1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Fünftes Buch. Zweiter Abschnitt.
Verächter der Menschenwürde. Vor diesem mußte der Herzog weichen. Der
Truchseß schlug auch im Anfang mehrere Heere der Bauern. Als er aber
bei Weingarten von denselben eingeschlossen wurde, machte er mit ihnen
einen Vertrag, kraft dessen sie sich zerstreuen und ihre Beschwerden eingeben
sollten.
Da verlangten die Bauern ein Schiedsgericht, zusammengesetzt aus dem
Erzherzog Ferdinand von Oesterreich (Kaiser Karls V. Bruder), dem Kur-
fürsten von Sachsen, Luther, Melanchthon und mehren Predigern, und faß-
ten ihre Beschwerden in zwölf Artikeln ab, welche also lauteten: „Zum
Ersten sollen unsere Gemeinden das Recht haben, sich selbst ihre Pfarrer
zu wählen, und diese sollen Gottes Wort lauter nach dem Evangelium
verkündigen. Sodann sollen wir nichts mehr bezahlen, als die Kornzehn-
ten, wovon der Pfarrer leben muß; was aber davon übrig, das soll den
Armen zu gut kommen. Zum Dritten soll die Leibeigenschaft abgeschafft
werden, weil Christus uns Alle ohne Unterschied durch sein kostbares Blut
erlöset hat. Zum Vierten und Fünften sollen Vogel- und Fischfang für
den Bauersmann frei sein, und auch die Jagd, damit uns das Wild der
Herrn das Unsrige nicht mehr beschädigt und abweidet, wozu wir bisher
stillgefchwiegen, und auch die Waldungen sollen wieder der Gemeinde
sein. Ferner zum Sechsten und Siebenten soll matt uns nicht zu härteren
Fröhndiensten zwingen, als wie unsre Aeltern gedient haben, und aller
Dienst sott durch aufgerichteten Vertrag zwischen Herrschaft und Untertha-
nen bestimmt und drüber keine ungerechte Willkür sein. Dann soll auch
(zum Achten) der Zins auf Lehitgütern nach besserer Billigkeit geschätzt
werden, auf daß wir nicht Grund und Boden ganz umsonst bauen. Zum
Neunten soll man die guten alten Gesetze halten, und fürder nicht neue
nach Willkür machen. Zum Zehnten sott jeder, so durch Unrecht Aecker und
Wiesen an sich gebracht hat, die vor Zeiten den Gemeinden gehört haben,
sie diesen zurückgeben. Zum Elften soll der Brauch aufhören, welcher
der „Todfall" heißt, daß die Erben ihre Erbschaft durch einen Theil der-
selben von der Herrschaft ablösen müssen (z. B. das beste Stück Vieh, das
sogenannte „Besthaupt"), wodurch Wittwen und Waisen schändlich beraubt
werden. Und endlich zum Zwölften wollen wir, wenn einer von diesen Ar-
tikeln wider Gottes Wort wäre und daraus widerlegt werden kann, densel-
den abschaffen." Dies waren die billigen Absichten der deutschen Bauern,
und die zwölf Artikel flogen allenthalben umher, aber fanden kein Gehör.
Um so erbitterter schrien die Betrogenen um Rache und wollten sich
die Anerkennung der Artikel ertrotzen. Wohin sie kamen, steckten sie Klöster
und Adelsschlösser in Brand, plünderten Kisten und Keller und erschlugen
ohne Schonung Priester und Mönche, Adel und Herrn. Die deutschen Län-
der von Lothringen bis gen Steiermark, von der Schweizergrenze bis gen
Samland in Preußen hinauf glichen einem großen Schlachtfeld voll Leichen
und Schutthaufen. Am gewaltigsten waren die Bauern vom Odenwald
(die führte ein Schenkwirth Namens Georg Metzler) nebst denen vom
Neckarthal, an deren Spitze Jäcklein Rohrbach stand; beide zusammen
bildeten den „Hellen Haufen". Jäcklein Rohrbach eroberte am 16. April
1525 Weinsberg, nahm den Grafen von Helfenstein nebst siebzig Rittern
gefangen, und ließ sie wider die vorgehaltenen Spieße der Bauern treiben,
daß sie von zahllosen Stichen durchbohrt umkamen; ein Pfeifer spielte lustig
dazu auf. Fast zur selben Zeit verführte Thomas Münzer die Bürger-
schaft der Stadt Mühlhausen; er brachte es dahin, daß der alte Rath
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Fünftes Buch. Dritter Abschnitt.
Glocke tönte; nur das Schlachtgeschrei scholl, nur die Geschütze donnerten
wie Ehrensalven für jene Männer, die freudig fürs Vaterland starben. Und
der Sultan erkannte endlich, daß all' seine Kriegsmacht zu Schanden werde
von Vaterlandsliebe und Begeisterung. Da hob er am 14. Oktober die Be-
lagerung Wiens auf. — Freiheit! Nun verkündigten die Uhren wieder die
Zeit, nun klangen wieder alle Glocken, und Jubelmustk scholl von den Thür-
men des befreiten Wiens herab. Der Sultan aber zog grimmig mit Mord
und Brand durchs offne Land nach Ungarn zurück und behauptete dies Land
als türkische Provinz. Der alte Held Nikolaus Salm war eine Stunde vor
der Befreiung im letzten Türkensturm auf den Tod verwundet worden und
starb am 4. Mai des folgenden Jahres, glorreichen Andenkens für alle
Deutschen allen Zeiten.
