1901 -
Leipzig
: Hofmann
- Hrsg.: Gehrig, Hermann, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Druck von Theodor Hofmann in Gera.
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- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
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Wer seine Heimat nicht liebt und ehrt,
der ist des Glücks in der Heimat nicht wert.
Hermann Allmers.
A. Heimatliche Landschasts- und Ztädtebilder.
Dem Land, wo meine Wiege stand,
ist doch kein andres gleich!
Jul. Sturm.
1. Die Keimat.
1. Gar schön und bedeutungsvoll ist das Wort „Heimat". Das
weiß der am besten, der unter Menschen mit fremder Sprache und
Sitte wohnt. Da denkt er oft und gern zurück an die heimatlichen
Fluren, an die Spielplätze seiner Kindheit, an das unvergeßliche, teure
Vaterhaus mit seiner traulichen Umgebung, selbst wenn dieses die ärmste
Hütte wäre. In seinen Gedanken besucht er die Berge und Thäler,
die er als Kind durchstreift hat, wo er Erd- und Heidelbeeren fand;
er durcheilt die sonnigen Fluren und Auen, wo er mit den Spielgenossen
Blumen pflückte, die er zu Sträußen und Kränzchen wand, oder deren
Stengel er zu lieblichen Ketten schlang. Das ehrwürdige Gotteshaus
mit seinem stillen Frieden, die zum Ernst des Lebens mahnende Schule,
die ihn so oft freundlich aufgenommen, und alle die Gegenstände und
Orte, an welche sich besondere Erinnerungen aus den glücklichen Tagen
der Kindheit knüpfen, stehen mit unauslöschlichen Zügen vor seiner
Seele. Selbst in seinen Vorstellungen und Träumen sieht er zumeist
Bilder aus der trauten Heimat.
2. Hat er aber im lieben Daheim noch teure Verwandte, Vater,
Mutter, Geschwister, gedenken seiner noch liebe Jugendfreunde, dann
wird es ihm wohl ganz wehmütig ums Herz und sehnsüchtig, so daß
er gleich hineilen möchte zu ihnen, sie zu sehen und mit ihnen zu sprechen
in den süßen Klängen seiner Muttersprache. Wird ihm dieses Glück
Bilder aus Hannovers Geogr. und Gesch. 1
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Bilder aus der heimatlichen Geographie und Geschichte.
anderswo den unbestrittenen Vorzug weit mannigfaltigerer Gliederung,
weit größerer Individualisierung in Bodenbeschaffenheit und Volksleben;
aber auch das Weite, Auseinandergezogene, Bequeme, Stetige, Gleich-
mäßige unserer Heimat, wie es sich in Sitte und Tracht, in Sprache
und Art der Leute darstellt, heimelt den stillen Beobachter an. Hier
ist, wenn auch bedächtiger, oft schwerfälliger und plumper, doch sicherer
Schritt und Tritt, ruhige Bewegung und bewußte, dann und wann
bis zu sprödem Trotze gesteigerte Haltung. Wie die einzelnen alten
Wirtschaften meist in breiten, sehr kenntlichen Zügen angelegt, wie die
einzelnen Bauernhöfe unter den alten Eichen mit einem Zaun oder einer
Steinmauer umgeben und die zu ihnen gehörigen Ländereien in manchen
Gegenden durch Hecken und Grüben geschieden sind, so bequem abge-
schlossen und auf sich selbst ruhend, gemessen und scharf umschrieben ist
des Menschen Sinn und Sitte. Aus der zerfahrenen Weite der Außen-
welt hat er sich ins Enge und Heimliche seines Gemütes zurückgezogen
und bekundet in dieser heiteren Selbstbeschränkung einen tiefen Zug echt
germanischen Wesens. Wenn auf der Giebelseite mancher Bauernhäuser
die Worte zu lesen sind: „Wat frag ick na de lü'i — Gott helpet mi!"
so spiegelt dieser auserlesene Sinnspruch das stolze Selbstbewußtsein
unseres Volkes wieder.
