1869 -
Heidelberg
: Weiß
- Autor: Riegel, Ed.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Schülerbuch
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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in der Versammlung umhergetragen, unter dem lauten Beifall
des Volkes zum Könige ausgerufen und darauf vom heiligen
Bonifacius, dem Erzbischof von Mainz, gesalbt. (752.)
Bald darauf zog Pipin über die Alpen zum Schutze des
Papstes gegen die Langobarden. Er entriß diesen die Umgegend
von Ravenna und von Rom (Exarchat) und schenkte diese Er-
oberung dem Papste. So wurde der Papst weltlicher Regent,
und es entstand der Kirchenstaat.
Pipin hinterließ zwei Söhne, Karl und Karlmann. (768.)
Dieser starb jedoch nach wenigen Jahren, worauf Karl mit Ein-
willigung der Großen des Reiches alleiniger Regent wurde. Von
ihm wird sein Haus das der Karolinger genannt.
Zur Zeit der großen Völkerbeweguug im fünften und sechsten
Jahrhundert waren die deutschen Völkerschaften mit Ausnahme
der Gothen noch dem Heidenthum zugethan. Rach den Gothen
nahmen allmälig die ausgewanderten Burgunder, Franken und
Langobarden das Christenthum an. Im Innern Deutschlands
dagegen wurde dasselbe erst im siebenten und achter: Jahrhundert
verbreitet.
Um diese Zeit kamen aus England, wo die Angeln und
Sachsen das Christenthum bereits angenommen hatten, fromme,
gottbegeisterte Männer nach Deutschland, und verkündeten unter
großen Entsagungen und Gefahren die christliche Lehre. Den
größten Namen unter dieser: Glaubensboter: oder Missionären
hat sich der Engländer Winfried erworben. Der Papst gab ihm
den Ehrennamen Bonifacius, d. i. Wohlthäter; gewöhnlich wird
er der Apostel Deutschlands genannt. Zuerst trat er bei der:
Frieser: auf. Da er hier wenig Erfolg hatte, wendete er sich
nach Hessen, Thüringen und Baiern. Ueberall verkündete er das
Wort Gottes und stürzte die heidnischen Altäre.
Bei Geismar in Hessen stand eine uralte, den: Donnergott
geheiligte Eiche. Zu dieser wallfahrten nicht nur die Heiden,
sonderr: auch die neu bekehrten Christen noch immer gern.
Sie brachten da den Göttern Opfer und erforschten die Zu-
kunft. Wie nun die Heiden in großer Menge dort versammelt
waren, trat Bonifacius unerschrocken unter sie und schlug die
Axt an die Eiche. Alle glaubten, der Donnergott werde seinen
heiligen Baum schützen, und die Frevler mit Blitz und Donner
18. Bonifacius, Apostel der Deutschen.
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Veranlassung zu einem Kriege, der mit vielfachen Unterbrechun-
gen volle dreißig Jahre dauerte. Obwohl wiederholt besiegt,
empörten sich die Sachsen immer auf's Neue, wenn Karl mir
auswärtigen Feinden beschäftigt war. Selbst als die beiden
sächsischen Herzoge Wittekind und Alboin sich unterworfen
und das Christenthum angenommen hatten, hörte der Kamps
noch nicht auf. Dauernde Ruhe kehrte erst ein, nachdem Karl
gegen 10,000 der hartnäckigsten Vertheidiger der alten Sitte
und des heidnischen Glaubens in das fränkische Land (Sachsen-
hausen, Großsachsen, Litzelsachsen) verpflanzt hatte.
Dieser langwierige Kamps gegen die Sachsen war durch
mehrfache andere Kriege unterbrochen.
In Italien hatte der Langobardenkönig Desiderius den
Papst mit Krieg bedrängt, weil dieser die beiden Söhne Karl-
mann's nicht zu Königen der Franken salben wollte. Karl
kam mit einem großen Heere dem Papst zu Hilfe; er belagerte
Desiderius in seiner Hauptstadt Pavia, eroberte dieselbe, schickte
den König in ein Kloster und ließ sich selbst mit der eisernen
Krone zum Könige der Lombarden krönen.