Mittlerweile hatte sich in Deutschland die Reformation immer mehr be-
festigt und ausgebreitet und zwar in demselben Grade, je entschiedener der
kühne Luther jede Rücksicht auf römisch-kirchliche Satzungen, welche er
früher noch beobachtet hatte, von sich warf und je bestimmter er die neuen
Formen einer selbstständigen evangelischen Kirche ausbildete. Schon
im Jahre 1524 hatte er seine Augustinermönchskutte abgelegt; im Jahre 1525
trat er sodann in den Stand der heiligen Ehe mit einer edlen Jungfrau,
Katharina von Bora, welche früher Nonne gewesen war; das that er allen
Priestern zum Beispiel, auf daß sie sich lossagten von dem Cölibat, dieser
widernatürlichen päpstlichen Satzung, und auf daß sie ihren Gemeinden zu
Mustern häuslicher Zucht und Sittlichkeit würden. Um das sittliche Leben
der Geistlichkeit zu veredeln, hielt er auch eine große Kirchenvisitation in
Sachsen. Er hatte die Ohrenbeichte aufgehoben, den Gebrauch des Abend-
mals unter beiderlei Gestalt für die Laien eingeführt, die Messe abgeschafft,
den Glauben an die Fürbitte der Heiligen verworfen und demgemäß auch
die Anbetung ihrer Bilder verboten. Dagegen führte er die Volkssprache
beim Gottesdienst ein, die deutsche Predigt, das deutsche Kirchenlied. Und
ebenmäßig damit suchte er auch den Volksunterricht wieder in Schwung
zu bringen, welcher bis dahin so arg versäumt worden war. Anstatt
des Wahnes, daß der Laie der Gnade des Priesters zur Vermittlung
mit Gott bedürfe, stellte Luther den Glauben auf, daß irr dem Verdienst
Jesu Christi allein alles Heil des Menschen begründet sei. In allen neuen
Einrichtungen zeigte sich der Grundsatz: daß der Glaube die Bildung nicht
aufhalten solle, sondern fördern, und daß die Vernunft, welche von Gott
kommt, diesem ihrem Ursprung auch wieder in freier Forschung zustreben
müsse. Das war ungemein wichtig für die sittliche Veredlung des Vol-
kes. — Unterdessen griff jedoch die Reformation auch bald ins politische
Leben der deutschen Nation ein. Sowohl der Adel als der Bauernstand
hatten die Lehre „von der evangelischen Freiheit" lebhaft aufgefaßt, jeder auf
seine eigne Art, — alle beide praktisch, —• aber beide waren unterdrückt wor-
den. Nun stellte Luther sein Werk, damit es selbst nicht auch mit unterdrückt
würde, unter den Schutz der Fürsten. Diese aber erweiterten dabei ihre
landesherrlichen Hoheitörechte, zuvörderst dadurch, daß sie die geistlichen Güter
einzogen, sodann° auch dadurch, daß die geistliche Obergewalt des Papstes
in den evangelischen Ländern nicht mehr anerkannt wurde, und folglich auch
die geistliche Gewalt der von ihm eingesetzten Kirchenvorsteher, der Bischöfe
und Prälaten, nicht mehr; da leiteten nun dort die weltlichen deutschen Für-
sten die oberste Aufsicht über alle kirchlichen Angelegenheiten. So kam da-
mals eine neue Einheit zwischen Kirche und Staat zu Stande, und zwar in
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Fünftes Buch. Dritter Abschnitt.
droß es gewaltig, wie er sah, daß in Schweizersanden der päpstliche Ablaß
feil getragen ward; und er predigte dagegen wie Luther. Wie ihm nun
Viele dafür hold wurden, so eiferte er immer kühner auch wider das sünd-
liche Leben der Geistlichen und Laien und wider alle Mißbräuche, die sich
ins Christenthum eingeschlichen hatten, der gefunden Vernunft zu Trutz und
Hohn, — wider Wallfahrten und Kasteiungen, wider Anbetung der Heili-
gen, Cölibat und dergleichen. Alö Zwingli 1518 als Pfarrer nach Zürich
berufen ward, predigte er dort auf dem alleinigen Grund der Bibel; gleich
wie Luther schaffte er die Messe ab und trat (1524), als Priester, in den
Stand der Ehe. Der große Rath in Zürich, der die Wahrheit erkannte,
schützte ihn gegen seine Feinde. Bald verbreiteten sich Zwinglis Lehre und
die Kirchenverbesserung in der Schweiz, zumal in Basel und Bern; aber
die Kantone Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug und Luzern hielten am rö-
misch-katholischen Glauben fest; da eiferten die altgläubigen Priester und
Mönche heftig gegen die Reformation und entzündeten den Haß des Volkes
gegen Alle, welche ihr anhingen. So ward u>n des Glaubens willen groß-
ßer Zwiespalt in der Schweiz, gleichwie tit Deutschland. Aber auch jene
beiden Männer selbst, welche in Deutschland und in der Schweiz die Re-
formation hervorgerufen hatten, wiewohl sie Beide rüstig nach einem und
demselben Ziele strebten, wiewohl sie Beide begeistert für eine und dieselbe
Sache fochten, — Luther und Zwingli, waren uneins über die Lehre
vom Abendmal. Luther sagte nämlich: „Beim Abendmal ist auf eine ge-
heimnißvolle Weise in Wein und Brot wirklich Christi Fleisch und Blut
vorhanden"; Zwingli hingegen sprach: „Wein und Brot im Abendmal
sind bloß Zeichen von Christi Fleisch und Blut." Dieser Streit der Mei-
nungen wurde mit großer Heftigkeit fortgesührt, besonders von Seiten Lu-
thers, und es mischten sich auch tiefere weltliche Beweggründe hinein; Lu-
ther stand für die Sache der Fürsten, gleich wie diese (die evangelischen
nämlich) für ihn und sein Werk; Zwingli und die Anhänger seiner Lehr-
begriffe in der Schweiz, (welche die Re fo rm irte n hießen, zum Unterschied
von den Lutheranern,) standen für die Volksfreiheit. Das waren
also die zwei Parteien der Evangelischen. Der Landgraf Philipp von Hes-
sen gab sich alle mögliche Mühe, beide zu vereinigen und veranstaltete des-
halb 1529 zu Marburg ein Religionsgespräch. Da kamen Luther und
Zwingli zusammen. Aber sie konnten sich nicht vereinigen; Luther beharrte
allzu leidenschaftlich auf seiner vorgefaßten Meinung, (eine menschliche Schwäche,
die er später auf seinem Todbette bereute,) und Zwingli konnte seine Ue-
berzeugung nicht aufgeben, für welche er nicht bloß den gesunden Verstand,
sondern auch die Aussprüche der heiligen Schrift zu Zeugen aufrief. Es
war ein Streit um bloße Worte; denn eigentlich dachte wohl auch Luther
dabei nur an die Gegenwart des übersinnlichen Leibes und Blutes
Christi. Uneins, aber einander segnend, reichten sich die beiden Reforma-
toren die Hände und schieden von einander. Da frohlockte die päpstliche
Partei.