6. Was ferner die großen historischen Ereignisse betrifft, so
fehlt es auch daran nicht. Wir werden auf der Wanderung durch
unser Land viel des Schwertgeklirres und des Waffengerassels vernehmen.
Allerorten reden zu uns ans der ältesten wie aus der jüngsten Geschichte
unseres Vaterlandes gewaltige Erinnerungen, vom ersten Auftreten unseres
Volkes in der Geschichte und seinem Zusammenstoße mit den Römern, von
den Zeiten Karls des Großen und Wittekinds bis in die ruhm-
reiche Zeit der Freiheitskriege, ja, bis in die Gegenwart hinein.
Ein nicht unbedeutender Teil der deutschen Geschichte hat sich ans dem
Boden unserer Heimat abgespielt. Joh. Meyer, die Provinz Hannover.
Ob höherer Glanz und Schimmer die Fremde gleich erhellt,
die Heimat bleibt doch immer der schönste Fleck der Welt.
Joh. Nep. Vogl.
3. Die Kalkigen.
1. Wir bestiegen einen Husumfahrer, eine kleine Smak, welche aus
Holland gekommen war. Unser Ziel war die Hallige Oland, und
wir segelten ziemlich munter zum Hafen hinaus. Das Meer hatte bei
klarem Himmel und Sonnenschein eine helle Farbe, so hell wenigstens,
wie die Nordsee sie haben kann. Einige Male sahen wir in dieser
hellschimmernden Meeresoberfläche den schwarzen Kopf eines Seehundes
hervortreten. Die Seehunde ziehen jetzt da herum, wo sonst Kühe
weideten, und wir schiffen auf salzigen Wogen über die Fluren weg,
auf denen ehemals des Nachts die friesischen Halbdunkelgänger die
Pferde von den Weiden wegfingen.
Wirft man nämlich einen Blick auf jene genauen Seekarten dieser
Länder, wo alle Sandbänke, Vorlande und Strömungen verzeichnet
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A. Heimatliche Landschafts- und Städtebilder.
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sind, so wird man einen Begriff von dem erhalten, was der Seegrund
hier birgt. Da sieht man die versunkenen Wiesen und Fluren, die noch
jetzt zum Teil ihre alten Namen behalten haben und noch als Sand-
bänke nach den Dörfern genannt werden, die in den Fluten ver-
schwunden sind. Da erkennt man noch in den tieferen Einschnitten
und Wasserstreifen den Lauf der Flüsse, die sonst das Land durchirrten.
An ihren Ufern blühten einst Blumen; jetzt fristet an denselben Ufer-
rändern die Auster ihr schmuckloses Dasein. Man bemerkt da große,
breite Schlünde und Streifen, die lang sich erstrecken und in vielen
Krümmungen sich verzweigen. Sie bezeichnen die Bahnen, auf welchen
das zerstörende Element, in die Länder einbrechend, einherschritt. An
einigen Bänken, die höher hervortreten, glaubt man, altes Ackerland zu
erkennen. Einst war es die Freude des erntenden Schnitters; jetzt ist
es der Schrecken des die Wellen pflügenden Schiffers, der ängstlich
diese Höhen meidet. Nur über die Knochen, die hier bleichen, und
über die Häuser und Steintrümmer, die noch im Sande versteckt sein
mögen, hat der Kartenzeichner nicht berichten können. Von ihnen er-
zählen die Sagen und zum Teil auch noch die historischen Erinnerungen
der Menschen, die bald auf diese, bald auf jene Stelle im Meere deuten
und dabei von der traulichen Herdflamme sprechen, welche dort vor
kurzem oder langem im Wasser erloschen ist.
