1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
10
X. Erzählungen
»Du bist nicht klug," sagte seine ältere Schwester
Doris. „Du kleines Männchen, du willst hohe Felsen
erklimmen?"
„Höre, Mädchen," rief der empfindliche kleine Frisch,
„halt du dein Plappermäulchen! du verstehst davon
Nichts."
„ Ihre ergebenste Dienerinn, mein hochgeehrtester
Herr Bruder!" verseóte Doris lächelnd. „Dashabe ich
nicht gewußt, daß ein Mädchen über so Etwas nicht
urtheilen sollte. Aber das ist doch erlaubt zu sagen, daß
ein Knabe, wenn er tollkühn ist und närrische Streiche
macht, dabei wohl einmal den Hals brechen kann."
„Laß mich in Ruhe," rief Adolph Frisch, und dre-
hete sich um.
Nach einigen Tagen verläßt der unbesonnene Knabe
das Haus seiner Eltern, und schlendert in das nahe Thal,
das voll Felsen war. „Aha!" rief er seinen Cameraden zu,
die ihn begleiteten, „hier sehe ich einen recht hohen steilen
Felsen, den will ich auch, wie eine Gemse, erklettern."
„ Das laß du bleiben!" sagten seine Cameraden.
Aber Adolph ließ sich nicht abhalten; er kroch den
Felsen hinan; und als er oben stand, rief er den Übrigen
zu: „Bin ich nicht ein Held? Seht ihr mich wohl? Gebt
Acht; jetzt will ich auf Einem Beine stehen!"
Den Knaben, die unter dem Felsen standen, lief
cs vor Schrecken eiskalt über den Rücken.
Der tollkühne Adolph hob wirklich das eine Bein in
die Höhe und stand auf dem andern eine Weile ruhig da.
Doch, ach! er verliert das Gleichgewicht. Darüber er-
schrickt er; sein Leib kippt über, und der unglückliche
Knabe stürzt von dem Felsen, hinab. Todt erreichter den
Boden. ^
Seine Freunde eilen schreckenvoll nach Hause, und
melden den traurigen Vorfall. Der ganze Ort gerath in
Bewegung. Man eilt ins Thal und sieht den Unglückli-
chen jämmerlich zerschlagen in seinem Blute liegen. Man
untersucht ihn, findet aber keine Spur von Leben mehr
in ihm. Seine Eltern, seine Schwester jammern trost-
los. Es hilft Alles Nichts. Er bleibt todt. Alle Ein-
wohner des Orts, die ihn kannten und wegen seiner Mun-
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
12
1. Erzählungen
tere Kälte des Winters dazu, daß er einheizen mußte;
und als eben Niemand in der Stube war, fiel der Ofen
des Morgens zusammen. Das Feuer ergriff den nahen
Flachs an den Spinnrädern, darauf die nicht weit davon
stehende Lade, dann das Bett, Nun ward Lärm im
Dorfe. Klaus, der in der Scheune war, eilte herbei,
und wollte sein Geld retten. Indessen kamen die Spri-
tzen, denn es brannte schon zum Dache heraus; und weil
Keiner mehr das Haus erhalten konnte, wurde es einge-
rissen, um wenigstens die übrigen Gebäude, ja das gan-
ze Dorf zu retten. So löschte man denn auch glücklich
das Feuer; aber man vermißte Klausen. Als nun der
Schutt auseinander gebracht wurde, da fand sich sein
Körper vor der verbrannten Lade bei dem Gelde liegend,
wo er vermuthlich vom Dampfe erstickt war.
Wer das Geld zum Zweck macht, das doch nur zum
Mittel bestimmt ist, der ist geizig. — Sir. 4, 36.
Kap. 14, 6. Luc. 12, 15. Sir. 14, 9.
13. Meister Peter, oder wie hart der Geiz ist.
Kein geizigerer Mann war in der ganzen Stadt
Tiefthal, als Meister Peter, der Leinweber. Er hatte
ein ziemliches Vermögen, aber er genoß Nichts davon.