Bald darnach (1530) kam der Kaiser nach Augsburg auf einen Reichs-
tag, um Reichshilfe gegen die Türken zu erhalten. Aus diesem Grunde
zeigte er sich gegen die lutherischen Reichsstände minder streng und schrieb
aus: „Jede Glaubenspartei soll ihre Meinung vortragen zu gütlicher Be-
sprechung." Da ließen die lutherischen Reichsstände durch Melanchthon ein
klares und bündiges Bekenntniß ihres Glaubeirs aufsetzen (die soge-
nannte „Augsburgische Konfession"). Am 25. Juni 1530 ward dies
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Fünftes Buch. Vierter Abschnitt.
zu, und gebeut ihm, mit dem Schwert in der Faust: „Rufe die heilige
Jungfrau Maria an, so behältst du das Leben." Aber Zwingli weigert
sich dessen; denn weil er sein Lebenlang die Anbetung der Heiligen für
sündhaft gehalten, so will er's auch jetzt aus leidiger Todesfurcht nicht thun;
sondern faltet die Hände und blickt gen Himmel; da durchstößt ihm der
Unterwaldner den Hals, daß Zwingli den Geist aufgibt; doch ruft er ver-
scheidend noch: „Den Leib können sie tödtcn, die Seele nicht!" Also starb
Zwingli, seinem Volk und seinem Glauben getreu, mit ihm sechshundert
Züricher. Da frohlockten alle Päpstlichen über den Sieg. Aber der Fort-
gang der Reformation ist dadurch doch nicht aufgehalten worden. Vielmehr
hat später ein gelehrter, eifriger und strenger französischer Geistlicher, Jo-
hann Kalvin (eigentlich hieß er Chauvin), geboren J509 zu Noyon in
der Pikardie, Zwinglis Werk mit strengerem Eifer in Genf fortgesetzt; seine
Anhänger hießen Kalvinisten.
4.
Ob Alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
S ch i l l e r.
Inzwischen hatte der kühne Landgraf Philipp von Hessen schon lang
Pläne gefaßt, um den vertriebenen Herzog Ulrich von Würtemberg wie-
der tu sein Land einzusetzen. Schon fünfzehn Jahre war dieser jetzt draus
fern, lind seinen Sohn Christoph hatte der Kaiser lang in Haft gehalten,
bis Christoph endlich glücklich entfloh; dem Ulrich selber gab der edle Land-
graf in seinem Lande Unterkunft und Schutz, des Kaisers Zorn zum Trotz.
Das Volk in Würtemberg aber war meist der evangelischen Lehre zugethan
und mochte den aufgedrungenen fremden Herrit, den König Ferdinand, tlicht
leiden, welchen sein Bruder, der Kaiser, damit belehnt hatte; denn Ferdi-
nand wollte die Reformatioll auch in Würtemberg ausrotten. Um nun dies
zrl verhindern, so wie um die Uebermacht des Hauses Oesterreich zu däm-
men, setzte Landgraf Philipp Alles in Bewegung. Durch seinen Betrieb
geschah's, daß sich der „schwäbische Bund" auflöste, welcher eine Haupt-
stütze Oesterreichs und des Katholicismus in Schwaben gewesen war; auch
schloß der Landgraf ein heimliches Bündniß mit dem Feinde des Kaisers,
dem König Franz I. von Frankreich. Endlich sammelte er ein großes Heer
und führte es rasch gen Schwaben. Die Oesterreicher standen beim Städt-
lein Laufen am Neckar. Als der Landgraf dies erfuhr, rief er: „Sind
die Feinde einmal im Laufen, so ist's ein gutes Zeichen für uns!" Fro-
hen Muthes griff er sie an, schlug sie und gewann gar rasch dem Herzog
Ulrich das Würtemberger Land wieder. Da empfingen die braven Schwa-
den diesen mit hellen Freuden und vergaßen alle Ulrichs streng Regiment
von ehedem; ein Volk, so alt es auch wird, vergißt stets das Böse gar
gern und hofft auf gute Zukunft. Dies geschah '1534. Der Kaiser und
sein Bruder Ferdinand waren damals grade fern und konnten nichts dawi-
der thun, so leid es ihnen auch war, daß Oesterreich das kostbare Würtem-
berger Land wieder verlor. Also ward Friede geschlossen zu Kadan, un-
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Fünftes Buch. Vierter Abschnitt.
von Gott eingegeben worden, daß Johann von Leyden den Stuhl Davids
wieder aufrichten tlnd auf demselben alle Völker der Erde beherrschen soll."