Von manchem dieser untergegangenen Orte wird noch erzählt, daß
man zu Zeiten ihre Glocken unter dem Wasser ertönen höre. Ja, es
giebt Orte, deren Ruinen sogar noch über dem Meere erscheinen sollen,
wenn lange anhaltende Ostwinde das Wasser in die hohe See hinaus-
treiben und weite Strecken Meeresboden bloßlegen.
2. Heute glänzte die Meeresfläche freundlich, die soviel Grauses
verschleiert. Die Halligen,'welche wir bald sahen, hießen Langenäs
und Oland. Von weitem bemerkt man von ihnen nur die einzelnen
auf hohen Wurten liegenden Häuser, deren Aussehen schon der Römer
Plinius so treffend geschildert hat, als wäre er selbst hier gewesen.
Er sagt, sie lägen bei niedrigem Wasser da wie Schiffe, die auf den
Strand gelaufen, bei hohem aber wie solche, die mitten im Wasser
schwimmen. Der verschiedenartigen und häufig wechselnden Luftzustände
wegen zeigen sie fast alle Tage ein anderes Ansehen. Mehrere Male
hat man sogar die Insel Helgoland, die doch 25 Stunden von hier
entfernt liegt, wie ein Gespenst aus dem Meere hervorsteigen sehen.
Es geschieht dieses ohne Zweifel infolge einer Luftspiegelung.
Die Halligen ragten bei unserer Ankunft zur Flutzeit nur wenige
Zoll über die Oberfläche des Wassers hervor. Das Ufer der Insel
ist rund herum vom Meere angenagt. Diese Benagung geht noch
immer fort, und es drängt sich dem Besucher die Überzeugung auf,
daß auch diese Insel dem Untergange geweiht ist. Das Land ist ein
schöner und fruchtbarer Marschboden; aber er kaun nicht bebaut werden,
weil die dem Acker anvertraute Saat keinen Augenblick vor der Flut
sicher wäre.
3. Das erste, was uns beim Beschreiten der Insel auffiel, waren
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mehr. Es schlossen sich noch mehr Ansiedler mit ihren Wurten an;
man warf auch die Wurte für die Kirche auf, und so entstand all-
mählich eine ansehnliche Dorfwurte und dann ein ganz kleines Wurt-
dorf. In der Regel haben die Wurten mehr gekostet und sind mehr-
wert als die Häuser und Dörfer, die darauf stehen. Die Häuser der
Dorfbewohner stehen dicht beisammen, weil man mit dem mühsam ge-
wonnenen Raume sparsam umgehen muß. Bei jedem Hause sind mehrere
kleine Räume durch dünnes Pfahlwerk abgeteilt und abgezäunt, ein
Raum für sechs Schafe oder Schweine, ein anderer für ein paar Kohl-
pflanzen oder einige eßbare Unkräuter. Dazwischen hin führt ein sehr
unebener Fußpfad, in dem sich inmitten des Pfahlwerks eben nur zwei
Menschen nebeneinander hindurchzwängen können.
Auf der Insel findet sich keine einzige Süßwasserquelle. Das
macht den Bewohnern unendlich viel, zu schaffen; sie leiden unter
doppelter Wassernot, an beständigem Überfluß an Seewasser und an
immerwährendem Mangel an Süßwasser. Zuweilen müssen sie durch
Sturm und Unwetter zum Festlande segeln, um für Geld und gute
Worte einige Tonnen Trinkwasser zu erhalten. Sie sammeln daher
jeden Tropfen Regenwasser von oben her sorgfältig in Erdgruben, die
sie „Sote" nennen. Dieses Wasser dient den Schafen zur Tränke und
ihren Herren zur Bereitung ihres Thees.
5. Doch glücklich die Hallig, wenn ihr Bild immer dem sonnigen
Tage gliche, den wir dort verlebten. Aber es bleibt noch eine furcht-
bare Nachtseite zu zeichnen übrig: die Überschwemmungen, von
denen wir schon wiederholt reden mußten.
Wir gelangten auf unserer Wanderung bis zum Wurtkirchhofe.