Auch nach Spanien unternahm Karl einen Zug, unterwarf
das Land zwischen beit Pyrenäen und dem Ebro und vereinigte
dasselbe unter dem Namen „spanische Mark" mit dem fränkischen
Reiche. Bei dem Rückzug wurde ein Theil des Heeres in den
Schluchten von Roncevalles von den Bergbewohnern überfallen
und fast gänzlich vernichtet. Unter den erschlagenen Führern
war auch der tapfere Gras Roland, der später in Sagen und
Liedern gepriesen wurde.
Der Herzog Thassilo von Baiern, der eine Tochter
von Desiderius zur Gemahlin hatte, wollte Karl's Herrschaft
über Baiern nicht anerkennen. Karl zog mit drei Heeren nach
Baiern und zwang den Herzog zur Unterwerfung. Thassilo reizte
jetzt die rättberischen Avaren in Ungarn zum Kriege gegen den
König. Deshalb wurde er seines Herzogthumes entsetzt und in
ein Kloster geschickt, Baiern aber zu dem fränkischen Reiche
geschlagen. Auch die Avaren, welche wiederholt Raubzüge nach
Deutschland gemacht hatten, wurden von Karl gezüchtigt. Er
entriß ihnen ihre geraubte Beute und unterwarf das Land von
der Enns bis zur Raab. Daraus bildete er die Ostmark und
legte dadurch den Grund zu dem Herzogthum Oesterreich.
Ebenso bekämpfte Karl der Große die Dänen, welche im
heutigen Schleswig-Holstein wohnten. Diese hatten die Sachseu
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in ihrem Kampfe gegen Karl unterstützt und selbst räuberische
Einfälle in fränkisches Gebiet gemacht. In einem dreijährigen
Krieg wurde das Land bis zur Eider erobert.
Durch diese langjährigen und mühevollen, aber glücklichen
Kriege und Eroberungen hatte Karl ein großes und mächtiges
Frankenreich geschaffen. Im Süden bildete der Ebro und die
Tiber, im Osten die -Elbe und die Raab, im Norden die Eider
und das Meer die Grenze.
20. Karl des Großen Regierung.
Im Innern seines großen Reiches suchte Karl der Große
Kirche und Schule zu heben, Ackerbau und Gewerbe zu ver-
bessern, Handel und Verkehr zu erweitern, Gesetz und Ordnung
ausrecht zu erhalten.
Vor Allem sorgte er für gut unterrichtete und gebildete
Geistliche, und beschenkte reichlich jene Klöster, welche die Jugend
unterrichteten, die Wissenschaften förderten, die Kranken pflegten
und die Wanderer beherbergten. Ebenso veranstaltete er eine
Sammlung von Predigten und frommen Betrachtungen in der
Muttersprache, die in den Kirchen vorgelesen wurden. Zur Ver-
besserung des Kirchengesanges ließ er Sänger und Orgeln aus
Italien kommen. Aber seine Franken waren hierin ungeschickt
und ungelehrig; ihren rauhen, unbeholfenen Gesang verglichen
die Italiener dem Geheul wilder Thiere oder dem Rumpeln eines
Lastwagens über einen Knüppeldamm. Karl stiftete viele neue
schulen; denn Kenntnisse achtete er höher als Adel und vor-
nehme Abkunft. Er besuchte oft selbst die Schulen, lobte die
Fleißigen und tadelte streng die Saumseligen. Als er bei einem
solchen Schulbesuch gesunden hatte, daß die Söhne der Vorneh-
men den bürgerlichen Kindern an Fleiß und Bescheidenheit nach-
standen, ließ er jene hart an und sprach: „Ihr Söhne der Edlen,
ihr seinen Püppchen, die ihr euch so reich und vornehm dünkt,
und des Wissens nicht noth zu haben scheint, ihr faulen, un-
nützen Buben, ich sage euch bei Gott! euer Adel und eure hüb-
schen Gesichter gelten bei mir Nichts. Wenn ihr eure Faulheit
nicht durch Eifer und Fleiß wieder gut macht, so habt ihr von
mir nichts Gutes zu hoffen."