Da rief das Volk alsobald den Schneider zum König von Zion ans. Er
ging nun in Sammt und Seide, mit goldnem Schmuck behängen, gar stolz
einher und ließ sich viel Gefolge Nachtreten, darunter zwei Jünglinge ¿u
Roß, die hinter ihm Krone, Schwert und Bibel trugen. Einen Mann, Na-
mens Knipperd oll in g, bestellte er zum Scharfrichter, und achtundzwanzig
andere Männer sandte er als „Apostel" aus, um allerorten die neue Lehre
zu verkündigen und das neue Reich auszubreiten. Aber, wohin diese thö-
richten Boten der Thorheit kamen, da wurden sie gefangen gesetzt und viele
von ihnen auch hingerichtet. Johann von Leyden, der König von Zion,
trieb indessen in Münster sein Wesen immer toller fort. Mittlerweile bekam
der Bischof Kriegsvolk zur Hilfe; auch der Landgraf Philipp von Hessen
mußte (in Folge des Vertrags von Kadan) das seinige dazu hergeben, um
die gefährliche Schwärmerei ausrotten zu helfen. Die Stadt Münster wurde
nun enger eingeschlossen und heftiger belagert; bald entstand darin eine
Hungersnoth, und das Elend wuchs von Tag zu Tag. Da verschmachte-
ten viele Unglückliche; viele andere, zumal Greise und Weiber, die zrir Ver-
theidigung der Stadt nicht tauglich waren, ließ Johann von Leyden un-
barmherzig zu den Thoren austreiben. Draußen aber fing sie der Bischof
und ließ sie hinrichten oder gab den Hungrigen nur dann Brot, wenn sie
schwuren, wieder katholisch zu werden. Wie nun mittlerweile in Münster
das Elend zunahm, wuchs auch des Königs tolle Schwärmerei. Verzweif-
lungsvoll ging er in seinen kostbaren Gewändern umher, verkündigte dem
betrogenen Volk göttliche Verheißungen und, weil er sein Ansehn nur noch
durch Schrecken fortbehaupten konnte, ließ er jeden tödten, welcher an seinen
Aussprüchen zweifelte. So that er selber an Elisabeth, einer von seinen
Frauen. Diese sprach nämlich: „Ich kann's nicht begreifen, daß Gott so
viele Menschen will Hungers sterben lassen. Laß mich von hinnen ziehn;
ich mag den Jammer nicht länger sehn!" Da zückte der Schneider-König
grimmig das Schwert und schlug ihr das Haupt ab auf offnem Markt, da-
mit alle Kleinmüthigen vor seinem Gericht zittern sollten; dann faßte er
seine andren Frauen und tanzte mit ihnen singend, wie wahnsinnig, den
Reigen um die blutige Leiche, und gebot allem Volk desgleichen: „Froh-
lockt, ihr Zaghaften, singet und tanzt!" Aber schon schlug die Stunde der
Vergeltung. Am 24. Juni 1535 wurde die Stadt Münster durch Verrä-
therei erobert. Da entstand ein furchtbarer Kampf; der Prediger Rottmann
hatte sein bestes Gewand angethan und focht bis zum letzten Athemzug wie
ein Held; Johann von Leyden aber, Knipperdolling und mehre andre
Häupter der Wiedertäufer wurden gefangen und später unter schauderhaften
Martern hingerichtet. Ihre Leichen wurden in eisernen Körben auf dem
Lambertuöthurm ausgehängt, zum schauderhaften Wahrzeichen: bis zu wel-
chem Wahnsinn religiöse Schwärmerei den Menschen bringen kann. Dar-
auf führte der Bischof in der Stadt Münster den römischen Katholicismuö
wieder ein.
Die protestantischen deutschen Fürsten, welche mit den katholischen ge-
meinschaftliche Sache gegen die Wiedertäufer gemacht hatten, sahen indessen
ein, wie gar vortheilhaft die Stellung der katholischen Fürsten im Vergleich
zu der ihrigen war. Deshalb beschlossen sie, ihre Vereinigung von 1537
an auf zehn Jahre zu erneuern, nahmen in dieselbe auch den Herzog Ul-
rich von Würtemberg, die Herzoge von Pommern und mehre Städte auf,
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walt bekommen können. Aber nein! da hatte Jeder von den Bundeshäup-
tern seine eigene Meinung und blieb dabei und wollte den Andern nicht
nachgeben. Dies ward Allen zum Schaden. Denn so versäumten sie die
günstige Gelegenheit, den Kaiser in seiner Schwäche anzugreifen; dieser
hingegen gewann Zeit, zu erstarken und sie seine Stärke fühlen 31t lassen.
Da waren die Städte über der Fürsten Saumseligkeit gar sehr erbittert und
wollten aus Zorn keine Geldhilfe mehr beisteuern, noch ihre Kriegsleute
fürder bei so schlecht bestellten Sachen lassen; aber die Fürsten selber muß-
ten ihre Schuld bald auch büßen.