Er ist höher gelegen denn die übrigen Teile der Werft. Vom Lande
her sanft ansteigend, fällt er gegen das Meer schroff ab; die Wellen
haben das Erdreich an dieser Seite abgenagt, und eine Sturmflut hat
ein Stück des Kirchhofs mit Särgen und Totengebein fortgerissen.
Welch grausige Predigt der Vergänglichkeit dieses Stücklein Erde, das
der Halligbewohner seine Heimat nennt! Ein schauriges Bild entrollt
sich vor unserm Auge. Zur Gewohnheit sind die Überschwemmungen
geworden, die, alles stäche Land überwogend, bis an die Werften hinauf-
steigen und an die Mauern und Fenster der Hütten mit ihrem weißen
Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen aus der weiten,
umrollenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor, von denen
man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise, Männer,
Frauen und Kinder unterdessen vielleicht ruhig um ihren Theetisch her-'
sitzen und kaum einen flüchtigen Blick auf den umdrängenden Ocean
werfen. Manch ein fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff
segelte schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig
weg, und die erstaunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben,
wenn sie auf einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die
hellen Fenster einer Stube schimmern sahen, die, halb von den Wellen
bedeckt, keinen andern Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber
es bricht der Sturm zugleich mit der Flut auf das bange
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4. Urzeit und Gegenwart der Marschen.
1.
Armsel'ge Fischer oder Jäger waren
der Marschen erstes Volk vor grauen Jahren,
und rings war öde noch das junge Land;
weit streckten Bänke sich von Schlamm und Saud.
5 Ein trüb' Gewässer rieselte dazwischen,
mit salz'ger Meerflut dann sich zu vermischen.
Kein Baum, kein Strauch, so weit das Auge spähte;
das Rohr nur rauschte, wenn ein Windhauch wehte.
Und daun und wann in ungeheuern Schwärmen
10 flog Sumpsgeflügel aus mit lautem Lärmen.
Hier nur und dort auf einer sest'ren Stelle,
die weniger bespült ward von der Welle,
erhub sich, aufgehöht durch Menschenhand,
ein nied'rer Hügel, draus die Hütte stand,
15 noch ohne Wände, in den Grund gesteckt
das rohe Sparrenwerk, mit Rohr gedeckt.
Da führt' das Volk, umbraust von Wo^' und Wind,
des Daseins schweren Kampf für Weib und Kind. —
Und also fanden's Romas Legionen,
20 nicht fassend, daß hier Menschen möchten wohnen.
Die aber priesen laut, wie schön es sei,
zu hausen hier so friedlich und so frei,
und tauschten selbst nicht um die Schätze Roms
die liebe Insel ihres lieben Stroms.
2.
Rach Sturm und Kamps und Rot und Plage erschienen endlich goldue Dage.
Gesichert hinter starken Deichen liegen die Marschen nun, die reichen.
Hernieder leuchtet blau der Himmel aus Saatengewog' und Herdengewimmel.
Voll ist die Luft von Lerchengesang; von Dorf zu Dorf tönt der Glocken Klang,
5 und rings im Lande, weit und breit, Gehöft ist an Gehöft gereiht.
Weit schaun die Giebel übers Grün und nieder auf des Gartens Blühn.
Es stehn die Scheunen vollgepackt; die Tenne dröhnt vom Dreschertakt.
Und drüben qualmt empor der Rauch schwarz aus des Ziegelosens Bauch.
Und Fleiß und Ordnung segenschwer, und Glück und Reichtum rings umher! —
10 Das ist das einst so öde Land des grauen Walls voll Schlamin und Sand.
Das ist's, wo einst, umrauscht von Rohr, die Fischerhütte stieg empor.
Das ist's, wofür die Väter stritten; das ist's, wofür die Väter litten! —
D, denket oft an sie zurück in eurem Frieden, eurem Glück!
Preis ihnen drum in Bild und Saug! — Ihr wackern Väter habet Dank!