Karl liebte seine Muttersprache über Alles und arbeitete mit
den Gelehrten, die er um sich versammelt hatte, eifrig an deren
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Im Norden zwischen Rhein und Elbe wohnten: die Chatten in Hessen,
die Ehernster am Harz, die Sachsen in Holstein, die Angeln in
Schleswig, die C im Lern in Jütland, die Friesen an der Nordsee. Man
bezeichnet diese Nölker gewöhnlich mit dem gemeinsamen Namen des sächsi-
schen oder sassischcn Stammes. Südlich und östlich von den Sachsen
wohnte der suevische Stamm. Zu ihm gehörten die Markomannen
am Oberrhein, später in Böhmen und Mähren, und die Langobarden an
der mittleren Elbe. Der gothische Stamm wohnte ursprünglich im Nord-
osten an der Mündung der Weichsel. Zn ihm rechnet man auch die Van-
dalen am Quellgebiet der Elbe und die Burgunder zwischen Oder und
Weichsel.
Merkwürdig bleibt immerhin, daß die Lebensweise der südlichen Stämme
im Allgemeinen ganz verschieden war von jener der nordischen Bölkerschasten.
Die Sueven hatten einen vorherrschend kriegerischen Sinn. Darum errich-
teten sie keine festen Wohnsitze; auch durste der Einzelne kein eigenes Ver-
mögen erwerben. Das Land wurde gleichmäßig vertheilt und mit dem Besitz
alljährlich untereinander gewechselt. Während dann ein Theil des Volkes in
den Krieg zog, bebauten die Zurückgebliebenen den Boden; kehrten jene heim,
so zogen diese in den Kampf. Auf solche Weise wurde nicht nur die Uebung
in den Massen, sondern auch der Feldbau gepflegt.
Die im Norden wohnenden Stämme hatten dagegen feste Wohnsitze;
jeder Einzelne besaß sein bestimmtes, bleibendes Eigenthum in Hans und
Feld, das sich auf die Söhne forterbte. Ackerbau war neben Jagd und
Kriegsübung die vorzüglichste Beschäftigung. Doch lagen die einzelnen Höfe
meist zerstreut, und es gab wenige zusammenhängende Gemeinden oder Dörfer.
Gegen die Mitte des dritten Jahrhunderts hatten sich die verschiedenen
deutschen Völkerschaften zu großen Völkerbündnissen vereinigt. Die wichtigsten
dieser, theilweise neu entstandenen Völkervereine waren: die Allemannen
im Süden, die Franken in der Mitte Deutschlands, die Sachsen im
Norden. die Gothen im Osten bis zu den Usern des schwarzen Meeres.
Ueber die Entstehung dieser mächtigen Völkervereine besitzen wir keine sichern
Nachrichten, und ihr Ursprung wird für uns wohl immer dunkel bleiben.
3. Lebensart und Sitten.
Die alten Deutschen liebten das Leben in der freien Natur über Alles;
deßhalb wohnten sie nicht in Städten und Dörfern. Diese erschienen ihnen
wie Gefängnisse; sie bauten darum ihre Wohnungen abgesondert und ein-
zeln an. Wo sie eine Quelle, ein freiliegendes Feld oder ein stiller Waldes-
grnnd lockte, da errichteten sie ihre Hütte, meist aus Holz und Lehm und mit
Stroh gedeckt. Sie lag gewöhnlich mitten in ihrem Besitzthnm, das Hecken
und Erdwall begrenzten. Außerdem gruben sie sich unterirdische Höhlungen
und bedeckten dieselben mit Stroh oder Banmzweigen. In diesen Höhlen be-
wahrten sie ihre Vorräthe an Lebensmitteln gegen die Strenge des Winters.
Eine solche Wohnung, meist von den eingehegten Feldern umgeben, nannte
man Hof oder Gehöfte.
