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1. Praktisches Lehrbuch des erziehenden Geschichtsunterrichts - S. 219

1899 - Wiesbaden : Behrend
— 219 — versammelte sich die ganze kaiserliche Familie um das Sterbelager ihres Oberhauptes. Um 5 Uhr abends trat der Oberhofprediger Dr. Kögel ein, um mit dem Kaiser zu beten und ihm durch Gottes Wort Trost zuzusprechen. Gegen 4 Uhr morgens wurde der Puls immer schwächer. Die Kaiserin saß am Bette ihres Gemahls und hielt seine Hand in der ihrigen. Die Großherzogin von Baden fragte ihn: „Weißt Du, daß Mama an Deinem Bette sitzt und Dir die Hand hält?" Da schlug er das Auge auf und sah die Kaiserin lange klar an. Ihr galt sein letzter Blick; er schloß es, um es nicht wieder zu öffnen. Am Morgen des 9. März 1888, um 81/* Uhr, entschlummerte Kaiser Wilhelm füll und sanft. Unter Thränen kniete die königliche Familie an der Leiche des Entschlafenen zum Gebete nieder. Kaiser Wilhelm tot! Einmütig bekannte die Welt: die Menschheit hatte einen Mann verloren, der ihr zu Ehren auf ihren Höhen stand. Aber die Deutschen, und am meisten die Preußen, sie hatten mehr verloren; denn ihnen war er zugleich der Stolz ihrer Nation, die er unter den Völkern der Erde erhöht hat. Seine irdischen Überreste ruhen in Charlottenburg neben seinen Eltern. Am 16. März bewegte sich vom Berliner Dome aus, wo die Leiche des Kaisers 4 Tage lang in einem offenen Paradesarg aufgebahrt gewesen war, ein großartiger Leichenzug zum stillen Mausoleum nach Charlottenburg. Alle Straßen, die der Zug berührte, zeigten feierlichen Trauerschmuck. Hohe Masten, an denen lange Trauerflaggen wehten, waren zu beiden Seiten ausgerichtet und durch schwarzen Flor miteinander verbunden. Trauerflor umhüllte auch die Gaslaternen, die Gasflammen brannten. Aus schwarzen Postamenten loderten aus Schalen Feuerflammen zum Himmel empor. Gleich dem herrlichen Brandenburger Thore zeigten alle Häuser die Farbe der Trauer. Der kaiserliche Trauerzug naht. Unter den ernsten Klängen eines Trauermarsches eröffnen ihn mehrere Regimenter verschiedener Truppen, daran schließen sich die Hofbeamten des verewigten Herrschers, die Leibärzte, die Geistlichkeit und die Minister; letztere tragen ihrem Herrn die Krone und die anderen Zeichen seiner Macht und Würde voran. Zunächst hinter dem purpurnen, mit Gold geschmückten Sarge, der unter einem kostbaren Thronhimmel gefahren wird, führt man das Leibpferd Kaiser Wilhelms. Den Zug der vornehmsten Leidtragenden eröffnet der Kronprinz Wilhelm, unser jetziger Kaiser. Ihm folgen fast alle deutschen Fürsten, die Könige von Belgien und Rumänien, die Prinzen des königlichen Hauses und hohe Abgesandte aller europäischen Staaten. Truppenabteilungen bilden den Schluß. Ernste, feierliche Stille herrscht in der unzählbaren Menschenmenge, die zu beiden Seiten des Weges Aufstellung genommen hat. Dem trauernden, kranken Sohne, Kaiser Friedrich Iii., war es nicht möglich, am Leichenzuge teilzunehmen. Vom Charlottenburger Schloßfenster aus sah er thränenumflorten Blickes tiefernst auf den Zug herab. Noch wenige Minuten — und Kaiser Wilhelm hatte seine letzte Ruhestätte gefunden. Und nun schlaf wohl in deines Gottes Frieden, Der Tag war lang, so süßer sei die Ruh. Solch hohes Ziel war wenigen beschicken, So gottgesegnet war kein Fürst wie du.
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