Hermann Allmers.
5. Keest und Marsch.
1. Gegen Mittag hatte ich endlich den inneren heidereichen Kern
des Landes, welches man das Herzogtum Schleswig nennt, durchbrochen
und erreichte das schmale, niedrige, fruchtbare Küstenland auf der West-
seite — die nordfriesischen Marschen.
Diese Marschen sind ein Geschenk der See, das sie aus dem
feinen Material, welches die Eider, die Elbe und andere Flüsse aus
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gestalteten Vorgebirgen und Landzungen in die flache Marsch hinein,
und da das Flußmaterial sich zuweilen auch an schon früher durch
vulkanische Kräfte aus dem Meere gehobene Inseln ansetzte, so giebt
es auch Inseln, die halb Geest und halb Marsch sind.
3. Der Gegensatz zwischen Geest und Marsch wird
daher hier zu Lande immer besprochen und beschäftigt alle Leute.
Einem rechten Marschbewohner zerfällt fast die ganze Welt in Geest
und Marsch. Die Marsch ist niedrig, flach und eben, die Geest hoch,
uneben und minder fruchtbar. Die Marsch ist kahl und völlig baumlos,
die Geest stellenweise bewaldet; die Marsch zeigt nirgends Sand und
Heide, sondern ist ein ununterbrochener fetter, höchst fruchtbarer Erd-
strich, Acker an Acker, Wiese an Wiese; die Geest ist heidig, sandig
und nur stellenweise bebaut. Die Marsch ist von Deichen und schnur-
geraden Kanälen durchzogen, ohne Quellen und Flüsse; die Geest hat
Quellen, Bäche und Ströme.
Dieser schneidende Gegensatz tritt noch mehr hervor, wenn man
die moralischen Verhältnisse der Bewohner untersucht.
Die eigentümliche Beschaffenheit des Landes macht einen eigen-
tümlichen Ackerbau nötig, und dieser bedingt, so wie die Art zu
wohnen, so überhaupt die Sitten vielfach. Ganz eigentümliche Kunst
und Kenntnis erfordert die Eindämmung und Verteidigung der Lande
gegen die Angriffe des Meeres, die Errichtung und Erhaltung der
Deiche. Diese Deichbauten, die dabei vorkommenden Arbeiten, die
Schleusenanlagen und Kanalgrabungen zur Ableitung der süßen
Gewässer erfordern so mancherlei Übung, daß nur ein Volk, das seit
langer Zeit in einer solchen Gegend wohnt, alles das dabei Nötige
leisten kann. Der Reichtum, den die Leute in den Marschen erlangten,
machte sie stolz und sreiheitliebend.
Die Möglichkeit, ihr Land und ihre Freiheit durch künstlich ver-
anlaßte Überschwemmungen vor feindlichen Einbrüchen zu sichern, that
dieser Freiheitsliebe noch mehr Vorschub, und so bildete sich denn von
Holland und den Mündungen der Maas an bis an die Mitte der
Halbinsel Jütland hinauf eine ganze Reihe kleiner, mehr oder weniger
unabhängiger Marsch-Demokratien, die selbst noch heutigentags, ob-
gleich sie allmählich ihre staatliche Selbständigkeit verloren haben, als
mit besonderen Privilegien und Kommunalrechten begabte Lündchen
bestehen. Solche Ländchen sind in Hannover und Oldenburg: das
Land Hadeln, das Alte Land, das Land Kedingen, das Land Stedingen,
die Landschaft Jever und viele andere.
4. In der ganzen Welt pflegen die Bewohner zweier von Natur
sehr verschiedener Landstriche miteinander in Opposition zu treten und
in einer langen Reihe von Kriegen sich zu bekämpfen. So kämpften
die armen Schweizer-Alpenhirten mit den großen Herren, die aus dem
reichen, ebenen Burgund heranzogen. Kurz, wo man hinblickt, ist
Wüste und Fruchtland, Inseln und Festland, Berg und Ebene mit-
einander in Opposition, und so sind es an der Nordsee Marsch und
Geest stets gewesen. Doch kamen hier, im umgekehrten Verhältnisse mit
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Feuersteine in den verschiedensten Farben oder Granitsteine, die aus
rötlichen, schwarzen und anders gefärbten Körnchen zusammengesetzt sind.
