1811 -
Gießen
: Heyer
- Autor: Schlez, Johann Ferdinand
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Fvitz. Das merk' ich an mir. Aber weißst du
doch, Lerchen, daß es der letzte Stteich ist, dm du
von der Art mir spielst?
2.) Das Vogelnest.
Heinrich, (auf einen Baum deuten-) Eiehst du?
Siehst du da oben?
Wilhelm. Was denn?
Heinrich. ... die Kohlmeise in'6 Astloch schlü-
pfen? — Da ist gewiß ihr Nest!
Wilh. Gut! so wünsch' ich ihr Glück ins Wo-
chenbett, und dir viel Glück zur Entdeckung.
Heinr. Du glaubst d-och nicht, daß ich den Fund
allein behalten wolle?
Wilh. Verkaufe nur die Bärenhaut nicht zu
früh. — Aber was wollen wir denn nut den Vögel-
chen machen?
Heinr. Sie in einen Käfig stecken.
Wilh. Und darin verhungern lasten?
Heinr. Warum nicht gar! Können wir sie nicht
vor unser Fenster hängen, daß die Alten sie groß füttern?
Wilh. Werden sie das auch thun?
Heinr. Warum nicht? Der Baum ist ja nah
genug an unserm Hause. — Kannst du dir was lusti-
geres denken, als die jungen Vögelchen so flattern,
zwitschern und das Maul aufsperren zu sehen, wenn
die Alten mit Futter kommen?
Wilh. Und so etwas macht dir Vergnügen?
Heinr. Warum nicht?
Wilh. Würde es uns, wohl auch Spaß machen,
wenn wir in einem Gefängnisse stäken und unsre jam-
mern-
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- Autor: Schlez, Johann Ferdinand
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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Alle z»gleich: Es klingelt! Es klingelt! Es
klingelt!
(Sie springen mir Jubel in das erleuchtete Zimmer)
Gust. lauf sein Geschenk zueilend) Ach allerliebst!
wie schön! wie prächtig! (dem Vater und der Mutter um
den Hals fallend) Dank, tausend Dank dafür'! (zur
Schwester) Lottchen! Lottchen! sieh doch, sieh doch ein-
mal! Nene Hosen! eine neue Weste! eine neue Zacke!
neue Stiefel!
Lotte. Neue Schuhe! ein prächtiges Halstuch —•
und o das herrliche Arbeitssackchen mit dem schönen
Namenszuge von Vergißmeinnicht! (auf die Mutter zu-
hüpfend und sic 'küssend) Ach gewiß von deiner lieben Hand
gestickt, lieb Mütterchen! Danke! danke! danke! O du
herzig-gute Mutter du!
Karl. Und erst meine neue Flinte! und den Sä-
bel dazu! Da schaut einmal! (Küßt den Aeltern die Hand
und fangt sogleich an mit der hölzernen F.linte zu exerciren. Gust
nimmt sie ihm ab.)
Gust. Nicht doch! Du bist ein jämmerlicher Fu-
silir! (Er macht es ihm vor) Achtung! Richt't euch!
Llnksum! Marsch! Halt! Lad't das G'wphr! Fer^
tig! An! Feuer! Puf!
Vater. Uhuhuhu! Richte kein Unglück an mit
der hölzernen Flinte! — Wie du mich erschreckt hast!
Gust. Hahahaha! Läßt mir's nicht gut, lieb
Väterchens
Vater. Herrlich. Sollte einem elfjährigen Jun-
gen eine hölzerne Flinte nicht gut stehn? Aber du und
Lottchen, ihr habt gerade das beste übersehen.
Lotte. Und was denn? — Aha, da liegt es!
Ein Buch in rothem Bande mit Gold! (Sir schlagt cs auf)
Bruder Gust, flugs! Sieh, was uns der liebe Vater'
geschenkt hat! Ein Bilderbuch — o mit köstlich gcmalceir.
Bildern! (Bcyde sehen hiuem) O wie schön, wie schön!
da
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Kinder. ( sich >1» ibn anschmiegend) Ach Vater! ach
Vater! O wie es raffelt und rollt! Alle Fenster
zittern!
