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1. Ferdinand Hirts historische Bildertafeln - S. 24

1886 - Breslau : Hirt
gegangen war ein lebhafter Aufschwung der Plastik, Malerei u. s. w. im Zusammenhange mit den gewaltigen Fortschritten, welche das allgemeine Kulturleben der Kreuzzugsbewegung verdankte. Derselbe machte seine Wirkung auf das eng verwandte Kunsthandwerk geltend; ferner erfuhr der Betrieb des letzteren eine weitere Förderung dadurch, dass er aus den Kreisen der Geistlichkeit auf das Bürgertum überging, und damit verknüpfte sich nicht bloss die Möglichkeit einer allseitigen Entfaltung der schöpferischen Kraft; es vermochte mit der Ausbildung der Zünfte, deren Sieg über den städtischen Patriziat einen starken Hebel für ihre Betriebsamkeit bedeutete, auch eine ordnungsgemässe Verteilung der Arbeit, eine rationelle Ausübung derselben einzutreten. Das bisher schwankende Bestreben, sich im Geiste und Geschmacke der Zeit künstlerisch zu bewegen, weicht einem festen Gepräge. Gotisch erscheint dasselbe zunächst bei demjenigen Geräte, das für den kirchlichen Dienst bestimmt der ganzen Umgebung angepasst werden musste, bei den heiligen Gefässen. Die Monstranzen, Reliquiengehäuse und Hostienbehälter (Tafel 19, No. 16) zeigen an Stelle schwerer Formen freie Gliederungsweise, leichte Erhebung, feines Strebewerk; gleichen Charakter verrät auch der Kelch in seinem schlanken Schaft, in der Schale, die statt der früheren Kugelgestalt die Eiform aufweist, u. s. w. Wo sich an den Geräten ein Knauf befindet, erhält er die Bestimmung, der Hand ein bequemes Mittel zum Anfassen zu bieten. Langsamer ward das ausserkirchliche Gerät von der neuen Kunstrichtung beeinflusst. Da man bei der Herstellung desselben sich an die Grundform und Zweckdienlichkeit band, war das künstlerische Bestreben auf die zierliche Ausstattung beschränkt. Aber gerade hierin begann ein ungemeiner Wetteifer, der sich um so höher steigerte, als mit der Zunahme der Bedürfnisse auch der Sinn für das Schöne sich verallgemeinerte. Freiere Herausarbeitung aus dem Stoff tritt deutlich in den Möbeln auf Abbildung 15 der Tafel 19 hervor: es besitzt z. B. das Gestell des zum Drehen eingerichteten Sessels, der aus der Kirche zu Kat zwang bei Nürnberg stammt, leichte Gliederung in hohem Grade; ferner zeichnet sich der Tisch, dessen breite Stützen schon wegen der gebrochenen Linien des Umrisses spezifisch gotische Elemente enthalten, durch sein Ebenmass und seine Verzierungen aus. Geblieben ist die hergebrachte Grundform des Ornamentes (Nachahmung pflanzlicher Gebilde, Netzwerk von geometrischen Figuren u. s. w.); aber niemand vermag die reichere Ausbildung und die schwungvollere Behandlung zu verkennen. Den Verhältnissen der Zeit entsprechend ging der Umwandlung des Hausgerätes auch die der häuslichen Räumlichkeiten parallel. Ihre Erweiterung und Ausschmückung, womit der reiche Adel bei den Burgen und Schlössern bereits gegen den Schluss des 13. Jahrhunderts begonnen, dehnte sich allmählich auf die städtischen Wohnungen der begüterten Bürger aus, und wiederum ging hier Frankreich voran. Die bestehenden Häuser wurden den vermehrten Bedürfnissen gemäss umgebaut, und die neuen Räume mit Möbeln modischer Form gefüllt; durch die Ausstattung, wie sie Abbildung 16 der Tafel 18 zur Darstellung bringt, geht der Charakter einer soliden, aber etwas steifen Pracht. Bogen 20 und 21. Das 10. Jahrhundert. Ein