Immer klagte er, es sei Alles so theuer, und er wisse
gar nicht, wie er am Ende noch auskommen wolle. Nie
hatte er in seinem Leben einem Armen eine kleine Gabe
gegeben. Kam einer zu ihm, so-hieß es immer: „Ja, ich
armer Mann, ich habe ja selbst Nichts;" oder: „Geht hin,
und arbeitet, und thutetwas!" Wenn dann die Armen
ihm sagten, daß ihr Erwerb nicht zureichen wollte, oder
daß sie krank und gebrechlich wären, so fuhr er sie hart
an: „Marsch, packt euch, ihr faules Volk! oder ich
werfe euch zum Hause hinaus;" und erlschimpfte und
schmähetedann so lange, bis sie ihm aus den Augen wa-
ren. Niemand hatte mit Meister Petern gern viel zu
thun; denn man verachtete ihn um feines Geizes willen;
man bedauerte nur sein armes Weib und besonders seine
Kinder. Kaum erhielten diese so viel, daß sie sich halb
satt essen konnten; und wenn sie nicht von den Nachbarn
bisweilen wären gesättigt worden, so wären sie gezwun-
Jt
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
16
I. Erzählungen
fer vor seine Thür und sprach zu sich selbst: „Bist du
nicht ein Thor, daß du den Heuboden so schonst? Was
soll dir das Heu? Es wächst alle Tage mehr Gras zu,
und ist jetzt schon genug da, daß die Schafe leben kön-
nen." Sogleich ging er in den Schafstall, und hieb die
Stangen entzwei, auf denen das Heu lag, so daß es
in großen Haufen in den Stall fiel. Als die Schafe
nach Hause kamen, und die Menge Heu gewahr wurden,
da suchten sie sich das beste heraus, und das andere,
welches sie, ordentlich und mäßig vorgelegt, wohl auch
gefressen hätten, das traten sie nun unter die Füße.
Aber etwa nach acht Tagen änderte sich die Witterung:
es fror und schneiete gewaltig; die Schafe mußten viele
Tage zu Hause bleiben, und der Schäfer gerieth in Ge-
fahr, Hungers wegen seine ganze Schäferei zu verlieren.
Spare in der Zeit, so hast du in der Noth! —
Sprüchw. 13, 11 und 16.
17. Dienstfertigkeit und Undienstfertigkekt.
An einem sehr trüben Tage-, mitten im strengsten
Januar, fuhr Herr von Holdritter, ein reicher Edel-
mann, aus der Stadt auf sein Landgut Föhrenfeld, wo
er einige nothwendige Geschäfte hatte. Als er auf dem
Wege war, fing es an zu schneien; immer dichter und
dichter fielen die Schneeflocken; die Wolken schienen sich
immer tiefer zu senken, und noch vor vier Uhr Nachmit-
tags war es fast völlig Nacht. Nach einer Stunde hatte
der Kutscher den Weg verloren, so aufmerksam er auch
gewesen war, und mußte nun auf gutes Glück zufahren.
Wie sehr wünschten der Herr und der Kutscher, nur auf
Lin Dorf zu treffen, damit sie nicht die ganze lange Nacht
auf freiem Felde zubringen müßten, oder in der Dunkel-
heit ein Unglück hätten! Zum Glück sahen sie endlich
einige Lichter schimmern und fuhren nach dieser Gegend
zu. Es war ein Dorf, aus welchem die Lichter geschim-
mert hatten. Wer warfroher, als Herr von Holdritter!
„ Hier wollen wir bleiben," sagte er, „ bis es Tag wird!" —
Aber zum Unglück war kein Gasthof im Dorfe. Er trö-
stete sich indessen: es wird uns ja wohl, dachte er, ein
Bauer
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
18
I. Erzählungen
daß es vier schöne blanke Goldstücke waren, die ihm.der
fremde Herr gegeben hatte!
Manche Menschen sind bloß darum undienftfertig,
weil sie zu bequem und gemächlich sind. Sie möchten
Andern wohl dienen, aber die Mühe scheint ihnen zu
groß. — Matth. 5, 41, 42. 1 Petri 4,10. Luc. 6, 31
und 33.
