1882 -
Gütersloh
- Autor: Wolter, August
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule, Preußische Volksschule
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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König Friedrich Wilhelm Iii.
Die Kaiserin von Rußland halte ihrem hochverehrten Vater eine aus Asien gekommene, bis dahin in Deutschland noch unbekannte Blume von seltener Farbenpracht und angenehmem Duft geschickt, die von dem kunstsinnigen Hofgärtner auf der Pfaueninsel in dem sonnigen, prächtigen Palmenhause nebst anderen Gewächsen naturgemäß gepflegt wurde und sich herrlich entfaltete. Der König, ein Blumenfreund, hatte seine Freude an dieser seltenen Pflanze, betrachtete sie oft in seiner stillen Gemütlichkeit und nannte sie nach der Tochter: Charlotte. So oft er in dieser Zeit nach der Pfaueninsel kam, pflegte er daher gleich beim ersten Schritt ans Land zu fragen: „Wie geht's meiner lieben Charlotte?" was denn die Aufmerksamkeit, Fürsorge und Pflege des Gärtners natürlich verdoppelte. Wer beschreibt daher den Schrecken und die Angst des alten Mannes, als er an einem der drei Tage, die jede Woche im Sommer dem Publikum zum Besuche der Pfaueninsel bewilligt sind, und zahlreich von demselben benutzt werden, ins geöffnete Palmenhaus tritt und sieht, daß eben diese dem Könige so werte Blume ganz und gar abgepflückt ist. Aufgebracht durchläuft er die Massen der fremden Gäste, umherschauend, ob er nicht bei irgend einem das geraubte Kleinod wahrnehmen möchte. Von Unruhe hin und Hergetrieben, stellt er sich zuletzt ans Ufer in die Nähe des Schiffes, mit welchem alle die Überfahrt machen müssen, indem nur dieser eine Weg gestattet ist. Nicht lange hat er dort gestanden, als er, jeden kommenden ins Auge fassend, einen jungen, wohlgekleideten Mann wahrnimmt, der wirklich die teure Blume im Knopfloche seines Kleides trägt und heiter und unbefangen, als wenn nichts Übles geschehen, einherschreitet. Angehalten, aufmerksam gemacht und zur Rede gestellt über den Raub einer dem Könige teuren, seltenen Blume, entschuldigt er sich mit seiner Unwissenheit und bedauert und beklagt die von ihm leichtsinnig verübte That. Der tiefgekränkte, verantwortliche Hofgärtner aber kann sich nicht zufrieden geben und führt den bestürzten jungen Mann in seine Wohnung, um in Gegenwart von drei Zeugen über seinen Namen, Stand und