1909 -
Leipzig
: Ehlermann
- Autor: Ziehen, Julius, Stutzer, Emil
- Hrsg.: Lorentz, Paul
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1907
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
3. Monarchie
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Wie sehr bei der'entstehung einer Monarchie religiöse
Bedürfnisse mit ins Spiel treten können, sieht man aus den
zahlreichen Beispielen, wo sich Dynastengeschlechter von den
Göttern herzustammen rühmen^).
Am leichtesten überhaupt kann der Krieg zur Be-
gründung und Erweiterung der monarchischen Ge-
walt führen. Auf den niedrigsten Kulturstufen, soweit
irgend unsere Geschichte reicht, ist das Fehderecht die Regel,
gerichtliche Entscheidung die Ausnahme. Jeder Fremde, wo-
fern er nicht auf Gastfreundschaft Ansprüche macht, gilt da
als Feind, der Raub für ehrenhafter als die Arbeit. Wie
leicht muß es da sein, eine edle Nation unter die Waffen zu
bringen! Im Kriege aber gewöhnt man sich an Gehorsam,
selbst dem Trotzigsten leuchtet die Notwendigkeit desselben
ein. Dem Sieger wird vieles nachgesehen, zumal wenn er
seine Unterbefehlshaber zu Vasallen macht und in den Unter-
jochten Klienten findet. So hat der Sieg von Marengo den
Thron Bonapartes gegründet.
Die ältesten Germanen pflegten in großer Kriegsgefahr
vorübergehend die Herzogswürde zu errichten. Solange
diese bestand, waren nicht bloß die übrigen Staatsgewalten,
sondern auch ein großer Teil der gemeinen Volksfreiheit sus-
pendiert. Späterhin sind die germanischen Monarchien fast ohne
Ausnahmen auf kriegerischen Grundlagen aufgebaut worden:
Gefolgschaft, Eintritt in römische Kriegsdienste, Eroberungen.
Ehe noch die Inländer darauf verfallen, ihren großen
Feldherrn als Monarchen anzuerkennen, haben es die Aus-
länder bereits getan. Ihre Bitten, ihre Versprechungen
richten sich an ihn. Napoleon hat einen großen Teil seiner
Maßregeln zur Wiederherstellung des Thrones zuerst in
Italien, gleichsam versuchsweise, durchgeführt, hernach erst
in Frankreich. So z. B. die Restauration des christlichen
Kalenders. Wenn in der Ratsversammlung die Stimme
eines solchen Feldherrn schon mehrere Male entschieden hat,
so fehlt es nie an kurzsichtigen Freiheitsmännern, welche,
darüber schmollend, aus den Sitzungen wegzubleiben an-
fangen. Freilich machen sie eben dadurch ihrem Gegner
völlig freie Bahn; aber die Mehrzahl der Menschen will
x) Die Formel „Von Gottes Gnaden" spricht die Heiligkeit
und Weihe einer der Wohlfahrt eines ganzen Volkes dienenden
irdischen Einrichtung aus.
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4. Betrachtungen über die Monarchie
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die Staaten der Volkssouveränität in Wahrheit Demokratien
sind, hat man doch in beiden Fällen, wenigstens der Form
nach, die Krone meist unberührt gelassen. Jene großen
aristokratischen Republiken, Polen, Venedig, das spätere
Deutsche Reich, sind doch immer wenigstens der Wahlmonarchie
treu geblieben. — Als die Hauptursache dieser Erscheinung
muß die räumliche Größe der meisten neueren Staaten be-
trachtet werden.
Wie für große Staaten die Monarchie, im weiteren
Sinne des Wortes, notwendig ist, so bedarf auch sie
umgekehrt eines verhältnismäßig bedeutenden
Staatsgebietes. Mir ist kein Beispiel bekannt, wo sich
eine wahre Monarchie in einem sehr kleinen Staate ge-
bildet und dauernd behauptet hätte. Man führe nicht dagegen
an, daß es ja noch heutzutage so viele kleine Fürstentümer
gibt. Alle diese werden sich bei näherer Besichtigung als
Bruchstücke größerer Monarchien zeigen, die sich durch Erb-
teilung, Sekundogenitur, Verleihung usw. vom Hauptstamme
losgelöst, oder ihre Herrscher sind mächtige Aristokraten, die
nur durch das Aufhören einer vormals über ihnen stehenden
Reichsgewalt souverän geworden. Man hat gesagt, niemand
sei groß in den Augen seines Kammerdieners. So wird sich
auch in ganz kleinen Staaten, wo jedermann den Fürsten
alltäglich und mit all seinen menschlichen Schwächen be-
obachten kann, nicht leicht diejenige halbmysteriöse Ehrfurcht
vor dem Throne bilden oder bewahren, auf welcher die
Monarchie doch so wesentlich beruht.
