1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
20 Das römische Reich unter den Imperatoren.
sie ihn und sicherte durch die Prätorianer dem Nero die Herrschaft.
Von ihm konnte das Reich bessere Zeiten erwarten, weil er sich der
Leitung seiner Erzieher, des stoischen Philosophen Seneca und des die
Prätorianer befehligenden Burrus, hingab. Doch die Ausschweifungen
der frühen Jugend hatten ihn bereits so verdorben, daß andere Einflüsse
leicht die Oberhand gewannen. Da durch seinen Verkehr mit lasterhaf-
ten Genossen auch Agrippina ihr Ausehn bedroht glaubte, zerfiel sie mit
ihm und zog dadurch dem Britanniens, der nun für Nero furchtbar
wurde, den Tod durch Vergiftung zu. Sie selbst aber wurde ein Opfer
der Grausamkeit ihres Sohnes, als dieser, obgleich er von Claudius
mit dessen Tochter Octavia vermählt worden, die Poppäa zur Gemah-
lin verlangte und durch diese von Schandthat zu Schandthat fortgerissen
wurde. Seine Lasterhaftigkeit brachte ihn in einen Zustand von Verrückt-
heit, indem die innere Unruhe durch immer neue Mittel beschwichtigt
sein wollte. Diesem Zustand wird es zugeschrieben, daß er Rom an-
zünden ließ, um sich an dem Schauspiele des Brandes zu weiden. Die
Schuld dieses Frevels wälzte er auf die damals schon in Rom zahlreich
gewordenen Christen. Ohne Zweifel benutzte Nero hierbei eine unter
den Römern verbreitete Stimmung, die den Christen ungünstig war.
Ihre Lehre hatte sie im häuslichen und öffentlichen Leben in einen Ge-
gensatz zu herrschenden Sitten und Gebräuchen gebracht und ihre Ver-
breitung verletzte den Vortheil Aller, die für den Götterdienst und die
damit verbundenen Lustbarkeiten arbeiteten. So war das Volk leicht
gegen die Christen aufzuregen und dieselben wurden, wenigstens in der
Stadt Nom, vier Jahre lang (64 — 68) verfolgt und viele von ihnen
unter grausamen Qualen getödtet. Die enge Verbindung, in welcher
der Götterdienst mit dem Staatswesen stand, ließ die Bildung der christ-
lichen Gemeinde als eine die öffentliche Wohlfahrt gefährdende Absonde-
rung erscheinen und der schweigende Vorwurf, den das Leben der Chri-
sten gegen die herrschende Sittenlosigkeit bildete, waffnete die Verfolger
mit um so stärkerer Wuth. Tiberius soll auf die Kunde von dem Leben
und Tode des Heilandes denselben unter die Götter Roms haben auf-
nehmen wollen, wie es von jeher römische Sitte gewesen war, die
Götter unterworfener Völker zum Gegenstände der öffentlichen Verehrung
zu machen, indem so die Unterwürfigkeit der Besiegten gesichert zu sein
schien. Schon unter Claudius aber scheint die Aufregung gegen die
Christen losgebrochen zu sein. Denn die Nachricht, daß die Juden
wegen eines unter Christus erhobenen Tumultes aus Rom vertrieben
worden seien, ist daraus zu erklären, daß die Christen, wie ein großer
Theil von ihnen zu den Nachkommen der schon lange, namentlich seit
Pompejus' Zeit, in Nom ansässigen Juden gehörte, auch als eine Klasse
der Juden angesehen wurden, und daß die Kunde von Christns, den sie
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Das römische Reich unter den Imperatoren. 21
als ihr Haupt verehrten, sich zu der Annahme eines fast gleichnamigen
Leiters ihrer angeblichen Empörung entstellte. Planmäßiger und dauern-
der war der Angriff, den sie unter Nero auszuhalten hatten. Es ver-