gewaltiger Umschwung aller Verhältnisse des Lebens vollzieht sich um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts; es beginnt eine neue Zeit; doch hat sie ihre Vorbereitung schon lange in dei Periode des späteren Mittelalters. Langsam machte das alte Feudal- oder Lehnswesen einer neuen staatlichen Gestaltung Platz: es wich der straffen Zentralgewalt in den Monarchien ausserhalb Deutschlands und innerhalb desselben der territorialen Fürstenmacht. Verbunden waren damit politische und soziale Veränderungen der wichtigsten Art, wobei z. B. die Städte wie der Stand des niederen Adels eine gewaltige Einbusse ihrer Bedeutung und das Kriegswesen eine völlige Umwandlung erlitten. In den Vordergrund des europäischen Staatenlebens drängen sich in heftiger Rivalität um die Vorherrschaft Frankreich und die spanisch-habsburgische Weltmacht. Mehrere Jahrhunderte der Geschichte sind von dieser Erscheinung beherrscht. In sozialer Beziehung üben ferner den wichtigsten Einfluss die Auffindung des Weges nach Indien und die Entdeckung Amerikas aus. Der kaufmännische Verkehr entwickelt sich zum Welthandel, ruft eine steigende Vermehrung von Reichtümern lieix or. Die Genüsse, die Ansprüche der Menschen ver-uelfältigten und verleinerten sich. Das Leben weiter Kreise gewann an Schmuck und Reiz. Gewerbe und Kunst fanden infolge dessen neue Impulse zur Entwickelung und Ausdehnung ihrer 1 hatigkeit, für welche die von Italien ausgehende Renaissance das Gepräge gab. Diese d. h. die Wiedergeburt des Altertums in Wissenschaft, Kunst und Leben hatte die engen Schranken m welche den menschlichen Geist die mittelalterliche Kirche ge- bannt hatte, niederzureissen begonnen. Es erhebt sich neben der Kirche eine neue Macht, welche in der gelehrten wie populären Parteinahme für das Antik-Klassische besteht; es verbreitet sich eine Atmosphäre des Idealen, in welcher alle höher Gebildeten von nun an Befriedigung finden. Den geistigen Horizont noch mehr zu erweitern, trugen die neuen Entdeckungen wesentlich bei, und dazu tiat als mächtigste Erschütterung der Gemüter die Revolution im Innern der Kirche, der als ,,Reformation“ bezeichnete Siegeskampf zur Befreiung der menschlichen Erkenntnis von dem erstarrten Autoritätsglauben, von dem unbedingten Gehorsam gegen die Hierarchie. Nun erscheinen alle Formen des Lebens, die ganze Anschauungs- und Gefühlsweise der Menschen total gewandelt. Kein Zweig der Kultur machte aber radikalere Änderungen durch als das Kostüm. In Deutschland dauerte zunächst die alt gewöhnte Tracht im allgemeinen fort; doch gewinnt sie an Stelle der wirren Zerfahrenheit und Bizarrerie, welche bisher geherrscht hatte, wieder mehr Einheit und Würde, verhältnismässig grössere Einfachheit. Besondere Beliebtheit genoss der Brauch, gewisse Kleiderteile einerseits aufzubauschen, anderseits aufzuschlitzen und untergelegte 8toffe zur Geltung zu bringen. Er tritt hauptsächlich an den weiten Ärmeln des Männerrockes, welcher in breiten Langfalten bis zu den Knieen herabreicht, und an den Oberbeinkleidern hervor. Letztere bedeuten eine Neuerung, die man allseitig angenommen hatte: das lange Männerbeinkleid schied sich in eine 'Oberhose und eine selbständige Strumpfhose, welche unter dem Knie vermittelst eines Bandes ihre Verknüpfung erhielten. Das Knieteil der Oberhose zeigt dem erwähnten Brauche entsprechend die Form eines senkrecht gegitterten Kranzes (Tafel 21, No. 3 u. 4). Als