18. Der undankbare Schüler.
Anton wurde von seinen Eltern zwar in die Schule
gebracht, aber nicht dazu angehalten, die Schule ordent-
lich zu besuchen. Daher kam er oft zu spat, und manche
Tage gar nicht in die Schule. Wenn der Lehrer dann
nach ihm fragte, so hieß es immer, Anton habe für
seine Eltern weggehen müssen, oder er sei krank, oder
auch, er könne heute nicht kommen , weil er zu Hause
nothwendig zu thun habe. Damit war der Lehrer frei-
lich nicht zufrieden; denn wie war es wohl möglich, daß
Anton in Kenntnissen weiter kam, wenn er die Schule
so oft versäumw? Aber was den Lehrer vorzüglich ver-
droß, war dieß, daß Anton sich gar nichts aus dem Un-
terrichte machte, sich immer treiben ließ, und keinen
Eifer im Lernen zeigte, besonders nachdem er endlich so
weit gekommen war, daß er ein wenig lesen und schrei-
den konnte. Denn dieser Knabe war thöricht genug, zu
meinen, er thue nur dem Lehrer damit einen Ge-
fallen, wenn er in der Schule fleißig und aufmerksam
sei; es fiel ihm gar nicht ein, dieß für seine Schul-
digkeit zu halten. Er hatte daher die vier Jahre, in
welchen er die Schule besuchte, schlecht angewandt und
wenig gelernt. Desto mehr erstaunte der Lehrer, als
Anton eines Tages in die Stube trat, und ihm anzeigte,
daß er nun nicht mehr in die Schule kommen würde.
„Will dich dein Vater in eine andere Schule bringen?"
fragte der Lehrer. „Nein!" antwortete Anton, „ich
soll nun gar nicht mehr in die Schule gehen; mein Va-
ter braucht mich zu Hause." ■— „ Darüber muß ich mich
wundern," erwiederte der Lehrer, „denn du gehst ja erst
seit vier Jahren in die Schule, .und haft seit dieser Zeit
wenigstens dreimal in jeder Woche gefehlt, bist auch
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
21
für Verstand und Herz.
te Stephan, und ging hinein. Einige seiner Camera-
den saßen da in einer niedrigen Stube, deren Wände von
Tabacksdampf ganz schwarz aussahen, an einem langen
Tische, und zechten tüchtig. Von den vielen brennenden
Tabackspfeifen war die Stube so voll Dampf, daß man
nicht auf einen Schritt weit um sich sehen konnte. Nach-
dem man eine Weile beieinander gesessen hatte, that Ei-
ner den Vorschlag, ob man nicht Karte spielen wollte.
Alle waren es zufrieden, und Stephan wrm>e auch dazu
eingeladen; aber er verstand das Spiel nicht. 'Doch bald
fand sich Einer, der sich erbot, es ihm zu lehren; und ehe
der Abend zu Ende ging, hatte es Stephan schon gelernt.
Am nächsten Sonntage fand er sich wieder ein, und dun
sollte er schon um Geld spielen. Erhielt es für schimpf-
lich, dieß auszuschlagen; und siehe da, er hatte das
Glück, zu gewinnen. Wir wollen hören, ob das so ein
großes Glück war. Stephan bekam nun sehr viel Lust
zum Spielen, aber er war nicht immer so glücklich, wie
im Anfange; oft verlor er die Paar Groschen, welche er
sehr nöthig hatte, um sich Frühstück und Abendbrod zu
kaufen, und dann mußte er hungern. Das gefiel ihm
freilich nicht, aber dennoch konnte er von dem Spielen
nicht los kommen. Denn wenn er auch manchmal sich vor-
nahm: heute will ich gewiß nicht wieder ins Wirthshaus
gehen und spielen! so ließ er sich doch immer wieder ver-
führen, wenn einer seiner Cameradenkam, und ihm zu-
redete. Die Hoffnung, das Verlorene wieder zu gewin-
nen , trieb ihn immer wieder in das Wirthshaus und
an den Spieltisch; aber wie traurig schlich er dann des
Abends nach Hause, wenn er nun abermals verloren,
oder doch Nichts gewonnen hatte! Einst war er dadurch
in so große Geldnoth gerathen, daß er sich gar nicht mehr
zu helfen wußte; da kam er auf den schrecklichen Ge-
danken, in einem Hause, wo er arbeitete, zu stehlen.
