1909 -
: Schöningh
- Autor: Kreuzberg, Peter Josef
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 4 b. Die Einführung des Christentums bei den Germanen.
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folgte ihm gewöhnlich auch die Menge, besuchte Gotteshäuser, lauschte der Predigt und nahm am heiligen Opfer teil. Im allgemeinen zeigten die Missionare dem germanischen Kult gegenüber große Duldsamkeit, Gebräuche, die unschädlich waren, ließen sie bestehen, gaben ihnen aber eine andere Bedeutung. An heidnischen Kultstätten wurden christliche Kirchen erbaut (Bonisatius erbaute an Stelle der Donnereiche eine Petruskapelle), christliche Feste traten an die Stelle von heidnischen (das Frühlingsfest der Ostara wurde Ostern, die Sommersonnenwende Johannissest, das Erntefest Kirchweih und das Julfest Weihnachten), und christliche Heilige lösten in manchen Zügen germanische Götter ab (Michael und Martin erinnern an Wotan, Petrus an Donar); zahlreiche Volksgebräuche (Fastnachts- und Maifeiern, Johannis-, Michaels- und Martinsfeuer, Martinsgans, Weihnacht^ und Epiphaniegebräuche) sind heidnischen Ursprungs. Die Namen der Wochentage enthalten germanische Götternamen, und zahlreiche christliche Legenden sind Träger germanischer Mythologie bis auf den heutigen Tag. Soweit diese weitgehende Toleranz den christlichen Glaubens- und Sittenlehren nicht widersprach, wurde sie auch von Rom gebilligt. Der Glaube an die Bedeutung der Träume, an Vorzeichen und Amulette war schwer auszurotten, der gerichtliche Zweikamps, die Feuer-, Wasser- und Kesselprobe wurden als Gottesurteile aufgefaßt und erst ganz allmählich als gerichtliche Beweismittel abgeschafft. Auch das Fehderecht erhielt sich noch lange.
Mit großer Vorsicht und viel Geduld mußte die Kirche unter möglichster Schonung des germanischen Volkscharakters vorgehen. Wenn daher in der Folgezeit Vermischungen des Christentums mit heidnischem Aberglauben sich vielfach zeigen, so ist das wohl verständlich und im Hinblick darauf, daß das germanische Volk in seinem Jünglingsalter einen ungestümen Drang zu Heldentaten, Hinneigung zu frohen heidnischen Götterfesten, zu Zauberei und Weissagungen, Orakeln und Ordalen zeigte, auch in gewissem Sinne entschuldbar.
Wie das Christentum sich in den Vorstellungen der Germanen widerspiegelt, zeigt uns die Dichtung des frühen Mittelalters, ganz besonders der „Heliand". Während das Hildebrandslied des 8. Jahrhunderts einen germanischen Sagenstoff in echt germanischer Weise behandelt, stellt der Dichter des „Heliand" (um 830) die biblischen Vorgänge auf niedersächsischem Boden dar, und „Muspilli" schildert das jüngste Gericht in mythologischem .Gewände. Allmählich aber erstarken die altgermanischen Vorstellungen, und die Erzählung des Lebens Jesu schließt sich enger an die biblischen Berichte an, wie dies Otsrieds „Evangelienbuch" zeigt.