banden sich damit förmliche Gesetze, die auf Ausrottung des Christen-
thums zielten» In dieser Verfolgung, mit der sich eine lange Reihe
von Verfolgungen eröffnete, starben auch die Apostel Petrus und Paulus,
von denen der erstere 25 Jahre lang an die römische Gemeinde geleitet
hatte, der zweite auf seinen Reisen dahin gekommen war. So
stehen die beiden Apostel, von denen der eine durch den Willen des
Herrn an die Spitze der Kirche gestellt war, der andere die Sendung
der Ausbreitung der Lehre unter den Heiden erhalten hatte, in vorderster
Reihe unter den Märtyrern, welche durch den Tod Zeugniß für ihren
Glauben gegeben und durch diese im Leiden erfochtenen Siege das Heiden-
thum mit unwiderstehlicher Gewalt erschüttert haben. Die Verfolgung
erreichte ein vorläufiges Ende mit dem Tode dessen, der sie verhängt
hatte. Nero gesellte zu seiner Grausamkeit noch die Thorheit, als Schau-
spieler auf den Theatern von Nom und als Wagenlenker und Sänger
bei den Festspielen der Griechen glänzen zu wollen. Während dessen
wurde das Volk zu Rom durch Spiele und Kornspenden, woran es
seit Beginn der Alleinherrschaft gewöhnt gewesen, in Ruhe erhalten.
Ein in Rom gemachter Versuch, dem Reiche einen andern Herrscher zu
geben, war mißlungen und bei der blutigen Bestrafung des Beginnens
kostete der Verdacht einer Theilnahme an demselben, nachdem Burrns
schon vor Jahren gestorben war, dem längst alles Einflusses beraubten
Seneca das Leben. Dagegen hatte ein von Gallien ausgehender Ver-
such wirklichen Erfolg. Eine von Julius Binder geleitete Empörung
verbreitete sich im Jahre 68 über das südliche Gallien, und der das
tarraconische Spanien verwaltende Galba wurde zur Uebernahme der
Herrschaft aufgefordert. Binder erlebte das Ende des Unternehmens
nicht, da er von den obergermanischen Legionen, die für ihren Feldherrn
Rufus die Herrschaft verlangten, ohne dessen Befehl bei Vesontio ange-
griffen wurde und im Kampfe unterging. Galba verfolgte, durch Rufus
verstärkt, seinen Weg über die Alpen, und da die Prätorianer für ihn
gewonnen wurden, floh Nero aus Rom auf ein Landgut und gab sich
bei Annäherung von Verfolgern den Tod. So war über die Herrschaft
von den Provinzen aus entschieden. Doch verfloß noch einige Zeit, ehe
diese neue Art, Herrscher zu erheben, eine die Unruhe und das Unglück
Roms unterbrechende Herrschaft begründete.
3. Galba's Stelle nahm im Jahre 69 Otho ein, der als Statt-
halter Lusitaniens sich für ihn erklärt hatte, aber, da er seine Hoffnung,
mittelst Adoption die Nachfolge zu erhalten, getäuscht sah, die Prätorianer
gegen den durch Strenge und Sparsamkeit ihnen verhaßten neuen Herrscher
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Das römische Reich unter den Imperatoren.
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blieben, drang der zur Unterdrückung des Aufstandes abgeschickte Petilius
Cerealis leicht in das Gebiet der Lingonen an der oberen Maas und
der Trevirer an der Mosel vor und, da dem Verfahren der Verbünde-
ten Nachdruck und Planmäßigkeit gebrach, ward ganz Gallien noch im
Jahre 70 wieder unterworfen und die Bataver, deren Bekämpfung
schwieriger war, gingen, obgleich mehrmals geschlagen, ohne Verände-
rung ihrer bisherigen Stellung aus dem Kriege hervor.