Die Erfahrung lehrt, daß eine wirkliche, solide Erb-
monarchie nur auf den früheren Kulturstufen der
Völker, im Zeitalter, sozusagen, der politischen Naivität
begründet werden kann. Um sich einem Fürstenhause,
bei aller Schwäche, vielleicht sogar Unwürdigkeit des jewei-
ligen Repräsentanten, willig zu unterwerfen, Treue gegen
dasselbe zu bewähren, wenn es sein muß, bis zum Tode, dazu
reicht das bloße Räsonnement des Kopfes von der Zweck-
mäßigkeit einer solchen Handlungsweise nur bei wenigen,
starken Geistern aus. In der Regel muß ein Gefühl des
Herzens hinzukommen, etwas halb Unwillkürliches, das ich
politischen Glauben nennen möchte. Aus demselben Grunde
haben sich auch neue Religionen mit alleiniger Ausnahme
der höchsten, rein göttlichen Offenbarung durch Christum nur
bei jugendlichen, einfachen Völkern bilden können. Kämen
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24
6. Souveränität
dergleichen Institutionen erst in den Zeiten der Aufklärung
und Reflexion empor, fo würde meistens der kritische Ver-
stand allzu geschäftig sein, die menschlichen Zufälligkeiten und
Schwächen derselben aufzusuchen, als daß sich das Gemüt
dem Wesentlichen und Notwendigen darin ungestört hin-
geben könnte. Soll deshalb eine Erbmonarchie oder Volks-
religion die Entwicklungsstufe des politischen und religiösen
Rationalismus überdauern, so muß sie „aus unvordenklicher
Zeit her" überliefert worden sein. Heutzutage wird selbst
der größte Held und Staatsmann schwerlich imstande sein,
einen neuen Thron dauerhaft zu errichten. Solange seine
Nachfolger auch Erben seiner persönlichen Größe sind, mag
das Werk Bestand haben; ob viel länger, ist sehr zu be-
zweifeln. Roscher, S. 37ff., mit Auslassungen.
5. Die Souveränität
Die Souveränität*) ist die höchste tatsächliche Macht in
einem Staate. Die Frage, wer in einem Staate der Sou-
verän ist, kann nur durch eine genaue Beobachtung der ge-
samten staatlichen Zustände mit Berücksichtigung der ge-
schichtlichen Erfahrungen entschieden werden, dagegen niemals
bloß aus den Gesetzen. Tatsächlich kann die Souveränität
erworben werden und verloren gehen, ohne daß ein Buch-
stabe des Gesetzes geändert wird. Am 9. November 1799 be-
mächtigte sich der General Bonaparte der höchsten Gewalt
im französischen Staat, aber die Konsularverfassung wurde
erst am 13. Dezember 1799 erlassen.
Da es oft genug zweifelhaft ist, wer in einem Staate
die höchste tatsächliche Macht ausübt, so hat man nach einem
allgemein gültigen Merkmal zur Beantwortung dieser Frage
gesucht. Man hat gesagt, derjenigen Person oder Körper-
schaft steht im Staate die Souveränität zu, welche die Grenzen
ihres Wirkungskreises nach eigenem Ermessen bestimmen kann
oder den Krieg zu erklären und zu führen berechtigt ist1 2).
1) Das Wort kommt von superanus (— superior), der obere,
und erhielt in Frankreich nach Begründung der tatsächlich unum-
schränkten Monarchie allmählich die Bedeutung der oberste; in der
Wissenschaft gebrauchte es zuerst Bodin (f 1597), der Begründer
des Staatsrechts.
2) Treitschke, Politik I, 2. Ausl. (1899), S. 30ff.
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6. Volksvertretung
Das Volk wird durch die Volksvertretung vertreten.
