1902 -
Braunschweig Leipzig
: Wollermann
- Autor: Carstensen, Carl
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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Gebrüll, und es wurde an die Thür geklopft. Sie trat hinaus.
Da stand eine schwarz und weiss gefleckte Kuh an den Baum
gebunden, und ein Mann sprach zu ihr: „Ein guter Freund schickt
Euch diese Kuh nebst diesen Säcken und einen freundlichen
Grufs." Ehe sie ihn erkennen oder ihm danken konnte, war er
in der Dunkelheit verschwunden. Jubelnd führten die Kinder
die blanke Milchkuh in den Stall und halfen der Mutter die
schweren Kornsäcke ins Haus tragen. Die Witwe weinte Freuden-
thränen. Der liebe Gott hatte ihr Gebet gar bald erhört.
4. Als sie nämlich hinter dem Kirchenpfeiler in ihrem Schmerz
versunken war, hatte ein wohlhabender Mann aus der Gemeinde
ihre Betrübnis bemerkt. Er hatte sich nachher nach ihren Um-
ständen erkundigt, ihren Verlust und ihre Kot erfahren und das
Werk der Barmherzigkeit an ihr geübt, damit sie ebenso fröhlich
nach dem Hause des Herrn gehen könne wie er.
Nach Bürger.
2\> Lin braver Mann.
Zm Zahre I892 wurde die Stam Hamburg von der Tholera
schwer heimgesucht. Diele Kinder verloren durch diese gräßliche
Krankheit zu gleicher Zeit Dater und Mutter, und sämtliche Waisen-
häuser der Stam füllten sich in kurzer Zeit. Bald aber fanden sich
mitleidige, kinderlose Leute, die arme Waisen in ihr Haus nahmen,
am ihnen Dater und Mutter zu sein. Zu diesen gutherzigen Leuten
gehörte auch ein Schiffer.
Dieser Mann ging eines Tages in ein Waisenhaus, um sich
ein kleines Kind zu holen. Unter der Führung des Waisenhaus-
direktors hatte er bald einen kleinen, rotwangigen Knaben heraus-
gefunden, den er seiner Frau zuführen wollte. Der kleine Zunge
von etwa vier Zähren faßte seinen neuen Dater zutraulich an die
Hand und sagte dann treuherzig zu ihm: „Nimm doch meine kleine
Schwester Anna auch mit!" Den Schiffer rührte diese treue Ge-
schwisterliebe. Tr willigte sofort ein, und die kleine, dreijährige Anna
wurde herbeigeholt.
Als der brave Mann mit den beiden Kindern fortgehen wollte,
rief jedoch das kleine, zarte Mädchen weinend nach seiner lieben
Marie. Auf Befragen des Schiffers stellte sich heraus, daß sich noch
eine Schwester von sechs Zähren in dem Waisenhause befand. Zm
ersten Augenblick stutzte der Mann, aber bald siegte sein gutes Herz,
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- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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sein Pferd am Zaume fest, bis die Wölfe herankamen; dann überließ
er's ihnen zur Bente.
Es schien, als sollten sie dadurch einen Vorsprung gewinnen; aber
nicht lange, so war ein Teil der Wölfe wieder heulend hinter ihnen
her, und einige schickten sich an, in den Schlitten zu springen. Der
Edelmann hielt sich jetzt für verloren. Da sagte Jakob:
„Herr, nun will ich in Gottes Namen auch das Letzte noch für
Euch thun. Dort sind schon die Lichter von Ostrowo, und Ihr könnt
das Städtchen erreichen, wenn ich nur auf ein paar Minuten die
Bestien Euch vom Halse halte. Sorgt für mein Weib und meine
Kinder; lebt wohl und denkt manchmal an den armen Jakob!"
Damit zog er den Säbel, sprang ans dem Schlitten und stürzte
sich mitten unter die Wölfe. Diese stutzten, fielen ihn aber dann
wütend an und übermannten ihn.