Der Kaiser hatte indessen schon längst, noch bevor er zur offnen Ge-
walt griff, einen andern Plan befolgt; er hatte nämlich gesucht, sich unter
der Partei der Protestanten selbst Freunde und Anhänger zu gewinnen. Als
tiefer Menschenkenner hatte er sich bald den jungen Herzog Moritz von
Sachsen herausgefunden (das war der Sohn des Herzogs Heinrich von
der Albertinischen Linie, geboren 1520, und der Schwiegersohn des Land-
grafen Philipp von Hessen). Karl V. erkannte dieses jungen Fürsten Ehr-
geiz; er wußte, daß der Kurfürst von Sachsen feinen Vetter Moritz gering-
schätzte, und zog diesen dafür an sich. Zu Regensburg schloß er mit ihm
am 19. Juli 1546 ein heimlich Bündniß. Und weil Herzog Moritz gar
tapfer, fing und gewandt war, so gewann ihn der Kaiser bald so lieb, wie
seinen leiblichen Sohn, wiewohl Moritz Protestant war, und vertraute ihm
ungemein, wie er, als stolzer und verschlossener Fürst, nicht leicht irgend
Jemanden vertraute. Moritz aber verbarg seinen Glaubensgenossen lang
seine wahre Gesinnung. — Als nun damals (1546) der Winter gekommen
war, brach Herzog Moritz plötzlich in Kursachsen ein, um im Namen des
Kaisers an seinem Vetter, dem Kurfürsten Johann Friedrich, die Reichsacht
zu vollstrecken. Da eilte der Kurfürst zur Stelle vom schmalkaldischen Bun-
desheer, welches in Oberdeutschland stand, heim in sein Land und vertrieb
seinen Vetter daraus. Aber Moritz zog gen Böhmen; — dort sammelte
sich, wie der Frühling 1547 begann, ein großes kaiserliches Heer bei Eger,
und rasch, ehe sich der Kurfürst dessen versah, brach der Kaiser von Böh-
men her in dessen Land, und wie er vernahm, daß der Kurfürst sich gen
Wittenberg gewandt, zog er ihm längs des Elbstroms nach. Am 24. April
1547 stand der Kurfürst mit 9000 Mann auf der Lochauer Haide bei
Mühlberg am Elbstrom, jenseits dessen der Kaiser selber mit seinem Feld-
herrn, dem Herzog von Alba (einem Spanier), dem König Ferdinand und
dem Herzog Moritz. Es war ein Sonntag und der Kurfürst hörte eben
die Predigt in der Kirche; da drang des Kaisers Reitervolk über den Elb-
strom; die kursächsischen Truppen zogen sich zurück; aber jenes holte sie ein
und griff sie ungestüm an; der Herzog von Alba und Moritz trieben, der
eine seine Reiter, der andre seine Schützen wider die beiden Flanken der
kursächsischen Schlachtreih'. Bald ermatteten diese, bald riß Verwirrung ein,
bald war das weite Feld von Roßdorf bis Falkenburg und Baiersdorf hin
voller Leichen und Flüchtiger. Der Kurfürst selbst, ein starkbeleibter, unbe-
hilflicher Mann, wehrte sich heldenhaft gegen Welsche, Ungarn und Spa-
nier, die ihn umringten, bis ihm das Blut über's Angesicht strömte; da
rief ihm ein Edelmann aus Meißen, Thilo von Trott, auf Deutsch zu:
„Wollt Ihr Euch nicht ergeben?" — „Einem Deutschen? Ja!" sprach der
Kurfürst und gab dem von Trott zwei Ringe, die er vom Finger zog, zum
Zeichen der Gefangenschaft. Der von Trott brachte ihn nun zum Herzog
von Alba und dieser mußte ihn dem Kaiser vorführen. Da wollte der Kur-
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tag, daß sich zwei katholische Gottesgelehrte und ein protestantischer über die
kirchlichen Streitfragen besprachen und einen Entwurf zu Stande brachten,
wie es in Sachen der Religion einstweilen, bis zur Entscheidung der
echten Kirchenversammlung (die in Bologna erkannte nämlich der Kaiser
nicht an) gehalten werden sollte. Diese Vorschrift hieß das „Interim",
weil sie nur einstweilen (interim) gelten sollte. Darin waren nun fast
alle Hauptsätze der evangelischen Lehre auf römisch-katholische zurückgeführt,
nur der Gebrauch des Abendmals unter beiderlei Gestalt und der Fortbe-
stand der Priesterehen (aber auch diese bloß für einstweilen) zugestanden.
