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1. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 79

1910 - Berlin : Singer
- 79 - der kapitalistischen Produktionsweise die materialistische Weltanschauung neu erwacht war und namentlich in Frankreich glänzende Schlachten gegen den höfischen, feudalen und klerikalen Despotismus schlug. Die dogmatische Philosophie war nichts anderes als eine verkappte Theologie, ja sie war noch gemeingefährlicher als die echte und offene Theologie, die einfach verlangte, daß an Gott und Unsterblichkeit geglaubt werden müsse, ohne Prüfung des Verstandes, während die dogmatische Philosophie durch angeblich vernünftige Gründe beweisen wollte, was außerhalb der menschlichen Erkenntnis liegt. Kant selbst hatte in seinen jungen Jahren dieser Philosophie gehuldigt, aber der englische Skeptizismus, eine Philosophie, die überhaupt an der Erkennbarkeit der Dinge zweifelte, erregte in ihm Bedenken, die ihn dann dazu führten, die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens zu prüfen. Der Kern seiner neuen Lehre bestand darin, daß die ganze Erscheinungswelt, wie wir sie mit unseren Sinnen und unserem Verstände auffaffen, vollständig durch die Einrichtung unserer Sinne und unseres Verstandes bestimmt werde, und daß mir daher das wahrewesen der Dinge (das „Ding an sich") nicht erkennen könnten, daß aber unsere Erkenntnis deshalb doch keineswegs wertlos und zweideutig, sondern vielmehr durch unabänderliche Gesetze geregelt, notwendig und von unserem Wesen unzertrennlich sei. Diese empirische Erkenntnis (Erkenntnis durch Erfahrung) ist die einzige Art, wie mir von den Dingen überhaupt etrnas erfahren, rnenn sie uns auch die Dinge nicht so zeigt, mie sie sind, sondern roie der Mensch sie vermöge seiner Organisation notwendig sehen muß. Die Philosophie, die diese Schranken übersteigen will, gerät notwendig in Irrtümer, so namentlich, wenn sie beweisen will, daß unseren Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit eine außerhalb liegende Wirklichkeit entspricht. Die Zertrümmerung der dogmatischen Philosophie, die Kant auf diese Weise vollzog, war ein großer historischer Fortschritt, aber seine Erkenntnistheorie war an sich keineswegs neu. Ihr Grundgedanke, daß wir die Dinge nicht erkennen wie sie sind, sondern wie sie unseren Sinnen erscheinen, war lange vor Kant von anderen Philosophen, ja schon von den Denkern des griechischen Altertums ausgesprochen worden; eigentümlich war nur die Nutzanwendung, die Kant aus dem Gedanken zog, daß wir die Welt nicht unmittelbar erkennen, sondern nur durch unsere unvollkommenen Sinne. Er vernichtete dadurch den Anspruch der dogmatischen Philosophie,
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