Als Kleidung trugen sie Felle wilder Thiere, deren Gehörne ihnen
oft noch als Kopfschmuck diente, oder einen kurzen, weilen Rock, der mit einer
Gurt zusammengehalten wurde. Doch waren sie von früher Jugend an ge-
wöhnt, selbst im Winter nur wenige Kleider zu tragen. Männer und Frauen
waren gewöhnlich gleich gekleidet.
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Die einfache Kost bestand vorzüglich in Fleisch- und Milchspeisen. Wil-
des Obst, frisches Wild und geronnene Milch stillten obne besondere Zurich-
tung und ohne weitere Leckerbissen den Hunger. Aus Hafer und Gerste brauten
sie ihr Lieblingsgetränke, das Bier; aus dem Honig der wilden Bienen be-
reiteten sie sich Meth.
Die Erziehung der Jugend war vorzugsweise auf Abhärtung und Uebung
in den Waffen berechnet. Die neugebornen Kinder wurden in kaltes Wasser
getaucht, und das kalte Bad blieb für Knaben und Mädchen, für Männer
und Frauen ein beliebtes Stärkungsmittel, das sie Sommer wie Winter ge-
brauchten. Frühe schon lernten die Knaben mit Waffen umgehen. Unter
den Spielen der Jugend war insbesondere der^Wafsentanz beliebt, bei wel-
chem sich die Jünglinge zwischen Lanzen und^ Schwertern tanzend einherbe-
wegten. Der Lohn bei diesem gefährlichen Spiel war der Beifall der Zu-
schauer. Keiuc größere Freude kanute aber der heranwachseude Jüngling, als
mit dem Vater iu den Kamps zu ziehen oder in den Wäldern den reihenden
Thieren nachzujagen. So lernte der Sohn vom Vater die Uebung und Be-
schäftigung mit den Waffen hochachten, die Künste des Friedens geringschätzen.
Ruhte Krieg und Jagd, so blieben die freieil Männer müßig, sröhnten ihrer
Trink- und Eßlust oder schliefen auf der Bärenhaut. Die tapfersten und
besten Männer thaten dann Nichts, und überließen die Sorge für Haus und
Hof den Frauen, den Alten und den Schwächlingen der Familie. Von Kün-
sten verstanden sie wenig, von Wissenschaften gar nichts. Sie konnten weder
lesen noch schreiben. Nur ihre Waffen und die zur Landwirthschaft und zum
häuslichen Gebrauch nöthigen Gerüche wußten sie zu verfertigen. Ihr Reich-
thum bestand vorzugsweise in zahlreichen Heerden von Pferden und Rindvieh.
Eine Hauptsorge der Deutschen war die Todrenbestattung. Die Leichen
wurden begraben oder verbrannt. Die Asche der Verbrannten sammelte man
und bewahrte sic sorgfältig in Urnen. Noch jetzt findet mair besonders im
nordwestlichen Deutschland zahlreiche Gräber der alten Deutschen, Hünen- oder
Riesengräber genannt. Gewöhnlich sind sie unter steinbedeckten Hügeln, deren
Tiefe eine aus Lehm gebrannte Urne mit der Asche des Todten, daun Reste
von Waffen und anderen Gerüchen birgt.
4. Bürgerliche Einrichtungen.
Die bürgerlichen Einrichtungen waren bei den alten Deutschen noch sehr-
einfach. Man unterschied Freie und Unfreie. Die Freien zerfielen wieder in
vornehme Geschlechter oder Adalinge und in gemeine Freie oder Frilinge.
Sie waren die Besitzer des Landes und hatten allein das Recht, Waffen zu
tragen und an den Volksversammlungen Theil zu nehmen; ihre Beschäftigung
bestand hauptsächlich in Krieg und Kriegsübung, in Jagd und Fischfang.
Man hielt es für unwürdig, daß der freie Mann durch Schweiß erwerbe,
was er sich durch Blut verschaffen konnte; darum wollten sie lieber den Feind
bekämpfen und Wunden holen, als den Acker pflügen und die Ernte er-
warten.
Die Unfreien oder Hörigen besorgten den Ackerbau und die Viehzucht,
und betrieben Gewerbe. In der Regel erhielten sie von ihren Herren Haus,
Hos und Land gegen eine bestimmte Abgabe an Früchten, Vieh und gewebten
Zeugen. Waffen durften sie aber nicht führen; sie waren das Vorrecht freier
Männer.
