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1. Das Mittelalter - S. 40

1912 - Nürnberg : Korn
— 40 — gefangen nahmen, durchsuchten die Hunnenweiber Haus und Hof, führten das Vieh aus den Ställen und beluden die Karren mit Beute. In der Nacht lag der Hirt gefesselt auf einem Hof neben dem brennenden Hanse. Der Nachtwind trieb ihm die Rauchwolken ins Gesicht; die Kopfwunde schmerzte ihn; sein Hals war rot und geschwollen und ein brennenber Durst begann ihn zu martern. Ohne Orbnung lagen die Hunnen herum; sie waren betrunken und schliefen und ihre Pferde weibeten außerhalb des Dorfes. Ein Wachtposten saß wie ein Toter auf seinem Gaul; schlafenb hatte er sich auf den Hals des Tieres vorgelehnt und hielt sich mit beiben Hänben an der Mähne fest. Als der Hirt die tiefen Atemzüge hörte, wälzte er sich mit gebundenen Händen und Füßen über beit Hof hinaus auf die Straße; dort öffnete er mit den Zähnen den Knoten an seinen Hanbfesseln, burchschnitt mit dem Messer, das er in den Stiefeln verborgen hatte, die Stricke an den Füßen und schlich leise durch die rauchenben Balkenhaufen hinaus auf die Wiese. Am Bache trank er in langen Zügen das kalte Wasser, fing dann eines der kleinen, frei herumlaufenden Hunnenpferde und ritt bavon in die weite Ebene. In der stillen Nacht wogten die Gräser wie Wellen, die weißen Wolken flogen am dunklen Nachthimmel und auch der Reiter jagte dahin, als ob er flöge. Die Wunde brannte ihn und das warme Blut floß ihm über das Gesicht. Wenn er durch ein schlafendes Dorf kam, da pochte er an die Haustüren und rief: „Wacht auf, ihr Ostgoten! Wachet auf, meine Brüber, und schlafet nicht mehr. Die wilben Hunnen sinb im Land; ihre Pferde trinken unsre Brunnen aus und wo ihr Huf hintritt, wächst kein Gras mehr!" So ritt er die ganze Nacht nach einer Richtung; der Schweiß mischte sich mit seinem Blut; es kam kein Schlaf über ihn; alle Kräfte nahm er zusammen bis zum letzten Blutstropfen. Als der Morgen graute, hielt er vor dem Hofe des Ostgotenkönigs. Ein gotischer Krieger stand breitbeinig auf der Treppe vor der Türe und hielt den Speer quer über den Bauch. „Hier wird nieuianb eingelassen," sagte der Wächter; „der König ist krank auf den Tod." Verwunbert schaute der Krieger auf das bampfenbe Pferb und den tobmatten Reiter; das lange Blondhaar war vom Blut zusammengeklebt, das Gesicht mit Blut überronnen und der Schafpelz rot von Blut. Da trat ein Greis aus dem Königshofe, und ein paar Tränen liefen ihm über die Backen, als er sprach: „Der König ist soeben gestorben." Nun nahm der Reiter seine ganze Kraft zusammen, richtete sich im Sattel aus und rief: „Feinbio! Zu den Waffen! Wehe euch, ihr Ostgoten, der König ist tot und die wilden Hunnen sinb im Laub!" Dann sank er vom Pserbe. Das Hunnenpferd wenbete den Kopf nach ihm; aber der Hirte regte sich nicht mehr; er war tot.
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