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1. Der moderne Geschichtsunterricht - S. 6

1900 - München : Oldenbourg
6 Fortschritte der neueren Geschichtswissenschaft. Diese aus den Verhältnissen entsprungene und eben deshalb ganz natürliche Einseitigkeit deutschen Denkens, Fühlens und Strebens musste sich ganz naturgemäß auch dem Spiegelbild der Geschichte, nämlich der Geschichtswissenschaft, mitteilen; und hatte man diesen einseitigen Standpunkt einmal eingenommen, so war es ebenso naturgemäfs, dass man nicht bloss die Geschichte des eigenen Volkes und der eigenen Zeit von ihm aus betrachtete, sondern ihn ganz allgemein auf jegliches geschichtliche Forschen und Darstellen anwandte. Daher die einseitigen, wenn auch sonst meisterhaften Darstellungen der römischen Geschichte durch Mommsen, der mittelalterlichen Kaisergeschichte durch Glesebrecht, der deutschen durch Svbel und Treitschke u. s. w. Das geradezu klassische Beispiel für die bisherige Geschichtsdarstellung ist bekanntlich »Webers Weltgeschichte«. Doch die Zeit, wo für den Historiker nur die Uniform, der Diplomatenfrack, der Priester- und Gelehrtenrock und allenfalls noch nebenbei die Künstlerjoppe in Betracht kamen, ist vorbei. Heutzutage werden allmählich auch die Arbeiterbluse und der Bauernkittel für die Geschichtsforschung salonfähig. Fern sei es der modernen Geschichtswissenschaft, die Bedeutung der zuerst angeführten Aristokraten von Geburt und Beruf unterschätzen zu wollen; 9as wäre ein verhängnisvoller Irrtum; aber neben ihnen müssen auch der Industrielle, der Kaufmann, der Arbeiter und der Bauer die ihnen gebührende Beachtung finden. Ja noch mehr! Der Mensc'h in allen seinen Lebensäusserungen und -bethätigungen muss Gegenstand der Forschung sein; für den Historiker in erster Linie muss das schöne, stolze Römerwort gelten: Homo sinn, humani nil a me alienum puto! Oder mit anderen Worten: Nicht bloss als Mitglied einer grösseren oder kleineren Gemeinschaft — wenn auch dies in erster Linie —, sondern auch als Einzelindividuum muss der Mensch betrachtet werden, wie er leibt und lebt, arbeitet und geniefst, lacht und weint, denkt, fühlt, glaubt u. s. w., kurz: Kulturgeschichte im allgemeinsten Sinne, d. h. Geschichte der allmählichen, unaufhaltsam fortschreitenden Entwicklung der Menschheit auf materiellem, geistigem und sittlichem Gebiete innerhalb des staatlichen Rahmens, das ist das Ideal der allgemeinen Gesellichte, dem man nachstreben muss. Freilich wird man es nie vollständig er-
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