Er nahm einen Rock und einen silbernen Löffel weg, nicht
ohne große Angst und Beklemmung. O, hätte er dock-
lieber gehungert, oder Andere um eine Gabe angespro-
chen! Als erden Löffel verkaufen wollte, wurde er als
. verdächtig angehalten; sein Diebstahl kam heraus, und
er mußte lauge im Gefängnisse sitzen. Daher kam er
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
22
I. Erzählungen
vollends herunter, und von dieser Zeit an wurde er nie
wieder recht fröhlich und gelangte auch niemals zu ei-
nigem Wohlstände. Wie traurig sind die Folgen der
Spielsucht! — Sprüchw.1,10. Kap. 13, 20. 'Weist).
4, 12. 3 Joh. 11. Matth. 18, 7. 2 Tim. 2, 22.
Kap. 3, 13. Sir. 18, 32.
20. Zu große Sorge für die Gesundheit.
Chrisnem, ein Tagelöhner, war immer sehr für sei-
ne Gesundheit besorgt. Wenn es draußen ein wenig
stürmte und eine kalte rauhe Luft war, so wollte er nicht
hinaus, und wollte nicht arbeiten, wenn auch schon sei-
ne Frau und seine Kinder Nichts zu essen hatten.
„Du bist ein schlechter Mensch," sagte ihm seknh
Bruder, „wenn du so ängstlich für deine Gesundheit be- '
sorgt sein willst, daß du deine Pflicht darüber vergissest.
Willst du denn deine Kinder darum hungern lassen, weil
du ein Bißchen Husten oder Schnupfen bekommenhnn-
teft? Wenn man wichtigere Pflichten zu erfüllen hat, so
muß man nicht so ängstlich auf seine Gesundheit sehen."
Wie viele Fälle giebt es nicht, wo man von seiner
Bequemlichkeit und Ruhe, vom Schlaf und von der ge-
wöhnlichen Ordnung Manches aufopfern muß, wenn
man seine Pflichten erfüllen will! — Röm. 13, 14.
21. Bemeistere deinen Zorn.
Lebrecht hatte die Untugend an sich, daß er sich sehr
leicht zum Zorn reizen ließ. „Lebrecht," sagte sein Va-
ter, „bemeistere doch deinen Zorn'. Im Zorn weiß man
nicht, was man thut, und man kann sich zu Handlungen
verleiten lassen, die man nachher durch seine ganze Le-
benszeit bereuet."
Lebrecht sah wohl ein, wie gut es sein Vater
meinte. Wie oft war schon seine zornige Gemüthsart
Schuld gewesen, daß er sich mit seinen kleinen Freunden
überwerfen hatte; wie oft war er mit ihnen in Zwist und
Mißhelligkeiten gerathen, und war ganze Wochen lang
mit ihnen nicht zusammengekommen! Aber dennoch war
er nicht klüger geworden. Erst da lernte er denselben ma-
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
25
für Verstand und Herz
dem Kopfe; an ihren Kleidern mochten sie seit langer
Zeit die fettigen Finger abgewischt haben, so glanzten
sie; und ihr Hemde, ihr Gesicht und ihre Hände —
man konnte sie nicht ansehen ohne Ekel.
„Mutter, wir haben keine Lust zum Essen," sagten
die Kinder der Frau Leonhard; „erlaube uns wieder vor
die Thür zu gehen." Die Mutter erlaubte es ihnen, und
ging selbst mit. „ Da drinnen ift's ja nicht aufzuhalten,"
sagte sie, „all mein Appetit ist weg;" — und die Kin-
der versicherten, daß es ihnen eben so gehe. Sie war-
teten draußen, bis der Kutscher, der nur ein Glas
Branntwein trank, wiederkam, welches auch nicht lange
dauerte.— „Nun," sagte der Kutscher, „das Glas
Schnapps hatte ich mit Mühe und Noth hinunterge-
bracht! Es ist doch unausstehlich, was das für eine Ün-
reinlichfeit ist; aber der Wirth hier wird auch alle Tage
ärmer, denn kein Mensch will mehr bei ihm einkehren.
Aber da ist eine halbe Stunde von hier, in dem
nächsten Dorfe, wohin wir kommen, ein Gastwirth;
da sollten Sie einmal sehen, wie rein und blank Alles bei
dem Manne ist! Alle Leute kehren gern bei ihm ein,
und er ist dadurch in einigen Jahren ordentlich ein recht
wohlhabender Mann geworden."