Vater. Zittert nur ihr nicht! Furcht vergrößert
die Gefahr!
Mutter. Gott sey dey uns! Ach der Blitz hat
gezündet! Gewiß! Gewiß! — Seht, da laufen
schon Leute zusammen!
Kinder. Ach Gott! Feuer! Feuer! Feuer!
Vater. Stille doch! Noch wissen wir ja gar
nicht, ob der Strahl gezündet hat oder nicht. —
Bleibt! ich laufe, um selbst zu sehen.
Kinder. O Vater! Vater! Zn dem schrecklichen
Werter willst du fort? Ach du wirft erschlagen und
wir sterben vor Angst!
Mutter. Seyd doch nicht so sinnverlieng, ihr
Kinder! — Geh! Geh, lieber-Vater, und bring
uns bald gute Nachricht!
Vater. Gott geb' es! In wenig Minuten bin
ich wieder bey euch. Adieu!
Kinder. Der Vater kommt! Der Vater kommt
schon wieder!
Mutter. Ach, was für Nachricht wird er uns
bringen! .
Vater. (Im Hereintreren)- Gott Lob und Dank!
Das Glück war großer als das Unglück. Der Strahl
hat nicht gezündet; kein Mensch ist verunglückt; das
Wetter entfernt sich und die Gefahr ist vorbey!
£slfit frey das Her; von Sorgen seyn,
Wenn uns ein Wetter droht.
Weg, bange Furcht! Wir sind ja d»in,
Du bist die Liebs, v Gott’
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12 v -
6.) Die bestrafte Sorglosigkeit.
(Wehklagender Ausruf.)
Ach meine armen Täubchen! seufzte Mrnchen, als es
seine Mutter vor den Taubenschlag führte, um ihr die
Niederlage zu zeigen, die ein Marder darin angerichtet
hatte. Ach meine liebsten, meine unschuldigsten Freuden
sind hin! O wie paßt jetzt das schone Liedchen auf mich:
Ach Verwüstung! ■—- Ueberall umher
.Liegen sie in Tobesschlaf versunken
Meine Täubchen! Keines athmet mehr
Und der Marder hat ihr Blut getrunken *
> Das geliebte Ringeltäubchen hier
Hatt' ich mit so vieler Müh' erzogen;
Wenn mein Aug' ihm winkte, kam es mir i
Freundlich auf die Schulter hergeflogen.
Ach! entfiedert und entstellt vom Tod
Liegt mein liebes, silberweißes Täubchen!
Zarte Fuschen hatt' es, klein und roth,
Auf dem Kopf ein mondgeformtes Häubchen.
Ihm zur Seite liegt das Männchen da,
Mit dem glatten, aschenfarbnen Köpfchen;
Alle Regenbogenfarben sah
Man im Sonnenstral an seinem Köpfchen!
Ach, wer hätte mir sagen sollen, daß mein Lieb-
lingsliedchen so buchstäblich auf mich passen würde! O ich
kann es nun nicht mehr singen, ohne zu weinen !sö bö-
ser, böser Marder! Hättest du nur ein Pärchen, nur das
einzige Pärchen verschont, das ich so inühsain erzogen
habe! das dankbare Pärchen, das mir so traulich auf
die Schulter flog, wenn ich Gurr Gurr rief! — Ach
nichts ist mir von euch übrig, ihr frommen Täubchen,
als euer armes, nacktes Zwillingspaar! — O ihr klei-
nen Närrchen! wärt ihr nur ein Bischen flügger!. Wie
wollt' ich euch pflegen und warten, bis ihr auch so
groß und zahm würdet! —
Mutter. Armes Minchen ! wie beklag' ich dich
und deine armen Täubchen! Aber — i ch bin unschuldig.
Min -
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u
Of stet er. Wer sind diese?
Einer von ihnen. Die Grenadiere Friedrich
und Haupt. Wir sind hier unbewaffnet, als Gäste bey
. einem Hochzeittanze. Unsre ungeladenen Cameraden ka-
men betrunken herein, rissen den Gästen die Tänzerin-
nen aus der Hand und schleppten sie im Kreise herum.