Die Rechtsordnung kennt nun auf allen Rechtsgebieten
eine doppelte Art der Vertretung, die auftragsmäßige, bei
der der Vertretene seinen Willen in den des Vertreters legt,
und die gesetzliche für einen Handlungsunfähigen. Welcher
Art ist nun die Volksvertretung? Politik und Zeitungsdeutsch,
die von einem Mandate, Rechenschaftsberichte an die Wähler
usw. sprechen, deuten auf die auftragsmäßige Vertretung
hin. Und doch kann von einer solchen nicht die Rede sein. Die
Mitglieder der Ersten Kammern, die der politische Radikalis-
mus freilich als grundsatzwidrig beseitigen will, werden regel-
mäßig nicht gewählt. Und wenn die Zweite Kammer auch
eine Wahlkammer ist, so werden die Abgeordneten doch nur
durch einen geringen Prozentsatz des Volkes gewählt. Jedem
Zweifel macht aber ein Ende die stereotype Bestimmung der
Verfassungsurkunden, u. a. Art. 83 der preußischen: „Die
Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen
Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien Überzeugung und
sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden." Da-
mit ist der Grundsatz der gesetzlichen Vertretung für das
an sich handlungsunfähige Volk ausgesprochen. Aus dem
Wesen der Volksvertretung ergibt sich daher nichts für die
Art und Weise ihrer Zusammensetzung. Auch die erblichen
Mitglieder der Ersten Kammer sind Vertreter des ganzen
Volks. Und die Wähler erteilen nicht einen Auftrag, sondern
versehen einen öffentlichen Dienst, indem sie mitwirken bei
Bezeichnung der Personen, die in der Zweiten Kammer das
Volk zu vertreten haben.
Das Volk ist nun gleichzeitig Gegenstand und Mittel der
staatlichen Herrschaft. In beiden Beziehungen wird es durch
die Volksvertretung vertreten. Als Gegenstand der Herr-
schaft vertritt es die Volksvertretung, indem sie namens des
Volkes Bitten und Beschwerden gegenüber der Regie-
rung geltend macht. Als Mittel der Herrschaft vertritt sie
das Volk, indem sie mitzuwirken berufen ist beim Erlasse
der wichtigsten Staatsakte. Doch überwiegt bei der Volks-
vertretung die letztere Richtung bei weitem die erstere.
Von allen anderen Staatsorganen unterscheidet sich nun die
Volksvertretung durch zwei wesentliche Eigenschaften, durch
ihre Unverantwortlichkeit und durch ihre Unselbständigkeit.
Die Volksvertretung ist rechtlich unverantwortlich. Sie
trügt allerdings für ihre Beschlüsse eine Verantwortung poli-
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6. Volksvertretung
27
tisch und vor dem Richterstuhle der Geschichte. Doch rechtlich
kann sie nie zur Verantwortung gezogen werden. Und dies
wirkt noch zurück auf die Stellung der einzelnen Mitglieder.
In dieser Beziehung ist die Volksvertretung dem Monarchen
gleichgestellt.
Die Volksvertretung ist ferner unselbständiges Staats-
organ. Der unterste Vollziehungsbeamte kann unter Um-
ständen in sich den Staatswillen zur Erscheinung bringen und
geltend machen. Das kann die Volksvertretung nicht. Sie
wirkt mit beim Erlasse der wichtigsten Staatsakte, aber regel-
mäßig unselbständig in den Formen der Zustimmung und
Genehmigung, während der Staatsakt selbst von einer anderen
Seite ausgeht.
Nach dem Vorbilde Englands hat sich nun allgemein auf
dem Kontinente, namentlich auch in den größeren deutschen
Staaten, das Zweikammersystem eingebürgert.
Das Zweikammersystem ist erwachsen auf den besonderen
Grundlagen der englischen Ständebildung, indem die
großen geistlichen und weltlichen Magnaten, letztere mit erb-
licher Berechtigung, in das Oberhaus, Vertreter der übrigen
Ortsobrigkeiten, der Grafschaftsritter und der Städte, seit
Heinrich Iii. in das Unterhaus berufen wurden. Mit einer
Verbindung aristokratischer und demokratischer Elemente, wo-
von man seit Montesquieu faselte, hatten die beiden Häuser
nichts zu tun. Denn das Unterhaus war ebenso ständisch
aristokratisch wie das Oberhaus. Der Irrtum der konstitu-
tionellen Theorie hatte aber auch hier schwerwiegende prak-
tische Folgen. Der Eingang der Charte constitutionelle
Ludwigs Xviii. von 1814 erklärte, die alten Zeiten mit den
neuen verbinden und in der Paine eine wahrhaft nationale
Einrichtung erneuern zu wollen. Die Erste Kammer sollte
eine besondere Vertretung der Reste der alten ständischen
Gesellschaft, die Zweite Kammer eine auf Wahl beruhende
Vertretung der modernen staatsbürgerlichen Gesellschaft sein.
