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1. Frauengestalten - S. 22

1898 - Wiesbaden : Behrend
— 22 — der Schüler rollten. Aber unbeirrt zogen sie ihres Weges; nur der Kleinsten einer wollte sich bücken nach der lockenden Frucht, doch streng hielt ihn sein Nebenmännlcin im Gürtel. Wohlgefällig sah der Abt die Haltung des jungen Volkes und sprach: „Disziplin unterscheidet den Menschen vom Tiere!" — Nun ging es zur äußeren Kloster-schule, wo zumeist vornehmer Laien Söhne und diejenigen erzogen wurden, die sich weltgeistlichem Stande widmen wollten. Man trieb griechische Übersetzungen. Nach einer Weile aber begann es sich zu regen in den Schulbänken, es summte und brummte wie ferne Sinrm-glocken, zur Übersetzung kams nicht mehr. Plötzlich stürmten sie ans die Herzogin ein, rissen sie von des Abtes und ihres Kämmerers Seite und umzingelten sie. „Gefangen! gefangen!" schrie die holde Jugend und begann sich mit den Schulbänken zu verschanzen. „Gefangen! Wir haben die Herzogin von Schwaben gefangen. Was soll ihr Lösegeld sein?" — „Was soll das alles, ihr schlimmen Knaben ?" fragte die Herzogin lächelnd. Da trat einer der Anführer vor, beugte seine Knie und sprach demütig: „Wer als Fremder kommt, ist ohne Schutz und Friede, und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen." „Lernt ihr das auch aus euren griechischen Büchern?" „Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch." „So will ich mich denn auslösen," lachte Frau Hadwig, „was heischt ihr denn für ein Lösegeld?" — „Der Bischof Salomo von Konstanz war auch unser Gefangener," sprach der Schüler, „der hat uns drei weitere Ferientage erwirkt im Jahre und eine Erquickung von Fleisch und Brot, und hat's in seinem Testamente verbrieft und angewiesen." „O Nimmersatte Jugend!" sprach die Herzogin, „so muß ich's zum mindesten dem Bischof gleichthun. Habt ihr schon Felchen*) aus dem Bodensee verspeist?" „Nein!" riesen die Jungen. „So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich erhalten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel." — „Gebt Jhr's mit Brief und Siegel?" — „Wenn's sein muß!" — „Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr!" ries's von allen Seiten. „Heil, sie ist frei!" — Die Schulbänke wurden in Ordnung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergründe flogen die Pergameutblätter als Freudenzeichen in die Höhe. Wie die Herzogin mit dem Abte den Hörfaal verlassen, sprach dieser: „Es erübrigt nun noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigeu, die Arzneikammer lernbegieriger Schüler, das Zeughaus für die Waffen des Wissens." Aber die Herzogin war ermüdet, sie dankte. An der Geißelkammer vorüber gingen sie nach den Gemächern des Abtes, um die Schenkung an die Schnlknaben urkundlich zu machen. *) Alpenseefische, auch Recken genannt.
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