Wir baren sie höflich und inständig, keine Störung
zu machen; da zog Grenadier Faust den Säbel gegen
mich. Die Bürger fielen ihm in die Hand und wollten
ihm das Seitengewehr herauswinden. In dem Augen-
blick aber zogen auch die drey andern voin bieder; hie-
den nach den Bürgern; stürzten den Tisch hier, mit
allem was darauf stand, über den Haufen, und mich
traf, wie Sie sehen, ein Säbelhieb in das Gesicht.
Ein Bürger. Und diesen Menschen hier einer aich
die Hand. • Waren Sie nicht, wie ein Schutzgeist,
dazu gekommen, welches Unglück hatten diese Berausch-
ten noch anrichten können!
Einer der Händelmacher. Sollen wir das
Seitengewehr unsres Königs von solchen Burschen uns
abnehmen lassen?
Officier. Mensch! Spricht man so verächtlich
von ehrlichen Bürgern? Gab euch der König das
Seitengewehr zu Gewaltthätigkeiten? Gab er euch ein
Recht, seme Unterthanen zu mißhandeln? Sollten
sie nicht einen Frevler — er stecke in Montur oder
nicht— entwaffnen dürfen? Schämt eltch, ihr Trun-
kenbolde! Ein Federfittich gebührt euch statt des Sä-
bels , wenn ihr keineir bessern Gebrauch von^ihm zu
machen wißt! Spart euern Muth auf das Schlacht-
feld ! — -— (Im Begriffe wieder abzugeh» ) Pfui der
ewigen Isteckereyen zwischen Bürgern und Soldaten!
Gegen beyde muß strenge Gerechtigkeit statt finden!
Das sollt ihr erfahren, so bald die Untersuchung ge-
endigt ist! — Fort in Prison!
Ul
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r6
Mutter. Du nicht; aber dein Bruder Karl.
Fritz. Ach der gute Karl! Was hat er denn Bö-
ses gethan? Hat er dir nicht gefolgt?
Mutter. Ja wohl nicht gefolgt. — Fritz, wie
heißt das siebente Gebot?
Fritz. Du sollst nicht stehlen.— Meynst du etwa,
ich weiß nicht einmal, wie das siebente Gebot heißt?
Mutter. Dein älterer Bruder Karl weiß es schon
länger und besser als du — und doch ..... Er
hat nicht gefelgt!
Fritz. Nicht möglich! Karl, der gute Karl hätte
gestohlen? —- Da wäre ja Karl ein Dieb?
Mutter. Wer Obst und Geld stiehlt, ist der s
kein Dieb?
Fritz. Ja wohl, ja wohl! Aber hätte der ehr-
liche Karl das gethan, der jeden Bissen mit uns theilt?
Mutter. Leider! Gestern sah' ich, daß er fein
Kleiderkästchen so schnell zuschloß und ganz verlegen
that, als ich ihn darüber antraf. Es fiel mir auf;
aber ich dachte doch nichts arges. Heute sah' ich, ge-
gen alle Gewohnheit, den Schlüssel abgezogen. Ich
suche, und finde den Schlüssel in seinem Jäckchen. Ich
schließe auf — und o Gott, was sah ich! — ach! er
hat ganz vergessen, was sein sterbender Vater uns sagte:
Wir sind wohl arm, aber wir werden viel Gutes ha-
den, wenn wir Gott furchten, die Sünde meiden und
Gutes thun.
Fritz, (weint) Und woher weißt du denn, daß er
den schönen Spruch vergessen hat?
Mutte.r. Ach, ich fand in seinem Lädchen iz
Äpfel, ein ganzes Häufchen Nüsse und dreyßig Kreuzer
Haares Geld. Das alles hat er nicht mit Recht, denn
er hielt es geheim und hatte kein gutes Gewissen, als
ich ihn darüber antraf.
Fritz.
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r?