Nun war aber durch die französische Revolution die ständische
Gesellschaft derart entwurzelt, daß der Versuch, ihr eine be-
sondere Vertretung zu geben, nicht gelingen konnte. Schon
die Verfassung des Bürgerkönigtums von 1830 hat ihn auf-
gegeben.
Und ähnlich ist es den andern romanischen Staaten er-
gangen. Die Erste Kammer, entweder ernannt oder auf
Grund eines besonderen Wahlsystems gewählt, verbürgt
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6. Volksvertretung
neben der Zweiten noch die Vielseitigkeit der Erwägung, aber
vertritt nur denselben Strom der öffentlichen Meinung, der
sich in der Wahlkammer geltend macht.
Der Versuch, der in Frankreich mißlang, fiel in Deutsch-
land auf besseren Boden. Hier war die alte ständische Gesell-
schaft überhaupt noch viel fester begründet und lebensfähiger
gewesen. Durch die Mediatisierungen waren überdies den
Einzelstaaten neue aristokratische Elemente zugeführt worden,
die man nicht einfach in der allgemeinen staatsbürgerlichen
Rechtseinheit untergehen lassen konnte. So wurde denn in
den Mittelstaaten und später auch in Preußen die Erste
Kammer eine besondere Vertretung der Reste der
alten ständischen Gesellschaft, die Zweite Kammer
auf Grund der Wahl eine solche der modernen staats-
bürgerlichen.
Eine besondere politische Bedeutung neben der Wahl-
kammer hat die Erste Kammer nur da behaupten können,
wo sie wie in Deutschland ein selbständiges politisches Prinzip
in sich trägt und nicht denselben Zug der öffentlichen Meinung
vertritt. — In den deutschen Kleinstaaten reichten die
Elemente zur Bildung von zwei Kammern nicht aus, so
daß hier das Einkammersystem besteht^).
Das Volk ist jedoch nur rechtlich eine Summe gleicher
Individuen. Tatsächlich zerfällt es nach den mannigfaltigsten
Interessen politischer, sozialer, religiöser und nationaler Natur
in die verschiedensten Gruppen. Das macht sich auch in der
Zusammensetzung der Volksvertretung geltend.
Wiederum nicht rechtlich, denn rechtlich ist jedes Mitglied
Vertreter des ganzen Volkes, doch tatsächlich bilden sich nach
politischen, sozialen, religiösen und nationalen Gesichtspunkten
innerhalb der Volksvertretung Parteien* 2), die auch außerhalb
ihrer das politische Leben beherrschen. Die Partei hat daher
x) Vgl. Anhang Nr. 3.
2) Als liberal bezeichnete sich zuerst eine Partei in der spa-
nischen Volksvertretung 1812 in Cadiz; der Ausdruck „liberale Ideen"
für alle die bis dahin unbestimmt als Ideen von 1789 bezeichneten
Bestrebungen und Anschauungen kam 1815 auf (der russische Zar
gebrauchte ihn als einer der ersten). Konservative nannten sich
seitdem diejenigen, die den Zusammenhang mit der geschichtlich
entstandenen Ordnung aufrecht erhalten wissen wollten. Unter
Junkertum im engeren Sinne ist der Landadel, im weiteren
Sinne das Gutsbesitzertum zu verstehen.
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7. Selbstverwaltung
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keinerlei staatsrechtliche Bedeutung, ihr Bestand wird von
der Rechtsordnung geflissentlich übersehen. Sie besteht nur
tatsächlich als eine politische Erscheinung. — Die in Deutsch-
land übliche Bezeichnung für die Volksvertretung des Einzel-
staates ist die des Landtags.
Bornhak, Grundriß, S. 60ff.