Überkleid diente wie früher die „Schaube“. Vom Fürsten herab (Tafel 20, No. 2) trug sie jedermann, der auf Ansehen und Würde hielt; bei vornehmen Personen (Tafel 21, Eo. 4) reichte das lange Übergewand auch bis zu den Füssen herab. Im übrigen unterschied die mehr oder minder kostbare Ausstattung desselben die einzelnen Stände: einfach und von schwarzer Farbe bildete es die Tracht der Reformatoren und blieb bis heute der Amtsornat der evangelischen Prediger. In Kopfbedeckungen hatte das 15. Jahrhundert eine überaus bunte Mannigfaltigkeit hervorgebracht. In der neuen Zeit verloren sie sich alle mit Ausnahme des Barettes oder fristeten ihr Dasein in den niedrigsten Sphären, wie z. B. der Filzhut, der zu den Bauern herabstieg, um ein Jahrhundert später zu den Soldaten und von den Soldaten in die höchsten Höhen der Gesellschaft zu gelangen. Das Barett, eine flache Mütze mit einem mehr oder minder gesteiften Rand, der durch verschiedene Breite und durch Schlitzung, Schleifenwerk, Federschmuck u. s. w. dem Ganzen das mannigfachste Ansehen zu verleihen vermag, wird die herrschende Kopftracht für die Herren und die Frauen. Letztere geben allmählich die wunderliche Mode der Hauben, der langgestreckten (mit oder ohne Kinnband, welches den unteren Teil des Gesichtes verhüllte; Tafel 21, No. 6 u. 7) und der mit Hilfe eines Drahtgestelles eckig gestalteten (ebenda No. 8) auf. Sonst erlitten die weiblichen Gewänder nur geringe Umgestaltung dadurch, dass man den oberen Rock vorn herum noch mehr als früher kürzte, die Schleppe für gewöhnlich aufgab. Ausserdem kam ein besonderer Schulterumhang, der sogenannte Goller (Tafel 21, No. 6) auf. Die Vorliebe für Schlitze und Bauschen findet sich wie bei den Männern, so auch bei den Weibern, und gerade sie war geeignet, den Aufwand beider Geschlechter für kostbare Stoffe gefährlich zu steigern. Man begnügte sich nicht mehr, die Unterlage durch die Schlitze nur leichthin sichtbar zu machen, sondern begann dieselbe gerade zur Hauptsache zu machen, aus den Schlitzen glockenartig ausbauschen zu lassen. Mitte des 16. Jahrhunderts aitete diese Moderichtung" bedenklich aus. Vor allem betraf sie die Oberhose. Man fertigte sie aus einer Überfülle von sehr dünnem Stoff, gewöhnlich einem Seidengewebe, und fasste diesen durch mehrere senkrecht nur lose darüber gelegte Streifen von derberem Zeug (Samt) zusammen, so dass dieselben jene Stoffmasse nicht hinderten, frei schlotternd herauszuquellen. Das sind die sogenannten Pluderhosen. Ihre Erfindung rührt von den Landsknechten her, welche zur Befriedigung ihrer Eitelkeit sich in der Kleidung einer wilden Phantastik überliessen, schon der Tendenz des Schützens u. s. w. unmässig gehuldigt hatten (Tafel 20, No. 3—7) und nun jene unsinnige Pludertracht (ebenda No. 9—12) um 1550 ausbrachten. Dieselbe fand, obwohl gerade über sie die Sittenrichter mit den härtesten Scheltworten herfuhren, auch in der guten Gesellschaft Anklang, sah sich aber bald zurückgedrängt durch die spanische Mode, welche die „ausgestopfte“ Tracht bringt. Am Ende des Jahrhunderts scheint die letztere den Sieg davon getragen zu haben, um alsbald danach in einer neuen Periode sich gänzlich umzuwandeln. Schwer ist es zu erklären, warum gerade die Kleidung der Spanier eine so merkwürdige Anziehung, einen solchen Reiz zur Nachahmung ausübte. Darin gab gerade der schärfste Gegner
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