Viele Reichsstände nahmen dies „Interim" an; der gefangene Kurfürst Jo-
hann Friedrich von Sachsen hingegen, der landlose Fürst Wolfgang von
Anhalt, und mehre andre Fürsten weigerten sich dessen standhaft, auch Kur-
fürst Moritz. Vom Volk wurde das Interim fast überall in Deutschland,
bei Katholiken wie bei Protestanten, mit gleichem Hohn und gleicher Er-
bitterung ausgenommen, gleichwohl aber mit Gewalt aufgedrungen. In
Kursachsen ließ Moritz zu Gunsten der Protestanten ein eignes Interim (das
sogenannte „Leipziger") abfassen; doch war auch dies den eifrigen Prote-
stanten noch immer zu päpstisch. Alle Feinde des Interims aber, alle ver-
folgten evangelischen Prediger fanden in der freien Reichsstadt Magdeburg
herzliche Aufnahme und treuen Schutz, also daß Magdeburg damals eine
rechte Machtburg der Glaubensfreiheit war. Dies reizte den Zorn des
Kaisers, denn Niemand sollte sich auflehnen gegen seine Machtgebote; und
er gebot (1549) den Kurfürsten Moritz von Sachsen und Joachim Ii. von
Brandenburg, des Reiches Acht und Aberacht an der trotzigen Stadt Mag-
deburg zu vollstrecken. Da aber sowohl von protestantischer als von katho-
lischer Seite immerfort Klagen über Klagen gegen das Interim erschollen,
so verwies er männiglich auf die Kirchenversammlung, welche 1550 wieder
zu Trient hergestellt worden war. Doch von dorther war keine Einigung
zu hoffen. Die Reichsstände wollten nur ein allgemeines, freies Eon-
cilium; selbst die katholischen Fürsten trugen Bedenken, das Trienter zu he-
schicken, und auch der Papst wünschte, daß es sich auflösen möchte. So
herrschte denn damals eine trostlose Verwirrung; der Kaiser aber hegte
im Stillen den Plan, seinen Sohn Philipp, einen strengkatholischen Prin-
zen, welchem er die Nachfolge in deir spanischen Reichen zugedacht hatte,
auch in Deutschland, anstatt Ferdinands, zu seinem Nachfolger wählen zu
lassen. Zum Glück für's Vaterland vereitelten die Kurfürsten diese Wahl
durch eine Standhaftigkeit, welche in jener Zeit der Bedrängniß doppelt
ehrenwerth war.
Mittlerweile trug der Kurfürst Moritz den schmerzhaftesten Stachel im
Herzen. Mit dem ganzen Feuer seiner kühnen Seele hing er an der evan-
gelischen Lehre und sollte nun selbst das Werkzeug zu ihrer Vernichtung sein!
Auf sein Wort und das des Brandenburgers hatte sich sein Schwiegervater,
Landgraf Philipp, dem Kaiser unterworfen und schmachtete nun, — dem
Fürstenwort zum Hohn, und obwohl er alle Bedingungen ehrlich erfüllt
hatte, — in Karls Gefängn.iß! Als ein zweideutiger Mann stand Moritz
vor deir Augen seiner Glaubensgenossen, ja ganz Deutschlands da, obwohl
er redlich alles Mögliche aufgeboten hatte, um die Befreiung des Landgrafen
vom Kaiser zu erwirken; er'sah sich getäuscht, er sah die weiteren Folgen
des Frevels, zu welchem er sich früher durch seinen Ehrgeiz hatte verleiten
lassen, nämlich den drohenden Untergang der deutschen Freiheit und
Verfassung, die damals einzig auf der Erhaltung der Fürstenmacht ge-
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tig an der Fußgicht litt, gewann noch Zeit, in einer Sanfte von Jnsbruck
nach Villach in Kärnthen zu flüchten; freiwillig folgte ihm der gefangene
Kurfürst Johann Friedrich dahin, weil er seine Freiheit nicht seinem ver-
haßten Vetter Moritz verdanken wollte. Der Kaiser aber, der sich solches
von Moritz nicht versehen hatte, war bis in den Grund der Seele erschüt-
tert; zum Kriege nicht gerüstet, sah er sich genöthigt, durch seinen Bruder
Ferdinand mit Moritz Frieden zu schließen. Dies geschah zu Passau (vom
3k. Juli bis zum 2. August 1552). Kraft des dort abgeschlossenen Vertrags
wurde der gefangene Landgraf losgegeben, wurden die Geächteten der Reichs-
acht enthoben, und die Protestanten sollten ihren Glauben und ihre Rechte
behalten; kurz: Friede sollte sein zwischen allen Parteien. Dies war die
schöne Frucht von Moritzens Werk. Aber eine bittre Frucht jenes Bünd-
nisses deutscher Fürsten mit dem König von Frankreich war der Verlust der drei
lothringischen Bisthümer Metz, Toul und Verdün fürs deutsche Reich.
Nun kehrten die befreiten Fürsten Philipp und Johann Friedrich
in ihre Lande heim, und mit Jubel empfing jeden sein treues Volk. Da
weinte der alte Meister Lukas Kranach Thränen der Freude, wie er seinen
Herrn wieder in den Armen seiner edlen Hausfrau sah. Kranach überlebte
dies nicht lange; schon ein Jahr darauf (1553) machte sich der einundacht-
zigjährige Greis aus den Weg nach Jenseits, um seinen theuren Herrn dort
anzumelden, und 1554 folgte ihm dieser wirklich hinüber. Deal Landgrafen
hatte das Elend in der Haft die Haare gebleicht, wiewohl er erst achtund-
vierzig Jahre alt war; aber sein Geist war stark und ungebeugt geblieben
und selbst im Kerker hatte er nicht aufgehört, für sein Land zu sorgen.