Die Kinder baten die Mutter, bei diesem Manne
einzukehren; denn der vorhin durch den Ekel unterdrückte
Appetit war den Kleinen durch die Erzählung des Kut-
schers wieder rege geworden. Die Mutter erfüllte ihre
Bitte, und sie fundenes, wie es der Kutscher gesagt hat-
te. — Alles aß hier mit Vergnügen, in einer schönen
Hellen weißen Stube, auf blank gescheuerten Tischen. Tel-
ler, Messer und Gläser waren glänzend und rein, und
Wirth und Wirthinn und Kinder sahen aus, als ob sie
sich eben erst frisch angezogen hätten! „Ach," sagtest die
Kinder, „hier ist es viel besser! Hier schmeckt es gut!"
Reinlichkeit trägt viel zum Genusse des Lebens bei.
— Der Sonntag ist bei Vielen schon darum sehr viel
werth, weil er der Tag der Reinlichkeit, und dadurch
eben des erneuerten, erheiterten Lebensgenusses ist. —
Sprüchw. 31,25. Sprüchw. 16, 20.
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
27
für Verstand und Herz.
bis Hans dabei getroffen wurde. Er wurde empfindlich
gestraft und mußte seinen halben Lohn daran wenden,
die beschädigten Baume zu bezahlen. Da sagte er: „Ich
habe nicht allein Schaden gethan, Andere haben auch
Bäume beschädigt." Darauf antwortete der Herr:
„Aber dich haben wir bei Beschädigung der Bäume an-
getroffen , und die Andern nicht. Hast du Andere gese-
hen, welche die Bäume beschädigten, so hättest du es
angeben, aber nicht nachmachen müssen."
Um solcher bösen Buben willen bleiben viel nützliche
Dinge zurück, die sonst geschehen könnten.
Hütet euch, bösen oder thörichten Leuten nachzuah-
men ; sonst werdet ihr oft nicht nur für den Schaden bift
ßen, den ihr selbst thatet, sondern auch für den, wel-
chen Jene schon zuvor gethan hatten. — Sir. 24,1.
5 Mos. 20, 19. 20.
25. Das Vogelnest.
Kar! nahm alle Vogelnester um das ganze Dorf her
aus, fing die Alten bei den Nestern, und quälte dann
die Vögel, bis sie todt waren. Dadurch gewöhnten sich
alle Vögel von dieser Gegend weg; und im Frühjahre,
wo sonst durch den Gesang der Vögel Alles erfreuet wird,
war es bei diesem Dorfe traurig und still. Es gab da-
gegen so viele Raupen und Gewürm daselbst, daß die
Leute kein grünes Bkatt behielten und daher von ihren
Bäumen kein nützliches Obst bekamen. Alles ist von Gott
zum Nutzen mit großer Weisheit eingerichtet. Die klei-
nen Vögel singen schön und todten für sich und ihre
Jungen sehr viele Raupen und Würmer, welche den
Baum - und Gartenfrüchten schädlich sind.
Der Mensch hat nach Gottes Erlaubniß die Herr-
schaft über die Thiere, daß er sie zu seinem Nutzen tod-
ten kann; aber quälen darf er sie nie, auch nicht aus
Muthwillen todten. — 5mos. 22,6. u. 7. Sprüchw.
12, 10.
26. Betrug macht oft eher arm, als reich.
Der Kaufmann Merz in dem kleinen Städtchen
Hallberg glaubte durch Betrug am schnellsten wohlhabend
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
29
für Verstand und Herz.
Die meisten von den weggekommenen Sachen er-
hielten diese Leute nicht wieder; denn diejenigen, welche
sie an sich genommen hatten, waren schlecht genug, sie
zubehalten. Aber die hundert Thaler bekamen sie wieder,
denn die Magd war ehrlich. Eine andere Magd hatte
sie zwar zu bereden gesucht, das Geld zu behalten; allein
sie ließ sich durch alles ihr Zureden in ihrer Ehrlichkeit
nicht wankend machen. „Nein," sagte sie, „dasgeld
ist ja nicht mein; — es wäre so schlimm, als wenn ich
es gestohlen hatte, wenn ich es behielte."