5. Langwieriger als der batavische Krieg war der Krieg, mittelst
dessen eine Empörung der Juden niedergeschlagen wurde. Das ganze
Ereiguiß ist auch bedeutsamer, weil es in der Reihe der von Gott zur
Wiederherstellung des Menschengeschlechtes unmittelbar getroffenen An-
ordnungen eine Stelle einnimmt, weil es die Geschichte des auserwähl-
ten Volkes der alten Zeit schließt und das von Christus geweissagte Ge-
richt über dasselbe bildet. Die unmittelbare Herrschaft, welche die Römer
in Judäa durch Procuratoren geführt hatten, war unter Claudius mit
einer mittelbaren vertauscht worden, indem an die Spitze des Volkes
ein Mitglied der Familie des Herodes trat. Vielleicht war das bei
der scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeit des Volkes unvermeidliche
Widerstreben gegen die römische Herrschaft so mächtig, daß dieses Aus-
kunftsmittel zur bequemeren Beherrschung gesucht werden mußte. Da-
durch verlängerte sich das Bestehen des Volkes über die Zeit hinaus, wo
es seinen Beruf als Volk erfüllt und die Erfüllung eines neuen über
die Schranken seines nationalen Lebens hinausreichenden Berufes von
sich gewiesen hatte. Während es seine Herrlichkeit darin hätte finden
sollen, den Völkern der Erde Verkünder der in Christus erschienenen
Wahrheit zu sein, suchte es sie, da es dieser Wahrheit sich verschloß,
in Bewahrung seiner nationalen Abgeschlossenheit. Doch auch diese Ver-
längerung, welche das staatliche Lebendes jüdischen Volkes erfuhr, diente
der Gründung der christlichen Kirche. Noch bildete der jüdische Staat
den Boden für die Wirksamkeit der Apostel, die bei einer früheren Er-
schütterung desselben keine Wirksamkeit unter den Juden gehabt hätten.
Auch mußten die zahlreichen Niederlassungen der Juden in der Fremde,
die, aus dem staatlichen Verbände gelöst, das Wort Gottes mit größe-
rer Bereitwilligkeit als die Brüder in der Heimath aufnahmen, so lange
an dem Tempel zu Jerusalem ihren religiösen Mittelpunkt behalten, bis
sie durch die Thätigkeit der Apostel zu christlichen Gemeinden umgewan-
delt waren. Der neue Herrscher, den die Juden unter Claudius er-
hielten, war Herodes Agrippa, Sohn eines der beiden Söhne des ersten
Herodes und der Mariamne, welche auf Befehl des tyrannisch wüthen-
den Vaters hingerichtet worden waren. Schon Caligula hatte den Hero-
des, der in Rom erzogen und von Tiberius eingekerkert worden war,
mit der Tetrarchie des verstorbenen Philippus beschenkt, und als Herodes
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Das römische Reich unter den Imperatoren.
Antipas auf Antrieb seiner Gemahlin Herodias in Rom eine Erweite-
rung seiner Tetrachie zu erwirken suchte, war er in Folge von Agrip-
pa's Gegenwirkungen nach Lugdunum verbannt und seine Tetrarchie
ebenfalls diesem verliehen worden. Um diese Zeit war in Judäa große
Aufregung wegen der Weigerung der Juden, ein Standbild des Cali-
gula zu göttlicher Verehrung in ihrem Tempel aufstellen zu lassen.