Fritz. (der Mutter um den Hal fallend) O freu'
dich, freu' dich, herzige Mutter! Karl ist noch immer
unser ehrliche Karl! — Aber ich muß rhm wehe thun,
ich muß sein Geheimniß verrathen.
Mutter, lind welches? daß er gestohlen hat? und
darüber soll ich mich freuen?
Fritz. Nein, o nein doch! Schon seit einem
Vierteljahre spart er alle Heller zusammen (und auch
ich habe eln Paar dazu gesteuert) um dir eine Freude
zu machen. Du sollst erfahren, wie ehrlich wir zu
den dreyßig Kreuzern gekommen sind. Wir haben sie
bey Herrn Wendler verdient. Du weißst, er giebt den
Kindern gern etwas, wenn sie ihm einen Gefallen
thun. Auch die Äpfel lind Nüsse sind nicht gestohlen.
Die Nüsse hgben wir gekauft und die Apfel bekamen
wir geschenkt. Für das Geld hatten wir ein Paar
wollene Handschuhe aitf den Winter für dich bestellt,
damit dich ruckt so frieren soll, liebe Mutter; und in
kommender Woche, an deinem Geburtstage,, wollten
wir damit dich anbinden. I ch wollte die Apfel und
Nüsse in unsrem kleinen Armkörbchen, und Karl die
Handschuhe auf einem neuen irdenen Teller dir brin-
gen. Siehst du, nun weißt du alles, liebe Mutter!
Aber ach! nun ist dir die Freude verdorben!
Mutter, c mit Thränen ihn küssend ) Nicht verdor-
den, lieber Fritz! Meine Freude ist nun doppelt groß! —
Ach verzeih' mir den Verdacht! Er kam aus Liebe zu
euch. Ihr sollt lieber sterben, als unehrlich seyn!
Fritz. Aber, liebe Mutter, der arme Karl würde
weinen, wenn du ihm sagtest, daß du ihn für so böse
gehalten hast. — Er hat sich auf deinen Geburtsrag so
herzlich gefreut! Laß uns schweigen von deinem Ver-
dachte, und ihn auch nicht wissen, daß fein Geheini-
niß verrathen ist!
Mutter. Recht so, mein lieber Fritz! Deinem
i Karl soll die Freude nicht verdorben werden. Mir thut
es leid genug, daß ich deine verdorben habe!
B Fritz.
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Fritz. O nein/ e nein, lieb Mütterchen! Keine
Freude verdorben! Giebt es wohl eine größte sur
rmch, als die/ daß du keinen Kummer mehr hast?
8.) Das Frühstück.
Moritz. Ein Kreuzerchen zum Frühstück, lieber
Vater! bitte! bitte!
Vater. Vor Aufbewahrung deiner Kreuzer
Werd' ich mich hüten, lieber Moritz. Vor etwa 3 Wochen
gabst du mir zwölf, und dafür läßst du mich, wie es
scheint, sechs Wochen lang alle Tage Einen wieder
erstatten.
Moritz. Ach ich weiß es, lieber Vater! Das
Kapitälchen hab' ich schon dreyfach zurück.
Vater, llnd doch haltst du mich noch immer für
deinen Schuldner?
Moritz. Ach nein, ach nein, Herzensvatcr! Nichts
schuldig! aber du bist so gut, so gut ....
Vater. So gut, so gut, daß ich dich zum
Näscher machen werde. — Kinder müssen mit Brod
zum Frühstücke sich begnügen.
Moritz. Nun ja, das will ich auch künftig. Nur
diese Woche, die einzige Woche nocb ein mürbes
Weckchen! (dem Vater die Hand streichelnd) Nicht wahr,
Väterchen?
Louise. Nein Vater, ja nicht! Er trägt alle
die Weckchen der alten Wollenspinnerin zu, die das
Bein gebrochen hat.
Vater. Ist es wahr, Moritz?
Moritz. (Weinerlich) Ach ja, Vater. Sie hat
un6 so schöne Mährchen erzählt, da sie bey uns spann.