Diese Steine, Findlinge genannt, trifft man oft in großen Blöcken
an, und der Heidebewohner trägt sie zusammen, um daraus die Grund-
mauern seiner Häuser zu bauen oder Höfe und Wege damit zu
pflastern. Oft muß er sie erst mit Pulver auseinandersprengen, so
groß sind sie.
Wie diese gewaltigen Granitsteine dahingekommen sind, kann
niemand mit Bestimmtheit sagen, obschon die Gelehrten allerlei Ver-
mutungen darüber haben. Eins ist gewiß: Sie stammen weit von
Norden her, aus Norwegen, wo die Gebirge ganz aus Granit bestehen,
und sind in unsere Gegend gelangt, noch ehe eines Menschen Fuß sie
betrat, vor vielen tausend Jahren. Erst lange nachher siedelten sich
auch Menschen an. Die sahen mit Staunen die riesigen Blöcke und
bauten Kammern daraus, worin sie ihre Toten begruben. Noch heute
findet man in der Heide solche aus mächtigen Granitstücken zusammen-
gesetzte, oben mit einer viel Centner schweren Steinplatte bedeckte
Steinhäuser, bei Fallingbostel sogar fünf bei einander. Auch findet
man Äxte und Hämmer, die sich jene Völker aus Stein machten; aber
die Menschen, die sie verfertigt haben, sind lange tot. Man weiß nicht
einmal mehr, wie sie geheißen und ausgesehen haben.
Später sind stattliche, kriegerische Leute in die Heide gezogen, die
sich Langobarden nannten. Ob sie deshalb diesen Namen hatten, weil
sie lange Bärte, oder weil sie lange Barten, d. h. Äxte, trugen, das
weiß man nicht. Sie haben aber nachmals ihre Heimat verlassen und
sind weit nach Süden gewandert in das sonnige Land Italien. Noch
heißt ein Ort nach ihnen Bardowiek und eine Landschaft Bardengau. —
Jetzt bewohnt ein kräftiges, stattliches Volk mit hellblondem Haar und
blauen Augen die Heide. Es sind Nachkommen der alten Sachsen, die
vorher auf der anderen Seite der Elbe saßen und in die verlassenen
Wohnsitze der Langobarden einwanderten. Sie erhielten vielleicht ihren
Namen von dem Sachs, einem kurzen Schwerte, ihrer Lieblingswaffe.
Vor etwas mehr als tausend Jahren waren sie noch Heiden und ver-
ehrten mehrere Götter, unter denen Wodan, Donar und Sachsnot
(d. i. Schwertgenoß) die vornehmsten waren. Aber in langen, blutigen
Kämpfen bekehrte sie der Frankenkönig Karl der Große zum Christen-
tum, dem sie seitdem mit Treue ergeben sind. Inniges Gottvertrauen
und tiefe Frömmigkeit sind die vornehmsten Tugenden des „Heidjers".
Inmitten der Heide, in dem Dorfe Hermannsburg, errichtete im Jahre
1849 der fromme Pastor Harms eine Missionsanstalt, von der das
Christentum nach Afrika und Indien getragen wird. Mancher Sohn
der Heide ist schon hinausgezogen, die frohe Botschaft vom Heilande der
Menschen zu verkündigen.
4. Sonst aber vermag den Heidbewohner nichts aus seiner Heimat
fortzuziehen. Er liebt sie, und gewiß, sie ist liebenswert. Wenn auch
keine großen Städte die Heide schmücken, so ist sie doch reich an an-
mutigen Dörfern und stattlichen Gehöften. Wo die klaren Heidbäche
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17. Die Sonne sinkt; die Lust geht kühl;
der heiße Tag ist bald vorbei.