Agrippa, der in dieser Zeit wieder in Rom erschienen war, bewog den
Caligula, die Durchführung der angeordneten Maßregel zu verschieben
und, da er bei dem bald erfolgten Tode desselben zur Erhebung des
Claudius mitwirkte, erhielt er zu seinem bisherigen Gebiete Judäa und
Samaria. Rach der Furcht, in welcher Caligula die Juden erhalten
hatte, erschien ihnen der Enkel der hasmonäischen Mariamne als ein
Netter. Ihren Erwartungen zu entsprechen, ließ er Jerusalem befesti-
gen und verfolgte die Christen, wobei Jakobus der Aeltere hingerichtet
und auch an Petrus Hand gelegt wurde. Seit seinem im Jahre 44
erfolgten Tode war das Land in wilder Gährung. Räuberbanden,
welche durch die Erbitterung gegen die Römerherrschaft sich bildeten und
täglich wuchsen, Betrüger, welche die fortdauernde Erwartung eines
Messias zur Täuschung der Menge benutzten, verbreiteten Aufregung
und Unsicherheit. Das hohepriesterliche Amt war ohne Ansehen, weil die
Entartung des Priesterthums den Machthabern häufige Gelegenheit gab, die
Träger des höchsten Priesteramtes zu wechseln. Das Recht, dieses Amt
zu besetzen, war erst von den Procuratoren, dann von Agrippa geübt
worden, kam aber nach Agrippa's Tode an dessen Bruder, der gleich-
falls Herodes hieß, den Beherrscher der am Libanon gelegenen syrischen
Landschaft Chalcis und, als dieser gestorben war, mit jener Landschaft
an des Herodes Agrippa gleichnamigen Sohn, dem so die unlösbare
Aufgabe zufiel, zwischen den Juden und den römischen Procuratoren zu
vermitteln. Unter dem willkührlich und grausam schaltenden Gessius
Florus führte im Jahre 66 die Weigerung, dem Kaiser zu opfern, einen
förmlichen Aufstand herbei und Vespasianus erschien als Rero's Feldherr
in Palästina. In Galiläa widerstand ihm einige Zeit der durch seine
Mutter von den Hasmonäern abstammende, zu den Pharisäern gehö-
rende Josephus, der bei Eroberung der Feste Jotapata gefangen wurde,
später durch Vespasianus die Freiheit erhielt, dessen Gentilnamen Fla-
vins annahm und nach Beendigung des jüdischen Krieges zu Rom in
griechischer Sprache die Geschichte dieses Krieges, sowie die ältere Ge-
schichte seines Volkes schrieb. Die Fortschritte der römischen Waffen
unterbrach Vespasianus' Erhebung zum Herrscher des Reiches. Der
Krieg wurde aber beendet durch seinen gleichnamigen Sohn, der nur
zum Unterschiede von ihm mit seinem Vornamen Titus genannt wird.
Im Jahre 70 wurde Jerusalem erobert, nachdem die Juden, ungeachtet
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Das römische Reich unter den Imperatoren.
(96 — 98), Ulpius Trajanus (98 — 117), Aelius Hadrianus (117 —
138), Antoninus Pius (138—161), Marcus Aurelius Antoninus
(161 — 180), deren persönliche Vorzüge den Schein erregen können,
als habe das römische Reich sich unter ihnen zu neuer Stärke erhoben
und als habe die Menschheit durch sie ein lang entbehrtes Glück genos-
sen. Doch ihre Vorzüge konnten den Gang der Auflösung, die im
Innern unaufhaltsam fortschritt, und die Zertrümmerung, welche von
Seiten benachbarter Völker drohte, nur verschieben. Es fällt nur auf
die Thaten der Herrscher das Licht geschichtlicher Kunde, und darum
entzieht es sich dem Blicke, wie weder die ausgedehnten Länder des
Reiches einen früheren Wohlstand herftellten, noch durch sittliche Verbesse-
rung das Leben eine neue Grundlage erhielt. Das Christenthum brei-
