer hin an die Sophienmoschee und rechts abbiegend, an die
Achmedmoschee. Die Sophienmoschee ist die prächtigste Kirche
im Kuppel- (byzantinischen) Baustile. Von Konstantin d. Gr. der