Schon treibt die Fledermaus ihr Spiel;
schon gellt der Eule Jammerschrei.
18. Daheim wohl lauert schon sein Weib.
Er legt die Twicke aus der Hand
und knöpft um seinen nassen Leib
den schlechten Rock aus Beiderwand.
19. Sein Blick noch einmal überfliegt
die Rodung, die er heut geschafft,
und was noch brach und öde liegt
und wartet seiner Fäuste Kraft.
20. Dann schreitet still er durch den Sand,
durch Heid und Moor, so schwarz und tot.
Am Himmelssaum der Sonnenbrand,
ihm glüht er hell wie Morgenrot.
Hermann Löns im „Niedersachsen", 5. Jahrgang.
8. Die Klöe.
1. Die Elbe ist als Schiffahrtsstraße für Norddeutschland von
der größten Wichtigkeit. An Wasserfülle und Länge übertrifft sie die
Oder bedeutend; denn sie ist mehr als 150 Meilen lang und über
100 Meilen schiffbar. Die Elbe hat ihren Ursprung auf dem hohen
und quellenreichen Riesengebirge. Hoch oben am Kamme desselben be-
finden sich große Moos- und Moorwiesen, welche wie ein Schwamm
die Feuchtigkeit aus der Luft aufsaugen. Eine dieser Wiesen führt den
Namen Elbwiese. Hier sind Vertiefungen mit klarem, steinigem Grunde,
von der Größe eines Waschfasses. Aus diesen Brunnen fließen zahl-
reiche Wasseradern zu einem Bächlein zusammen. Dies ist der Anfang
der Elbe. Nach kurzem Laufe stürzt sich der junge Bergfluß über eine
hohe Felsenwand hinab und sammelt dann seine zerstreuten Wasser
wieder in dem schauerlichen Elbgrunde. Das ist eine tiefe Wildnis
voll Moor und übereinander gestürzter Fichtenstämme. Raschen Laufes
durchfließt nun die Elbe in einem weiten Bogen das Königreich Böhmen,
wo ihre Wassermasse bald durch zwei große Nebenflüsse, die Moldau
und die Eger, vermehrt wird. An der Moldau liegt die alte böhmische
Hauptstadt Prag. Dann gelangt der Elbstrom in das Königreich Sachsen.
In den Grenzgebieten beider Länder engen ihn von allen Seiten ge-
waltige Sandsteinfelsen ein. Der Strom aber durchbricht diese Gebirgs-
masse, welche das Elbsandsteingebirge heißt, und windet sich in vielen
Krümmungen durch die hohen, oft wundersam zerklüfteten Felswände.
Diese Gegend ist die viel gerühmte und viel besuchte sächsische Schweiz.
Einige Meilen weiter abwärts spiegelt sich die schöne sächsische
Königsstadt Dresden in den Fluten der Elbe. Bei Meißen zwängt
sich diese noch einmal durch Gebirgsmassen hindurch und tritt dann
bald in die Norddeutsche Tiefebene ein.
2. In dieser Ebene erhält sie durch die schwarze Elster, die schnelle
Mulde, die schöne Saale und die seeenreiche Havel eine solche Wasser-
fülle, daß sie bei Hamburg die größten Seeschiffe tragen kann. Ein
guter Teil des Elblaufes gehört der Provinz Sachsen an; dann bildet
der Fluß auf eine Strecke die Grenze der Mark Brandenburg gegen
die Provinzen Sachsen und Hannover. Gewerbreiche Städte, alte
Burgen, herrliche Schlösser und reiche Dörfer spiegeln sich in den
Fluten der Elbe. Die wichtigste und bedeutsamste Stadt im preußischen
Sachsenlande ist das alte Magdeburg. Bei der märkischen Stadt
Bilder aus Hannovers Geogr. und Gesch. 2