7. Die Selbstverwaltung
Der Begriff der Selbstverwaltung ist in der deutschen
Literatur ursprünglich ein rein politischer gewesen, er be-
ruhte auf der Reaktion gegen den durch das konstitutionelle
System verschuldeten Ministerial-Despotismus. Die Minister-
verantwortlichkeit gegenüber dem Landtage vernichtet die
Selbständigkeit und freie Entscheidung aller dem Minister
untergebenen Behörden und Beamten, da ja er und er
allein für die Verwaltung seines Ressorts „die Verant-
wortung" trägt. Hat der Minister die Majorität des Land-
tags auf seiner Seite oder ist er selbst der Führer und Ver-
trauensmann der herrschenden Partei, so ist er hinsichtlich
seiner Verantwortlichkeit gedeckt, und je rücksichtsloser er im
Interesse und nach den politischen Anschauungen seiner Partei
handelt, desto mehr ist sie mit ihm zufrieden. Dieser Miß-
stand wurde in Preußen durch das reaktionäre Ministerium
in den Jahren 1862—1859, also kurz nach Einführung der
konstitutionellen Verfassung, in schärfster Weise zum allge-
meinen Bewußtsein gebracht. Diese rücksichtslose Partei-
regierung entsprach dem konstitutionellen Ideal vollkommen,
da sie die überwiegende Mehrheit beider Häuser des Landtags
auf ihrer Seite hatte. Um dieser üblen Folge des Konsti-
tutionaüsmus entgegenzuwirken, suchte man Mittel gegen
dieselbe. Dafür war an und für sich jed e Einrichtung geeignet,
welche die Zuständigkeit und Machtbefugnis des Ministers
beschränkt. Die hierzu dienenden Mittel sind sehr zahlreich
und von sehr verschiedenem juristischen Charakter. Da sie
aber alle demselben politischen Zwecke dienen, nämlich dem
konstitutionellen Ministerabsolutismus Schranken zu setzen
und die Gefahr einer rücksichtslosen Gesetzesinterpretation
zu verhüten, so hat man sie unter einen und denselben poli-
tischen Gesichtspunkt gebracht, sie zu einem „System" ver-
einigt. Dafür brauchte man auch einen einheitlichen Aus-
druck, ein politisches Schlagwort. Unter dem Einfluß von
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Hu9 dem Vorwort zur ersten Huflage
Viele Gebildete kennen nicht einmal die verfassungs-
mäßigen Zustände im Bundesstaate oder in den Einzel-
staaten auch nur einigermaßen gründlich. Nun werden
nicht erst seit gestern auch die Schulen für das schwächliche
Staatsbewußtsein verantwortlich gemacht, wobei darauf
hingewiesen wird: Kenntnisse, zu denen die Schule nicht
wenigstens den Grund legt, lassen sich im Leben nur lücken-
weise erwerben. Unzweifelhaft ist politische Erziehung Auf-
gabe jeder Schule, ebenso unzweifelhaft aber wird ohne
Mitwirkung der Familie.keine Schulmeisterei jemals Staats-
bürger erziehen. Nur in Anlehnung an den Gang der ge-
schichtlichen Erzählung und durch Einsicht in die historische
Entwicklung läßt sich das Verständnis für die Bedeutung
des Staates und seiner Organe erschließen. Einen geson-
derten Unterrichtszweig kann Staatskunde zwar auf Fach-
und Fortbildungsschulen, aber weder in den höheren Lehr-
anstalten noch in den Lehrerseminaren bilden. Es brauchen
doch auch wahrlich nicht alle aus der Schulbank alles „ge-
habt" zu haben!