3. Sein Herr war mittlerweile unversehrt entkommen. Schnell
nahm er Leute mit sich und eilte in den Wald zurück. Aber er fand
nichts mehr als die Gebeine seines treuen Knechtes. Diese sammelte
er und ließ sie begraben. Das Weib und die Kinder aber versorgte
er väterlich und wurde allen seinen Dienern ein freundlicher, gütiger
Herr, beklagte es auch oft mit Thränen, daß er nicht ohne bittere
Nene an seinen treuen Knecht denken könne. K. H. Caspar!.
26. Das brave Mütterchen.
1. Es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen
die Husumer, ein grosses Fest zu feiern. Sie schlugen Zelte auf,
und alt und jung, die ganze Stadt versammelte sich draussen. Die
einen liefen Schlittschuh, die andern fuhren in Schlitten, in den
Zelten erscholl Musik; Tänzer und Tänzerinnen schwenkten sich
herum, und die Alten safsen an den Tischen und tranken eins.
So verlief der Tag, und der helle Mond ging auf; aber der Jubel
schien nun erst recht anzufangen.
2. Nur ein altes Mütterchen war von allen Leuten allein in
der Stadt geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte
ihre Füsse nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem
Deiche stand, konnte sie von ihrem Bett aus aufs Eis hinaus
sehen und die Freude sich betrachten. Als es nun gegen den
Abend ging, da gewahrte sie, indem sie auf die See hinaus sah,
im Westen ein kleines weifses Wölkchen, das eben am Horizonte
aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst; sie war in
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früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und verstand
sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: „In einer
kleinen Stunde wird die Flut da sein, dann ein Sturm losbrechen,
und alle sind verloren.“ Da rief und jammerte sie, so laut sie
konnte, aber niemand war in ihrem Hause, und die Nachbarn
waren alle auf dem Eise; niemand hörte sie. Immer grösser
ward unterdes die Wolke und allmählich immer schwärzer; noch
einige Minuten, und die Flut musste da sein, der Sturm losbrechen.
3. Da ralft sie all ihr bisschen Kraft zusammen und kriecht
auf Händen und Füssen aus dem Bette zum Ofen; glücklich findet
sie noch einen Brand, schleudert ihn in das Stroh ihres Bettes
und eilt, so schnell sie kann, hinaus, sich in Sicherheit zu bringen.
Das Hänschen stand nun augenblicklich in hellen Flammen, und
als der Feuerschein vom Eise aus gesehen ward, stürzte alles in
wilder Hast dem Strande zu. Schon sprang der Wind ans und
fegte den Staub auf dem Eise vor ihnen her; der Himmel ward
dunkel, das Eis fing an zu knarren und zu schwanken, der Wind
wuchs zum Sturm, und als eben die letzten den Fnfs aufs feste
Land setzten, brach die Decke, und die Flut wogte an den Strand.
So rettete die arme Frau die ganze Stadt und gab ihr Hab und
Gut daran zu deren Heil und Rettung.
K. Müllenhoff.
27. Der Brand von Hamburg 1842.
Es war in der Nacht gegen ein Uhr vom 4. auf den 5. Mai,
den Himmelfahrtstag, als die Bewohner Hamburgs durch den
Feuerruf vom Schlaf geweckt wurden. Bald war die Nachricht
verbreitet, dass in der Deichstrasse das Feuer ausgebrochen sei.
Doch niemand dachte an eine grössere Gefahr, da die vortreff-
lichen Löschanstalten selten mehr als einige Häuser dem Feuer
überliessen. Allein diesmal nicht so; denn schon gegen zehn Uhr
morgens lagen nicht nur in der genannten Strasse, sondern auch
in zwei andern Strassen mehrere Häuser in Asche, und das Feuer
breitete sich immer weiter aus. Es kamen Feuerspritzen aus der
Nachbarschaft; aber auch diese, vereinigt mit den eignen, richteten
nichts wider die furchtbar gross gewordene Macht aus. Unglück-
licherweise hatte schon seit längerer Zeit eine anhaltende Dürre
die Häuser ausgetrocknet. Hierzu kam, dass auch die Fleete fast
leer waren, und das wenige Wasser, das sie enthielten, noch mit
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und Sonntag ging das Feuer bald in dieser, bald in jener
Richtung; der Sturm trieb die Flammen unaufhaltsam vorwärts.