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Außer den Unfreien gab es noch Leibeigne oder Knechte, die als Sclaven
behandelt wurden. Dies waren die Kriegsgefangenen oder solche Freie, die
durch leidenschaftliches Spiel oder durch Schulden ihre Freiheit verloren halten.
Die Sclaven waren unbeschränktes Eigenthum des Hofherrn, so. daß er sie
verkaufen, verschenken oder todten konnte. Im Allgemeinen wurden sie jedoch
uüld behandelt und konnten sich durch Ersparnisse loskaufen und in die Reihe
der Freigelassenen eintreten.
Einzelne Volksstämme ver alten Deutschen hatten Könige. Sie wurden
aus den edlen Geschlechtern gewählt. Doch war die Macht der Könige nicht
unumschränkt; in allen wichtigen Angelegenheiten blieb die Entscheidung der
Volksversammlung. Jeder freie Mann war Mitglied dieser Versammlung.
Alle erschienen dabei bewaffnet. Die Verhandlungen geschahen gewöhnlich am
Neu- oder Vollmond an einem geweihten Orte, unter einer heiligen Eiche oder
Linde. Kurz und bündig wurde besprochen, was zu thun oder zu lassen sei.
Mißfielen die Vorschläge, so gab die Versammlung dies durch lautes Ge-
murmel zu erkennen; fanden sie aber Beifall, so schlug man zum Zeichen der
Zustimmung die Waffen zusammen.
5. Körperliche Beschaffenheit, Tugenden und Untugenden
der alten Deutschen.
Die Römer schilderten die alten Deutschen als große, kräftige Gestalten
mit blauen Augen und blonden Haaren, und rühmten ihre Treue und Recht-
schaffenheit, ihre Gastfreundschaft und ihre große Liebe und Anhänglichkeit
zum Vaterland. Gesetzbücher gab es damals nicht; die Ordnung wurde nach
altem Herkommen aufrecht erhalten. Ihr einfaches Wort galt mehr als
Eidschwur.
Ein römischer Schriftsteller der damaligen Zeit sagt von ihnen: „Bei den
Germanen vermögen gute Sitten mehr, als anderswo gute Gesetze. Sie
halten es für Unrecht, einem Menschen ein Obdach zu verweigern, und be-
wirthen Jeden nach Vermögen mit einem einfachen Mahle. Besitzen sie aber
selbst Nichts, so suchen sie das nächste Haus aus und geleiten den Fremden
dahin, wo er mit gleicher Freundlichkeit wie ein alter lieber Bekannter auf-
genommen wird. Verläßt der Gastfreund das Haus, so geben sie ihm mit,
was er verlangt; denn auch sie nehmen gerne Geschenke an, ohne sich deß-
wegen zu Gegendiensten verpflichtet zu fühlen."
Doch hatten die alten Deutschen auch ihre Fehler, und mit Recht werfen
ihnen die Römer Liebe zum Trunk und zum Spiele vor. Sie hielten es für
keine Schande, Tag und Nacht bei Trinkgelagen zuzubringen. Dabei geschah
es nicht selten, daß Zank und Streit entstand, der oft mit blutigem Mord
endete. — Nicht minder leidenschaftlich wie dem Trünke waren sie dem Würfel-
spiel ergeben. Wunderbarer Weise trieben sie es nüchtern wie ein ernstes Ge-
schäft. Nicht selten verloren sie Hab und Gut und setzten zuletzt selbst Leben
und Freiheit ein. Ohne Murren und Klagen ging dann der Verlierende in
die freiwillige Knechtschaft und ließ sich ruhig binden und verkaufen.
6. Die altdeutschen Frauen.
Die Frauen standen bei den alten Deutschen hoch in Ehren. Das deutsche
Mädchen erbte von seinem Vater die Kraft, von seiner Mutter die Milde.