tete leise und ungesehen sich aus, bot den Einzelnen, die sich ihm zu-
wandten, Trost und Rettung, entzog aber, so lange es keine Gewalt
über das öffentliche Leben erlangte, dem aus heidnischem Boden erwach-
senen Reiche die besten sittlichen Kräfte und weckte in dem Heidenthum,
das die Nothwendigkeit seines Unterganges nicht einsah, das Bedürfniß
einer gewaltsamen Gegenwehr, während welcher es auf dessen Kosten
immer mehr erstarkte. Selbst mit neuen Staatseinrichtungen war nicht zu
helfen, da die Monarchie ebenso wenig in bestimmter Abgrenzung der
Negierungsgewalt einen Halt besaß, als eine Idee von Negentenberuf
die Herrscher zu einer das Leben in allen Beziehungen durchdringenden
Thätigkeit leiten konnte. Selbst das Verhältniß der Provinzen zu Ita-
lien war der Art, daß eine Gliederung der Regierungsgeschäfte, wie
sie zu einer sichern und regelmäßigen Thätigkeit in allen Kreisen des
Lebens erforderlich gewesen wäre, nicht eingeführt werden konnte. Das-
jenige Wachsthum des Staates, das in einem festen Anschließen und
Anbilden der neu gewonnen Theile bestand, hatte nicht über Italien
hinausgereicht und, wenn auch in den westlichen Provinzen römisch-
griechische Bildung und lateinische Sprache Wurzel faßten, so blieb die
Verbindung aller Provinzen mit dem von den Nebeln der Zeit am
stärksten betroffenen Italien so lose, daß nur durch die Besteurung eine
Beziehung von politischer Art bestand und nur die Legionen den Zu-
sammenhang erhielten. Was über dieses Schicksal der Provinzen be-
ruhigt, ist nur der Gedanke, daß ihre Völker ebenso, wie die Römer
dem Dienste falscher Götter und dem damit zusammenhängenden sittlichen
Unglück verfallen waren und durch ihre Aufnahme in das Reich den
Weg zur Theilnahme an der von dem Christenthum ausgehenden Er-
neuerung fanden. So mußte auch das Handeln der besseren Herrscher
das Gepräge der Willkühr tragen und ihre Thätigkeit stets nach dem
augenblicklich am meisten hervortretenden Bedürfnisse sich auf einzelne
Punkte richten, ohne daß eine planmäßig ordnende und schaffende Wirk-
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28 Das römische Reich unter den Imperatoren.
durch Einfachheit, in das öffentliche Leben wieder Ehrbarkeit gebracht
hatte, verschaffte seinem Verwandten Hadrian, unter dem Vorgeben,
daß er adoptirt sei, die Nachfolge.
9. Nach dem kriegerischen Trajanus entwickelte Hadrianuö eine
sehr nachdrückliche friedliche Thätigkeit durch Sicherung der Grenzen,
Regelung der Verwaltung und Sorge für die Rechtspflege. Seine
Bemühungen umfaßten das ganze Reich, dessen sämmtliche Provinzen
er im Laufe seiner Negierung bereiste. Die Eroberungen im Morgen-
lande gab er als unhaltbar auf. In Britannien zog er die Grenze
zurück und befestigte sie durch einen von der Bucht Solway bis zu der
Mündung des Flusses Tyne quer durch die Insel laufenden, mit Thür-
men versehenen Wall. Von ihm, wenn nicht angelegt, so doch ver-
vollständigt und vervollkommnet, ist auch eine große Befestigung der im
südwestlichen Germanien östlich vom Oberrhein und nördlich von der
Oberdonau allmälig vorgeschobenen römischen Grenze. Schon längst
mochte man, um die Befestigung der Grenzen zu verstärken, auch jen-
seits der beiden Ströme Eastelle gründen, zwischen welchen in der Folge
Wälle, Gräben und Pfahlhecken angelegt wurden. So war eine Befesti-
gungslinie entstanden, welche von dem nördlichsten Punkte des Donau-