Da erbarmte sich Gott, und er sprach am Sonntagmorgen: Nur
soviel und mehr nicht! Ein mächtiger Regen hatte das Vor-
dringen der Flammen geendigt.
Ein Drittel der reichen und schönen Handelsstadt war ver-
heert; über 21000 Menschen waren ohne Obdach. In der Feuers-
brunst kamen mehr als 60 Personen um; verwundet wurden 107.
Aber grosse Not — grosse Hilfe. Die Kunde von einem so
ungeheuren Unglück weckte allgemeine Teilnahme. Die Herzen
der Menschen öffneten sich der Bruderliebe. Mehr als zwei
Millionen Thaler wurden aus allen Gegenden Deutschlands zu-
sammengesteuert, um die Not der Bedrängten zu lindern. Bald
stand Hamburg schöner und grossartiger da, als es vorher ge-
wesen war. Kl. Harms.
28. Wunderbare Rettung aus Sturmesnot.
An einem eiskalten, stürmischen Januarmorgen des Jahres 1895
wurden die Bewohner eines schleswig-holsteinischen Fischerdorfes durch
einen Kanonenschuß auf der See geweckt. Alle wußten, was das zu
bedeuten hatte, und begaben sich in größter Eile an den Strand.
Etwa ein Kilometer von der Küste saß ein Schiff auf dem Riff rettungs-
los verloren. Die Besatzung war in die Masten geklettert und hatte sich
an das Tauwerk festgeklammert, um nicht von den Wellen weggespült
zu werden.
„Rettungsboot klar!" ertönte das Kommando. Das Boot wurde
ins Wasser gebracht, aber sein beherzter Führer Harro war nicht da;
er hatte sich frühmorgens in das Nachbardorf begeben. Es war un-
möglich, auf ihn zu warten; denn jede Minute konnte das gefährdete
Schiff in Trümmer zerschlagen werden. Acht Mann ruderten hinaus
in die tosende See. Sie erreichten glücklich das Wrack und schafften
die armen Schiffbrüchigen in das Boot. Aber einer blieb zurück. Er
hing hoch oben im Mast, ganz steif infolge der Kälte, und sie wagten
nicht, ihn herabzuholen; denn das Boot war schon überladen, der
Sturm nahm zu, und aller Leben stand ans dem Spiel.
Als sie ans Land kamen, war Harro da. Er fragte, ob man sie
alle gerettet habe, und so hörte er denn von dem Letzten im Mast.
„Ich werde ihn holen!" rief er, „geht ihr mit?" Aber sie wollten
nicht; sie meinten, es sei unmöglich. Harro sprang ins Boot und
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2. Über ein Jahr nahm sich der König eine andre Gemahlin.
Es war eine schöne Frau; aber sie war stolz und übermütig und
konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen
werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel; wenn sie vor den trat,
sich darin beschaute und sprach:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"
so antwortete der Spiegel:
„Frau Königin, Ihr seid die schönste im Land."
Da war sie zufrieden; denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahr-
heit sagte.
3. Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner,
und als es sieben Jahr alt war, war es so schön wie der klare Tag
und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel
fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?^
antwortete er:
„Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von
Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz
im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hoch-
mut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie
Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und
sprach: „Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr
vor meinen Augen sehen! Dort sollst du es töten und mir Lunge
und Leber zum Wahrzeichen mitbringen."