So mag denn der Geschichts- sowie der Deutschlehrer
bei einzelnen reiferen oder besonders begabten Schülern die
Selbsttätigkeit auch auf die moderne staatswissenschaftliche
Prosa lenken, mag bei geeigneter Gelegenheit in taktvoller
Beschränkung und vorsichtiger Auswahl sich aus dieser Prosa
etwas berichten lassen und dies dann kurz besprechen, um
Lust zum Weiterstreben anzuregen. Gerade dabei wird, so
hoffe ich, dieses in seiner Art völlig neue Lesebuch als ein
Mittel zum Zweck staatsbürgerlicher Vorbildung gute Dienste
tun. Es bietet die wissenschaftlichen Ergebnisse in zusam-
menhängender, sorgsam ausgewählter, nirgends — wie mich
l*
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8. Eiqentumsordnung
Bl
schaft ausgesagt, daß sie sich selbst verwaltet, so setzt das
stillschweigend immer eine höhere Macht voraus, von der sie
auch verwaltet werden könnte. Der Begriff ist daher un-
anwendbar auf die höchste, oberste, souveräne Macht, da bei
ihr ein Verwaltetwerden unmöglich und undenkbar ist. Da-
gegen findet dieser Begriff der Selbstverwaltung überall da
Anwendung, wo eine obere Gewalt die ihr zustehenden
Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittels eines eigenen, zu
ihrer ausschließlichen Disposition stehenden Apparates durch-
führt, sondern sich darauf beschränkt, die Normen für die
Ausübung dieser Hoheitsrechte aufzustellen und ihre Durch-
führung zu beaufsichtigen, während die Durchführung selbst
ihr untergeordneten politischen Körpern übertragen oder
überlassen ist. Laband I, S. 97f.
8. Die Btgentumsordnung der europäischen
Kulturstaaten
Als die Griechen, Römer und Germanen nach langen
Wanderungen in ihre festen Wohnsitze einrückten und diese
später erweiterten, stießen sie überall auf bereits ansässige
Bevölkerungen, denen sie nach ihrer Besiegung den Grund
und Boden ganz oder teilweise gewaltsam abnahmen. Im
Vergleich mit der grausamen Härte der antiken Kriegs-
gebräuche muß es noch als ein mildes Verfahren bezeichnet
werden, daß die während der Völkerwanderung in das
römische Reich einrückenden Germanen regelmäßig bloß ein
bis zwei Dritteile der Feldmark für sich in Anspruch nahmen
und daß nur ausnahmsweise einzelne Volksstämme sich
nach Tötung oder Vertreibung der bisherigen Besitzer den
ganzen Grund und Boden des eroberten Landes an-
eigneten. Die Eigentumsordnung wurde daher gleich ur-
sprünglich auf das siegreiche Schwert gegründet. Aber auch
später waren große politische Umwälzungen sehr häufig von
einem gewaltsamen Umsturz der Eigentumsordnung be-
gleitet. Für die Einführung der Reformation z. B. war
überall neben den religiösen Motiven auch das rein materielle
Streben der Landesherren maßgebend, sich der reichen
Kirchengüter zu bemächtigen, so daß Karl V. sagen konnte,
es handle sich bei der Reformation weniger um die Kirchen-
lehre als um das Kirchengut. Fast vollständig wurde die
Säkularisation in Deutschland durch den Reichsdeputations-
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Inhaltsverzeichnis
H- Allgemeiner Ccü Seite
1. Der Ursprung und die Entwicklung des Staates (Paulsen). 9
2. Die Staatsformen (Bluntschli)...............................14
3. Die Entstehung der Monarchie (Roscher)......................19
4. Betrachtungen über die Monarchie im allgemeinen (Roscher) 22
5. Die Souveränität (Menger)...................................24
6. Das Wesen der Volksvertretung (Bornhak).....................25
7. Die Selbstverwaltung (Laband)...............................29
8. Die Eigentumsordnung der europäischen Kulturstaaten (Menger) 31
9. Staat und Gesellschaft (Bornhak)............................32
10. Staatliche Sozialpolitik (Gustav Maier)....................35
11. Der Anarchismus (Menger)...................................39
B«. Vas Deutsche Reich
12. Die Entwicklung des Staatsgedankens in Deutschland (Sohm) 44
13. Der Ständestaat im Unterschied vom konstitutionellen Staate
(von Below).................................................52
14. Deutsche Grundrechte und Pflichten (Bluntschli)............63
15. Das Reich als Staat und Bundesstaat (Anschütz) .... 69
16. Der Kaiser (Geffcken)......................................77
17. Das Wesen des Bundesrats (Laband)..........................83
18. Der Reichstag (Loening)....................................87
19. Der Reichskanzler und der preußische Ministerpräsident (zum
Teil nach Bismarck).........................................97
20. Kirche und Schule (Nehm)..................................101
21. Der Staatsbedarf und die Staatseinnahmen (Zeitlin) . . 106
22. Die Staatsschulden (Zeitlin)..............................113
23. Deutschland als Staat der Weltpolitik (Lamprecht) . . . 116