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1. Praktisches Lehrbuch des erziehenden Geschichtsunterrichts - S. 123

1899 - Wiesbaden : Behrend
- 123 — und gefangen. Seitdem lösten sich alle Bande der Zucht und Ordnung. Soldaten von allen Regimentern liefen wild durcheinander. Dazu wurde die Kälte immer grimmiger. In wunderlichem Aufzuge schlichen sie daher, die erfrorenen Glieder mit Lumpen umwunden. Kaum hatten die Müden ein Feuer angemacht und sich nm dasselbe gelagert, so erscholl schon wieder der Schreckensruf: „Kosaken!" Wen die Kraft zum Fliehen verließ, vergebens streckte er die Hand flehend nach den keuchend Vorübereilenden aus. Haufen von Erfrorenen lagen des Morgens um die erloschenen Wachtfeuer. Der ganze Weg glich einem unabsehbaren Leichenfelde. Am 5. Dezember verließ Napoleon, der Urheber dieses namenlosen Unglücks, die Trümmer seines Heeres und eilte in einem Schlitten nach Paris zurück. Von seinen Marschällen verabschiedete er sich mit den Worten: „Ich verlasse Euch, um 300000 Mann zu holen!" Von seiner stolzen Armee sahen nnr 30000 Mann im elendesten Zustande das deutsche Laud wieder. Unbeschreiblich war der Eindruck, den diese Durchzüge in den preußischen Städten und Dörfern weckten. Von einem Durchzuge durch die schlesische Stadt Glogau wird uns folgendes Bild entworfen: „In den ersten Tagen des Jahres fielen die Schneeflocken; weiß wie ein Leichentuch war die Landschaft. Da bewegte sich ein langsamer Zug geräuschlos auf der Landstraße zu den ersten Häusern der Vorstadt. Das waren die rückkehrenden Franzosen. Ohne Kommandoruf und Trommel, lautlos wie ein Totenzug, nahten sie der Stadt. Alle waren unbewaffnet, keiner beritten, keiner in vollständiger Montur, die Bekleidung zerlumpt und unsauber, aus den Kleidungsstücken der Bauern und ihrer Frauen ergänzt. Was jeder gefunden, hatte er an Kops und Schulter gehängt, um eine Hülle gegen die markzerstörende Kälte zu haben: alte Säcke, zerrissene Pferdedecken, Teppiche, Shawls, frisch abgezogene Häute von Katzen und Hunden; man fah Grenadiere in großen Schafpelzen, Kürassiere, die Weiberröcke wie spanische Mäntel trugen. Nur wenige hatten Helm und Tschako, jede Art Kopftracht, bunte und weiße Nachtmützen, wie sie der Bauer trug, tief in das Gesicht gezogen, ein Tuch oder ein Stück Pelz zum Schutze der Ohren darüber geknüpft, Tücher auch über den unteren Teil des Gesichts. Und doch waren der Mehrzahl Ohren und Nasen erfroren und feuerrot, erloschen lagen die dunkeln Augen in ihren Höhlen. Selten trug einer Schuhe oder Stiefel; glücklich war, wer in Filzsocken oder weiten Pelzschuhen den elenden Marsch machen konnte; vielen waren die Füße mit Stroh umwickelt, mit Decken, Lappen, dem Fell der Tornister oder dem Filz von alten Hüten. Alle wankten auf Stöcke gestützt, lahm und hinkend. Auch die Garden unterschieden sich von den übrigen wenig, ihre Mäntel waren verbrannt, nur die Bärenmützen gaben ihnen noch ein militärisches Ansehen. So schlichen sie daher, Offiziere und Soldaten burcheinanber, mit gesenktem Haupt in bumpfer Betäubung. Alle waren durch Hunger und Frost und unsägliches Elenb zu Schreckensgestalten geworben. — Tag für Tag kamen sie jetzt auf der Lanbstraße heran in bet Regel, sobalb die Abenbbämmerung itnb der eisige Winternebel über bett Häusern lag- Dämonisch erschien das lautlose Erscheinen der schrecklichen Gestalten, entsetzlich die Leiben, welche sie mit sich brachten; die Kälte in ihren Leibern sei nicht fortzubringen, ihr Heißhunger fei nicht zu stillen, behauptete das Volk. Würben sie in ein warmes Zimmer gebracht, so brängten sie mit Gewalt an bett heißen Ofen, als wollten sie hineinkriechen, vergebens mühten sich mitleibige Hausfrauen, sie von der verberblichen Glut zurückzuhalten. Gierig verschlangen sie
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