laufes bei Regina Castra eine Strecke weit sich neben der Donau west-
wärts hinzog und am obern Neckar sich nordwärts wandte, um mit
Ueberschreitung des untern Main und der untern Lahn den Rhein bis
gegen Köln zu begleite«. Das Land, das so jenseits der Ströme noch
zum Reiche gehörte, hieß das decnmatische Land oder Zehntland, weil
es als Staatsgut an die verbliebene oder zurückgekehrte, theils gallische,
theils germanische Bevölkerung, vielleicht auch an ausgediente Soldaten
verpachtet war. Die Verwaltung zu regeln, schuf Hadrian eine Anzahl
von Aemtern und traf eine regelmäßige Vertheilung der Geschäfte, durch
welche der Herrscher zu den verschiedenen Arten der Verwaltungsthätig-
keit in nähere Beziehung trat, daß sich hierin ein weiterer Schritt in
der Ausbildung der monarchischen Verfassung erkennen läßt. Eine
Folge hiervon war eine strengere Beaufsichtigung der Statthalter, die
sich gewiß auch auf die seuatorischen Provinzen erstreckte und so den
Unterschied derselben von den imperatorischen verminderte. Zugleich
entsprach dem Bestreben nach Vereinigung der Regierungsthätigkeit in
der Hand des Herrschers auch die immer häufiger erfolgende Verleihung
des Bürgerrechtes oder wenigstens des latinischen Rechtes an Städte
und Gegenden, wodurch der Kreis willkührlichen Walteus der Statt-
halter beschränkt wurde. Ein gleiches Bestreben tritt auf dem Gebiete
der Rechtspflege hervor, welche nun durch Sammlung der prätorischen
Entscheidungen, wie sie Salvius Iulianus veranstalten mußte, größere
Bestimmtheit erhielt und, obgleich auch in der Folge immer im Namen
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Das römische Reich unter den Imperatoren. 31
Nachdem sie von hier zurückgedrängt waren, zog sich der Krieg bis
zum Tode des Aurelius in den Donaugegenden, wo Carnuntum und
Vindobona die Hauptwaffenplätze der Römer waren, diesseits und jen-
seits des Stromes unter wechselndem Glücke hin. Die Waffen erwiesen
sich weniger wirksam als Verträge, durch welche einzelne Schaaren in
römischen Sold traten, um die Kriegslust durch Theilnahme an der
Grenzvertheidigung zu stillen und in dem römischen Gebiete angesiedelt
zu werden. So begann ein von der Noth vorgeschriebenes Verfahren,
welches die fremden Völker nicht bloß als äußere Feinde an der Zer-
störung des Reiches arbeiten ließ, sondern bei seiner in der Folge immer
ausgedehnteren Anwendung dieselben vermöge des mit ihnen in das
Reich eindringenden fremden Geistes zu Werkzeugen innerer Auflösung
machte. Diese Erscheinung entwickelte sich um so stärker, als Verhält-
nisse, wie sie sich jetzt an der mittleren Donau gezeigt hatten, bald auch
an anderen Stellen der Reichsgrenze hervortraten. Dazu bildete sich im
Innern nach Aurelius für ein Jahrhundert lang an der Stelle einer von
kräftigen Imperatoren geführten Negierung eine die Imperatoren in
raschem Wechsel erhebende und stürzende Soldatenherrschaft, welche die
Vertheidigung nach Außen schwächte und das Reich durch zeitweilige
Vereinzelung von Provinzen theilte. Ein Vorbote solcher Erscheinungen
war schon unter Aurelius die Empörung des Avidius Cassius, die nur
deshalb leicht beendet wurde, weil der seiner Strenge halber unbeliebte
Feldherr ermordet ward und Aurelius, der während einer Unterbrechung
des Markomannenkrieges nach Asien ging, durch Milde die Gemüther
bezwang und die Rückkehr zur Pflicht erleichterte.