Seine treue Hausfrau Christine, welche sich für seine Befreiung zweimal
fruchtlos dem Kaiser zu Füßen geworfen hatte, sah er nicht mehr; sie war
vor drei Jahren verschieden; in tiefer Rührung kniete er zu Kassel still an
ihrem Grabe, wahrend in der Kirche der feierliche Dankgottesdienst für seine
Befreiung gehalten wurde. Aber wen er von Treuen noch am Leben fand,
denen gedacht' er redlich die Treu'. So dem tapfern Ritter Heinz von
Lüdder; der hatte ihm die gute Feste Ziegenhain mannhaft bewahrt, als
ein kaiserlicher Feldhauptmann, dem Vertrage zuwider, deren Uebergabe ge-
fordert hatte. Nun verlangte der Kaiser vom Landgrafen, er sollte den
Heinz von Lüdder, weil er ihm getrotzt, aufhangen lassen. Was that der
Landgraf? Er schlang zwar dem Ritter (statt des Stricks) eine Kette um,
aber eine goldne; so erfüllte er buchstäblich des Kaisers Gebot und zeigte
zugleich, daß dieses Mannes Treue rein erfunden, wie Gold im Feuer. Und
wie dieser einzelne Mann, so waren damals alle im Hessenland, und hatte
der Landgraf seiner Stände großer Liebe und Aufopferung viel zu danken.
Nun zog der Kaiser mit großer Heereskraft ins Feld gegen den König
von Frankreich, um diesem die Eroberungen auf deutschem Gebiet wieder
abzugewinnen. Er belagerte Metz, doch das Glück war ihm nicht günstig
und er mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen; da sprach er, von der
leidigen Gicht geplagt, voll Bitterkeit: „Das Glück ist ein Weib; wie ich
noch jung war, hielt es mich wertst; jetzt in meinem Alter verläßt es mich."
Gleichwohl setzte er den Kampf gegen Frankreich ohne Glück vier Jahre
lang fort; erst 1556 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, kraft dessen Metz,
Toul und Verdün bei Frankreich blieben. Wohl faßte später (1563) Pfalz-
graf Wolfgang den Plan, diese drei Bisthümer wieder zu erobern und erbat
sich dazu vom Landgrafen Geldhilfe und sonstige Unterstützung; aber der
Plan kam nicht zur Ausführung und Lothringen blieb französisch!
1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Tod Moritz' von Sachsen (1553). Augsburger Religionsftiede (1555).
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Mittlerweile hatte der Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach,
ein wilder, unmäßiger Herr, dem nur wohl war bei Trinken und Schlagen,
Sengen und Brennen, das blutige Kriegshandwerk in Deutschland über-
müthig fortgetrieben, meistens auf Kosten der Bischöfe und Stifter. Da
that ihn der Kaiser endlich in die Reichsacht, das Reichskammergericht ver-
hängte Erekution gegen ihn, und viele Fürsten, worunter auch Moritz, hat-
ten sich gegen den Friedensbrecher vereinigt. Albrecht aber lachte über Acht
und Aberacht. — „Acht und Aberacht?" sprach er, „das macht sechzehn,"
und trug den Reichökrieg nach Niedersachsen. Dort kam's bei Sievers-
hausen, auf der Lüneburger Haide, am 9. Juli 1553 zur Schlacht. Der
wilde Markgraf wurde besiegt, später (1554) nochmals bei Kitzingen, floh
dann nach Frankreich und starb endlich zu Pforzheim 1557. Jene Sievers-
häuser Schlacht aber kostete dem kühnen Kurfürsten Moritz das Leben in
seinem dreiunddreißigsten Jahr. Er hatte die Flecken auf seiner Ehre durch
Deutschlands Errettung von der kaiserlichen Willkürherrschaft zu verwischen
gesucht; nun sühnte er seine Schuld, indem er, als Held fechtend, für die
Erhaltung von Deutschlands Ruhe starb. Als Kaiser Karl V. die Nachricht
von Moritzens Tod erfuhr, blieb er lange in finstrem Schweigen; endlich
rief der Schmerz aus ihm: „O Absalon, mein Sohn, mein Sohn!" Denn
Karl V., in dessen Brust so wenig Platz für Liebe war, hatte Moritz wahr
und tief geliebt! Seine hohe Zuversicht auf das Glück war nun gebrochen;
dahin waren all sein Stolz und sein Muth; er sah's furchtbar klar vor sich,
daß er mit all seiner Macht das Ziel seines Lebens doch nicht erreicht hatte.
Er litt außerdem an heftigen körperlichen Schmerzen (an der Gicht); Alles
erinnerte ihn an die Nichtigkeit irdischer Hoheit; und er sehnte sich so recht
von Herzen fort aus dem Getümmel der Welt, welche ihn anwiderte, nach
tiefer, unverletzlicher "Ruhe; und, von Trübsinn befangen, wollte er nicht
länger säumen, einen langgehegten, seltsamen Entschluß auszuführen. Kurz
bevor er dies that, kam am 26. September 1555 auf einem Reichstag zu
Augsburg, unter Vorsitz des Königs Ferdinand (welchen der Kaiser, Deutsch-
lands überdrüssig, zu allem bevollmächtigte), ein Neligionsfriede zu Stande.
Die wesentlichen Punkte desselben waren folgende: Es sollte eine religiöse
Duldung stattfinden, also, daß um des Glaubens wegen Niemand Verfol-
gung zu leiden habe. Ueber die augsburgischen Konfessionsverwandten sollte
keine geistliche Gerichtsbarkeit mehr bestehen (die Reformirten waren ausge-
schlossen) und sie durften die eingezogenen Kirchengüter fortbesitzen. Die
weltlichen Reichsstände sollten für ihre Person das Recht haben: zum evan-
gelischen Glauben überzutreten, desgleichen das Recht: ihren Unterthanen
dessen Ausübung ju erlauben, ebenso die evangelischen Unterthanen das
Recht: auszuwandern, wenn ihnen jene Ausübung von ihren Fürsten nicht
gestattet würde. (Dadurch kam leider der Grundsatz auf, daß die Religion
des Fürsten auch die des Landes sein müsse.) Wenn hingegen geistliche
Reichsstände evangelisch werden wollten, so sollte ihnen dies zwar freistehen,
jedoch sollten sie in diesem Fall ihre Würden dadurch verlieren, übrigens
ohne Schaden ihrer Ehre; dieser Artikel hieß der „geistliche Vorbe-
halt"; er enthielt eine reiche Aussaat von Unfrieden für's Vaterland.
