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1. Lesebuch zur Geschichte Bayerns - S. 140

1906 - München : Oldenbourg
140 29. Albrecht Dürer. dabei allerhand muntere Spiele. Dürer zeigt sich hier von einer neuen Seite: als Genrekünstler. Das Genre, die einfache Darstellung irgend einer bescheidenen Einzelheit aus dem täglichen Leben, ist im Norden entstanden und hat erst in Deutschland seine künstlerische Weihe empfangen. Wohl hat schon lange vor Dürer die französische Kunst ähnliche Darstellungen gekannt, allein sie beziehen sich ausschließlich ans die Minnedichtung und den Ritterroman. Die niederländische Malerei hat dann einzelne derartige Züge auf Legendenbildern angebracht, aber nur schüchtern an untergeordneter Stelle. Erst deutsche Kupferstecher, insonderheit Dürers großer Vorgänger Martin Schort-ganer zu Kolmar, geben Szenen aus dem täglichen Leben als selbständige Kunstwerke wieder. An diese knüpft Dürer an; unter seinen Kupferstichen und Holzschnitten finden sich mancherlei Darstellungen ans diesem Gebiete. Bald gestaltet er, wie hier, einen religiösen Stoff zu einem Genrebilde um, bald gibt er ein solches selbständig wieder: ein paar Landsknechte oder jagende Ritter oder Edeldamen auf der Reise, Bürger beim Spaziergaug auf dem Lande oder fränkische Bauern, wie sie nach Nürnberg auf den Markt kamen. Für den Kulturhistoriker sind das Dokumente. Das Beil, das Joseph führt, der Rechen, mit dem der eine der Engel arbeitet, und der Hut, den dieser trügt, das sind Wiedergaben von urkundlicher Genauigkeit, die jene ganze Zeit vor unseren Augen lebendig werden lassen. Nun wird aber mancher erstaunt fragen: „Wie kommt ein Zimmerplatz aus Dürers Zeit in die Kindheitsgeschichte Christi?" Solche Frage wird gern leichthin beantwortet, das komme von der Naivität der früheren Zeit, die kulturhistorische Studien noch nicht gekannt habe. Nun, letzteres ist richtig; aber man würde Dürer doch etwas zu viel „Naivität" zumuten, wollte man bei ihm den Glauben voraussetzen, daß sich die Leute zu Christi Zeiteu ebenso getragen hätten wie zu seiner eigenen. Da ist schon eines beachtenswert: Christus selbst und die Apostel erscheinen bei ihm stets in einer Tracht, die noch deutlich an die antike (Tunika und Toga) erinnert. Bei Maria schlägt er einen Mittelweg ein: auf unserem Bilde trägt sie einen Ausputz an Hals und Schultern, der den damaligen Schmncksormen entspricht, dazu aber einen Mantel halbantiker Art. Nur Joseph ist völlig in Zeittracht dargestellt. Wir können verfolgen, wie dies entstanden ist. Die oben beschriebene Tracht Christi war im frühen Mittelalter jene, in der alle Personen biblischer Vorgänge dargestellt wurden; sie war eine Überlieferung aus altchristlicher Zeit. Erst später wandte man Zeittracht an, zuerst bei den Henkersknechten der Passion, nach und nach bei allen Personen mit Ausnahme der erwähnten. Nicht naive Unwissenheit ist also der Grund, sondern das Bestreben die Vorgänge lebendiger und volkstümlicher zu gestalten, der Mitwelt näher zu rücken und des Fremdartigen zu entkleiden. Dem gleichen Zwecke dient auch das Häuschen auf unserem Bilde links im Hintergründe. Mit dem weidengeflochtenen Zaune und der überdachten
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