11. Die römische Literatur bis zum Ende der Reihe besserer
Herrscher, oder die römische Literatur in ihrem silbernen Zeitalter, zeigt,
wenn gleich an bedeutenden Erscheinungen reich, eine immer größere
Zurückgezogenheit von dem öffentlichen Leben. Zm ersten Jahrhundert
behandeln epische Dichter theils entlegene Erzählungen griechischer My-
thologie, Valerius Flaccus die Argonautenfahrt und Papinius Statius
die Geschicke des Oedipus, theils für dichterische Behandlung ungeeig-
nete Begebenheiten der römischen Geschichte, Annäus Lucauus den
Bürgerkrieg zwischen Cäsar und Pompejus, Silius Italiens den zweiten
punischen Krieg. Hat die Abkehr von der Gegenwart in diesen Wer-
ken für die Dichtung keine erheblichen Früchte getragen, so war sie
desto nützlicher auf dem Gebiete der Gelehrsamkeit. Plinius Secundus,
der im Jahre 79 bei dem Ausbruche des Vesuv durch das Verlangen,
die Erscheinung aus der Nähe zu beobachten, den Tod fand, hinterließ
in seiner Naturgeschichte die geordneten Ergebnisse einer ausgebreiteten
Belesenheit. Antheil an den Verhältnissen des öffentlichen Lebens,
wenn auch nicht einen unmittelbaren, die Gegenwart betreffenden, nahm
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jedoch die Geschichte. Unter Hadrian schrieb Suetonius Tranquillus
eine Geschichte der zwölf ersten Imperatoren von Julius Cäsar an ge-
rechnet, ohne Eindringen in den Geist der Zeit, aber mit angemessener
Verwendung der einzelnen biographischen Denkwürdigkeiten. Groß da-
gegen steht Tacitus, der Schwiegersohn Agricoles, als Geschichtschreiber
da. Er schrieb, als Trajan's glückliche Regierung den Gemüthern Ruhe
verschafft hatte, über die Ereignisse und Verhältnisse seit dem Tode des
Auguftus. Tief ergriffen von den Greueln unter Domitian, legt er
in die gedrungene, von aller Breite sich fernhaltende Darstellung seinen
Schmerz und drängt in ihr zugleich die Ergebnisse einer scharfen Beobach-
tung und einer reichen Erfahrung zusammen. Er sieht das Sinken
römischer Herrlichkeit und findet keinen Trost und keine Hoffnung. Mit
Besorgniß blickt er auf die Germanen und ihm bangt vor der Zeit,
wo das römische Reich keinen Trajan mehr haben und mit seiner ent-
nervten Bevölkerung einen Angriff der rohen, aber unverdorbenen Völker
zu bestehen haben wird. Doch in.die tiefste Tiefe, daß er in dem Hei-
denthume und seiner unvermeidlichen Entwicklung die Duelle des Nebels
sähe, vermag er nicht zu dringen. Von Judenthum und Christenthum
besitzt er nur die äußerlichste Kunde, und es fehlt jede Ahnung von der
Bedeutung, die beide für die Geschichte der Menschheit haben. In ähn-
licher Weise wie Tacitus, wie er voll Unmuth und wie er ohne Trost,
steht Iuvenal mit seinen unter Hadrian geschriebenen Satiren der Zeit
gegenüber. Die Beredtsamkeit, einst der Gipfel der römischen Litera-
tur, hatte im monarchischen Rom ihren eigentlichen Boden, die Ver-
handlungen der Gesetzgebung und des öffentlichen Rechtes eingebüßt,
und hatte ihre Anwendung vorzugsweise in den Berathungen des Se-
nates und dem Geschäfte der Sachwalter. Ihre einzigen Werke von
öffentlicher Bedeutung sind die panegyrischen Reden zum Lobe der Herr-
scher, wie eine auf Trajan von dem jüngeren Plinius, dem Neffen und
Adoptivsöhne des älteren, verfaßt ist. Eine sehr große Ausbreitung ge-
wann aber die Bemühung für rednerische Ausbildung, und es entstand
unter den Händen der damit beschäftigten Rhetoren eine Literatur der
Rhetorik, die aus Unterweisungen und aus Mustern und Uebungsstücken
bestand. Quintilianus aus Calagurris in Spanien, mit seinem Wirken
der Zeit der Flavischen Imperatoren angehörig, und Annäus Seneca,
der Vater des gleichnamigen Philosophen, sind Vertreter dieser beiden
Gattungen. Eigentliche Unterrichtsanstalten mit besoldeten Lehrern in
Rom, wo eine den Namen Athenäum führte, sowie in den bedeutendsten
Städten Italiens und der Provinzen gestiftet, pflegten diese Kunst und
wurden die Träger einer Bildung, welche eine Ausgleichung zwischen
Italien und den Provinzen bewirkte und so an der Auflösung des ge-
schlossenen Römerthums mitarbeitete.