Einen Monat nach diesem sogenannten „Religionsfrieden" führte Kaiser
Karl V. jenen langgehegten Entschluß wirklich aus. Er legte nämlich
die Regierung seiner vielen Reiche nieder; übergab am 25. Okto-
der 1555 seinem Sohne Philipp die Regierung der Niederlande und 1556
die Kronen von Spanien, Neapel, Westindien, und entsagte endlich in dem-
Dullcr's Gesch. d. deutsche» Volkes. - Schul-Auög. 21
1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
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Uneinigkeit der Evangelischen. Die Jesuiten.
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liche nämlich, welche durch Deutsche zertrümmert worden. Wie damals das
heidnische, so trug jetzt das geistlich-römische Weltreich selbst die Schuld,
nämlich den Fluch der Tyrannei und des Sittenverderbnisses. Und wie da-
mals die weltliche Herrschaft Roms als geistliche wieder auferstehen konnte,
so versuchte die geistliche Herrschaft Roms auch jetzt, sich mit frischem Muth
von ihrem Sturz wieder emporzurichten. Wie war dies möglich? Also:
Früher wie jetzt ließen sich die Deutschen gläubig durch die Vorspiegelungen
und Künste der Priesterherrschaft gängeln; jetzt aber hatten die Protestanten
einen gefährlicheren Feind in ihrer eigenen Mitte, nämlich dieselbe re-
ligiöse Unduldsamkeit, dasselbe starre strenge sinnlose Festhalten am todten
Buchstaben, dieselbe blinde Verehrung des Bestehenden, dieselbe Verläugnung
und Verketzerung des geistigen Fortschritts, die sie auf Seiten der römischen
Hierarchie gehaßt und bekämpft hatten. Wie einst die päpstlichen Scholasti-
ker, so eiferten und geiferten jetzt die protestantischen Theologen. Mit der-
selben Erbitterung und Grausamkeit, womit das Papstthum alle Anders-
gläubigen verfolgt hatte, verfolgten sich jetzt Lutheraner und Kalvinisten
wechselseits. Die Fürsten fingen an, sich in ihren Ländern, jeder wie ein
Papst im Kleinen, zu benehmen. Die freie höhere Entwickelung der Gottes-
gelehrtheit stockte, oder verlor sich, um nicht in trockne Pedanterei zu ver-
fallen, in mystischen Grübeleien. Kurz: es zeigten sich im deutschen National-
leben, so schnell nach der herrlichen Zeit der Begeisterung, jetzt allenthalben
traurige Rückschritte.
Unter solchen Umständen griff denn das Papstthum seine Pläne auf zur
Wiederherstellung der zerttümmerten Herrschaft. Es zählte dabei auf die
mächtigen Häuser Oesterreich und Baicrn, und es fand noch dazu einen
Bundesgenossen, — so schlau, einschmeichelnd, mächtig, weitverbreitet und
dienstwillig, wie noch nie in der Weltgeschichte ein Tyrann einen gleichen
Diener und Helfershelfer, wie noch nie die Freiheit einen gleichgefährlichen
Feind gefunden hatte, — nämlich den Jesuitenorden. Diese geistliche
Gesellschaft, welche von einem spanischen Edelmann, Namens Ignaz von
Loyola, gestiftet und von dem Papst Paulus Ui. im Jahre 1540 feierlich
bestätigt worden war, hatte ursprünglich den Zweck: die Weltherrschaft der
römischen Kirche durch offne und heimliche Bekehrungen, durch Predigten
und Erziehung der Jugend wieder herzustellen. Die Mitglieder dieser soge-
nannten „Gesellschaft Jesu", die Jesuiten, zeichneten sich vor jenen der
alten Mönchsorden durch ihre tiefe Welt- und Menschenkenntniß, durch ihre
feinen Manieren, durch den glänzenden Anschein ihrer Frömmigkeit und Ge-
lehrsamkeit aus, und verstanden es, die Herzen der Menschen zu gewinnen
und völlig zu beherrschen; sie wurden die Beichtväter der katholischen Für-
sten, die Erzieher der Prinzen, und benützten den Einfluß, welchen sie in
dieser Stellung besaßen, zum Vortheil ihres Ordens und des Papstthums,
gegen das natürliche Interesse des Volks; sie brachten es dahin, daß ihnen
die Fürsten Lehrstühle auf den Universitäten einräumten, und errichteten nun
mit großem Eifer ihre Kollegien, worin sie die Jugend nach ihren Grund-
sätzen, nämlich zur blinden Verehrung der römischen Kirche und des Ordens,
zum Haß gegen alle Andersgläubigen und zu deren Verfolgung erzogen.
Sodann verbreiteten sie den Aberglauben auf alle mögliche Weise, um das
deutsche Volk dumm zu machen; denn sie wußten gar wohl, daß sich nur
ein Volk, welches vor Dummheit den Eigennutz der Priester nicht sieht, von
diesen tyrannisch beherrschen lind zu Allem bringen läßt, ein aufgeklärtes aber
solche geistlichen Herrenknechte zum Lande hinausjagt. Leider gelang es den
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