Es nahm Theil an den Spielen und Uebungen der Knaben und erlangte so
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in der freien Natur einen festen Körper und eine dauernde Gesundheit. Die
Mutter lehrte ihre Tochter den Dienst des Herdes, die Bestellung der gerin-
gen Bedürfnisse des Hauses, die Besorgung der wenigen Felder, die Pflege
der Hausthiere und die Fertigung der Gewänder. So wuchs das Mädchen
unter der Aufsicht der Mutter heran. Beim Eintritt in die Ehe brachte die
Braut ihrem zukünftigen Manne keine Allssteuer mit; ein Wasfengeschenk war
ihre einzige Gabe. Dagegen war es Sitte, der Frau Geschenke zu reichen.
Die Morgengabe der Frau bestand gewöhnlich aus einem Gespann Rinder,
einem gezäumten Schlachtroß, Schild und Schwert. Diese Gaben hatten bei
den Germanen eine tiefe Bedeutung. Die Frau sollte dadurch an ihre Pflich-
ten erinnert werden. Im Hause war sie die gebietende Herrin über das
ganze Hauswesen; ihr gehorchten Knechte und Mägde, ihr lag auch die Er-
ziehung der Kinder ob. Auch war sie der Arzt des Hauses lind kannte heil-
same Kräuter für Kranke und Verwuildete. Im Krieg folgte sie dem Manne
als treue Genossin. In Freud und Leid, in Glück und in Gefahren stund sie
ihrem Manne zur Seite, mit ihm wollte sie leben und sterben. Daraus er-
klärt sich die hohe Achtung, welche die Germanen für die Frauen hatten.
Man glaubte selbst, cs wohne ihnen etwas Heiliges bei, und sie könnten mit
prophetischem Blicke die Zukunft enthüllen. Deßwegen hörte man ihren Rath
und folgte den Aussprüchen weiser Frauen oder Seherinnen, Alrunen genannt.
Eine solche Seherin von übermenschlicher Größe soll dem römischen Feldherrn
Drusus, der bis an die Elbe vorgedrungen war, erschieneir sein. „Wie weit
willst du noch vordringen, unersättlicher Drusus!" — rief sie ihm zu; „es
ist dir nicht beschieden, alle diese Länder zu sehen. Weiche von hinnen!
Deiner Thaten und deines Lebens Ziel ist nahe!" Diese wunderbare Erschei-
nung erschreckte den römischen Helden; er kehrte rim, stürzte aber auf denr
Rückweg mit dem Pferde und starb nach wenigen Wochen an den Folgen
dieses Unfalles.
7. Die Religion der alten Deutschen.
Unsere Vorfahren waren Heiden. Sie verehrten die großen Kräfte und
Erscheinungen der Natur: Sonne und Mond, die Erde und das Feuer. Doch
geschah die Verehrung ihrer Götter nicht in Tempeln, sondern in heiligen
Hainen und Wäldern; auch machten sie sich keine Bildnisse von ihren Göttern.
Ihr höchstes Wesen war Wodan oder Odin, der auch den schönen Namen
„Allvater" hatte. Er galt für den Vater der Götter und Menschen; von ihm
kam jede gute Gabe; er regierte die Welt und leitete die Schicksale der Men-
schen. Seine zwei Döhne, Donar und Ziu, unterstützten ihn in der Welt-
regierung; Donar war der Gott des Donners und des Wetters, und Ziu
der Kriegsgott.
Zu den niedern Gottheiten gehörten Fro, Freyja rmd Hertha. Fro war
der Gott der Fruchtbarkeit und des Friedens; seine Schwester Freyja die Be-
schützerin der Ehen, Hertha die ernährende Mutter Erde, welche besonders auf
der Insel Rügen verehrt wurde.
Die alten Deutschen glaubten fest an die Unsterblichkeit der Seele.