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Das römische Reich unter den Imperatoren.
erscheinen lassen, gehören die Bauwerke, mit welchen Trajan und Ha-
drian Rom geschmückt und durch welche sie nicht bloß in der Baukunst,
sondern auch in der Bildnerei ein reges Leben geweckt haben. Das
Trajanische Forum, in dessen Mitte die in ihren Bildwerken des Im-
perators Thaten darstellende Trajanussäule steht, und die Moles des
Hadrianus, zu seinem Grabmale bestimmt, sind würdige Denkmäler
von Beherrschern des römischen Reiches und gehören mit zu den reden-
den Zeugnissen, welche der römische Staat in der Zeit der Imperatoren
von seinem nach Außen hin mächtigen Dasein hinterließ.
14. Während so das römische Reich fortwährend eine Pracht, mit
der es inneren Verfall nothdürftig verhüllte, zu entfalten beflissen war,
glaubte es gegen das in der Stille fortschreitende Christenthum die Waf-
fen nicht niederlegen zu dürfen. Waren bisher die Christen nur von
Verworfenen unter den Imperatoren, von Nero und Domitian, verfolgt
worden, so hatten sie von Trajanus und Aurelius ein Gleiches zu er-
dulden, da solche Maßregeln denselben zu dem Bemühen für Herstellung
und Erhaltung des Reiches zu gehören schienen. Zwar erließ Traja-
nus keine besonderen Befehle gegen die Christen, aber sie wurden von
den Verordnungen, die er gegen Genossenschaften oder Hetärieen gab,
betroffen und die Stimmung der heidnischen Bevölkerung riß die Obrig-
keiten zu feindlichem Verfahren fort. Dies ergibt sich aus einem Brief-
wechsel, welchen Trajanus mit dem jüngern Plinius als dem Statthalter
von Bithynien führte und in welchem dieser auf seine Frage nach der Be-
handlung der Angelegenheit den Auftrag erhält, die Christen nicht auf-
znsuchen, unter den Angeklagten aber denjenigen, welche Christus ver-
läugneten, zu verzeihen und die Beharrenden zu bestrafen. Hierdurch
wurde die Hinrichtung der Bestraften um so entschiedener zu einem
Zeugnisse ihres Glaubens, aber ihr Tod, den sie meistens von wilden
Thieren in den Amphitheatern vor den Augen eines wild zujauchzenden
Pöbels erlitten, half ebenso entschieden die Götter des Heidenthums
stürzen. Denn daß die Christen zu einer Zeit, wo sie schon über alle
Theile des römischen Reiches verbreitet waren, sich auch durch die bru-
talste Gewaltthätigkeit nicht zu thätlichem Widerstande verleiten ließen,
bewies den Heiden mehr, als jede Erörterung es gekonnt hätte, wie
sie in ihrem Glauben ein Gut besaßen, zu dessen Wirkungen die größ-
ten Thaten des Heidenthums nicht hinanreichten. Welcher Grimm unter
Hadrian und Antonin gegen die Christen forttobte, zeigt sich daran,
daß beide zu Gunsten eines geregelten Verfahrens einschritten. Die Größe
des gegen die Christen gerichteten Hasses verräth sich in dem Eifer, mit
welchem sie gerade unter Aurelius, besonders in Kleinasien und in den
gallischen Städten Lugdunum und Vienna, verfolgt wurden. Auch der
philosophische Herrscher konnte, da seine Philosophie ganz in heidnischem