Ach, und nun liegt sie so elend aus dem Bette und
das
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-9
das Weckcben schmeckt ihr so gut! Sie wollt' es anfangs
nicht nehmen; aber ich sagte, daß du es ihr schicktest.
Vater. Warum batest du mich aber nicht lieber
für sie? Haltst du dem: deinen Vater für so hartherzig?
Moritz. Ach nein, Vater! Du bist gar zu gut,
ich weiß es; aber weil Mutter ihr alle Mittage zu
essen schickt ....
Vater. Darum, glaubtest du, würde der Vater
nichts thun wollen? . . . .
Moritz. Nein, lieber Vater. Zch dachte nur,
was die Mutter gibt, das kommt ja auch von dir; —
und dann hatte doch Ich nichtö gegeben, wenn Du
rhr geschickt härmst.
Vater. Aber was hattest du denn bisher zum
Frühstücke, wenn du das deinige weggabst?
Louise. Wahrscheinlich ließ er sich ein Stück
Butterbrod dafür in der Küche streichen.
Moritz. O gewiß nicht! gewiß nicht! Es hun-
gerte mich oft recht sehr; aber frage nur, wen du
willst, ob ich nur ein Krümchen Brod des Vormit-
tags verlangt habe.
Vater. (nach einer kurzen Pause) Was sagst du
zu dieser Versicherung, Louise?
Louise. Daß ich nicht weiß, was er gethan hat.
Vater. Und doch wagtest du es, mir Verdacht
gegen deinen leiblichen Bruder einzuflößen? ....
Schon das war häßlich, daß du mir abrierhest, ihm
den Kreuzer noch ein Paar Tage lang fortzugeben;
aber abscheulich ist es, daß du auch, seine Gutmüthig-
keit zu versckwärzen suchst. Schämst du dich nicht vor
dir selbst? — Du aber, wackrer Moritz, von nun an
sollst du alle Wochen ein kleines Taschengeld haben,
weil ich sehe, daß du guten Gebrauch davon machst.
2
Iv,
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Iv. Der strafende und drohende Ton.
9.) Was hab' ich gesagt!
(Der Water/ der eben dem kleinen Albert Unterricht gegeben
hat/ schlägt verdrießlich das Buch zu) Geh Mir! Aus dir
wird nichts, du Wirrkopf! So gern ich sonst unter-
richte, so verdrießlich wird mir bey dir das Geschäft.
Dir fehlt alles, was einen Menschen ¿u einem b r a u ch-
baren Menschen macht. Dll siehst, du hörst,
du begreifst und merkst nicht recht.
Du kennst nun zwar alle Buchstaben; aber du
beobachtest sie nicht genau, daher gilt dir M und £7,
f und s, k. gewöhnlich einerley. Zwey, drey Buch-
staben zu viel oder zu wenig, verschlägt dir nichts».
Du siehst also nicht recht, weil du nicht
genau beobachtest.
Verbeßre ich deine Fehler: so merkst du nicht auf
mich, sondern eilst nur weiter'fort, und so erfährst du
selten recht, worin dein Fehler bestanden hat, oder
warum es ein Fehler war. Du hörst also nicht
recht, weil b 11 nicht ernstlich aufmerkst.
Ob das, was du liesest, Menschenverstand habe,
oder nicht, ist dein geringster Kummer. Bey dem
Falschlesen kommt oft-der lächerlichste Unsinn heraus;
da du aber nicht darüber nachdenkst: so bemerkst du das
gar nicht; und frage ich am Ende: nun, Albert, was
hast du denn gelesen? so bringst du höchstens ein Paar
unzusammenhangende Trümmer zum Vorschein. Du be-
greif st 'a11'0 nicht, »veil du nicht nachdenkst.
Erzähle ich dir endlich das Gelesene reckt deutlich
und zwinge dich dabey zum Aufmerken: so hast du
es doch in acht Tagen ganz wieder vergessen. Warum 1
du laßst alles zu einem Ohr' ein und zum andern wie-
der hinaus. Du merkst nichts, weil du,
wenn eine Viertelstunde vorüber ist, nicht
mehr daran denkst.