Die Eigenthümer des Geldes wollten der ehrlichen
Magd eine Belohnung geben; aber sie nahm dieselbe
nicht an. „Es ist ja meine Schuldigkeit," sagte sie, „daß
ich Ihnen das Geld wiedergebe; es hat mir ja nicht ge-
hört." ' __________.
Darf man gefundene Sachen behalten, wenn man
noch irgend hoffen darf, den Eigenthümer auszumitteln ?
— Darf man borgen, wenn man fürchten muß, daß
man nie werde wieder bezahlen können?— Ps. 37,16.
Sprüchw. 15,16.
28. Ehrlich währt am längsten.
, Leonhard war zwölf Jahr alt, als er das Unglück
hatte, daß ihm sein Vater starb. Nun hatte er keinen
Versorger mehr; denn seine Mutter war so kränklich, daß
sie ihn unmöglich mit ihrer Hände Arbeit ernähren konn-
te. Leonhard faßte daher den Entschluß, selbst sein Un-
terkommen zu suchen, um seiner Mutter nicl)t zur Last zu
fallen. Kann ich doch fertig lesen, schreiben und rechnen,
dachte er bei sich selbst: wie, sollte ich nicht durch die
Weltkommen, wenn ich fleißig und ehrlich bin?— Er
nahm von seiner Mutter Abschied, und wanderte nach
einer nahe gelegenen Stadt, wo ein Freund seines Va-
ters wohnte, der ein wohlhabender Kaufmann war. Bei
diesem meldete sich Leonhard, erzählte ihm sein trauri-
ges Schicksal, und bat ihn um Unterstützung. „Gern
will ich vom Morgen bis zum Abend arbeiten," sagte
er, „wenn Sie sich nur meiner annehmen wollen." —
Herr Schulz (so hieß der Kaufmann) war bereit, den
1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
für Verstand und Herz. 31
dlg aus, -- dafür wollen wir uns einen guten Tag ma-
chen, lieber Leonhard; denn so einfältig wirst du doch
wohl nicht sein, das Goldstück dem Herrn wiederzuge-
den?" — „Allerdings werde ich es unserm Herrn wie-
derbringen," antwortete Leonhard; --denn ihm gehört
es, und nicht uns. Mit gutem Gewissen können wir es
nicht behalten, und ich mag mein gutes Gewissen nicht
verlieren."— Er lieferte es auf der Stelle seinem Herrn
ab, und dieser war darüber so erfreut, daß er es ihm
zum Geschenk machte. Seit dieser Zeit verlor er nie-
mals das Zutrauen seines Wohlthäters; und da dieser
keine Kinder hatte, so setzte er den ehrlichen und treuen
Leonhard zum Erben seines ganzen Vermögens ein. —1
Sprüchw. 10, 2. Luc. 16,10. Matth. 25, 21.
29. Auch was dir schwer wird, greife
frisch an, und arbeite es zuerst!
„Ach, das ist ein schweres Exempel!" rief der trä-
ge Martin, und rieb sich dazu den Kopf. Er stand erst
ein Weilchen vor dem Tische; er sah das Exempel wohl
zehnmal an; aber immer blieb das Exempel so schwer,
wie es gewesen war. ,
Vielleicht, dachte Martin, kommt es dir hernach
nicht so schwer vor, und schob die Rechentafelzur Seite.
Nun holte er sein Schreibbuch, um die Seite fertig zu
schreiben, welche ihm aufgegeben war; dann las er ein
wenig; dann fing er an, Etwas, das ihm aufgegeben
war, zu lernen. Aber immer lag ihm dabei das häßliche
Exempel im Sinne, und seine Scheu vor demselben
wurde immer größer.
Jetzt, da er mit seinen Arbeiten fertig war, konnte
er sich nun nicht mehr helfen. Das Exempel wollte
gemacht sein; denn morgen mußte er es dem Lehrer
vorzeigen. Er fing an zu rechnen; aber da traf keine
Zahl richtig zu — er kam nicht von der Stelle. Er fing
noch einmal an, und wieder noch einmal; aber immer
fehlte Etwas. Da fing Martin an zu weinen.
^Du bist ein Närrchen," sagte sein Bruder, der
muntere Christian, zu ihm, der um ein Jahr jünger
war; „ mit dem Weinen wirft du das Exempel nicht ssertig