4. Der Jäger gehorchte und führte es hinaus; und als er den
Hirschfänger gezogen hatte und Sneewittchens unschuldiges Herz durch-
bohren wollte, sing es an zu weinen und sprach: „Ach, lieber Jäger,
laß mir mein Leben! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmer-
mehr wieder heimkommen." Und weil es so schön war, hatte der Jäger
Mitleid und sprach: „So lauf hin, du armes Kind!" „Die wilden
Tiere werden dich bald gefressen haben," dachte er, und doch war's
ihm, als wär' ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht
zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling daher ge-
sprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und
brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in
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Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte
Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.
5. Nun war das arme Kind in dem großen Walde mutterseelen-
allein, und es ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen
ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu
laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und
die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei; aber sie thaten ihm nichts.
Es lief, so lange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend
werden wollte; da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich
zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und
reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weiß gedecktes Tisch-
lein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein,
ferner sieben Messerlein und Gäblein und sieben Becherlein. An der
Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße
Laken darüber gedeckt. Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig
war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüse und Brot und trank
aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem
allein alles wegnehmen. Hernach legte es sich, weil es so müde war,
in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andre
zu kurz, bis endlich das siebente recht war, und darin blieb es liegen,
befahl sich Gott und schlief ein.
6. Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von
dem Häuslein; das waren sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz
hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und als
es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gewesen
war; denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es ver-
lassen hatten. Der erste sprach: „Wer hat aus meinem Stühlchen
gesessen?" Der zweite: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?"
Der dritte: „Wer hat von meinem Brötchen genommen?" Der vierte:
„Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?" Der fünfte: „Wer hat
mit meinem Gäbelchen gestochen?" Der sechste: „Wer hat mit meinem
Messerchen geschnitten?" Der siebente: „Wer hat aus meinem
Becherlein getrunken?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf
seinem Bett eine Dälle war; da sprach er: „Wer hat in meinem
Bettchen gelegen?" Die andern kamen gelaufen und riefen: „In
meinem hat auch jemand gelegen." Der siebente aber, als er in sein
Bett sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun ries
er die andern; die kamen herbeigelaufen und schrieen vor Verwunderung,
holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Sneewittchen. „Was für
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und rief: „Schöne Ware feil! feil!" Sneewittchen guckte zum Fenster
hinaus und rief: „Guten Tag, liebe Frau, was habt Ihr zu ver-
kaufen?" „Gute Ware, schöne Ware," antwortete sie, „Schnürriemen
von allen Farben," und holte einen hervor, der aus bunter Seide
geflochten war. „Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen," dachte
Sneewittchen, riegelte die Thür auf und kaufte sich den hübschen
Schnürriemen. „Kind," sprach die Alte, „wie du aussiehst! Komm,
ich will dich einmal ordentlich schnüren." Sneewittchen hatte kein Arg,
stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren;
aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, das; dem Snee-
wittchen der Atem verging und es für tot Hinsiel. „Nun bist du die
schönste gewesen," sprach sie und eilte hinaus.
9. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge
nach Haufe; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen
auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als
wäre es tot! Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es
zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da sing
es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig.
Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: „Die alte
Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin; hüte dich und laß
keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind!"
10. Das böse Weib aber ging, als es nach Haufe gekommen war,
vor den Spiegel und fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"
Da antwortete er wie vorher:
„Frau Königin, Ihr seid die schönste hier;
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie;
denn sie sah wohl, daß Sneewittchen wieder lebendig geworden war.
„Nun aber," sprach sie, „will ich etwas aussinnen, das dich zu Grunde
richten soll," und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen
giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines
andern alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu
den sieben Zwergen, klopfte an die Thür und rief: „Gute Ware feil!
feil!" Sneewittchen schaute hinaus und sprach: „Geht nur weiter, ich
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- Autor: Carstensen, Carl
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- Konfession (WdK): offen für alle
Lesàch
ein- un- Mieiklallige Dolksschuìtu.
Von
C. Carstensen »»» Ad. Schulz.
Braunschweig und Leipzig.
Verlag von Hellmuth Wollermann.
1902.
Auslieferung sur Schleswist-Holstein
in der Hahn'schen Buchhandlung sf. Schumann) in Plon.
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