Daraus erklärt sich auch die Sitte, den Verstorbenen mit seinen Waffen,
seinem Rosse und selbst seinen Sclaven ju verbrennen. Die gefallenen Helden
kamen nach Walhalla, Wodan's Himmelsburg, wo sie mit Jagen und Kämpfen
ein fröhliches Leben führten. Nach den geendeten Kampfspielen schmausten
die Helden an langen Tafeln das Fleisch des Skrimer, eines Schweines,
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welches immer ganz blieb, auch wenn man täglich noch so viele und noch
so große Stücke davon abschnitt. Dazu tranken sie köstlichen Gerstensaft, den
die Göttinnen herumreichten. Auch Milch war im Ueber flu ß vorhanden; denn
die Enter der Heidrun-Ziege versiegten nie. So dachten sich die Germanen
Wodan's Himmelsburg. Dahin gelangten aber nur die im Kampfe gegen
die wilden Thiere oder die Feinde Gefallenen; Weiber und Kinder kamen in
die übrigen Himmelsräume. Die Seelen der ehrlos Verschiedenen wurden
aber an die bleiche Todtengöttin Hellia verwiesen. Diese hielt sie in ihrem
Reich Nebelheim unerbittlich fest. Da war ein trauriges Zusammensein ohne
Kampf und Spiel, ohne Freude und Lust.
Das böse Wesen hieß Loki. Von ihm kamen die Uebel der Well. Doch
glaubte das Volk, die guten Götter würden einst ihren Feind bezwingen und
in den Tiefen der Erde festbannen. Darnach würde dann Wodan Himmel
und Erde neu und schöner umschafsen.
In alten Liedern verehrten die Deutschen auch einen erdgeboreneu Gott
Tuisko und dessen Sohn Manns als Urheber und Stammvater ihres Volkes.
(Von Tuisko oder Teut leiten Manche das Wort „deutsch" ab.) Dem Manus
schrieben sie drei Söhne zu, von welchen die drei Stämme der deutschen
Völkerschaften abstammen sollten.
Im Uebrigen war nach der Meinung der alten Deutschen die ganze
Natur von göttlichen Wesen belebt: es gab Zwerge und Riesen, Elfen und
Nixen, Kobolde und Feen. Diese waren theils gute, theils böse Geister. Auch
die Wochentage standen unter dem Schutze der Götter, daher die meisten der-
selben jetzt noch deren Namen tragen.
Die Priester der Germanen standen in hohem Ansehen, bildeten aber
keinen besonderen Stand. Im Namen des Volkes brachten sie die Opfer dar.
Diese bestanden meist in Feldfrüchteu, Vieh, besonders in wilden Pferden;
doch wurden auch gefangene Feinde geopfert. Gewisse Opferplätze in den
Wäldern hielt man besonders heilig und unternahm dahin selbst aus ent-
fernten Gegenden Wallfahrten. Den Willen der Götter und die Zukunft er-
forschte man auf verschiedene Weise, zuweilen aus dem Wiehern heiliger weißer
Rosse, welche in Hainen der Götter gehegt und gepflegt wurden. Auch ge-
wisse Vögel, wie die Eule, der Nabe, der Kukuk, galten als schicksalverkündend,
ein Aberglaube, der sich bis in unsere Zeit erhalten hat.
8. Gerichtswesen.
Jeder Hausvater war Herr und Gebieter in seinem Gehöfte und durch
freiwilliges Bündniß mit andern Hofherren zu einer Gemeinde vereinigt.
Größere Vereinigungen hießen Marken und Gaue.
Jeder Gau wählte einen Vorsteher, den Graf, und die Beisitzer oder
Richter, für die Gaugerichte. Alle 14 Tage wurden diese öffentlichen Gerichte
unter freiem Himmel gehalten. Der Platz hierzu war durch einen Baum oder
Stein bezeichnet und hieß die Malstatt. In diesen Versammlungen wurde
Recht gesprochen und Streitigkeiten geschlichtet. Die Richter hatten die An-
klage zu untersuchen und das Urtheil zu sprechen, der Graf mußte es voll-
ziehen. Bei zweifelhaften Anklagen überließ man die Entscheidung einem so-
genannten Gottesurtheile. Man glaubte nämlich, die Götter würden dem
Unschuldigen unmittelbar Hilfe verleihen. Zu diesen Gottesurtheilen oder
Ordalen gehörte der Zweikampf, die Feuer- und Wasserprobe u. s. w. Beim