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1. Die deutsche Kultur - S. 143

1907 - Leipzig : Brandstetter
Gutsbesitzer und reiche Kaufleute schätzten sich glücklich, wenn ihnen der Adelsbrief verliehen wurde. Der Kaiser und die Landesfürsten, die besonders in damaliger Zeit viel Geld brauchen konnten, machten aus der Verleihung der Adelsbriefe ein einträgliches Geschäft. „Nun mutz man auch riechen nach der Hof-Luft, woher dieselb am meisten wehet, dahin man sich zu wenden hat, damit man immer Gnadenluft behalte", so heißt es in einem „Complimentirbüchlein" der damaligen Zeit, und nach diesem Grundsätze richtete man auch sein Tun und Handeln ein. Durch Gunstbuhlerei und Schmeichelei strebte alle Welt nach Rang und Titel. Sie machten den Wert des Menschen aus, der höhergestellte Mann war auch immer der bessere. Auch der kleine Mann, der Handwerker, wollte von dem beglückenden Nimbus des Hofes etwas Vorteil haben. Er strebte nach Hoftiteln: erst als „Hofbäcker" oder „Hofschuhmacher" glaubte er etwas Rechtes zu sein. Und auch sonst kamen solcher äußerlichen Sucht unglaublich viel neue Titel und Ehrungen entgegen. Der Grundzug der allgemeinen Lebensauffassung war in jener Zeit die barste unsittlichste Äußerlichkeit, der niedrigste Nützlichkeitsstandpunkt. Der Charakter des damaligen Bürgertums, das in seinem Selbstgefühl stark erschüttert war, ist Charakterlosigkeit. So wie die Hofgesellschaft und der Adel sich nach unten abschlössen, so suchte jeder Stand gegen den anderen vornehmer zu sein. Der Gelehrte schloß sich vom Ungelehrten, der Beamte vom Bürger, der Kaufmann vom Handwerker fein säuberlich ab; am niedrigsten stand natürlich der Bauer, über den sich der Bürger hoch erhaben fühlte, vor allem wegen seiner Aneignung der neuen Bildung. Die Rangabstufungen kamen in den vielen Titeln und Anredeformen zum Ausdruck, mit deren Aufzählung man ganze Bücher füllte. Man mußte sich sehr wohl in acht nehmen, einen „wohledlen", „hochweisen", „hoch-wohlgebornen", „hochgelehrten", „großgünstigen" Herren nicht mit einer geringwertigeren Titulatur anzureden. Die Kommis der Kaufleute hießen „Bediente", die Diener derselben „Bursche". Beide redete man nur mit „er" an. Dagegen nannten die Kinder ihre Eltern und die vornehmen Eheleute einander nur „Sie". Das vornehme Bürgertum suchte im Luxus mit dem Adel zu wetteifern, z. B. im Halten von Bedienten, im Kleiderprunk und Tafellurus, im Protzen mit prachtvollen Kutschen, mit vergoldeten und samtgefütterten Schlitten. Auch in der Erziehung der Kinder ahmte man die adelige Erziehung durch Hofmeister nach, denn auch der vornehme Bürgerssohn sollte ein rechter „galanter" und „politischer" Mann werden, ein Weltmann mit feinen Umgangsformen. Das Palais der Vornehmen wurde das allgemeine Muster für die Wohnung der wohlhabenden Schichten des Bürgertums. Überall 143
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